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Zwischen Kampf und Resignation: Die wahre Geschichte vom Kampf eines Vaters gegen die Drogensucht seines Sohnes
Zwischen Kampf und Resignation: Die wahre Geschichte vom Kampf eines Vaters gegen die Drogensucht seines Sohnes
Zwischen Kampf und Resignation: Die wahre Geschichte vom Kampf eines Vaters gegen die Drogensucht seines Sohnes
eBook253 Seiten3 Stunden

Zwischen Kampf und Resignation: Die wahre Geschichte vom Kampf eines Vaters gegen die Drogensucht seines Sohnes

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Über dieses E-Book

Der Autor vertrat lange Zeit den Standpunkt, dass Drogen ein Problem von Asozialen sind und seine gutbürgerliche Familie von diesem Thema niemals betroffen sein kann. Bis ihn die Realität eines Besseren belehrte und er erkennen musste, dass sein Sohn intensiv Crystal konsumierte. Spannend erzählt der Autor davon, wie Crystal gnadenlos seinen Sohn und seine Familie zerstörte. Aber auch vom Kampf gegen die Sucht, von Hoffnung, Resignation und erneutem Kampf. Ebenso über seine aus dem Erlebten wachsende Einsicht, das Crystal in jede Schicht unserer Gesellschaft eindringt und der Weg zurück in ein drogenfreies Leben, sofern er überhaupt geschafft wird, sehr lang und steinig ist.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. Aug. 2018
ISBN9783746948256
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    Buchvorschau

    Zwischen Kampf und Resignation - Oliver Hope

    * * *

    Ich wusste nicht, wie lange ich schon regungslos auf das Bild starrte. Es zeigte meinen Sohn. Auf dem Foto musste er so elf oder zwölf Jahre sein. Sein verschmitztes Lächeln, seine klugen Augen. Verdammt! Was war seit dem nur schief gelaufen? Diese Frage hämmerte immer wieder in meinem Kopf. Es war doch einmal alles so schön. Als ob es gestern war, so deutlich kann ich mich noch an den Tag seiner Geburt erinnern. Ich bin damals fast geplatzt vor Freude und Stolz. Und was für ein wundervolles Gefühl war das, als ich ihn das erste Mal auf meinen Armen halten durfte. Alles wollte ich ihm geben, immer für ihn da sein … Plötzlich sah ich einen Fleck auf dem Bild, dann noch einen. Langsam und kraftlos legte ich das Foto zur Seite und wischte mir mit den Händen die Tränen aus dem Gesicht.

    * * *

    Mein Sohn, meine Tochter und ich hatten uns schon sehr lange auf das Wochenende gefreut. Denn so ein Wochenendkaratelehrgang bei unserem Freund Karl war zwar sehr anstrengend, aber auch immer mit viel Spaß verbunden. Das Wetter war herrlich. Na ja, zum Trainieren fast zu warm. Doch jetzt echt traumhaft! Nach zwei straffen Trainingseinheiten saßen wir entspannt am Lagerfeuer. Einige redeten miteinander, andere tanzten zur Musik aus der Box. Karl war zwar auch schon in der zweiten dreißiger Hälfte, aber in seinem Herzen manchmal noch ein optimistisches Kind. Es war einfach immer schön zu erleben, welche Lebensfreude er ausstrahlte. Erst zum Beispiel, er hatte sich gerade ein Bier geöffnet, kam sein Lieblingslied aus der Box. Sofort ließ er sein Bier fallen, griff sich eine Trainingsteilnehmerin und rockte bis zur Erschöpfung auf dem Rasen. Und jetzt wettete er gerade mit einigen Jungs, dass er es schafft, ein zwei Meter hohes Lagerfeuer zu überspringen! Zehn Minuten später sah man ihn durch die Flammen fliegen und sich hinter her freuen wie ein Kind. Ein wunderschöner Sommerabend. Und doch der Abend vor einem Ereignis, dass Alles verändern sollte. Hätte ich doch nur etwas geahnt! Gegen dreiundzwanzig Uhr verabschiedete ich mich von meinen Kindern. Sie übernachteten in der Turnhalle mit den meisten anderen Jugendlichen. Das war bei unseren Lehrgängen so üblich. Da auch erwachsene Aufsichtspersonen in der Halle schliefen, hatte ich mir ein Hotelzimmer gemietet. Denn es war auch üblich, dass erst sehr spät in der Halle Ruhe einzog, wie man sich sicher sehr leicht bei vierzig bis fünfzig Kindern und Jugendlichen in so einem Raum vorstellen kann. Mit meinen Sprösslingen war ich so verblieben, dass wir uns am nächsten Morgen vor dem Training zum Frühstück im Hotel treffen. Was wir auch taten. Sie erschienen beide pünktlich bei strahlendem Sonnenschein. Nur mein Sohn wirkte sehr zerknirscht. Ich machte noch einen Scherz, warum er an so einem herrlichen Morgen ein solches Gesicht zieht! Mein Lachen wäre mir sicher im Halse stecken geblieben, hätte ich um die Ereignisse der Nacht gewusst, von denen ich erst Jahre später erfuhr. Aber leider war ich damals zu unwissend und naiv, um zu verstehen oder auch nur zu erahnen, was geschehen war. Seit dieser Nacht wurde alles anders.

    * * *

    Meine Frau erwartete mich bereits sichtlich aufgebracht, als ich nach Hause kam. „Ich erwarte, dass du mit deinem Sohn ein ernstes Wort redest!, schleuderte sie mir ohne jede Begrüßung entgegen. Eigentlich war ich sehr erschöpft und hätte gerne kurz durchgeatmet, doch ich wusste, dass die Formulierung ’dein Sohn’ nichts Gutes erahnen ließ und eine Vertröstung zusätzlich deutlich gesteigerten Ärger mit meiner Frau bedeutet hätte. Trotz meines Wunsches nach kurzer Erholung, hatte ich darauf keinerlei Lust. „Was gibt es denn?, fragte ich zurück und konnte mir nicht verkneifen noch nachzuschieben: „Ach ja, ich freue mich übrigens auch, dich zu sehen. Ohne auch nur andeutungsweise auf meinen Nachsate einzugehen, fuhr sie fort: „Dein Sohn Max hat nichts, aber wirklich kein Quäntchen seiner Aufgaben erfüllt! Und sein Zimmer kannst du kaum betreten, die absolute Müllhalde. Ich erwarte, dass du ihm für dieses Wochenende Hausarrest erteilst! Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Und auch durchsetet! Müde lächelnd fragte ich zurück: „Wo ist Max jetzt? Meine Frau deutete mit dem Kopf in Richtung seiner Zimmertür, während ihr Blick keinerlei Zweifel daran aufkommen ließ, dass sie sofortige Aktivitäten von mir erwartete. Also lenkte ich meine Schritte in Richtung des Zimmers von Max. Auf mein Klopfen hörte ich von drinnen ein unfreundliches „Waaas. Als ich eintrat, verschlug es mir, wider Erwarten, denn die übertriebenen Ordnungsforderungen meiner Frau nervten manchmal auch mich, doch die Sprache. Das Zimmer glich wirklich einer Müllhalde. Vom Parkettboden war, wegen der vielen herumliegenden Kleidungsstücke, nichts mehr zu sehen. Dazwischen verteilt lagen Schulbücher, zwei Teller mit Essensresten, leere Colaflaschen und ein paar CDs. Mein Sohn hockte auf einem Sitzkissen vor seiner Playstation, würdigte mich nur eines kurzen Blickes und spielte weiter. „Junge, begann ich und versuchte ruhig zu bleiben, „ekelt dich diese Bude nicht selbst? „Nee., kam die kurze Antwort, ohne dabei den Blick von der Konsole zu wenden. Da sich der Stecker dafür neben mir an der Wand befand, zog ich ihn kurzer Hand heraus. „Was soll das?!, fauchte mich Max, sich nun zu mir drehend, ziemlich aggressiv an. „Was das soll?, sagte ich, mich noch immer bemühend sachlich und ruhig zu bleiben. „Ich möchte mit dir reden …. Auch über das hier. Dabei ließ ich meinen Blick durchs Zimmer wandern. Er stand auf und kam zwei Schritte auf mich zu. Als ich ihn betrachtete, entfuhr mir spontan und besorgt die Bemerkung: „Du siehst nicht besonders gut aus. Vielleicht solltest du mal ein wenig an die frische Luft. Genervt verzog er sein Gesicht. Obgleich in mir zunehmend Ärger aufstieg, bemühte ich mich weiter um Fassung: „Ich fahre gleich noch zum Flugplatz. Willst du mitkommen? Eine Runde drehen und noch ein bisschen quatschen. Michaela ist auch da. Zumindest mit der leteten Bemerkung hoffte ich, ihn motivieren zu können, denn es gab eine Zeit, in der er mit leuchtenden Augen von diesem wirklich sehr attraktiven Mädchen schwärmte. „Kein Bock., raunzte er kurz zurück. Da er wohl an meinem Gesichtsausdruck erkannte, dass mein Level an erträglichen Provokationen bald erreicht war, fügte er etwas freundlicher hinzu: „Außerdem muss ich ja erst noch meine Pflichten erfüllen. Dabei sprach er das Wort Pflichten derart aus, als hätte er etwas sehr Widerliches im Mund. „Schade. Allerdings hast du mit deinen Pflichten, die du ja schon längst hättest erledigen können, absolut Recht. Mit einem strengen Blick fügte ich hinzu: „Und damit eines klar ist: Bevor deine Familienaufgaben nicht erfüllt sind und dein Zimmer in eine erträgliche Ordnung versetzt ist, verlässt du nicht das Haus. „Wie soll ich das denn schaffen?, rief er mir, nun wieder in einem deutlich gereizteren Ton entgegen. „Das ist deine Sache. Dann fange früher an … und rede in einem anderen Ton mit mir. Da er gerade dabei war, sich wieder von mir abzuwenden, hielt ich ihn kurz an seiner rechten Schulter fest. „Wage es dir bitte nicht zu gehen, ohne die Arbeiten erledigt zu haben. So, als bereite ihm meine Berührung am Arm Unbehagen, schüttelte er meine Hand ab und fauchte: „Ja, ja, ich hab’s verstanden, bin ja nicht blöd!"

    * * *

    Auf der Fahrt zurück vom Flugplatz saß ich allein im Auto, da auch meine Frau keine Lust gehabt hatte, mich zu begleiten. Obwohl ich jetzt ein wenig erholter und entspannter war als vor meiner Abfahrt von zu Hause, kreisten meine Gedanken schon wieder um meinen Sohn. Er war in den letzten Monaten so anders geworden. So fremd, als würde ich ihn gar nicht kennen. Je weiter meine Gedanken in die Zeit vor diesem Wandel zurück wanderten, desto wärmer wurde mir, zogen Bilder der Erinnerung an meinen Augen vorbei. Seine frühe Leidenschaft für Autos. Tonnen von Prospekten hatte er gesammelt. Und als ich ihm meinen alten Aktenkoffer geschenkt hatte, füllte er ihn damit. Wenn wir Freunde oder zum Beispiel meine Eltern besuchten, war der Koffer stets dabei. Er wurde natürlich auch ausgepackt, die neusten Modelle und deren Daten gezeigt und erläutert. Das Interesse seines Gegenübers interessierte ihn dabei nur sekundär. Von seinen Lieblingsautos hatte er die Daten sogar im Kopf. Ein Lächeln lief über mein Gesicht, als ich an die Szene dachte, in der er bei einem Gespräch von mir wegen der Anschaffung eines neuen Autos sogar den Verkäufer bezüglich technischer Parameter korrigierte. Als dieser widersprach, zog Max eines der Prospekte aus ’seinem Koffer’, legte es auf den Tisch und zeigte seinem erwachsenen Gegenüber schwarz auf weiß, dass er im Recht war. Oder wenn er im Sommer ein, zwei Wochen bei meinen Eltern auf dem Land verbrachte. Mit seinem Opa handwerkte oder auf Jagd mitgehen durfte. Doch egal, was auch Aufregendes auf dem Plan stand, einmal täglich telefonierten wir, wollte er mir alles erzählen. Nach Auskunft meiner Mutter saß er, ungeduldig auf den Hörer blickend, sogar vorm Telefon, wenn ich mich einmal ein wenig verspätet meldete. Und wie gerne wir uns auf Omas großem, gemütlichem Sofa balgten. Bis uns die Puste ausging und ich ihn gewinnen ließ. ’Naja’, dachte ich mit einem Schmunzeln, ’je größer er wurde, desto eher ging mir die Puste aus und er gewann auch, ohne dass ich ihn gewinnen lassen wollte.’ Auf unser Grundstück einbiegend, musste ich meine Gedanken unterbrechen.

    * * *

    Als ich das Wohnzimmer betrat, saß meine Frau mit angewinkelten Beinen auf dem Sofa. Bereits an ihrem Blick konnte ich erkennen, dass mir erneuter Ärger bevor stand. Nur den Grund musste sie mir noch eröffnen. Denn wir stritten uns in den letzten Monaten nicht nur wegen unserem Sohn und dessen Verhalten, sondern auch wegen unserer Beziehung. Sie war nicht mehr so, wie vor dem Tag, als ich herausfand, dass sie fremd gegangen war. Nicht, dass ich die Schuld alleine bei ihr suchte, doch diese Erkenntnis schockte mich extrem. Nie hätte ich so etwas für möglich gehalten. Und als sie mir in der damaligen Nacht, in dem wohl heftigsten Streit, den wir je hatten, ohne jedes schlechte Gewissen entgegen warf, ich sei schließlich selbst dran schuld, weil ich ihre Signale nicht verstanden hätte, war ich ziemlich ausgeflippt. „Hallo., grüßte ich sie kurz. „Du brauchst dich gar nicht erst auszuziehen!, knurrte sie mich an. „Warum? „Dein Sohn ist weg. Ich runzelte leicht angenervt von dieser Art Kommunikation die Stirn und fragte zurück: „Was heißt weg? Es ist Freitag, da sind die jungen Damen und Herren immer weg. „Na, typisch!, platzte sie hervor. „Ich dachte, du hast mit ihm geredet?! Er hat keinen Handschlag gemacht und ist trotzdem abgehauen! Da ich nicht weit von der Tür zum Zimmer von Max stand, öffnete ich diese und schaute hinein. ’Scheiße!’, fuhr es mir durch den Kopf. Dort sah es tatsächlich aus wie zum Zeitpunkt unseres Gespräches. Noch bevor ich etwas sagen konnte, hörte ich bereits wieder die Stimme meiner Frau: „Ich hoffe, du holst ihn sofort zurück? Ich wandte mich in ihre Richtung. „Zurück holen? Und woher bitte? Sie sprang auf. „So viele Diskotheken gibt es doch hier nicht! „Spinnst du?, fragte nun auch ich in einem gereizten Ton. „Ich werde bestimmt nicht durch die Gegend fahren und den kleinen Arsch suchen! Ich werde allerdings so lange wach bleiben, bis er zurückkommt und ihn mir zur Brust nehmen. „Mach doch, was du willst!, keifte sie zurück und verschwand im Schlafzimmer, die Tür hinter sich laut zuwerfend. Mein Gefühl der Erholung war dahin und einer Mischung aus Wut und Ratlosigkeit gewichen. Mit einem Glas Wein in der Hand ließ ich mich auf den Sessel fallen. Ein kurzer Griff zur Fernbedienung schaltete den Fernseher vor mir ein. Weniger deshalb, um zu verfolgen, was dort gezeigt wurde, sondern, weil ich die Stille in diesem Moment nicht ertragen konnte. Da war sie wieder, die Situation, über die ich mich vor einigen Wochen mit meinem Lehrer- und Pilotenfreund unterhalten hatte. „Solange ein Kind den Steuerimpulsen seiner Eltern folgt, heißt, in die Richtung reagiert, in die es dein Impuls lenken will, ist Erziehung relativ einfach., hatte mein Freund mir lächelnd erklärt. „Die hohe Schule beginnt dann, wenn dein Impuls, bildlich gesprochen, nach links orientiert, dein Kind im Ergebnis aber nach rechts dreht. Ich hatte damals die Augenbrauen kritisch hochgezogen und zurück gefragt: „Du meinst also, es tut das Gegenteil von dem, was wir wollen? „Naja, oder so formuliert.", antwortete mein Freund lachend. Mir war jetzt und hier nicht zum Lachen, ich war erschöpft und hätte heulen können. Obwohl ich mich eine Weile heftig dagegen wehrte, fielen mir schließlich die Augen zu und ich schlief, halb sitzend, halb liegend, auf dem Sessel ein.

    * * *

    Ich spürte etwas angenehm Warmes im Gesicht und öffnete die Augen. Genoss einige Sekunden die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen. Bis ich in der Realität zurück war und zu mir selber zischte: „Mist! Jetzt bin ich doch eingeschlafen! Ich schaute auf die Uhr, sie zeigte halb acht. Nachdem ich langsam aus dem Sessel aufgestanden war, die unbequeme Schlaflage erzeugte ein paar Muskelschmerzen, ging ich in Richtung der Tür zum Zimmer meines Sohnes, öffnete diese und musste feststellten, dass sein Bett leer war. Wenn ich ehrlich bin, ist mir das in diesem Moment nicht ganz unrecht gewesen, da ich so erst einmal die Chance auf einen starken Kaffee und ein vollständiges Wachwerden hatte. Obgleich mein Puls beständig höher als normal schlug, da ich jeden Moment mit der Heimkehr von Max und dem dann anstehenden, höchst unangenehmen Gespräch rechnete. Um wenigstens den zu erwartenden, weiteren Vorhaltungen meiner Frau zu entgehen, verdrückte ich mich nach einem kleinen Frühstück bei dem schönen Wetter in den Garten, wo auch einiges zu tun war. Bei der körperlichen Arbeit dort vergaß ich manchmal die besondere Situation des Tages. Jedes Mal, wenn sie mir wieder im Kopf präsent wurde, schaute ich auf die Uhr. So verging der ganze Samstag. Gegen siebzehn Uhr schlenderte meine Tochter auf mich zu. „Na, bist du fleißig?, fragte sie grinsend. Ich lächelte müde zurück: „Ich beschäftige mich. Willst du etwa helfen? Allein wegen der schicken Sachen, die sie trug, war mir völlig klar, dass sie in diese Richtung keinerlei Pläne hatte. Strinrunzelnd gab sie zurück: „Nee, Papa, heute bestimmt nicht! Auf meinen Spaten gestützt fragte ich: „Na, vielleicht gibst du deinem Vater wenigstens mal eine Zigarette aus? „Darüber lässt sich reden. Sie hielt mir ihre Schachtel entgegen, ich zog daraus eine Zigarette und sie gab mir Feuer. Nach dem ersten, tiefen Zug fragte ich sie leise: „Hab ich deinen Bruder verpasst? Ist er zu Hause? Wohl in Erwartung dieser Frage und weil sie von dem dauernden Stress der letzten Monate um ihren Bruder angenervt war, zog sie die Augenbrauen zusammen und antwortete: „Nein, er ist nicht da. „Weißt du, wo er ist? Sie schüttelte leicht den Kopf. „Keine Ahnung. Er geht bei mir auch an kein Handy. Wahrscheinlich erzeugte mein ratloser, erschöpfter Blick bei ihr Mitleid, deshalb schob sie nach: „Ich fahre gleich mal bei seinem Kumpel Jonny vorbei. Vielleicht weiß der was. „Danke. Gibst du mir danach Bescheid? Sie nickte und entfernte sich in Richtung ihres Mopeds. Das Handy in meiner Hosentasche klingelte. Schnell wühlte ich es heraus und schaute gebannt aufs Display. Doch es war nicht der erhoffte Anruf von Max, sondern mein Anwaltsfreund Hans. „Na, tönte seine Stimme optimistisch aus dem Hörer, „hast du Zeit auf ein Bierchen im Garten? „Eigentlich nicht., antwortete ich leise. „Boaa, wie klingst du denn? Wieder mal Stress mit deiner Besten? „Das wahrscheinlich auch gleich. Vor allem aber mit meinem Goldsohn. Am anderen Ende war kurz Pause, weshalb ich gleich nachschob: „Keine Sorge, ich will dir deine gute Laune nicht verderben. Allerdings einen kleinen Ratschlag könntest du mir geben. „Na, was hat er denn nun wieder angestellt?, fragte Hans mit leicht ironischer Stimme zurück. Ich konnte ihm den Unterton nicht verübeln, denn die letzten Monate hatte ich mich einige Male bezüglich Sohn und Frau bei ihm ausgeheult. Und auch einige juristische Ratschläge für den einen oder anderen Fall eingeholt. „Er ist gestern Abend, trotz Verbot, abgehauen und bis jetzt nicht zurück. Bevor ich fortfuhr, nahm ich einen letzten, langen Zug an der Zigarette in meiner Hand. „Er ist ja noch nicht volljährig. Sicher ist es nicht so und er hat gerade viel Spaß, während ich mir eine Rübe mache, aber es kann ihm ja auch etwas passiert sein. Macht es Sinn, eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufzugeben? Hans lachte ins Telefon: „Die entfalten bei einem Siebzehnjährigen, der gerade mal knapp vierundzwanzig Stunden weg ist, bestimmt keine Aktivitäten. Außerdem werden sie dich zuerst fragen, was du schon unternommen hast. Also Freunde befragt, selbst gesucht und so … Ich schleuderte den Stummel in meiner Hand genervt Richtung des mit Steinen eingefassten Loches, welches uns schon oft als Stätte für ein Lagerfeuer gedient hatte. „Also sollte ich mich doch mal auf die Suche begeben? „Würde ich dir empfehlen., entgegnete Hans, fast mit etwas Mitleid in seiner Stimme.

    * * *

    Frisch geduscht und eine erneute Diskussion mit Vorwürfen meiner Frau hinter mir, setzte ich mich gegen zwanzig Uhr ins Auto. Meine Tochter hatte mir zwischendurch mitgeteilt, dass sie Jonny nicht angetroffen habe. Mit wenig Elan ließ ich mich auf den Sitz fallen und dachte nach, wo ich eigentlich suchen konnte. Im Jugendclub!, schoss es mir durch den Kopf. Dort angekommen, erkannte ich unter ein paar Jugendlichen, die rauchend vor der Eingangstür standen, auch Jonny. Noch bevor er verschwinden konnte, stieg ich aus und winkte ihn heran. Als er auf mich zu kam, war von seinem Gesicht ablesbar, dass er mir wohl lieber ausgewichen wäre. Doch dafür war es jetzt zu spät. „Hallo Herr Schwarze., sagte er vorsichtig. „Hallo Jonny. Weißt du, wo Max ist? Seinen Blick zum Boden senkend antwortete er hörbar gequält: „Max? Nee, keine Ahnung. Meine Stimme wurde strenger: „Jonny, sieh mich an! Langsam hob er seinen Kopf, allerdings sehr bemüht, dabei nicht meinem Blick zu begegnen. „Jonny, du bist Max sein Freund. Er ist seit gestern verschwunden. Und entweder finde ich ihn jetzt oder ich muss zur Polizei und dort Anzeige erstatten. Obgleich mein letzter Satz wenig sinnvoll war, schienen die Worte Polizei und Anzeige auf den Freund von Max ihre Wirkung nicht zu verfehlen. Er stammelte: „Herr Schwarze … Ich will nicht, dass er Ärger bekommt … Aber ihn auch nicht verraten. „Verraten?!, entfuhr es mir heftiger als gewollt. „Bis du verrückt? Weißt du, wie viele Sorgen ich mir mache? Von dem Ärger ganz abgesehen! Was würden deine Eltern sagen, wenn du trotz Verbot abhaust und nach einem Tag noch immer nicht zurück bist? Jonny senkte wieder seinen Blick. „Okay, okay … Aber bitte erzählen sie ihm nichts über unser Gespräch. Ich deutete ein Nicken an. „Soviel ich weiß, ist er mit Kalle unterwegs und hat auch dort geschlafen. Kalle? Dunkel konnte ich mich erinnern, dass ihn mal ein Typ mit dem Auto abgeholt hatte, den er so nannte. Mit Tattoos übersät und einem ärmellosen Netzhemd auf dem Oberkörper. „Und wo sind sie jetzt? Jonny zuckte mit den Schultern. „Weißt du, wo dieser Kalle wohnt? Er begann mir den Weg dorthin zu beschreiben. Ich schwang mich ins Auto und fuhr los. Zehn Minuten später hatte ich mein Ziel erreicht und hoffte, falsch gefahren zu sein. Ich stand vor einem sehr alten Fachwerkhaus. Wahrscheinlich hatte daran die letzten dreißig Jahre niemand einen Handschlag gemacht. Auch der Zaun war kaputt und um das Haus herum sah es aus wie auf einer Müllhalde. Vor den Fenstern hingen von innen eine Art Gardinen, die allerdings eher benutzten Putzlappen ähnelten. Zu mir selbst flüsterte ich vor dem Aussteigen: ’Herr, lass mich nicht am richtigen Ort sein!’ Vor der sehr schiefen Eingangstür saß auf einer verwitterten Bank ein Mann. Ich schätzte ihn um die Fünfzig. Er trug einen ziemlich schmuddeligen Jogginganzug, dessen Hose sackartig ausgebeult war. Keine Ahnung warum, doch ich weiß noch sehr genau, dass mir in diesem Moment der Gedanke durch den Kopf ging: Wenn meine Frau dies hier sehen könnte, würde sie mit Sicherheit darauf bestehen, dass Max sich mehr als einmal duscht, bevor er wieder in unser Haus darf. Gerade, als ich mich auf dem Zaun abstützen wollte, schreckte ich im letzten Moment zurück.

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