Athletic Club Bilbao: Aus Prinzip einzigartig
Von Dirk Segbers
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Über dieses E-Book
Der Athletic Club, hierzulande als Athletic Bilbao bekannt, ist einer der großen Traditionsvereine des spanischen Fußballs. Neben dem FC Barcelona und Real Madrid sind die Basken der einzige Klub, der immer in der 1. Liga war. Und das, obwohl Athletic nur Spieler einsetzt, die im heimischen Baskenland geboren oder in der Jugend dort ausgebildet worden sind. Dirk Segbers legt mit diesem Buch ein unterhaltsames Vereinsporträt vor, in dessen Zentrum die Menschen dieses außergewöhnlichen Klubs stehen, genauso wie Philosophie, Geschichte und natürlich die großen Spiele des besten Klubs der Welt
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Buchvorschau
Athletic Club Bilbao - Dirk Segbers
Atlantik (m.):
Ozean zwischen Afrika, Europa und Amerika, der in die Ría von Bilbao mündet.
„LOCH ODER „HAUPTSTADT DER WELT
?
Bilbao ist voller Kontraste. Welche andere Stadt kann schon von sich behaupten, zum einen den wenig schmeichelhaft klingenden Beinamen „El Botxo (das Loch) zu tragen und zum anderen von seinen Bewohnern als „Hauptstadt der Welt
oder wahlweise „schönste Stadt der Welt bezeichnet zu werden? Zugegeben, das mit dem „Loch
hört sich schlimmer an, als es in Wahrheit gemeint ist. Die Stadt ist auf allen Seiten eingekesselt von Hügeln und Bergen, daher der Spitzname, der auf die baskische Benennung für die Aushöhlung zurückgeht, die Kinder für das Murmelspiel gruben. Und da das „Loch voll und somit keine städtebauliche Expansion möglich ist, verändert sich das Stadtbild seit etwa vier Jahrzehnten im Innern, und das vielerorts mit großem Sinn für Ästhetik. Vorbei die Zeiten, in denen „El Botxo
für heruntergekommene Häuser, verlassene Industrie und eine verdreckte Ría (spanisch für eine fjordähnliche Flussmündung) stand. Mit dem Eintritt Spaniens in die Europäische Union 1986 und dem schleichenden Untergang der Werften und des Bergbaus begann die städtebauliche Revolution, die in den späten 1990ern und frühen Nullerjahren in dem Bau der futuristischen Gebäude des Guggenheim-Museums und des neuen Flughafens kulminierte. Und so ragt heute das moderne Hochhaus Torre Iberdrola 165 Meter hoch zwischen einem Mix aus älteren und neuen Wohngebäuden hervor, während auf der anderen Seite der Ría die Altstadt mit historischen Kleinoden wie dem 1890 erbauten Teatro Arriaga aufwartet. Ganze Stadtviertel wurden umgestaltet, U-Bahn und Straßenbahn gebaut. Nicht zuletzt das neue Estadio San Mamés, dem 2013 die alte „Fußball-Kathedrale" mit gleichem Namen weichen musste. Die Tränen über den Verlust der Kultstätte waren bei den Athletic-Fans schnell getrocknet, viel zu gut fügt sich der Fußballtempel in die neue Modernität der baskischen Metropole ein und versprüht gleichzeitig Fußballtradition. Wer Bilbao besucht, versteht schnell, warum die Bilbainos stolz auf ihre Heimat sind – und auf ihren Fußballklub.
Stadt-Panorama: Guggenheim-Museum, Ría und Torre Iberdrola.
Springt bei Satellitenaufnahmen sofort ins Auge: das Estadio San Mamés.
HAUPTSTADT DER HERZEN
Den Bilbainos werden in Spanien ein notorischer Hang zu Übertreibungen und eine gewisse Portion Selbstverliebtheit nachgesagt. Die Basken gelten als Pragmatiker, als Menschen, die zupacken und anpacken können. Einfach machen, nicht viel reden. Was nicht passt, wird passend gemacht. In Bilbao liebt man es, augenzwinkernd mit diesen Klischees zu kokettieren. „Die Hauptstadt der Welt sei die baskische Metropole, der Athletic Club ist für viele ganz unbescheiden: „der beste Klub der Welt
. Bilbao ist mit 350.000 Einwohnern zwar die mit Abstand größte Stadt der autonomen Region Baskenland, Hauptstadt ist sie allerdings nur der Provinz Bizkaia. Der baskische Regierungssitz befindet sich seit Ende der Franco-Diktatur 60 Kilometer südlich in Vitoria-Gasteiz. Wenn schon auf dem Papier keine Hauptstadt, dann doch zumindest in den Herzen, und dann nicht nur des Baskenlands, sondern gleich der ganzen Welt.
Die Bilbainos seien sehr leicht zu erkennen, lautet eine in Spanien weit verbreitete Anekdote: Wenn du einen kennenlernst, sagt er dir nach maximal fünf Minuten ungefragt, dass er aus Bilbao kommt. Regionaler Stolz auf der einen, Weltoffenheit auf der anderen Seite: Gut elf Prozent der Bilbainos besitzen eine andere Staatsangehörigkeit als die spanische, vor 25 Jahren waren es noch unter zwei Prozent. Spanien hat sich zu einem Einwanderungsland entwickelt und Bilbao spiegelt den nationalen Trend wider. „Wir Bilbainos wurden da geboren, wo es uns passt", lautet ein weiterer populärer Witz. Übersetzt heißt das nichts anderes als: Ganz egal, wo du herkommst, hier in Bilbao gehörst du dazu und hast eine Heimat. Eines wird dafür aber als Allgemeinwissen vorausgesetzt: Der Atlantik ist der Ozean zwischen Afrika, Europa und Amerika, der in die Ría von Bilbao mündet – nicht umgekehrt!
DIE BASKEN UND DER SPORT
Dieses nicht immer ganz ernst gemeinte Selbstverständnis strahlt auch seit jeher in den Sport hinüber. Der Athletic Club mit seinen 125 Jahren Geschichte ist eine Institution im spanischen und europäischen Fußball, seit Gründung der Primera División 1928 ununterbrochen erstklassig. In der Stadt selbst können in der Gunst der Fans mit Abstrichen noch die im Jahr 2000 gegründeten Bilbao Baskets mithalten, den Korbjägern hängt jedoch der Makel der fehlenden Tradition an. Und Traditionen, die werden großgeschrieben. Das gilt natürlich nicht nur in Bilbao, sondern im gesamten Baskenland und der näheren Umgebung. Auf einer Fläche halb so groß wie Schleswig-Holstein tummeln sich drei Erstligaklubs und zwei Zweitligisten – und das allein im Herren-Fußball (Stand: Saison 2022/23). Viele Basken lieben außerdem den Radsport: Die TV-Übertragungen der Tour de France berauben so manchen im Sommer der Siesta, und das nicht erst seit Miguel Indurain. Hinzu kommen noch an den Küsten diverse Formen der Ruderregatta, traditionell baskische Rückschlagspiele wie Pelota Vasca und verschiedene Ausprägungen der Kategorie Rural Sports. Auch Rugby ist äußerst populär, besonders im französischen Teil. Alles Events, die seit jeher Zuschauer in Scharen anlocken. Eins jedoch ist unausweichlich: Wenn Athletic spielt, oder Real Sociedad, Alavés oder Osasuna, dann wird ins Stadion gepilgert, ob in Bilbao, San Sebastián, Vitoria-Gasteiz oder Pamplona. Für die Bilbainos ist allerdings eh klar, wer die Nummer eins ist: die beste Mannschaft der Welt aus der Hauptstadt der Welt.
SPRACHE ALS IDENTITÄTSSTIFTER
„Aufgepasst!, twitterte das Fußball-Talkmagazin „El Chiringuito
am 5. Februar 2021 reißerisch. „Die Spieler von Athletic sprechen Euskera, um zu verhindern, dass der Gegner sie versteht! Darunter ein Video des Spielers Iñaki Williams, der kurze Kommandos in baskischer Sprache abgibt. Mit dem Tweet sorgte die Redaktion des TV-Formats, das man als eine Art Sport1-„Doppelpass
mit einer großen Portion Temperament beschreiben könnte, für allgemeines Kopfschütteln. Das ganze Baskenland fragte sich, was denn daran bemerkenswert sein solle, dass Spieler in ihrer Muttersprache miteinander kommunizieren. Viele Basken besitzen nämlich derer zwei: zum einen natürlich Spanisch bzw. Französisch, zum anderen die lokale baskische Sprache, ein ungewöhnlich klingendes Idiom, dessen Herkunft bis heute nicht gänzlich geklärt ist und das nicht zur Gruppe der romanischen Sprachen gehört. Das Euskera ist im spanischen Teil des Baskenlands Amtssprache, wird flächendeckend an Schulen unterrichtet und in zahlreichen Familien als Hauptsprache im Alltag gesprochen. Hinweisschilder sowie jegliche Art öffentlicher Kommunikation sind per Gesetz zweisprachig baskisch-spanisch. Viele insbesondere jüngere Basken nutzen ihre lokale Sprache mit Stolz und sehen sie als Teil und Ausdruck ihrer Identität. Während der Franco-Diktatur wurden regionale Kulturen unterdrückt, die baskische Sprache war bis Mitte der 1970er-Jahre gar offiziell verboten. Dadurch ist deren Verwendung bei Menschen unter 40 Jahren heute stärker verbreitet als bei älteren Generationen. So natürlich auch bei den Athletic-Spielern. Die entlarvten den Tweet als billigen Versuch, Klicks zu erhaschen, indem sie freimütig einräumten, dass man selbstverständlich seine Muttersprache auf dem Platz spreche und ein wenig auch deshalb, damit die Gegner nichts verstehen. Wer würde einen solchen Vorteil auch ungenutzt lassen?
Große Klubdichte: Euskal Herria und seine Profiteams
EUSKAL HERRIA UND EUSKADI
Die baskische Sprache wird in der gesamten Geografie des als Euskal Herria bezeichneten Territoriums mehr oder weniger aktiv gesprochen. Bei Euskal Herria handelt es sich nicht um ein offizielles Verwaltungsgebiet, sondern um die geografische Abgrenzung eines Bereiches baskischen kulturellen Einflusses. Neben der spanischen autonomen Region Baskenland (mit der offiziellen Bezeichnung Euskadi) gehören dazu Navarra auf spanischer Seite sowie Teile Südwestfrankreichs, die auf Baskisch als Iparralde bezeichnet werden. Das Konzept von Euskal Herria bildet die Basis der Transferpolitik von Athletic. Der Leitsatz des Klubs lautet: „Die Gesamtheit der Spieler des Athletic Club wurde in Euskal Herria geboren oder ausgebildet."
Auf administrativer Ebene befindet sich Bilbao in der autonomen Gemeinschaft Baskenland innerhalb des Königreichs Spanien. Euskadi ist die Region Spaniens mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen (2021). Der – insbesondere im Vergleich zu südlichen Teilen des Landes – hohe Wohlstand ergibt sich aus einer traditionell starken Industrie und einem soliden Dienstleistungssektor. Auch der Tourismus spielt eine Rolle, allerdings zu einem geringeren Maß als andernorts in Spanien. Alle Wirtschaftssektoren profitierten massiv vom Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1986.
Die Regionalregierung von Euskadi verfügt über weitgehende Alleinentscheidungsrechte, zum Beispiel eine autonome Steuerverwaltung, die Steuern nach eigenen Kriterien erhebt und verteilt. Neben Navarra ist Euskadi die einzige autonome Region Spaniens, die dieses Privileg genießt. Im Madrider Parlament sind baskische Regionalparteien (allen voran die konservativ-nationalistische PNV, in jüngster Zeit auch die linke baskisch-nationalistische Parteiengruppe EH Bildu) vertreten, die – trotz weniger Sitze – bei zunehmend knappen Mehrheiten häufig das Zünglein an der Waage sind. Diese politische Hebelwirkung wurde und wird genutzt, um Autonomierechte dazuzugewinnen. Es herrscht ein weitreichender Konsens in der baskischen Gesellschaft darüber, dass das politische Parkett der richtige Weg ist, die Eigenständigkeit zu untermauern. So hat das hohe Maß an Autonomie dazu geführt, dass Bestrebungen, die auf die Abspaltung eines souveränen baskischen Staates abzielen, heute nur noch eine Nebenrolle spielen.
Der grausame bewaffnete Terror der ETA (Euskadi Ta Askatasuna, „Baskenland zur Freiheit") gehört zwar zum Glück seit dem permanenten Waffenstillstand von 2011 bzw. spätestens seit der Auflösung der Untergrundorganisation im Jahr 2018 der Vergangenheit an, aber die Wunden in der Gesellschaft sind nach wie vor tief – die vielen Opfer und deren Familien sind im baskischen und gesamtspanischen Gedächtnis omnipräsent. Die baskische Gesellschaft ist heute auf der Suche nach Wegen zur Versöhnung, zur aktiven Verarbeitung im Rahmen einer Erinnerungskultur. Eine gesamtgesellschaftliche Mammutaufgabe, bei der auch der Sport noch nach seiner Rolle sucht.
DER FUSSBALL VEREINT
La Roja in Bilbao! Die Nachricht ließ niemanden kalt. Seit 1967 ist die spanische Nationalelf nicht mehr in Bilbao (ebenso wenig wie im übrigen Baskenland) aufgelaufen, und das finden nicht wenige Basken auch gut so. So wurde die Vergabe einiger Partien der Fußball-Europameisterschaft 2020 nach Bilbao und das Vorhaben, die Spiele der spanischen Nationalelf dort austragen zu lassen, aus dieser Fraktion mit einer Mischung aus Skepsis und Ablehnung aufgenommen. Groß wiederum war die Freude bei der ebenfalls keineswegs kleinen Gruppe der Bilbainos, die sich darauf freute, ihre Nationalmannschaft im Estadio San Mamés zu sehen. Zwischen 2008 und 2012, als La Roja den Weltfußball dominierte, wurden die beiden Europameister- und der Weltmeistertitel auch auf den Straßen Bilbaos teils euphorisch mit Autokorsos gefeiert. Schließlich waren 2010 die Athletic-Spieler Javi Martínez und Fernando Llorente dabei und holten den Weltmeistertitel. Sie sind zwei der über einhundert Athletic-Spieler, die in der Klubgeschichte das Trikot der Spanier überstreiften.
In den Anfängen des spanischen Verbands stellten die Spieler aus Bilbao sogar nicht selten das Gerüst der Nationalelf. In den 1990er-Jahren war mit Ur-Bilbaino Javier Clemente der letzte Athletic-Meistertrainer für die sportlichen Geschicke der spanischen Nationalelf verantwortlich. Auf die Frage, ob die Basken anders sind, antwortete Clemente Mitte der 1980er-Jahre in einem Interview: „Natürlich sind wir anders. Jemand aus Madrid ist ja auch anders als ein Andalusier. Ich sage ja gar nicht, dass wir Basken besser sind oder schlechter. Gute und schlechte Leute gibt es überall. Wir sind anders, weil wir unglaublich verliebt in unsere Heimat sind. Außerdem sprechen wir Baskisch, wir haben unsere eigene Sprache. Wir haben unser Essen, unseren Charakter." Javier Clemente war ein klarer Befürworter der Vergabe der EM nach Bilbao. Letztendlich wurden die Spiele – zur Erleichterung der einen, zum Leidwesen der anderen – aufgrund der Corona-Pandemie kurzfristig nach Sevilla verlegt.
Die politische und ideologische Diversität ist in Bilbao, wie auch andernorts im Baskenland, deutlich sicht- und spürbar. Doch wenn das nächste Heimspiel ansteht, dann streifen sich viele, deren Positionen sonst so unvereinbar erscheinen, das gleiche rot-weiße Trikot über und ziehen durch die Stadt der Kontraste zum gemeinsamen Fußballtempel am Rande von El Botxo.
GASTRONOMISCHES PARADIES
Der Genuss erlesener Speisen und Getränke gehört für die meisten Basken und Bilbainos ebenso zur eigenen Identität wie die baskische Sprache oder der sonntägliche Besuch in San Mamés. Die Gastronomie genießt zu Recht Weltruf und wartet mit allem auf, was die Ernährungspyramide zu bieten hat, wobei wegen der Nähe zur Küste heimische Fischarten und Meeresfrüchte besonders prominent vertreten sind. Aber auch reichlich lokales Fleisch, Wild und Käse werden aufgetischt. Die heimischen Speisen werden mit Genuss und Stolz auf Eigenprodukte verzehrt, finanzielle Aspekte spielen dabei eine Nebenrolle. Preise werden – wenn überhaupt – nur ganz am Rande diskutiert. Diniert man in der Gruppe, ist es undenkbar, dass jeder sein eigenes Mahl bezahlt. Die Gesamtrechnung wird zu gleichen Teilen dividiert, ganz egal, wer das teuerste Gericht bestellt oder den meisten Wein intus hat. Maximale kulinarische Solidarität, ein ungeschriebenes Gesetz. Ebenso wichtig wie die Frage, was man konsumiert, ist dabei das Wie. Das Essen ist in Bilbao wie im übrigen Land ein Fixpunkt im Familien- und Freundeskreis, findet stets zu geregelten Zeiten statt und ist ein soziales Ereignis, egal ob im Restaurant, zuhause oder in Gastronomiegesellschaften. Letztere treffen sich in eigens dafür angemieteten Txokos, einer Art Restaurant in Gruppenbesitz, in dem sich die Mitglieder zum Selbstkochen und Genießen treffen.
Spielt Athletic um 20 Uhr, könnte für einen Bilbaino die perfekte Vereinigung aus Gastronomie und Fußball in etwa so aussehen: Treffen um 12 Uhr mittags in der Altstadt. Der bekannte Bereich der Zazpi Kaleak (sieben Straßen) bietet ausreichend Bars, um mit Freunden und Gleichgesinnten den Magen mit ein paar Pintxos (baskische Variante der Tapas) auf Größeres einzustimmen. Dazu ein Txakoli-Weißwein, ein Wermuth, ein roter Rioja, ein Gläschen Sidra oder ein Bier aus der lokalen Brauerei La Salve. Bevor man gegen 15 Uhr zum Mittagessen einkehrt, ist Zeit für eine Stippvisite in vier bis fünf Lokalen, in einer Bar wird selten mehr als ein Getränk zu sich genommen, selbstverständlich im Stehen. Sitzfleisch ist dann nämlich beim Mittagessen gefragt, das immer aus mindestens drei Gängen besteht, gefolgt von Kaffee und einem Absacker wie dem süßen Schlehenlikör Patxaran. Der Nachtisch läutet den Beginn der legendären Sobremesa ein, das ist die Zeit nach dem Essen, die man weiterhin gemeinsam am Tisch verbringt. Nicht selten dauert die Sobremesa länger als das Essen an sich und plötzlich ist es schon Zeit, sich auf den Weg ins Stadion zu machen. Schnell noch ein belegtes Baguette, das Bokata, für die Halbzeit besorgen, dann geht es entlang der Ría bis zum Stadion, das selten früher als drei Minuten vor Spielbeginn betreten wird.
BASKISCHER NIESELREGEN
Ein Restaurantbesuch ist in Bilbao meist gleichbedeutend mit einem Dach über dem Kopf. Das liegt allerdings nicht daran, dass die örtlichen Gastronomen Biergärten oder Terrassen verschmähen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man beim Speisen durch einen Schauer unterbrochen wird, ist einfach relativ hoch: Wetterstatistiken besagen, dass im Schnitt etwa jeden zweiten Tag Regen fällt. Ein Tourismusportal für die Stadt fasst es treffend zusammen: „Egal, wann du zu uns reist, denke immer daran: Regenschirm nicht vergessen. Der Regen ist unsere ganz besondere Art, dich willkommen zu heißen." Sirimiri ist euskera für Nieselregen und ist eines der wenigen baskischen Lehnwörter in der spanischen Sprache. Die vielen Niederschläge sind natürlich im Kontext der insgesamt sehr trockenen Iberischen Halbinsel zu sehen. Während für einen Besucher aus Sevilla Bilbao wahrscheinlich ein ausgemachtes Regenloch ist, dürfte ein Reisender aus London angesichts des baskischen Niederschlags nicht einmal mit der Wimper zucken. Und im Sommer kann es auch drückend heiß und schwül werden. Schnee fällt in Bilbao allerdings so gut wie nie – es sei denn, Manchester United ist zu Gast in San Mamés, so wie es sich 1957 zutrug. Das relativ feuchte Wetter dominiert häufig die Spielweise in der „Kathedrale": Dort wurde und wird Fußball seit jeher mehr gearbeitet als zelebriert. Sind die weißen Streifen im Trikot nach 90 Minuten noch unbefleckt, war es entweder ein rarer sonniger Tag oder es wurde nicht anständig gekämpft.
„Gewinnen können oder verlieren können. Was ist schwieriger?"
José María Mateos,
erster Chronist der Athletic-Geschichte
VOM CAFÉ GARCÍA IN DIE WEITE WELT
Über die Engländer wundert sich niemand mehr in Bilbao Ende des 19. Jahrhunderts. Seitdem sie in Scharen gekommen sind, um ihr Knowhow in den entstehenden örtlichen Industrien in die Praxis umzusetzen, gehören sie zum Stadtbild wie der Nieselregen. Auch dieses kuriose Spiel, das sie auf den Wiesen entlang des Flusses Nervión spielen, findet zu Anfang kaum Beachtung. Wer will schon gegen einen Lederball treten, wenn man traditionelle Sportarten wie Pelota Vasca hat? Der Football zieht dennoch bald immer mehr Neugierige an, besonders die jungen Männer, die über das Glück und finanzielle Vermögen verfügen, um in England studiert zu haben. Das neuartige Spiel kennen sie von dort und in ihrem typisch bilbainischen Selbstverständnis gehen sie wohl davon aus, dass eine Truppe lokaler Kicker doch die Engländer besiegen können müsste!
Und so findet am 3. Mai 1894 das erste Freundschaftsspiel in der Provinz Bizkaia statt. Schnell wird klar, dass sich die Jungs aus Bilbao überschätzt haben. 0:3 liegen sie zur Halbzeit zurück. Der Legende nach lassen die siegessicheren Engländer ihrem Gegner in der Pause gebratene Hähnchenschenkel schicken, damit diese sich für die zweite Hälfte stärken können. Am Tag darauf berichtet die Lokalzeitung „El Nervión: „Gestern um zehn in der Früh war auf den Feldern von Lamiako ein Football-Spiel zwischen Engländern und Spaniern zu verzeichnen. Erstere gewannen das Spiel mit fünf Punkten.
Tore, Punkte, im Laufe der nächsten Jahre wird sich auch die Presse an die richtige Terminologie zum Spiel gewöhnen. Großen Anteil daran hat Juan Astorquia, der in Manchester studierte und dort den Football kennenlernte. Zusammen mit sechs Freunden, die sich wie er im Turnverein langweilen, nimmt er sich vor, einen festen Sportplatz zu suchen und Freundschaftsspiele auszutragen. Die Gruppe nennt sich, durch Astorquias Erfahrung in England geprägt, Athletic Club. Parallel dazu gründet Carlos Castellanos Ende des Jahres 1900 den Bilbao Football Club, den ersten Dauerrivalen des Athletic Club bei diversen Freundschaftsspielen, die immer mehr Interessierte anlocken. Der Football wird zum Stadtgespräch.
Rasch kristallisiert sich das Café García, zentral