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Genies in Schwarzweiß: Die Schachweltmeister im Porträt
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Genies in Schwarzweiß: Die Schachweltmeister im Porträt
eBook324 Seiten3 Stunden

Genies in Schwarzweiß: Die Schachweltmeister im Porträt

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Über dieses E-Book

Capablanca, Fischer oder Carlsen – jeder Schachweltmeister hat das Spiel auf seine Weise bereichert und den Stil von Generationen beeinflusst. In diesem Buch sind sie alle porträtiert: Wunderkinder und Wissenschaftler, Künstlertypen und Exzentriker. Schritt für Schritt folgen wir den Ausnahmedenkern auf ihren ungewöhnlichen Lebenswegen.Kommentierte Partiebeispiele und brillante Kombinationen erinnern an bedeutende Momente ihrer Karrieren. Zudem gibt es zahlreiche kuriose Randgeschichten und einen spannenden Exkurs zum Frauenschach.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Sept. 2016
ISBN9783730703069
Genies in Schwarzweiß: Die Schachweltmeister im Porträt
Autor

Martin Breutigam

Martin Breutigam, Jahrgang 1965, ist ein Internationaler Meister im Schach und langjähriger Bundesligaspieler. Er hat mehrere Schachbücher und -DVDs veröffentlicht und schreibt als freier Journalist u.a. für die »Süddeutsche Zeitung« und den »Tagesspiegel«.

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    Buchvorschau

    Genies in Schwarzweiß - Martin Breutigam

    Bildnachweis

    Vorwort

    16 Schachweltmeister gab es in den vergangenen 130 Jahren. 16 außerordentliche Persönlichkeiten, Helden der Schachgeschichte. Jeder hat das Spiel auf seine Weise bereichert und den Stil von Generationen beeinflusst. In diesem Buch sind sie alle porträtiert, angefangen mit Wilhelm Steinitz, dem ersten Weltmeister, bis hin zu Magnus Carlsen. Auf den nächsten Seiten begegnen wir Wunderkindern und Wissenschaftlern, Künstlertypen und Exzentrikern – Menschen, die sich mit Leidenschaft und manchmal mit Besessenheit dem Schach hingaben und hingeben. Schritt für Schritt folgen wir den Ausnahmedenkern auf ihren zuweilen schicksalhaften Lebenswegen. Kommentierte Partiebeispiele und brillante Kombinationen erinnern an einige der bedeutendsten Momente ihrer Karrieren.

    Manche Leser werden vielleicht die überragenden Meister vergangener Jahrhunderte vermissen, beispielsweise François-André Danican Philidor, Louis-Charles Mahé de La Bourdonnais, Adolf Anderssen oder Paul Morphy. Gewiss, auch sie waren genialische Spieler in einer schwarzweißen Gedankenwelt, aber eben keine Weltmeister. Denn zu jenen Zeiten gab es noch keine offiziellen Turniere oder Wettkämpfe um Weltmeisterschaften. Den ersten bis heute allgemein anerkannten WM-Kampf gewann Wilhelm Steinitz im Jahr 1886.

    Damals war man allerdings noch weit entfernt von einer verlässlichen Organisationsstruktur. Die frühen Weltmeister hatten nahezu uneingeschränkte Macht, besonders bei der Auswahl ihrer Gegner. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg standen die WM-Zyklen unter der Ägide des Weltschachbundes Fide. Bis Garri Kasparow, der 13. Weltmeister, und sein damaliger Herausforderer Nigel Short im Jahr 1993 ein Chaos auslösten, indem sie der Fide den Rücken kehrten und einen eigenen Verband gründeten. In den folgenden zwölf Jahren gab es stets zwei Weltmeister: einen offiziellen und den „wahren". Erst im Jahr 2006 sollte es endlich zu einem Vereinigungskampf der beiden WM-Titel kommen.

    In diesem Buch unberücksichtigt bleiben jene sogenannten Fide-Weltmeister, die zwischen 1993 und 2005 die WM-Turniere des Weltschachbundes gewonnen haben. Dass ihnen im Allgemeinen nicht die gleiche Wertschätzung zuteilgeworden ist wie den Weltmeistern der klassischen Linie von Steinitz bis Carlsen, liegt vor allem an den umstrittenen Modi und Umständen jener Fide-Weltmeisterschaften. Sie wurden meist im K.-o.-Format ausgetragen, bei verkürzter Bedenkzeit und einer äußerst geringen Anzahl von Partien, wodurch dem Faktor Glück eine viel größere Bedeutung zukam als sonst. Die wahren Spielstärkeverhältnisse verflüchtigten sich oft im Zufälligen, denn ein einziger Fehlgriff konnte schon das Aus bedeuten.

    Von 2006 an besann sich die Fide wieder auf die gewachsenen sportlichen und kulturellen Werte früherer Schachweltmeisterschaften: Wladimir Kramnik, Viswanathan Anand und Magnus Carlsen – die Weltmeister 14, 15 und 16 – haben den Titel jeweils in längeren Wettkämpfen mit längeren Bedenkzeiten gewonnen, also unter ähnlichen Bedingungen wie einst Emanuel Lasker, Bobby Fischer oder Garri Kasparow.

    Doch was machte diese Mozarts und Picassos des Schachs in ihren jeweils besten Zeiten eigentlich zum Primus inter Pares? Wieso haben es andere kongeniale Großmeister nie geschafft, Weltmeister zu werden? Auf der Suche nach Gründen galt es, neben den größten Erfolgen der jeweiligen Weltmeister auch den Wendepunkten ihres Lebens nachzuspüren und zu versuchen, sich ihren komplexen Persönlichkeiten zumindest ein wenig anzunähern. Sieben Weltmeistern bin ich im Wortsinn nahe gekommen, persönlich begegnet. Bei den anderen neun geschah dies in Recherchearbeit. Was also ist das Besondere an den Weltmeistern? Was hat sie geprägt? Wen prägen sie? Und haben alle womöglich irgendetwas gemein?

    Ein gemeinsames Merkmal ist offensichtlich: das Geschlecht. Die 16 Weltmeister der vergangenen 130 Jahre waren beziehungsweise sind allesamt Männer. Nicht zuletzt wegen dieses Phänomens habe ich ein größeres Kapitel zum Thema „Frauen im Schach" hinzugefügt. In diesem Exkurs werden außergewöhnliche Spielerinnen gewürdigt, und ich gehe Fragen nach, die bis heute unbeantwortet geblieben sind. Es ist ein Versuch, mithilfe neuerer Studien zu verstehen, weshalb es bislang keine Frau geschafft hat, als Weltmeisterin in einer Linie mit Steinitz, Lasker und deren Nachfolgern zu stehen. Wieso interessieren sich vergleichsweise wenig Frauen für Schach? Und hat dies alles eher biologische oder soziale Ursachen?

    Ich danke Christopher Lutz von der Chessgate AG dafür, dass er mir die Rechte an den ersten 14 Weltmeisterporträts zurückgegeben hat. Teile dieser Texte waren bereits im Jahr 2004 in englischer Sprache erschienen (in World Chess Championship 2004  – Kramnik vs Leko). Mein besonderer Dank geht an Marc Schütte und Manfred Hermann für ihre damalige wertvolle Hilfe. Diese Porträts der ersten 14 Weltmeister habe ich für das vorliegende Buch überarbeitet, aktualisiert und teilweise ergänzt.

    Schach, insbesondere Profischach hat sich in der vergangenen Dekade dynamisiert. Die Auswirkungen der digitalen Revolution auf das über 1.500 Jahre alte Spiel spiegeln sich nicht zuletzt in den hier komplett neu hinzugekommenen Porträts über Viswanathan Anand und Magnus Carlsen, die Weltmeister Nummer 15 und 16. Einerseits erhalten heutige Großmeister dank Computerprogrammen immer tiefere Einblicke in das Spiel, andererseits hat dies auch eine Reihe von Nachteilen mit sich gebracht. Wer die tägliche Informationsflut verarbeiten will, muss noch mehr trainieren als früher. Außerdem ist mit dem Einzug der digitalen Technik nicht nur das Wissen rasant angestiegen, sondern teilweise auch das Misstrauen untereinander.

    Doch interessanterweise dominiert in Zeiten ständiger Beschleunigung jemand die Schachwelt, der eher für das Gegenteil steht: Weltmeister Magnus Carlsen. Der Norweger verkörpert eine Renaissance des Pragmatismus – und hat mit seinem „Magnus-Stil" schon viele inspiriert.

    Martin Breutigam, im Sommer 2016

    Wilhelm Steinitz

    Der große Schachreformator

    Seine letzten Tage verbrachte Wilhelm Steinitz in der psychiatrischen Anstalt auf Ward’s Island in New York City. Verwirrt und halb gelähmt notierte er noch ein paar autobiografische Zeilen, auch zu seiner finanziellen Lage: 250 Dollar habe er in den beiden zurückliegenden Jahren verdient, viel zu wenig, um sich und seine Familie zu ernähren. Und dass, „obwohl ich 28 Jahre lang Weltschachmeister war".

    Wilhelm Steinitz, um 1866

    28 Jahre? Ja, so hatte es Steinitz zeit seines Lebens gesehen. Doch offiziell dauerte seine Ära als erster Weltmeister acht Jahre, von 1886 bis 1894. Arm endete das Leben dieses großartigen, nur etwa 1,50 Meter kleinen Mannes. Reich war das, was er der Schachwelt hinterließ. Steinitz gilt als Begründer des modernen Schachs. Mit seinen neuartigen Ideen revolutionierte er das Spiel, welches er selbst erst relativ spät erlernt hatte, mit zwölf Jahren.

    Steinitz wurde am 14. Mai 1836 als neuntes Kind einer Schneiderfamilie im Prager Ghetto Josefstadt geboren. Er war der beste Schachspieler Prags, als er mit 21 Jahren aufbrach, um in Wien am Polytechnikum zu studieren. Häufiger sah man ihn jedoch in den Kaffeehäusern sitzen. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit Schachspielen, etwa im Café Rebhuhn. Es dauerte nicht lange, da galt der kleine, gehbehinderte Steinitz als der beste Spieler der Stadt. Die Wiener Meisterschaft 1861 gewann er souverän mit 30 Siegen, drei Remisen und bloß einer Niederlage.

    Ins pulsierende Schachleben

    Deswegen schickte ihn die Wiener Schachgesellschaft im Jahr 1862 zum großen Turnier nach London, wo er, immerhin, auf Anhieb Sechster wurde. Sein zeitgemäß taktisch geprägter Spielstil ähnelte zu jener Zeit noch denen anderer Meister. Zum Beispiel war Steinitz’ Angriffssieg gegen Mongredien für den romantischen Schachvirtuosen Adolf Anderssen „die mutigste und glänzendste Partie des gesamten Turniers".

    Steinitz verlegte seinen Wohnsitz nach England, angetan von Londons pulsierender Schachszene, den größeren Verdienstmöglichkeiten und dem herzlichen Empfang, der ihm dort bereitet worden war. Flott lernte er die Feinheiten der englischen Sprache, und auch sein Schachspiel wurde immer ausgefeilter. Nachdem er Anderssen, der bis Mitte des 19. Jahrhunderts der weltbeste Spieler gewesen war, in London 1866 in einem Wettkampf mit 8:6 bezwingen konnte, ernannte Steinitz sich selbst zum Weltmeister. Ihm blieb jedoch die allgemeine Anerkennung verwehrt, zumal der genialische Amerikaner Paul Morphy, der sich inzwischen völlig vom Schach zurückgezogen hatte, noch lebte. Morphy galt nach seiner eindrucksvollen Tour durch Europa 1858/59 als die inoffi zielle Nummer eins der Welt. Er hatte in verschiedenen Wettkämpfen die damaligen Schachgrößen – darunter auch Anderssen – klar besiegt.

    Nachdem Steinitz sowohl in Paris 1867 als auch in Baden-Baden 1870 anderen den Turniersieg überlassen musste, unterzog er sein Spiel einer kritischen Prüfung. Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen entwickelten sich allmählich jene teilweise revolutionär anmutenden Thesen, die er später vor allem in der englischen Zeitschrift The Field veröffentlichte. Dort leitete er von 1873 bis 1882 eine gut honorierte, europaweit beachtete Schachrubrik. Steinitz verkündete beispielsweise, dass viele der berauschenden Opferangriffe seiner Zeitgenossen bei besserer Verteidigung nicht zum Erfolg hätten führen dürfen. Angreifen solle man in der Regel erst, wenn die eigenen Figuren entwickelt seien und die gegnerische Stellung bereits Schwächen aufweise. „Mein Sinnen war nun darauf gerichtet, eine einfache und sichere Methode zu finden, um diese Schwächen der feindlichen Stellung herbeizuführen", schrieb Steinitz.

    En passant

    Unter Spionageverdacht

    Steinitz’ Lehrbuch The Modern Chess Instructor erschien im Frühjahr 1890. Als Tschigorin es zu Gesicht bekam, wies er darauf hin, dass zwei der darin vorgeschlagenen Varianten seiner Ansicht nach nichts taugten, eine aus dem Evans-Gambit (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.b4), die andere aus dem Zweispringerspiel im Nachzug (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6). Steinitz blieb natürlich anderer Meinung. Um die strittigen Fragen zu klären, verabredeten sie sich zu einem Wettkampf, bei dem die Züge alle zwei Tage per Telegramm übermittelt werden sollten. Steinitz spielte in New York, Tschigorin in Havanna. Die beiden Partien dauerten vom 23. Oktober 1890 bis zum 22. April 1891. Der Einsatz betrug 750 Dollar.

    Für Steinitz wurde es ein großes Verlustgeschäft: Er verlor beide Partien, seinen Einsatz, und er musste seine Telegrafiegebühren tragen. Außerdem saß er einen Tag im Gefängnis, weil ahnungslose Mitarbeiter des New Yorker Postamtes die telegrafisch übermittelten Schachnotationen für einen Geheimcode hielten und Steinitz der Spionage verdächtigten.

    War die damalige Art, Schach zu spielen, wirklich nur ein zwar schöner, in Wirklichkeit aber fauler Zauber, der einer genauen Analyse nicht standhielt? Kein Wunder, dass dieser vergleichsweise nüchternen Philosophie zunächst wenige folgen wollten. Während Steinitz die Kunst der Verteidigung demonstrierte und in manchen Partien seine Figuren auf damals unbegreifliche Weise zurückzog, um im eigenen Lager ja keine Schwächen zuzulassen, verspotteten andere die neuen Ideen, etwa Henry Bird, der Steinitz schon 1866 mit 7,5:9,5 unterlegen war: „Lege die Schachfiguren in einen Hut, dann gut schütteln, die Steine aus zwei Fuß Höhe über dem Schachbrett abwerfen, und schon hast du Steinitz’ Stil."

    Angesichts solcher Opposition kämpfte Steinitz fortan in seinen Partien nicht nur um den Sieg, sondern auch um die Würdigung seiner neuen Ideen. Diese haben indes fast alle ihre Gültigkeit behalten, etwa die Bedeutung der Zentrumskontrolle, des Läuferpaars oder der Bauernmehrheit am Damenflügel. Intensiv befasste er sich auch mit den strategischen Besonderheiten verschiedener Bauernstrukturen und deren etwaigen Felderschwächen. Überhaupt wurden Begriffe wie „schwache Felder oder „Gleichgewicht der Stellung erst durch Steinitz Allgemeingut.

    Zugleich bereicherte er viele Eröffnungen mit neuen Spielideen; nach ihm benannt sind unter anderem die Steinitz-Verteidigung (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 d6) in der spanischen Partie und das Steinitz-Gambit in der Wiener Partie (1.e4 e5 2.Sc3 Sc6 3.f4 exf4 4.d4 Dh4+ 5.Ke2). Das Eröffnungskonzept der Wiener Partie (1.e4 e5 2.Sc3 nebst 3.f4) hatte schon Mitte des 19. Jahrhunderts jemand anderes ausgefeilt, nämlich Carl Hamppe, ein in der Schweiz geborener, lange Zeit in Wien lebender und heute fast vergessener Schachmeister. Steinitz hatte ihm nach eigenen Worten viel zu verdanken: „Mein Lehrmeister im Schach war Hamppe."

    Hausverbot für Steinitz

    Die neuen Ideen bewährten sich in der Praxis durchaus. Schon 1872, von Steinitz selbst als das Wendejahr seines Denkens bezeichnet, siegte er bei einem Turnier in London mit sieben Punkten aus sieben Partien; kurz danach schlug er Johannes Hermann Zukertort, dem er 14 Jahre später im ersten offiziellen WM-Kampf gegenübersitzen sollte, klar mit 9:3 Punkten. Auch beim großen Turnier in Wien 1873 siegte Steinitz, vor Joseph Henry Blackburne, den er drei Jahre später in einem Wettkampf mit 7:0 Punkten deklassierte.

    Danach spielte Steinitz fast sechs Jahre lang keine einzige Turnierpartie. Er publizierte jedoch eifrig weiter, bis er sich mit dem Herausgeber von The Field überwarf und dieser die Schachrubrik kurzerhand aus dem Blatt nahm. (Später führten der Schachpublizist Leopold Hoffer und Zukertort die Rubrik weiter, was Steinitz’ feindseliges Verhältnis zu ihnen erklären mag.) Erst 1882 spielte Steinitz wieder ein Turnier: In Wien teilte er sich mit Simon Winawer den Gesamtsieg.

    Steinitz galt als streitbar und starrköpfig. In verschiedenen Londoner Schachklubs hatte er Hausverbot, auch die Räume des berühmten Simpson’s Divan blieben für ihn zeitweise verschlossen. Andererseits gab er sich gegenüber Gegnern und Vertrauten durchaus warmherzig. Und er war, obwohl er sich dem Spiel und seiner Erforschung mit Leidenschaft und wissenschaftlichem Eifer hingab, keinesfalls allein aufs Schach fixiert. Steinitz lebte vegetarisch, zeigte Sympathien für die aufkommende Frauenbewegung, schätzte Kneippkuren und die Musik von Richard Wagner. (Als dieser allerdings davon hörte, ließ er ausrichten, Steinitz verstünde von der Musik wohl ebenso viel wie er, Wagner, vom Schachspiel.) Und nicht zuletzt war er Vater: Im Jahr 1866 hatte seine 18-jährige Ehefrau eine gemeinsame Tochter namens Flora zur Welt gebracht.

    Der erste offizielle WM-Kampf

    Mit seiner Schachspalte in The Field hatte Steinitz 1883 eine wichtige Einnahmequelle und sein Sprachrohr verloren. Versuche, bei anderen Zeitschriften Fuß zu fassen, scheiterten. Also zeichnete sich schon vor dem Turnier in London 1883, das Zukertort dominieren und mit drei Punkten Vorsprung vor Steinitz gewinnen sollte, ein Bruch in seinem Leben ab. Er sah für sich keine Zukunft mehr in England. Im September des gleichen Jahres siedelte er schließlich in die USA über und schlug sich dort mithilfe neuer Förderer durch. Von 1885 an gab er eine eigene Schachzeitschrift heraus, das International Chess Magazine.

    Erst 1886 – der legendäre Paul Morphy war seit anderthalb Jahren tot – sollte es in New York, St. Louis und New Orleans zu dem ersten offiziellen Wettkampf um die Weltmeisterschaft kommen. Steinitz und Johannes Hermann Zukertort, ein in London lebender polnisch-deutscher Weltklassespieler, einigten sich darauf, dass der Sieger den offiziellen Titel „Weltschachmeister" bekomme.

    Eigentlich mochten sie sich nicht. Schon jahrelang hatten sie über ihre jeweiligen Zeitschriften miteinander gestritten, besonders Zukertorts Partner Leopold Hoffer polemisierte in Chess Monthly auf teilweise bösartige Weise gegen Steinitz. Auch Zukertort selbst schimpfte zuweilen auf den Rivalen in Übersee, nannte ihn einen „Feigling, weil sich Steinitz vor einem WM-Kampf mit ihm drücke. Doch Steinitz stand Zukertort in dieser Hinsicht nicht nach, beispielsweise bezeichnete er ihn als „den größten Lügner. Es war nicht allein persönliche Antipathie, sondern auch ein Konflikt in Sachen Schachphilosophie. Zukertort war ein „Romantiker", ein Schüler Anderssens, mit dem er Tausende von Partien ausgetragen haben soll.

    Souverän gewann Steinitz den ersten offiziellen WM-Kampf 1886.

    Trotz alledem einigten sich die ersten WM-Duellanten auf die Spielbedingungen: Beide mussten einen Einsatz von 2.000 US-Dollar aufbringen sowie ein Reuegeld von 250 Dollar. Zukertort bekam als Entschädigung für seine Reisekosten von den Ausrichtern 500 Dollar in Aussicht gestellt, für den Fall einer Gesamtniederlage 750 Dollar. Jeder erhielt für 15 Züge eine Stunde Bedenkzeit, die mit mechanisch verbundenen Stoppuhren gemessen wurde. In New York sollte so lange gespielt werden, bis einer von beiden vier Partien gewonnen hatte. Danach eine zweiwöchige Pause und Umzug nach St. Louis, wo man bleiben wollte, bis wiederum einer von beiden vier Partien gewonnen hatte. Und schließlich New Orleans, wo so lange gespielt werden sollte, bis einer insgesamt zehn Gewinne erreichte. Beim Stand von 9:9, so war es ursprünglich geplant, sollte der Wettkampf unentschieden gewertet werden.

    New York, 11. Januar 1886: Das öffentliche Interesse an den beiden Schachgenies war riesig. Endlich war es so weit: In Cartier’s Academy schob Zukertort seinen Damenbauern nach d4  – der erste Zug der WM-Geschichte! Im Vergleich zu seinem gerne länger grübelnden Gegner spielte Zukertort meistens etwas zügiger. Sein Gesicht war, wie eine New Yorker Tageszeitung beobachtete, „von schwerer Geistesarbeit tief durchfurcht, während Steinitz gedrungen dasaß, „mit halb kahlem Kopf, vollem rötlich-braunen, fast mähnenartigen Backenbart, lebhaften, sprechenden Augen.

    Steinitz gewann die erste Partie, verlor aber die vier folgenden und lag mit 1:4 Punkten zurück. Also brach man schon nach der fünften Partie zum zweiten Spielort auf, beide fuhren gemeinsam mit dem Zug nach St. Louis. Dort gelang Steinitz die Wende, mit einer 5:4-Führung konnte er sich in New Orleans ans Brett setzen. Am Ende gewann er souverän mit 10:5 Punkten. Offenbar war der herzkranke Zukertort den 77 Tage andauernden Belastungen nicht gewachsen. Zwei Jahre später starb Zukertort an einem Schlaganfall.

    Die ersten Herausforderer

    In den folgenden drei WM-Kämpfen wehrte Steinitz die Angriffe seiner Herausforderer ab: In den Jahren 1889 und 1892 besiegte er jeweils in Havanna den von ihm hochgeschätzten Russen Michail Tschigorin, was Steinitz selbst so kommentierte: „Ein alter Meister der neuen Schule gewann gegen einen jungen Meister der alten Schule."

    Dass Steinitz ausgerechnet Tschigorin als Gegner akzeptiert hatte, wurde ihm hoch angerechnet. Tschigorin, in späteren Epochen oft als Vater der russischen Schachschule bezeichnet, galt damals als der stärkste von allen russischen Meistern, darunter Petrow oder Jänisch. Tschigorin konnte Steinitz durchaus gefährlich werden; schon beim Turnier in London 1883 hatte er ihn zweimal geschlagen. Doch im WM-Kampf von 1889 unterlag Tschigorin klar, nach 16 von 20 geplanten Partien stand es 10:6 für Steinitz, der mit dem einzigen Remis in der 17. Partie seinen Titel verteidigte.

    Zwischen den beiden Kämpfen mit Tschigorin, zur Jahreswende 1890/91, verteidigte Steinitz seinen Titel gegen den in London lebenden gebürtigen Ungarn Isidor Gunsberg, obwohl er auch hier zwischenzeitlich in Rückstand geraten war wie in all seinen WM-Kämpfen. Wesentlich enger ging es im Revanchekampf mit Tschigorin zu. Nach 22 Partien stand es, die Remisen nicht mitgezählt,

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