Auswirkungen der Lateralität der unteren Extremitäten im Fußball
Von Carlo Ortmann
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Über dieses E-Book
Sowohl im Sport als auch im Alltag neigt der Mensch dazu, eine Extremität bevorzugt für die Bewältigung alltäglicher oder sportspezifischer Aufgaben zu nutzen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Lateralitäten bzw. Seitigkeiten. Im Fußball wird in Anlehnung an die bevorzugte Aufgabenverteilung der unteren Extremitäten in Spiel- und Standbein unterschieden. Inwieweit sich eine solche Seitendominanz auf die Leistungsfähigkeit eines Fußballers auswirkt, ist bislang noch nicht endgültig geklärt. Die Literatur weist größtenteils auf die Vorteile einer Beidfüßigkeit hin und empfiehlt ein dementsprechend angepasstes Techniktraining. Auf der anderen Seite sind viele der erfolgreichsten Fußballer unserer Zeit nach wie vor sehr „einseitig“ veranlagt und vermeiden Ballaktionen mit ihrem „schwachen“ Fuß. Dies könnte wiederum ein Indiz dafür sein, dass eine klare Aufgabenverteilung beider Beine möglicherweise auch Vorteile im Fußballspiel haben könnte.
In dieser Arbeit werden die Relevanz und die Auswirkungen von Lateralität im Fußball analysiert und diskutiert und die tatsächlichen spielspezifischen Unterschiede in einer Querschnittsstudie aufgedeckt. Ziel der Studie ist es, die „Effektivität“ des Spielbeins und des Standbeins genauer zu untersuchen, um daraus Rückschlüsse auf die Lateralität der unteren Extremitäten und mögliche Auswirkungen auf das situative Spielverhalten von Fußballern zu ziehen und eine mögliche Seitendominanz besser einordnen zu können. Neben technischen Fertigkeiten mit Ball (Dribbling, Torschuss, Balljonglieren) werden die Probanden zusätzlich auf ihr Gleichgewicht und die Sprungkraft getestet.
Carlo Ortmann
Master of Science "Sportwissenschaft - Leistungsport"
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Buchvorschau
Auswirkungen der Lateralität der unteren Extremitäten im Fußball - Carlo Ortmann
Füßigkeit
1.Einleitung
Andere erziehen ihre Kinder zweisprachig, ich beidfüßig.
(Christoph Daum)
Der Fußball fasziniert weltweit Milliarden von Menschen und ist wahrscheinlich die populärste Sportart der Welt. Diese Popularität geht jedoch nicht nur mit der Aufmerksamkeit der Zuschauer einher, sondern auch mit der Weiterentwicklung trainingswissenschaftlicher Gesichtspunkte und einer stetigen Steigerung der maximalen Leistungsfähigkeit. In allen Leistungs- und Hochleistungsbereichen steigen die Trainingsanforderungen, um mögliche Schwächen des Athleten oder des Teams zu eliminieren und Weltspitzenleistungen zu erreichen (Krüger, 2005). Bisanz und Gerisch (2013) nennen in diesem Zusammenhang die Kondition, die Technik und die Taktik als die Säulen der Leistungsfähigkeit im Fußball. Die fußballspezifische Technik ist die Fähigkeit, Fertigkeiten wie Ballannahme, Dribbeln, Passen, Schießen, Finten und Köpfen in hohem Tempo und in Drucksituationen umsetzen zu können (Geese, 2009). Die optimale Umsetzung dieser Fertigkeiten gelingt den allermeisten Fußballern jedoch nur mit einem Bein beziehungsweise Fuß, da sie eine klare Seitenpriorität beim Fußballspiel zeigen (Thömmes, 2011).
Sowohl im Sport als auch im Alltag neigt der Mensch dazu, eine Extremität bevorzugt für die Bewältigung alltäglicher oder sportspezifischer Aufgaben zu nutzen. Poeck und Hacke (2001) vermuten, dass die Dominanz einer Hirnhälfte für die Lateralisation der oberen und unteren Extremitäten verantwortlich ist. Bei den unteren Extremitäten wird in diesem Zusammenhang von Füßigkeit bzw. Beinigkeit gesprochen und zwischen dem dominanten Bein und nichtdominanten Bein unterschieden (Reimers, Gaulrapp & Kele, 2004). Im Fußball differenzieren einige Autoren in Anlehnung an die bevorzugte Aufgabenverteilung der unteren Extremitäten in Spiel- und Standbein (Strobel, 2009). Carey, Smith, Smith, Shepherd, Skriver, Ord und Rutland (2001) analysierten zehn Endrundenspiele der Fußball-WM 98 unter dem Aspekt einer Seitendominanz der unteren Extremitäten bei Aktionen mit Ball. Die Annahme, dass vermeintliche Linksfüßer oder vermeintliche Rechtsfüßer genau diesen Fuß für eine Großzahl ihrer Aktionen mit Ball nutzen würden, konnte bei dieser Untersuchung bestätigt werden. Linksfüßer nutzten demnach mit einer durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit von 82,6% ihren linken Fuß und Rechtsfüßer mit einer durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit von 81% ihren rechten Fuß bei Aktionen mit Ball (Carey et al., 2001).
Inwieweit sich eine solche Seitendominanz auf die Leistungsfähigkeit eines Fußballers auswirkt, ist bislang noch nicht endgültig geklärt. Die unvorhersehbare Spielanlage der Sportart Fußball lässt jedoch vermuten, dass eine beidseitige optimale Leistungsfähigkeit einen höheren Stellenwert als in anderen Sportarten haben könnte. In Sportarten in denen der Bewegungsablauf vorgegeben ist, scheint eine beidbeinige Ausführung nicht notwendig zu sein, denn wozu sollte z.B. ein Hochspringer lernen, mit dem schwächeren Bein abzuspringen, wenn sein Bewegungsablauf vorgegeben ist? In Spielsportarten dagegen wird ein hohes Maß an räumlicher Orientierung benötigt und es muss situativ schnell entschieden und mit hoher Präzision agiert werden (Stöckel, Hartmann & Weigelt, 2007). Das Lösen mancher Spielsituationen mit dem spielschwachen Bein, abhängig von der Position des Balles, des Gegners, des Mitspielers und der eigenen Position auf dem Spielfeld, scheint deshalb nur folgerichtig. Infolgedessen ist davon auszugehen, dass eine Beidfüßigkeit die Spielfähigkeit der Sportler positiv beeinflusst und sich im Leistungsniveau widerspiegeln könnte. Dies lässt vermuten, dass bei steigender Ligazugehörigkeit eine Zunahme der ballspezifischen Fertigkeiten des Standbeins beziehungsweise eine Abnahme der Spiel-Standbein-Differenz hinsichtlich ihrer ballspezifischen Fertigkeiten zu erwarten ist. Aus diesem Grund ist die Betrachtung der beidseitigen technischen Fähigkeiten von Fußballern, auch im Hinblick auf die Ligazugehörigkeit, besonders interessant.
Die Literatur weist größtenteils auf die Vorteile einer Beidfüßigkeit hin und empfiehlt ein dementsprechend angepasstes Techniktraining (Stöckel et al., 2007; Haaland & Hoff, 2003; Thömmes, 2011). Fischer (1988) erwähnt in diesem Zusammenhang sogar einen erhöhten Trainingseffekt eines bilateralen Trainings auf die dominante Seite. Demzufolge würde ein beidseitiges Training nicht nur die Leistungsdifferenz beider Seiten reduzieren, sondern zeitgleich für einen Leistungszuwachs insgesamt sorgen. Auf der anderen Seite sind viele der erfolgreichsten Fußballer unserer Zeit (z.B. Arjen Robben) nach wie vor sehr „einseitig" und vermeiden Ballaktionen mit ihrem schwachen Fuß. Dies könnte wiederum ein Indiz dafür sein, dass eine klare Aufgabenverteilung beider Beine möglicherweise auch Vorteile im Fußballspiel haben könnte.
In dieser Arbeit sollen einerseits die Relevanz und die Auswirkungen von Lateralität im Fußball analysiert und diskutiert werden, anderseits die tatsächlichen spielspezifischen Unterschiede in einer Querschnittsstudie aufgedeckt werden. Zu Beginn der Arbeit wird die Lateralität grundsätzlich betrachtet und der Frage nachgegangen, welche Rolle sie beim Menschen spielt. Im Kontext dieser Fragestellung werden ihre Entstehung und ihre weitere Entwicklung beim einzelnen Individuum erörtert. Lateralitätsphänomene der unteren Extremitäten verlangen eine gesonderte Aufmerksamkeit, da sie offensichtlich fußballspezifisch einen besonders hohen Stellenwert aufweisen, und unterschiedliche Unterscheidungsformen diskutiert und geklärt werden müssen, um sie anschließend richtig einordnen zu können. Im Anschluss werden die erlangten Erkenntnisse bezüglich verschiedener Lateralitäten auf den Sport übertragen, indem analysiert wird, welche Sportarten bestimmte Lateralitäten aufweisen und welche Bedeutung diesen zukommt. Der Fußball wird folgend gesondert betrachtet und die Sinnhaftigkeit und die spielbestimmenden Ausmaße von Beindominanzen erörtert. Hierzu werden anhand der relevanten motorischen Fähigkeiten im Fußballsport Vermutungen angestellt, welche Seitigkeitsphänomene der unteren Extremitäten in welcher Ausprägung den Erfolg des einzelnen Fußballers und der Mannschaft beeinflussen könnten. Ein besonderes Augenmerk gilt in diesem Zusammenhang den einzelnen technischen Fertigkeiten, den Kraftfähigkeiten der Beine und dem motorischen Gleichgewicht der Spieler. Zusätzlich wird der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert die Lateralität im Training hat beziehungsweise haben sollte und welche motorisch-nervalen Prozesse während des Trainings ausgelöst werden. Im Anschluss werden anhand einer Studie die gesammelten Erkenntnisse und Einschätzungen überprüft und analysiert.
Ziel der Studie ist es, die „Effektivität des Spielbeins und des Standbeins genauer zu untersuchen, um daraus Rückschlüsse auf die Lateralität der unteren Extremitäten und mögliche Auswirkungen auf das situative Spielverhalten von Fußballern zu ziehen und eine mögliche Seitendominanz besser einordnen zu können. Um das Phänomen „Lateralität im Fußball
zu untersuchen, werden Fußballmannschaften aus unterschiedlich starken Amateur-Ligen (Landesliga, Kreisliga und Freizeitliga) getestet, um eventuelle Zusammenhänge des Leistungsniveaus und der Seitenbevorzugung in Spielsituationen zu evaluieren. Neben isolierten Spielsituationen mit Ball werden die Probanden zusätzlich auf ihr Gleichgewicht und die Sprungkraft getestet. Eine daraus resultierende weiterführende Überlegung ist, ob bei Fußballern tatsächlich von einem „dominanten Bein" gesprochen werden kann, oder vielmehr eine Aufgabenspezialisierung in Form eines Spiel- und eines Standbeins vorliegt. Demnach hätte das Spielbein die Aufgabe den Ball in allen fußballspezifischen Bewegungshandlungen mit Ball, wie Schießen, Passen, Flanken, Dribbling etc., erfolgsorientiert zu verarbeiten, und das Standbein hätte die Aufgabe das komplette Körpergewicht des Sportlers zu tragen und im Gleichgewicht zu halten. Das Standbein hat folglich möglicherweise ein höheres Kraftpotenzial und kann den kompletten Bewegungsapparat koordinativ besser im Gleichgewicht halten und kann unter diesen Teilaspekten auch als dominant bezeichnet werden. Auf der anderen Seite könnte das Spielbein die ballinvolvierenden Bewegungshandlungen koordinativ perfektionieren. Demnach wäre zu erwarten, dass mit dem Standbein sowohl bei dem Gleichgewichtstest als auch bei einem Sprungtest und mit dem Spielbein bei den Spielsituationen mit Ball bessere Ergebnisse erzielt werden. Dies würde auf eine Dominanzaufteilung beider Beine auf Teilbereiche des gesamten Bewegungsablaufs hinweisen, was für eine festgelegte Seitenspezialisierung sprechen könnte. Im Falle einer derartigen Seitenspezialisierung müsste weiterführend erörtert werden, ob ein solcher Ist-Zustand auch den optimalen wettkampforientierten Sollzustand verkörpert, oder beide Beine die Aufgaben des jeweils anderen Beins situativ übernehmen können sollten, um das höchst mögliche Leistungspotential während des Wettkampfes abrufen zu können.
Ziel der Arbeit ist es also, den motorischen Ist-Zustand eines Fußballers zu analysieren und mögliche Konsequenzen in Bezug auf die Leistungsfähigkeit zu diskutieren.
2.Lateralität
Um zu verstehen welchen Stellenwert Lateralität im Fußball hat, muss zunächst auf Lateralität grundsätzlich und speziell beim Menschen eingegangen werden. Es existieren verschiedene Formen und Ausprägungen von Lateralitäten, die sich durch unterschiedliche Strukturen und Funktionen auszeichnen. Ullmann (1974, S. 25) definierte die Lateralität oder Seitigkeit als „die Ausprägung in Bau und Funktion von paarig angelegten Organen. Auf motorischer Ebene kann von einem „Dominieren einer bestimmten Seite und damit verbunden einer sensorischen und motorischen Bevorzugung
gesprochen werden (Dietrich, 2002, S. 13). Die sensorische Lateralität beschreibt in erster Linie die Symmetrie oder Asymmetrie hinsichtlich der Wahrnehmung von Augen und Ohren. Bei der motorischen Bevorzugung spielen die Seitigkeitsphänomene Händigkeit, Füßigkeit bzw. Beinigkeit und die Drehseitigkeit eine entscheidende Rolle. Lateralitätsausprägungen betreffen ebenfalls Areale des zentralen Nervensystems, im Fokus stehen hierbei die Hemisphärendominanzen (Thienes, 2000).
Man unterscheidet zwischen der Rechtsseitigkeit (Dextralität), der Linksseitigkeit (Sinistralität) und der Beidseitigkeit (Bilateralität/ Ambilateralität) (Kiese & Henze, 1988). Dabei können die Seitenpräferenzen zwischen den unteren und oberen Extremitäten übereinstimmen (Seitenkonkordanz) oder eine gekreuzte Seitigkeit vorliegen (Seitendiskordanz), bei der beispielsweise das linke Bein bei einem Rechtshänder dominant ist (Fischer, 2004).
Grundsätzlich muss zwischen der angeborenen und der erworbenen Lateralität unterschieden werden (Oberbeck, 1989). Die angeborene oder genuine Lateralität ist weder pathologisch noch durch Umweltfaktoren beeinflusst, ihr steht lediglich die individuelle Morphologie zu Grunde (Ullmann, 1974). Morphologische Unterschiede können Abweichungen der Masse, des Gewichts oder der Struktur