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Kürben
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eBook370 Seiten5 Stunden

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Über dieses E-Book

Migiersdottir, ein Planet am Rim, dem Rand der von der Menschheit erkundeten Galaxie, wurde im Rahmen der ersten Welle der Auswanderung von Terra besiedelt, aber irgendwann brach der Kontakt dorthin ab. Die Bevölkerung von Migiersdottir musste deshalb jahrhundertelang ihren eigenen Weg gehen.
Nun, im Zuge eines Krieges, errichtet Terra auf Migiersdottir eine Militärbasis als Stützpunkt für ihre Eroberungspläne.
Während draußen im All, weit weg vom Geschehen auf Migiersdottir, die entscheidende Schlacht der Terraner gegen eine Allianz aus nichtmenschlichen Intelligenzen tobt, überlässt man die Soldaten, die zu einem großen teil in den terranischen Dienst gepresst wurden, ihrem Schicksal …
SpracheDeutsch
HerausgeberWurdack Verlag
Erscheinungsdatum24. Apr. 2023
ISBN9783955562069
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    Buchvorschau

    Kürben - Axel Kruse

    Geleitwort

    Thorsten, es ist an der Zeit, dich von deinen Vorurteilen zu befreien.

    Nein wirklich, es ist so: Auch ich hege Vorurteile. Beispielsweise über Steuerberater!

    Ich habe mich zeit meines Lebens gefragt, wofür sich Menschen begeistern, die Steuerberater werden. Für die Idee von Steuern an sich, oder für die unglaublich komplexen Feinheiten des Steuerrechtes, oder sie beflügelt so eine Art sportlicher Ehrgeiz, ihren Klienten zu einer möglichst hohen Rückzahlung zu verhelfen.

    Ich habe geglaubt, Steuerberater müssten den Traum von fernen Welten allenfalls als infantile Vorliebe belächeln, ist er doch weder lukrativ, noch auf dem festen Boden der Realität verankert, ja nicht einmal steuerlich absetzbar. Eine absurde Fantasterei, mit der ein hoch analytischer Zahlenjongleur niemals Zeit vergeuden würde.

    Ich lag falsch, müssen Sie wissen, und Axel Kruse hat mich von diesem Vorurteil befreit.

    Axel ist nämlich Schriftsteller. Einer der Science Fiction schreibt, Fantastik und mehr. Aber er ist eben auch Steuerberater. Wobei, man kann sich davon selbst ein Bild machen, wenn mal ihm in den sozialen Netzwerken folgt, da seine Kanzlei auch das Atelier eines Raumschiffdesigners sein könnte. Axel baut und sammelt Raumschiffe aus allen literarischen und filmischen Universen und präsentiert sie an seinem Arbeitsplatz in hoch dekorativen Vitrinen. Eine Kanzlei, in der ich mich auf der Stelle wie zuhause fühlen würde. Thorsten mit plattgedrückter Nase in einem Miniaturraumhafen, wo man ihn am wenigsten erwartet.

    Immerhin gelingt es Axel Kruse genauso wenig wie schriftstellernden Physikern, seine Profession zu verbergen. Wenn seine Überlegungen hinsichtlich steuerlicher Absetzbarkeit von Raumfahrzeugen auch eher dezent ausfallen und er uns mit komplexeren Details verschont. Sie werden übrigens im Verlauf der nachfolgenden Handlung noch einem weiteren Steuerberater begegnen, der sich plötzlich gezwungen sieht, Ermittlungen nach einer von der Buchhaltung unbemerkten Raumyacht anzustellen.

    Worauf ich jedoch hinaus wollte: Axel Kruse lebt in seiner Fantasie in einem selbst erschaffenen Kosmos, der vor Leben wimmelt, vielfältig und multikulturell erblüht, bedauerlicherweise aber auch unter einem hohen Arschlochdurchsatz leidet. Ganz wie die reale Welt. Ich verstehe seine Darstellung einer aus dem Ruder laufenden terranischen Politik durchaus als deutlichen Seitenhieb auf aktuelle politische Entwicklungen.

    Ich hatte mittlerweile das Vergnügen, in Dresden gemeinsam mit Axel zu lesen und ihn bei zwei virtuellen Lesungen begrüßen zu dürfen. Unvergessen wird für mich seine Antwort auf die Frage bleiben, welches virtuelle Bühnenbild er sich für seinen Auftritt beim Vierten Virtuellen Literaturcon wünscht. Ein Raumschiff, eine Raumwerft, einen ausgehöhlten Asteroiden?

    Nein.

    Die bezaubernde Altstadt von Essen-Kettwig.

    Kein Wunsch könnte Axel Kruse besser charakterisieren als der, der er ist. Einer, der in vielen Welten zuhause ist. In Vergangenheit oder Zukunft, im interstellaren Raum oder seiner beschaulichen Geburtsstadt, der er in seinem Roman Zeitmaschinen gehen anders ein Denkmal gesetzt hat.

    An dieser Stelle möchte ich mich erdreisten, das nachfolgende Werk auch als Plädoyer für die Kurzgeschichte auszulegen, besteht es doch aus einzelnen Episoden, mal Military Science Fiction, mal Space Opera und mal Weltraum-Krimi.

    Axel rollt für uns die zukünftige Entwicklung der Menschheit aus. Beginnend mit der Übernahme des Sprungantriebs vom Volk der Kürben über ein bösartig über die gesamte Galaxie streuendes terranisches Großreich bis zum Ursprungsfunken einer galaktischen Föderation, in der Lebensformen aller Art gleichberechtigt existieren. Das alles schafft er im ersten Teil auf gerade mal 102 Seiten. Ich schrieb das vor einiger Zeit schon an anderer Stelle: Axel Kruse hat sich erfolgreich vom Zwang der Mehrhundertseitigkeit befreit. In einzelnen Kapiteln beleuchtet er verschiedene Schauplätze und Zeitabschnitte seines Kruse-Kosmos, lesbar als Epos oder als Kurzgeschichtensammlung. Konsumierbar in kleinen Portionen oder in einem unterhaltsamen Rutsch.

    Axel hat nicht nur die Fähigkeit, sich das alles auszudenken, er vermag uns auch mitzunehmen auf seinen Reisen durch den interstellaren Raum.

    Nehmen Sie Platz neben seinem Pilotensitz und begleiten sie ihn jetzt über 102 Lichtjahre und eben so viele Seiten in den spannungsreichen Kosmos des Axel Kruse.

    Von Essen-Kettwig bis zum äußersten Spiralarm der Milchstraße.

    Thorsten Küper

    Erster Teil

    Die Kürben

    1. Kapitel

    In Memoriam Murray Leinster

    Über ein halbes Jahr, nach irdischen Maßstäben gerechnet, waren wir nun auf Eridani. So hatten wir den Planeten schlussendlich getauft, auch wenn wir uns nicht wirklich sicher waren. Die Entscheidung, die ich getroffen hatte, war mir nicht leicht gefallen, aber sie war die einzig mögliche, einzig richtige gewesen. Die meisten hatten es eingesehen, die meisten von uns und von ihnen. Oft hatte ich an jenen schicksalshaften Abend zurückgedacht, an dem alles begonnen hatte. Hätten wir damals einen anderen Weg eingeschlagen, ich meine damit Andrea und mich, wir hätten niemals …

    ¯¯¯

    »Fass mich nicht an!«, fauchte sie.

    Ich schreckte zurück. Nahm meine Hand von ihrer Schulter.

    »Ich wollte doch nur …«, stammelte ich. Sie ließ mich nicht ausreden.

    »Du, immer nur du!«, schrie sie. »Wie es mir geht, das interessiert dich einen Scheißdreck! Ich habe dir gesagt, dass es aus ist. Akzeptier das endlich!«

    Betreten sah ich zur Seite, in den Wald hinein. Den malerischen Sonnenuntergang über dem See blendete ich aus. Von dem hatte ich mir mehr versprochen, zu viel, viel zu viel, wie sich jetzt herausgestellt hatte.

    »Lass uns reden«, schlug ich vor.

    »Was willst du noch reden?«, antwortete sie. »Wir passen nicht zueinander, das ist mir hier nach der Landung klar geworden.«

    »An Bord …«, begann ich und dachte an die anderthalb Jahre, die hinter uns lagen, die wir mal abgesehen von den ersten Wochen des Kennenlernens zusammen als Paar verbracht hatten.

    »An Bord warst du der Kapitän«, sagte sie pikiert. »Da habe ich nicht bemerkt, was für eine Lusche du in Wirklichkeit darstellst. Hier am Boden, wo deine Befehlsgewalt nicht mehr existent ist, zeigst du dein wahres Gesicht. – Das ekelt mich an, verstehst du?« Wie eine Furie war sie herumgefahren, jetzt wischte sie sich ihr langes schwarzes Haar aus dem Gesicht. »Lass es gut sein, David«, meinte sie dann in versöhnlicherem Ton. »Es ist aus, ich empfinde nichts mehr für dich, das muss reichen, verstehst du?«

    Ich verstand nicht, schüttelte den Kopf. Aber was blieb mir übrig? Ich setzte zu einer Erwiderung an, wollte unser Haus hier auf dem unberührten Planeten anführen, das wir seit nun nicht ganz vier Wochen bewohnten. Wollte …, da ertönte der Knall. Wir zuckten zusammen.

    »Was war das?«, fragte Andrea.

    »Keine Ahnung«, sagte ich. »Ein Schuss?«

    Dann knallte es wieder, irgendwo rechts von uns im Wald.

    »Das sind Schüsse«, sagte ich nun bestimmt und zog meine Handfeuerwaffe aus dem Holster. Andrea folgte meinem Beispiel.

    »Die Sicherheit?«, meinte sie.

    »Bis wir im Lager sind und die alarmiert haben, ist es vielleicht schon zu spät«, sagte ich. »Komm.« Ich wandte mich nach rechts und drang durch das Unterholz in den Wald ein.

    Erneut hallte das Geräusch eines Schusses zu uns, gefolgt von einem lauten Gebrüll.

    »Ein Ronon«, entfuhr es Andrea.

    »Ein verwundeter Ronon«, vervollständigte ich. Wir wussten beide, was das bedeutete. Mir schossen ernste Zweifel daran durch den Kopf, was wir hier gerade vorhatten. Was konnten denn schon unsere lächerlichen kleinen Handfeuerwaffen gegen einen ausgewachsenen Ronon ausrichten? Andererseits war dort wahrscheinlich ein Mitglied unserer Landegruppe in ernster Gefahr, ein Mitglied meiner Crew. Da konnte ich schlecht klein beigeben und zum befestigten Lager zurückkehren. Mal ganz abgesehen davon, welchen Eindruck ich bei Andrea hinterlassen hätte.

    Mir blieb nichts anderes übrig, als den Helden zu spielen, der ich nicht wirklich war. Wahrscheinlich wusste sie das auch und noch wahrscheinlicher: Ich konnte hier machen, was ich wollte, keine meiner Entscheidungen würde etwas an ihrer gefassten Meinung, was unsere Beziehung anging, ändern. – Schon komisch, mit was für Gedanken ich mich beschäftigte, während wir durch den Wald hasteten.

    Wir hatten kaum Zeit, uns zu orientieren, als wir auf die Lichtung traten. Vor uns, in ungefähr zweihundert Meter Entfernung, war der Fluss, der unseren See speiste. Die Lichtung selbst maß in der Länge mindestens einen Kilometer, wobei sich an beiden Seiten der Wald halbmondförmig fast bis an den Fluss heran erstreckte.

    Links von uns, nicht ganz hundert Meter weit weg, stand der Ronon in seiner ganzen Pracht. Ein wahrer Koloss. Der Körper brachte gut und gerne an die siebenhundert Kilogramm auf die Waage, die sechs Beine waren zum Sprung angewinkelt. Jetzt sah ich, dass aus seiner Brust Blut spritzte. Dieses leicht ins violette gehende Blut, das für die Fauna dieses Planeten so typisch war. Ich rannte los, auf das Geschehen zu. Wollte ich mit meiner Handfeuerwaffe einen sicheren Schuss abgeben, musste ich näher ran.

    Der Ronon schüttelte seinen Kopf, wandte sich uns zu und ließ von seinem Opfer ab. Er musste sich entscheiden, ob wir eine Bedrohung waren, oder er zuerst sein ursprüngliches Ziel verfolgen und sich danach mit uns abgeben sollte.

    Sein Ziel, sein Opfer …

    Erneut ertönte ein Schuss. Der Ronon wurde getroffen, mitten in die Brust. Der Schütze hatte keine Ahnung, das wurde uns sofort klar, sonst hätte er die Muskelpartien der Beine als Ziel gewählt. Ich blieb stehen, versuchte meinen Atem unter Kontrolle zu bringen und hob die Waffe, zielte und gab zwei Schüsse ab. Ich hatte Glück, einer ging zwar fehl, aber der andere traf die Muskelpartie des linken Vorderbeins. Andrea nahm eines der anderen Beine unter Beschuss.

    Der Ronon knickte weg. Zwei seiner Beine waren nicht mehr zu gebrauchen, in das dritte auf unserer Seite schlugen nun unsere Kugeln ein.

    Das Fass, anders konnte ich die Gestalt nicht beschreiben, schien verstanden zu haben. Es hob seine Waffe und schoss auf das rechte Vorderbein, der Ronon hatte keine Chance mehr, er würde sich nicht mehr erheben, nicht mehr jagen gehen.

    Langsam ging ich auf das immer noch gefährliche Raubtier zu. Es lag jetzt auf der Seite, den Rücken uns zugewandt und schlug mit den beiden unverletzten Beinen wild in die Luft. Dabei brüllte es lauthals.

    Gemessenen Schrittes hatte ich es nunmehr erreicht, richtete meine Waffe auf das fast in Griffweite befindliche Ohr des Tieres und gab gezielt fünf Schüsse hintereinander ab. Aus dieser Entfernung konnte ich mein Ziel nicht verfehlen. Die Projektile drangen durch den Gehörgang in das Gehirn des Raubtieres ein und töteten es. Die beiden unverletzten Beine brauchten ihre Zeit, bis sie das mitbekommen hatten, dann erschlaffte die Bewegung und hörte vollständig auf. Der Kadaver zuckte nicht mehr. Ich steckte meine Waffe in das Holster.

    Andrea stand seitlich versetzt hinter mir. So hatten wir es gelernt, wir waren durch eine harte Schule gegangen. Nur so hatte sie die Möglichkeit, mir Deckung zu geben, ohne dass ich mich in ihrem Schussfeld befand. Sie zielte auf das Fass.

    Ich winkte ihr zu, bedeutete ihr, dass sie ihre Waffe auch einstecken sollte, allein … sie tat es nicht.

    Ich ging um den Kopf des toten Monstrums herum, direkt auf das Fass zu. Der Rumpf war gräulich …, nein, an manchen Stellen eher braun. Die Haut wirkte ledrig. Es war gut und gerne sieben Meter hoch. Am oberen Ende wölbte sich der Körper zu einer Art Halbkugel. Um die Körpermitte hatte es mehrere Auswüchse, sechs an der Zahl, die mich an Tentakel erinnerten. Einer dieser Auswüchse hielt einen unverkennbar als Waffe zu identifizierenden Gegenstand, den er jetzt, mit einer fast schon theatralisch zu nennenden Geste, in das Holster steckte, das an seinem Gürtel befestigt war. Gleichzeitig fuhr es seine Beine aus.

    Anders konnte ich es nicht nennen. Dieses Fass hatte bislang auf der Erde gestanden, jetzt schob es vier Säulen aus dem unteren Ende des Körpers und hob diesen damit langsam in die Höhe. Es sah so aus, wie ein Kolben, der hydraulisch herausgedrückt wurde. Das Wesen gewann damit noch einmal mindestens einen Meter an Höhe.

    Die Schädeldecke, ich hatte mich dazu entschieden die Halbkugel am oberen Ende des Körpers so zu bezeichnen, vibrierte plötzlich. Gleichzeitig ertönten Laute, die ich nicht zu deuten wusste. Das Wesen versuchte zu kommunizieren.

    »Steck die Waffe weg«, herrschte ich Andrea an. Jetzt, nachdem das Fass seine Waffe inaktiv am Gürtel trug, folgte sie, wenn auch nur zögerlich, meiner Anweisung.

    ¯¯¯

    Wir machten uns auf den Weg ins Lager und bedeuteten dem Fass mit Gesten, uns zu folgen. Obwohl wir neben den Tentakeln keine weiteren Sinnesorgane wahrnehmen konnten, hatte es uns wohl verstanden und stapfte hinterher.

    Die säulenartigen, schweren Beine wirbelten geradezu im Kreis, wenn es sich bewegte. Es hatte sie jetzt voll ausgefahren, rund drei Meter trennten den Körper vom Boden. Das Wesen hatte eine eigenartige Form sich fortzubewegen. Es rotierte mit jedem Schritt, den es machte, um sich selbst, verfolgte dabei aber eine gerade Linie. Mir schien, dass, wenn es denn gewollt hätte, diese Bewegung auch sehr viel schneller vonstattengegangen wäre. Vermutlich hätte es uns mühelos stehen lassen und davon rennen können.

    Etwa eine halbe Stunde später erreichten wir unser Lager. Wir standen vor dem Palisadenzaun, den wir um den Landeplatz unseres Schiffes aus roh behauenen Baumstämmen errichtet hatten. Unsere kleine Trutzburg, wie wir sie nannten. Diese Palisaden reichten rings um die Behausungen und damit auch um unser Schiff. Ein Wall mit einer Länge von 1,2 Kilometer und einer Breite von fünfhundert Metern. Davor waren noch oben angespitzte dünnere Stämme schräg in den Boden gerammt um so die angriffslustige Fauna Eridanis davon abzuhalten, unser Lager und unser Schiff zu überrennen. Bislang hatte das ganz gut funktioniert.

    Fast hundert Menschen, siebenundneunzig um genau zu sein, lebten nun hier. Auf dem innerhalb der Palisade angelegten Friedhof lag Mahada Bokalong, einer unserer führenden Botaniker und das einzige Besatzungsmitglied, das während unserer Reise den Tod gefunden hatte. Blinddarmdurchbruch, ganz profan und aus unerfindlichen Gründen nicht erkannt, bis es für ihn zu spät gewesen war. Da hatten wir an Bord der Murray Leinster die neueste Technik, einen fulminanten Operationssaal und ein Team von wirklich brillanten Ärzten und einer unserer Leute starb an einem Blinddarmdurchbruch und das schon während unseres gut anderthalb Jahre dauernden Fluges. Hier auf Eridani hatten wir ihn dann beerdigt. Auf dem Planeten, den wir mehr durch Zufall als durch unser Zutun entdeckten. Den Planeten, den wir nun für den Konzern in Besitz genommen hatten. Und was stellte eine bessere Inbesitznahme dar als das Anlegen eines Friedhofs?

    Das Tor zum Lager war bereits verschlossen gewesen, als wir aufbrachen. Deshalb schlugen wir nun mit dem dazu an einem Seil hängenden Knüppel auf die daneben angebrachte Blechdose. Ein wenig theatralisch, hätten wir doch auch unsere Kommunikatoren nutzen können, aber es schien uns passend.

    Wir hatten lange darüber diskutiert, ob nicht eine Meldung über Kom sinnvoller wäre, uns dann aber für die archaische Variante entschieden. Vor allem wohl auch deswegen, weil niemand sicher sein konnte, nicht gegebenenfalls ohne Kommunikator vor der verschlossenen Tür zu stehen, und sich irgendwie bemerkbar machen musste.

    Wenig später wurde uns das Tor geöffnet.

    Allerdings bewegte sich zuerst nur die Sichtluke im Tor. Das Licht einer Lampe blendete mich.

    »Nimm das Ding weg«, knurrte ich.

    Der Lichtstrahl wanderte zu Andrea und erfasste dann übergangslos das Fass.

    »Was ist das?« Anhand der Stimme konnte ich nun auch mein Gegenüber identifizieren: Helmuth von Sira, der Chef der Sicherheit, hatte sich als Empfangskomitee zum Tor bemüht.

    »Lass uns rein, Helmuth«, sagte ich müde, wohl wissend, dass es nicht so einfach sein würde.

    »Was ist das?«, wiederholte er seine Frage.

    »Das«, fuhr Andrea dazwischen, »ist ein Wesen, das mehr in seinem Schädel hat, als du zwischen deinen Ohren.«

    »Helmuth, das ist ein Erstkontakt. Eine Begegnung mit einem denkenden Wesen. Mach endlich das Tor auf.«

    Wir standen noch geschlagene fünf Minuten da, diskutierten mit ihm und erreichten schlussendlich, dass er das Tor öffnete. Er bestand jedoch darauf, vorher noch drei weitere Sicherheitsleute herbeizuholen, die, ihre Waffen im Anschlag, das Fass misstrauisch beäugten.

    Dem Wesen war nichts anzumerken. Seine Tentakel bewegten sich nach wie vor genauso häufig wie bislang. Die Waffe steckte im Holster, es machte keine Anstrengung, sie zu ziehen.

    Eine mehr als merkwürdige Situation. Wir zeigten uns nicht gerade von unserer besten Seite. Helmuth zitierte die Konzernvorschriften und handelte danach. Ein noch so geringes Abweichen kam für ihn nicht in Frage.

    Glücklicherweise schien das Fass Verständnis für uns und unsere Handlungen aufzubringen. Vielleicht deswegen, weil wir ihm vorhin geholfen hatten.

    Aller Anfang war schwer.

    Dass es so schwer werden würde, war mir nicht klar gewesen.

    Wir brauchten fast fünf Monate, um eine rudimentäre Verständigung aufzubauen.

    Fünf Monate, in denen viel geschah.

    Unser Fass hatte Kontakt zu seinen Leuten aufgenommen. Es hatte einen Kommunikator mit beschränkter Reichweite, integriert in seiner Waffe. Es hatte gedauert, bis seine Leute ihn empfangen konnten.

    Wie wir später erfuhren, war unser Freund auf einer Erkundungsmission mit seinem Shuttle abgestürzt. Seine Begleiter waren ums Leben gekommen, er hatte sich aufgemacht, um zu Fuß wieder zu ihrem Basislager zu kommen, das sich rund eintausend Kilometer entfernt an der Küste des Ozeans befand. Was er sich davon versprochen hatte und warum er nicht lieber bei dem Wrack des Shuttles geblieben war, erschloss sich mir nicht.

    »Seine Leute können hier nicht landen«, sagte Helmuth. »Sie haben keine Antigravtechnik. So viel haben wir mittlerweile verstanden.«

    »Das Programm steht?«, fragte ich nach.

    Er nickte. »Die Wissenschaftler haben es geschafft, eine Verbindung zwischen seinem Kommunikator und unseren Computern herzustellen. Frag mich nicht, wie sie es gemacht haben, aber es funktioniert.«

    »Dann will ich mal«, sagte ich und erhob mich aus meinem Stuhl. Ich hatte durchgesetzt, dass es mir als Kapitän des Schiffes oblag, die ersten Worte mit unserem Freund zu tauschen. Auch wenn es nicht wirklich die ersten waren, die zwischen Menschen und diesen Wesen gewechselt wurden, so sollten es doch zumindest die ersten offiziellen sein.

    »Einen Moment noch«, Helmuth hielt mich zurück. »Kein Wort über die Position der Erde!«, sagte er eindrücklich.

    »Du hast Sorgen«, entgegnete ich.

    »David, ich muss darauf bestehen. Direktive ASTROMINC 5-487-543. Die Position der Erde darf außerirdischen nichtmenschlichen Intelligenzen nicht bekanntgegeben werden.«

    »Als ob ich das vorhätte«, sagte ich.

    »David es ist schon schlimm genug, dass wir hier auf diesem Planeten in Konkurrenz treten. Stell dir das Problem vor, wenn sie erfahren, wo es überall von uns besiedelte Planeten gibt.«

    »Stell dich nicht so an«, sagte ich. »Die Erde ist mehr als ein Jahr Reisezeit entfernt von hier, wenn wir ohne Aufenthalt Sprung für Sprung vornehmen. Der nächste von uns besiedelte Planet fast genauso weit. Was sollten die mit der Information schon anfangen?«

    »Das ist alles relativ.«

    Ich zuckte zusammen, Andrea hatte – von mir unbemerkt – den Raum betreten.

    »Die Erde ist da oben, gerade mal 10,5 Lichtjahre entfernt.«

    »Das wissen wir nicht mit Bestimmtheit, außerdem ist es egal weil keine direkte Sprungpunktverbindung existiert«, entgegnete ich.

    »Es ist schon recht wahrscheinlich«, meinte sie. »Fast 99% Übereinstimmung der Sternpositionen haben unsere Comps berechnet. Deshalb tauften wir den Planeten auch Eridani, du erinnerst dich?«, fragte sie spöttisch.

    Ich nickte. Ja, es bestand eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass einer der Sterne da oben am Himmel tatsächlich die heimische Sonne war, aber was brachte uns das schon? Die Sternsysteme waren mit Sprungketten untereinander verbunden, die regelmäßig im Asteroidengürtel des jeweiligen Systems zu finden waren. Nur durch diese und damit durch für uns willkürlich erscheinende Sprünge konnten wir uns durch die Galaxis bewegen. Das geschah beim besten Willen nicht linear.

    Die Sprungpunkte verbanden zwar immer feste stetige Verbindungen, wir waren allerdings bislang nicht dazu in der Lage gewesen zu sagen, wie weit die jeweiligen Sprünge wirklich waren. Fakt war, dass sie niemals in Nachbarsysteme führten. Manche Wissenschaftler nahmen sogar an, dass ein Sprung durchaus die halbe Galaxis durchqueren konnte, während einen der folgende wieder um ein Viertel in eine andere Richtung schickte.

    Nun hatten wir, nach anderthalb Jahren Reisezeit, ungezählten Sprüngen und vielen Aufenthalten zwecks Explorationen ein System entdeckt, das mit zumindest 99% Wahrscheinlichkeit in physischer Nähe zu unserem Heimatsystem lag.

    »David, du verkennst die Sachlage. Wir haben ein Problem«, meinte Andrea.

    Hatte ich mir das gerade nur eingebildet oder hatte sie mit ihrer Hand tatsächlich über Helmuths Schulter gestrichen?

    Ich sah sie auffordernd an.

    »Die Fässer beherrschen die Antigravtechnik nicht«, hub sie an.

    Nun, das war mir bekannt, aus diesem Grund konnten sie hier, mitten im Urwald von Eridani, nicht landen, so wie wir es mit unserem Schiff getan hatten.

    »Dafür haben sie es nicht nötig, die Sprungpunkte zu benutzen, ja sie wissen nicht einmal, dass es sie gibt. Sie sind dazu in der Lage übergangslos zu springen!« Sie ließ ihre Worte geradezu im Raum stehen.

    Helmuth nickte dazu, er wusste es bereits. Nur ich als Kapitän war anscheinend nicht informiert worden.

    »Sie wollen die Technologie tauschen, das hat euer Freund schon zu verstehen gegeben«, merkte Helmuth an.

    »Die Technologie tauschen«, flüsterte ich völlig überrascht. »Wir könnten mit einem Sprung wieder zu Hause sein«, fügte ich ein wenig dämlich an und sprach damit einen Allgemeinplatz aus.

    »Das ist verführerisch, ich weiß«, Andrea machte eine Kunstpause. »Wir können es aber nicht verantworten, dass sie uns folgen. Wir können die Position der Erde nicht so einfach preisgeben.«

    »Wer sagt denn, dass sie uns folgen, dass sie überhaupt ein Interesse daran haben zu wissen, wo unser Heimatsystem liegt?«, entgegnete ich.

    »Du bist ein unverbesserlicher Gutmensch«, fuhr sie mich an.

    »Selbst die Pflanzen auf Terra führen einen unerbittlichen Krieg gegeneinander, nehmen sich gegenseitig das Licht und die Nährstoffe weg, das ist der Natur so vorgegeben, liegt in den Genen. Sie müssen einfach wissen, wo wir sitzen, wir sind Konkurrenten!« Helmuth kam sich ganz groß vor mit seiner Argumentation.

    »Wer sagt denn, dass es auch in ihren Genen so ist?«, wagte ich gegenzuhalten.

    »Du liest einfach zu viele von deinen Science Fiction Romanen«, schleuderte mir Andrea entgegen. Das klang fast hasserfüllt, waren wir schon so weit? »Ist es nicht auch damals auf deinem Mist gewachsen, das Schiff nach diesem uralten, vergessenen Schriftsteller zu benennen?«

    Sollte ich jetzt antworten, dass ihr im Gegenzug vielleicht auch mal ein Buch guttun würde? Ich unterließ es, gab klein bei, um es nicht zu einem offenen verbalen Konflikt kommen zu lassen. Aber sie hatte mich auf eine Idee gebracht.

    »Wir brauchen diese Technologie«, stellte ich fest.

    Beide nickten.

    »Sie wollen unsere.«

    Dieselbe zustimmende Geste folgte.

    »Habt ihr mit ihnen über eure Vorbehalte gesprochen?«

    Sie sahen mich entgeistert an. Auf die Idee schienen sie nicht gekommen zu sein.

    ¯¯¯

    Abends gelang mir dann doch noch ein Gespräch mit Andrea unter vier Augen.

    »Wir werden bald wieder zu Hause sein«, stieg ich in die Aussprache ein.

    »Wie willst du es denn schaffen, ihnen den Antrieb abzuluchsen?«, fragte sie.

    »Indem ich ihnen gebe, was sie haben wollen«, entgegnete ich.

    »Und wie …«

    Ich unterbrach sie. »Andrea, meinst du nicht, wir sollten uns noch einmal eine Chance geben? Es ist doch nichts vorgefallen, ich meine …«, sie sah mich mit diesem mitleidigen Blick an.

    »David«, begann sie. »Mach es uns doch nicht so schwer. Du bist kein schlechter Typ, aber eben auch nicht mehr mein Alphamännchen. Das ist genetisch bedingt, nach einer gewissen Zeit sind wir Frauen einfach genetisch gezwungen, uns anderweitig umzusehen. Um Inzucht unter den Nachkommen zu vermeiden, verstehst du? Ihr Männer seid andererseits genetisch programmiert möglichst viele Nachkommen mit verschiedenen Frauen zu zeugen. Du bist mittlerweile wie ein Bruder für mich, verstehst du?«

    »Wir haben keine Kinder«, hielt ich ihr entgegen. »Außerdem ist die menschliche Population mittlerweile groß genug, um es auszuhalten, dass Männer und Frauen nicht ständig neue Partnerschaften eingehen.«

    »Das sagt dir deine Ratio, deine Gene sagen etwas anderes«, war das Einzige, was sie dazu meinte.

    »Du und Helmuth?«, fragte ich.

    »Vielleicht«, antwortete sie.

    »Du gibst uns keine Chance mehr?«

    Sie kam zu mir, strich mir mit den Fingern durch das Haar. »Du bist wie ein Bruder für mich, reicht das als Antwort?«, fragte sie. »Um wieder mein Alpha-Männchen zu werden, musst du dich schon anstrengen.«

    Wollte ich das überhaupt noch? Was würde sie sagen, wenn ich die Lösung für unser Problem mit den Fässern hatte? Es würde nicht einfach werden, und Hilfe konnte ich dabei kaum von Seiten der Anderen erwarten.

    ¯¯¯

    So blieb es an mir hängen.

    Es kostete einiges an Überwindung, sowohl auf unserer als auch auf ihrer Seite. Wie es schien, hatten Helmuth und Andrea durchaus recht gehabt mit ihrer Befürchtung. Die Fässer interessierten sich durchaus für die Lage unserer Sterne, wie sie sich ausdrückten. Andererseits verstanden sie, dass wir damit nicht rausrücken wollten.

    Es kostete auch Zeit, verdammt viel Zeit. Wir mussten unser Schiff umrüsten, die Voraussetzungen dafür schaffen, ihre Technologie einzubauen, sie mussten ihr Schiff vorbereiten, wir auch.

    Diese Vorbereitungen waren das Schlimmste, was ich meinen Leuten verkaufen musste. Bei Andrea war ich vollends unten durch, sie hielt es mit der Doktrin des Konzerns, vertreten vom Sicherheitschef. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, wir hätten uns mit Gewalt von den Fässern genommen, was wir auch so bekommen konnten. Glücklicherweise sahen die meisten von uns das aber so wie ich.

    Wir rissen alles, aber auch alles aus der Murray Leinster heraus, was auch nur den kleinsten Hinweis auf das Sol-System geben konnte. Wir löschten die Computer, überschrieben die Festplatten, immer wieder. Wir versuchten selber, die ursprünglich gelöschten Daten wieder herzustellen. Nur da, wo wir sicher waren, dass das unmöglich geworden war, gaben wir uns zufrieden. Zu guter Letzt rissen wir alle Sensorenbänke heraus, die es uns ermöglichten Scans durchzuführen, wir machten selbst vor den optischen Sensoren keinen Halt.

    Sie machten dasselbe. Es würde nicht einfach werden, mit diesen Schiffen zu navigieren. Aber nur so konnten wir uns vertrauen.

    Dann kam der Tag des Abschieds.

    Ich schüttelte unserem Fass zum Abschied den Tentakel mit meiner Hand, dann stiegen wir in das Schiff der Fässer und sie in das unsere.

    Der eine Sprung, der uns direkt nach Hause brachte, war nun möglich geworden. Ich brachte die Technologie mit, die wir brauchten und gleichzeitig die Gewissheit, dass es da draußen anderes intelligentes Leben gab. Wo? Keine Ahnung, das war der Preis für unsere Sicherheit.

    2. Kapitel

    Stella

    »Hier bist du also, hatte ich mir es doch

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