Das Abendessen
Von César Aira
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Über dieses E-Book
César Aira
César Aira, geboren 1949 in Coronel Pringles, veröffentlichte bisher über 80 Bücher: Romane, Novellen, Geschichten und Essays. Darüber hinaus übersetzt er aus dem Englischen, Französischen und Portugiesischen und lehrt an den Hochschulen von Rosario und Buenos Aires, wo er heute lebt. Aira gilt als einer der wichtigsten lateinamerikanischen Autoren der Gegenwart – und als ihr raffiniertester. Seine Texte überraschen durch Genresprünge, aberwitzige und riskante Erzählkonstruktionen und Plots. 2016 erhielt er den Premio Iberoamericano de Narrativa Manuel Rojas.
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Buchvorschau
Das Abendessen - César Aira
I
Mein Freund war allein zu Haus, trotzdem lud er uns zum Essen ein; er war ein sehr geselliger und redseliger Mensch, der für sein Leben gern Geschichten erzählte, obwohl er das nicht gut machte; er brachte Episoden durcheinander, ließ Wirkungen ohne Ursachen, Ursachen ohne Wirkungen, übersprang wichtige Teile, brach eine Erzählung mittendrin ab. Meine Mutter, die es altersbedingt zu einer ähnlichen geistigen Unordnung gebracht hatte, wie sie meinem Freund in die Wiege gelegt worden war, störte das nicht weiter, ich glaube, sie bemerkte es nicht einmal. Tatsächlich hatte sie die größte Freude an der Unterhaltung, und es war ihre einzige Freude an diesem Abend. Letztere verdankte sich einer Rekurrenz der Namen ortsansässiger Familien – magische Worte, in denen sich ihr ganzes Interesse am Leben zu konzentrieren schien. Ich hörte die Namen fallen, wie man es regnen hört, für sie dagegen waren sie Schätze voller Bedeutung und Erinnerung; Mamá genoss, was ihr die tägliche Unterhaltung mit mir nicht bieten konnte; in dieser Hinsicht, und nur in dieser, befand sie sich in völligem Einklang mit meinem Freund; er war Bauunternehmer und hatte seit Jahrzehnten in Pringles Häuser gebaut, weshalb er die Konstellationen und Genealogien sämtlicher Familien des Städtchens kannte. Ein Name zog den anderen nach sich, was einer altbewährten Praxis folgte, da sich die örtliche Bevölkerung ihre gesamte intellektuelle und sentimentale Erziehung dadurch erwarb, dass die einen von den anderen sprachen, und ohne Namen wäre das schwierig gewesen. Es stimmt, dass mit dem Alter und fortschreitender Verkalkung Dinge verloren gehen, und es heißt immer, die Namen seien das Erste, was man verliert. Aber sie sind auch das Erste, was man findet, denn die Suche nach ihnen führt über andere Namen. Sie wollten an eine Frau erinnern, »die … wie hieß sie noch gleich? Die mit Miganne verheiratet war, die gegenüber dem Büro von Cabanillas wohnte …«, »Welcher Cabanillas? Der, der mit einer von den Artolas verheiratet war?« Und so in einem fort. Jeder Name war ein semantischer Knotenpunkt, in dem viele andere Namensfäden zusammenliefen. Die Geschichten verhedderten sich in einem Wirrwarr abgespulter Namen und blieben ohne Auflösung, so wie zuvor schon die alten Verbrechen oder Betrügereien, Intrigen oder Familienskandale, von denen die Geschichten handelten. Für mich bedeuteten die Namen nichts, hatten nie etwas bedeutet, waren mir deswegen aber doch nicht unbekannt. Im Gegenteil, sie klangen in meinen Ohren altbekannt, bekannter als alles andere auf der Welt, möchte ich sagen, denn von frühster Kindheit an hörte ich sie tagein, tagaus, noch bevor ich sprechen lernte. Aus irgendeinem Grund konnte oder wollte ich die Namen nie mit Gesichtern oder Häusern verknüpfen, vielleicht aus einer Abneigung gegen das Leben in der Stadt, in der sich trotz allem mein ganzes Leben abgespielt hat, und jetzt, wo ich mit dem Alter die Namen zu verlieren begann, ergab sich das interessante Paradox, dass ich verlor, was ich nie gehabt hatte. Und doch war jetzt, wo ich sie aus dem Mund meiner Mutter und meines Freundes hörte, jeder einzelne ein Glockengeläut von Erinnerungen, leeren Erinnerungen, Klängen.
Nun war es nicht so, dass ich keine echten Erinnerungen besessen hätte, gehaltvolle Erinnerungen. Das stellte ich nach dem Essen fest, als mein Freund mir ein altes Aufziehspielzeug zeigte, das er aus einer Vitrine nahm. Es war klein, kaum größer als die Handfläche, auf der er es präsentierte, und stellte doch ziemlich naturgetreu ein Schlafzimmer aus alten Zeiten dar, mit Bett, Nachttisch, Vorleger, Kleiderschrank und, dem Bett gegenüber, einer Tür, die mangels einer Wand, in der sie sich öffnen konnte, wie ein weiterer Kleiderschrank aussah, zumal sie als rechteckiger Kasten ausgeführt war, in dem sich meiner Vermutung nach eine der Figuren verbarg. Die andere war sichtbar und lag im Bett: eine blinde alte Frau, halb sitzend, auf Kissen ruhend. Den Boden des Zimmers bildeten nicht Fliesen, auch kein Parkett, sondern schmale, dunkle Bohlen, wie sie mir von den Fußböden der Häuser meiner Kindheit in Erinnerung waren. Das fiel mir deswegen auf, weil sie mich an das Haus zweier Schneiderinnen erinnerten, in das meine Mutter mich mitnahm, als ich ganz klein war; mit diesem Haus verbindet sich für mich eine seltsame Erinnerung. Als wir einmal bei ihnen waren, fehlte in ihrem Salon der Fußboden, zumindest ein großer Teil davon, man hatte ihn wegen einer Reparatur ausgehoben oder er war eingestürzt, jedenfalls gähnte in dem Raum eine große Grube, sehr tief, mit dunklen, jähen Wänden aus bröckelnder Erde und Steinen und Wasser am Grund. Die Schneiderinnen, ihre Gehilfinnen und Kundinnen standen außen herum. Alle lachten, kommentierten die Katastrophe und gaben jede ihren Senf dazu. Kurz: eine dieser unerklärlichen Erinnerungen, die einem aus frühster Kindheit bleiben. Ich glaube nicht, dass der Fall so krass war, wie ich ihn in Erinnerung hatte, niemand könnte an so einem Ort leben oder arbeiten. Ich war sehr klein, vielleicht kam mir die Grube deshalb so groß vor. Da sie mir noch so gegenwärtig ist, fragte ich einmal Mamá, ob sie sich daran erinnern könne. Sie erinnerte sich nicht nur nicht an die Grube im Salon der Schneiderinnen, auch an die beiden selbst besaß sie keinerlei Erinnerung. Dass sie sich nicht erinnerte, erzeugte in mir einen irrationalen Groll, so als erinnerte sie sich absichtlich nicht. Tatsächlich hatte sie keinen Grund, sich an ein triviales Ereignis von vor sechzig Jahren zu erinnern. Dennoch ließ es ihr keine Ruhe, und einen Tag lang kam sie immer wieder darauf zurück. Es gab nur einen Anhaltspunkt, um ihr auf die Sprünge zu helfen: Eine der Schneiderinnen hatte einen steifen Finger, hart und gerade wie ein Stöckchen. Ausgehend von diesem Finger, der mir deutlich vor Augen stand, glaubte ich seine Besitzerin als eine alte Frau zu erinnern, mit dunkelbraunem Haar, sehr streng frisiert, hochgeschossen, dünn und knochig; der Finger war riesig. Überflüssig zu sagen, dass der Anhaltspunkt zu nichts führte. Meine Mutter fragte mich: Sollten das die Schwestern Adúriz gewesen sein, die Razquíns, die Astuttis? Es machte mich ungeduldig, dass sie es über den Umweg der Namen versuchte, die mir nichts sagten. Meine »Namen« waren die Grube, der Finger, alles Dinge, die keine Namen hatten. Ich insistierte nicht länger und bewahrte die Erinnerung an die Grube wie so viele andere vorher. Bei meiner ältesten Erinnerung, der ersten meines Lebens, geht es auch um eine Ausgrabung: Die Straße, in der wir wohnten, war quasi noch ein Feldweg, und als man ihn asphaltierte, musste man dafür Unmengen Erde und Steine ausheben, und in meiner Erinnerung war die ganze Straße ein Gitternetz aus rechtwinklig ausgeschachteten Gruben, ich weiß nicht, warum, da es mir unwahrscheinlich scheint, dass man ein solches Raster anlegen muss, um einen Feldweg zu asphaltieren.
Diese rekurrenten Erinnerungen an Gruben, so primitiv, so fantastisch sie womöglich waren, symbolisierten am Ende vielleicht für »Lücken« im Gedächtnis oder, besser noch, Lücken in den Geschichten, die es nicht nur in denen nicht gibt, die ich erzähle, sondern die ich auch in denen, die man mir erzählt, ständig auffülle. Pannen in der Kunst des Erzählens stelle ich bei allen fest, fast immer zu Recht. Meine Mutter und mein Freund zeigten sich in dieser Hinsicht besonders unzulänglich, vielleicht wegen dieser Leidenschaft für Namen, die eine normale Entwicklung ihrer Geschichten verhinderte.
Es war wirklich magisch. Sie gingen ihnen mit einer automatischen Leichtigkeit und in ungeheurer Zahl von den Lippen. So viele Menschen lebten in Pringles oder hatten dort gelebt? Jeder Anlass war ihnen recht, um ihnen einen neuen Schwarm Namen zu entlocken. Von Leuten, die in einem Häuserblock wohnten. Leuten, die aus dem Häuserblock fortgezogen waren. Leuten, die ihre Häuser unter Wert verkauft hatten. Leuten, die einen Kräutergarten besaßen. Letzteres ergab sich aus einer Lobrede, die mein Freund auf gutes Essen zu halten begann, die in eine Erzählung abglitt, wie er an frischen Salbei gekommen war, um ihn an den Reis zu tun. Fertig verpackt sei er nämlich nicht so gut, er verliere beim Trocknungsprozess das