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Mora und...was bleibt.
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eBook225 Seiten3 Stunden

Mora und...was bleibt.

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Über dieses E-Book

Der Roman schildert das prallgefüllte Leben der Protagonistin Mora, das so nur deshalb stattfinden konnte, weil ihr etwas erspart geblieben ist.
Rückblickend bewegt sie sich noch ein einziges Mal mit ihrer Tochter von den ungewöhnlichen Anfängen ihres Lebens, dem Jahr 1926 an, bis hin zum Jahr 1992.
Das Auf- und Ab zwischenmenschlicher Beziehungen, das die Leidenschaft ebenso wenig zu kurz kommen lässt, wie die Vergänglichkeit politischer Abläufe und die Probleme aus der Zugehörigkeit zu verschiedenen Religionsgemeinschaften, verweist latent und offen auf bestehende, gelebte wie auch auf verborgene Ängste.
Mora erkennt letztendlich, dass es nicht hilfreich ist, wenn sie sich ihrer Herkunft verweigert. So nimmt sie die Herausforderung des Romans an und fordert dazu auf, die jüdische Zugehörigkeit in der Familie nicht der Angst zu überlassen.
Gleichzeitig tut man sich jedoch noch schwer mit der abramitischen Klammer, die Christen, Juden und Moslems auf gleicher Höhe vereinnahmen möchte.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum30. Aug. 2016
ISBN9783738082241
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    Buchvorschau

    Mora und...was bleibt. - Elsa Merten

    1.Kapitel: Erinnerungen.

    Mora und…was bleibt.

    Mir ist nichts erspart geblieben. Diese fünf Wörter, in die Mitte eines Zettels geschrieben, der einem Notizbuch entrissen worden war, starrten mich aus grellweißem Papier an.

    Fast schien es mir, als würden sie mich abwartend mustern, so wie Mora mich in

    ernsten Augenblicken zu mustern pflegte und sie begannen damit, diese paar Wörter,

    mich zu erinnern, zu erinnern und füllten dabei den ganzen Raum aus, in dem ich

    stand.

    „Du hast noch erfahren konnte, was Dir erspart geblieben war", ging es mir durch den

    Kopf.

    Den Zettel an mich nehmend, verließ ich das kleine schmale, rechteckig geschnittene

    Zimmer, in das nur Licht durch die nach Süden ausgerichtete Balkontür eindringen

    konnte. Es war ihr in den letzten Jahren, nachdem wir aus dem Haus waren, eine Art

    Arbeitszimmer geworden.

    In diesem kleinen Zimmer ließ sie anrührende Verse und Heimatgeschichten entstehen,

    die in ihr auf selbstverständliche Art und Weise lebten, sie gar bedrängten, bis sie sie

    dann aus sich herausgelassen und niedergeschrieben hatte.

    Gedankenverloren ging ich auf die Küchentür zu. Fast behutsam, als würde ich noch

    einmal ihre warme Hand spüren können, drückte ich die Türklinke herunter.

    Dort, in dieser Küche, hatten die spontansten Gespräche stattgefunden und sich die

    ehrlichsten und intimsten Gedanken offenbart und eingenistet.

    Ich stand am großen Fenster, das den Blick zum Vorgarten und zur Straße hin frei gab

    und ließ zu, dass mein Durchatmen kurz stotterte.

    Von der Flut der immer wieder hier eintauchenden Morgensonne war jetzt nichts zu

    spüren. Mattigkeit atmete der Raum an diesem späten Nachmittag. Ich sah hinaus in

    den von ihr angelegten Vorgarten, in dem es verschwenderisch blühte. Es war nicht zu

    übersehen, dass Mora das hatte, was man den grünen Daumen nannte. Die meisten der

    farbig verschiedenartig blühenden Sträucher und Blumen hatte sie selbst gezogen. So

    auch die kleinwüchsigen rosa und weiß blühenden Wild-Rosenbüsche, die beidseitig und

    dicht gedrängt den Weg zum Gartentürchen säumten. Sie drückten sich eng aneinander, schoben dabei ihre Blüten dem Betrachter entgegen und es schien mir, als würden die vom Westen her einfallenden letzten Sonnenstrahlen an diesem Nachmittag den Weg und die Röschen von nie vorher gesehener Helligkeit ausleuchten.

    Den Zettel hatte ich noch immer in der Hand, gepresst zwischen Daumen und

    Zeigefinger.

    Die Pracht der Blüten im Vorgarten erreichte mich nicht mehr, als ich mich dem kleinen Tisch in der Ecke zuwandte. Ein kleines Notizbuch inmitten des Tisches zog mich an. Ehe ich es berührte hakte mein Blick fest an dem gefalteten Papierblatt darunter.

    Ich erkannte den Brief, meinen letzten Brief an sie und die eben noch eingetretenen wärmenden Gedanken schienen schlagartig zu fliehen.

    Unvorbereitet zeigten mir meine Erinnerungen ihre zuletzt schmal gewordene Gestalt. Hochaufgerichtet stand sie vor meinem inneren Auge erneut vor mir. Ihr von Zorn gerötetes Gesicht ließ mich unwillkürlich einen Schritt zurückweichen. Dann hörte ich sie noch einmal, diese schneidend kalte Stimme, wie ich sie davor von ihr noch nie so vernommen hatte. Die aus ihrem aufgebrachten Ich herausgeschleuderten Worte durchmaßen auch jetzt nochmal grell den Raum: „ In der Familie W., da gab es weiß Gott nirgendwo einen Sebulon, da hat sich kein Sebulon herumgetrieben. Vielleicht hättest Du nicht nach Buchenwald…."

    Ruckartig unterbrach ich hier meine Gedanken und fragte tonlos in den Raum: „Warum hast Du aus Deinen gerne verbreiteten, vielschichtigen Erzählungen die Ungereimtheiten nicht ausgeleuchtet?"

    Ich wandte mich wieder dem Fenster zu.

    „ Das war die Wende in unseren engen Beziehungen", sagte ich mit ungewohnter Härte in der Stimme. So weit ich zurückdenken konnte, hatte ich sie auf einen Sockel der Bewunderung und Verehrung gestellt. Keinerlei kritische Gedanken ließ ich um sie herum zu. Dann war das anders. Ich konnte sie dennoch nicht vom Sockel holen, aber es fiel mir auch schwer, sie dort zu lassen.

    Zusammenhangslos hörte ich mich murmeln: „Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung, sagen sie das nicht so von alters her?. Und sie schoben sich wieder heran, die zurückliegenden Zeiten mit auffordernden Erinnerungen. Der hochgewachsene Nadelbaum im Vorgarten schien meiner Gedankenwelt Vorschub leisten zu wollen. Seine schweren Äste waren wie Arme nach oben ausgebreitet. Dichtes Grün quoll aus einer Vielzahl von Zweigen, ohne eine Last oder Schwere zu signalisieren. Ich ließ zu, dass meine Blicke an den Ästen auf und ab wanderten und tastete mich hoch zur Spitze des Baumes, wo schon junge Zweiglein mit jeweils einer Knospe ein Krönchen zu bilden schienen. Dann meinte ich mich von Mora unvermittelt untergehakt zu wissen und sie raunend sagen hören: „Komm mit, noch einmal begleite mich, auf all meinen Wegen, zrucko und hiefüa, ein letztes Mal! „Oder hiefüa und zrucko?", murmelte ich fragend.

    Und so kam ich denn mit, berührte gedanklich ihre Anfänge im Woid und blieb danach noch einmal Begleiterin wie einst im wirklichen Leben. Diese gedankliche Reise, den Inn entlang, dann kurz Passau berührend, danach der Ilz flussaufwärts folgend, sollte uns in das karge Tal führen, das sich leicht auf und ab bewegt um dann nach Osten hin anzusteigen bis zum dunkelgrünen Ansatz der böhmischen Wälder, wo Moras Leben ihren Anfang nahm. Ich ahnte, es würde keine kurze Zeitreise sein, in einer Umarmung, aus der ich mich nicht vor ihrer Beendigung herauswinden konnte. Von unten hörte ich die Stimmen der weitläufigen Familie und meiner Kinder, die gekommen waren um von Mora Abschied zu nehmen. Unschlüssig sah ich mich nach einem ruhigen und bequemem Plätzchen um, das mich für die Dauer unserer Zeitreise aufnehmen sollte. Mein Blick fiel hinüber in das geräumige Wohn- Esszimmer und ich steuerte den dicken, bequemen Polstersessel an, der Mora nicht nur ein lieber Platz zum Ausruhen gewesen war. Das rote und dicke Polster schob sich wie von selbst bereits in meine Kniekehlen, als ich schräg gegenüber auf einer Ablage das dicke grau-blaue Fotoalbum bemerkte.

    „Ich werde es brauchen können um nicht von meinem Weg mit Dir abzukommen", hörte ich mich wieder einmal, ehe ich mich damit in die Polster fallen ließ.

    2. Kapitel: Zum Anfang.

    Inzwischen war der Nachmittag zwielichtig geworden und hüllte sich und mich langsam in die beginnende Dämmerung ein. Ehe ich das Album aufgeschlagen hatte, war ich mit den Gedanken vorausgeeilt und war bereits bei den wie wahllos hingeworfenen Ansiedlungen angekommen, die sich in den Waldtälern des Bayrischen Waldes, abseits von den Dörfern, geschickt und schutzsuchend an die Wälder und Wiesenhaine hin ducken. Zwei bis drei Häuser jeweils, von eigener Hand aus Holz und Granit gebaut. „In einer davon bist Du zuhause gewesen und auch mir bleiben sie in lieber Erinnerung", sinnierte ich.

    In grauer Vorzeit schon, kamen Menschen aus verschiedenen Himmelsrichtungen zum Bleiben an in diesen Tälern, die ihnen trotz der Mühsal beim Roden der Wälder und der Bearbeitung des kargen Bodens, geliebte Heimat wurde. Im rauen Klima waren sie im Schutz der Tannen und Fichten gut aufgehoben. „Eure Sangesfreude und die Begabung, ohne Noten ein Musikinstrument zum Klingen zu bringen, war keinem von Euch der Rede wert", lächelte ich in mich hinein. Ich wusste, es war ihnen Entspannung nach harter Arbeit und so konnte man regelmäßig in der Stille der beginnenden Nacht aus den Talsenken heraus, die Hänge hinauf, das Echo der anrührenden Lieder hören, die von der Herkunft der Siedler und auch vom Heimweh der Vorfahren erzählten.

    „Du kanntest diese Lieder alle auswendig", wandte ich mich an Mora. Ich wusste um ihren Hang, bereits in Kindheitstagen die Lieder mit gekonnter Gestik zu unterstreichen.

    „Der harte Alltag ließ eine diesbezügliche Entwicklung nur bis zum Ansatz zu", bemerkte ich gedankenverloren.

    Es wurde nun Zeit, an ihren Anfang im Woid zu erinnern, aber es fiel mir enorm schwer und so blieb das Album erst nochmal geschlossen. Ich stand stattdessen auf und strebte in Richtung Küche um nach Kaffee zu suchen. Ihr abgegriffener Becher stand da noch, sauber auf der Spülablage. Die Kaffeemaschine und der noch vorhandene Kaffee ließen bald das aromatische schwarze Gebräu entstehen, das mir Wärme gab um den unterbrochenen Gedankenfluss wieder aufnehmen zu können.

    „Wann hast Du davon erstmals erfahren und dann, wie bist Du in all den Jahren damit umgegangen?", fragte ich zwischen zwei Schlückchen und meinte damit die Tage ihrer Geburt. Ich spürte ihn förmlich, den kalten Oktobertag 1926, an dem sie in dem Bauernhaus in der Dorfsenke, unmittelbar an der harten Straßenkante der durch das Tal ziehenden Landstraße, zur Welt kam.

    „Du warst unwillkommen, weil Bankert der ledigen Tochter des Hauses und eines mittellosen, wenn auch selbstbewussten Sohnes des Viehhändlers im Dorf", bemerkte ich für mich und starrte auf das Foto im jetzt aufgeschlagenen Album, das ein behäbiges Bauernhaus zeigte. Ich hob den Kopf und suchte in meinen mit Last gefüllten Erinnerungen nach dem Bild von Moras Großmutter, jener Großmutter, die im Haus in der Dorfsenke die Fäden in der Hand hielt und von der es kein Foto gab. Also grub ich es aus mir heraus, das Bild jener Urgroßmutter. Ich fand es wieder. Vor meinem inneren Auge sah ich eine hagere, mittelgroße Frau, aus dem Böhmischen stammend, mit tiefliegenden fast schwarzen und wachen Augen, die ihr Gesicht mehr beherrschten, als das dauernd getragene dunkle Kopftuch.

    „Heute halte ich Deinem intensiv forschendem Blick stand", murmelte ich, während ich ihn bei mir ausruhen ließ. Gleichzeitig verdrängte ich erfolglos das anschleichende schlechte Gewissen, das mir vorhielt, wie häufig meine Cousine und ich uns in Kindheitstagen über die eingedeutschten Laute und die etwas singende Tonlage in ihrer Aussprache lustig machten. Vor allem bei ihren Schelten über den jeweils verursachten braunen Abdruck unseres Balles, den wir zu gerne an ihre weiße Hausmauer donnerten. Erneut betrachtete ich das Bauernhaus auf dem Foto und ließ es auf mich wirken. Ich meinte, noch auf dem Bild den grellweißen Rauputz der Außenwände zu sehen, der sich fortsetzte bis hinein zu den Innenwänden jenes Zimmers, einer Nebenkammer, die der Ort von Moras Geburt geworden war. Aus Moras Erzählungen wusste ich, dass diese ungeheizte Kammer nichts enthalten hatte, als zwei aneinander geschobene und aus Fichtenholz gefertigte Bettgestelle mit prall gefüllten Daunenbetten, die Moras Mutter als Teil der Aussteuer zugedacht waren.

    Später erzählte man sich noch, dass Mora nach dem ersten Schrei, den sie in die Kammer gestoßen hatte, von der Großmutter in ein aus naturbelassenem Leinen gefertigtes Wickelkissen gesteckt und so in die Ritze zwischen den Betten platziert worden war. Ich meinte die tägliche Stille von damals um Mora herum körperlich zu spüren und wandte mich nochmal an meine Urgroßmutter: „Du hattest zusammen mit Deinem Mann, meinem Urgroßvater, das Bauernhaus von einem Bauern ohne Erben gegen eine günstige sogenannte Austrags-Leistung erworben und durchgehend Wert auf das strahlende Weiß gelegt. „ Ein weißer Fleck, einem unbeschriebenem Blatt Papier ähnlich?, grübelte ich. „Aber auf welchem Weg bist Du in die Dorfsenke gekommen?. Darüber hatte man weder zu ihren Lebzeiten noch danach geredet und wenn, dann kam nur Spärliches daher. Nur so viel, dass sie aus dem Böhmischen gekommen war.

    „Auf dem Weg der Säumer, über den Goldenen Steig", setzte ich feststellend nach, entfernte mich für ein paar Momente vom Album und blieb auf dem Säumer-Weg.

    Auf diesem jahrhundertealten Steig, einem Handels- und Schmugglerweg durch das Tal, wurde auf Pferden, Ochsen, Maultieren und nicht selten auch auf dem Rücken der Menschen, Salz nach Böhmen und Glas in entgegengesetzter Richtung nach Passau transportiert. Mein Blick streifte kurz über das Album und haftete am kleinen Portrait-Foto fest, das Moras Vater in Uniform zeigte. „Dahin will ich noch nicht", entfuhr es mir. Jedoch vermochte ich nicht, mich ganz und gar dem schwarzweißen Foto zu entziehen. Ich sah dahinter den bis ins Alter schlank gebliebenen Großvater mit dünnem Haarwuchs, der, ehe er grau geworden war, als rotblond bezeichnet werden konnte. Seine etwas zu groß geratene Nase zwischen lebhaften, schmalen, fast listigen hellblauen Augen im von Sommersprossen übersäten ovalen Gesicht, gab ihm Würde.

    Ich hatte immer Respekt und Achtung vor ihm, aber keinen Zugang zu ihm gefunden.

    „Du bist schon hier im Tal geboren, wie nachweislich schon Dein Vater und Großvater und Euren Namen habt Ihr wie eine kostbare Außergewöhnlichkeit vor Euch hergetragen und auch in dieser Art so weitergegeben, ohne dass jemals jemand den Grund hierfür hinterfragt hätte. Aber auf welchem Weg die Deinigen, die Familie W., anno dazumal ins Tal gekommen war, darüber gab es nur vielschichtiges Achselzucken." Spärliche Erzählungen hierüber gaben lediglich preis, dass seine Mutter auch aus dem Böhmischen stammte.

    Meine Recherchen hatten mir jedoch schon Antwort gegeben. Damit pilgerte ich gedankenverloren in die Passauer Altstadt zur Luvago-Gasse, Nahe am Domplatz.

    Dort befindet sich das Archiv des Bistums Passau, das Einblicke in die Ahnenforschung zulässt. „Aus Italien und Böhmen, so die alten Aufzeichnungen, waren sie gekommen, die Deinen. Der Goldene Steig war demnach auch einer ihrer Wege und nicht nur von Böhmen her, sondern auch von Passau her", resümierte ich. Stimmlos wurde ich mitgenommen zu althergebrachtem und historischem Wissen: „In der Altstadt von Passau gab es neben der katholischen Kirchen bis 1427gar noch eine Synagoge, die dann abbrannte. Bis1478 gab es Juden nur mehr in der Ilz-Stadt, dann jedoch, ab 1867, fast 100 Jahre nach der Reduzierung des bischöflichen Machtbereiches von Passau und ca. 60 Jahre nach der Säkularisation, begann eine erneute Zuwanderung von Juden.

    „Ich liebe Passau, die Ausstrahlung einer deutsch-italienischen Architektur von Neugotik bis Barock und den Punkt der Verschmelzung von Ilz und Inn mit der Donau. Vor allem liebe ich den Fuß-Weg am Inn entlang, der an der Fünferl-Brücke vorbeiführt bis hin zur Landspitze und das hat seinen Grund", ergänzte ich aus einer Vielzahl von Empfindungen und ließ nun Fantasie und Gedanken miteinander spielen. Dazu tastete ich mich behutsam hin zu den Ufern des Inns und ließ vor meinem inneren Auge die damaligen Zuwanderer, Juden und Nichtjuden aus Italien, Österreich oder aus der Schweizer Bergwelt kommend, in Grüppchen stromabwärts vorbeiziehen. Ihre Habseligkeiten auf einer Kraxe festgezurrt, die schwer auf die jeweiligen Rücken gedrückt haben musste, sah ich sie ächzend ihren Weg suchen.

    „Übergesetzt zur Ilz und am Goldenen Steig angekommen, war der Weg noch weiterhin beschwerlich, aber es war nicht mehr allzu weit in eine neue und sie schützende Heimat", ging es mir durch den Kopf.

    Ich bemühte meine diesbezüglichen Visionen der Zuwanderung immer wieder gerne, so auch jetzt, im Angesicht des graublauen Albums, aus dem heraus mich die Gesichter der Familie W. fixierten. Mit diesen Gedanken drängte es mich, mehr feststellend als fragend, hin zu den vielschichtigen Namen im Tal. „Die eingedeutschten Namen, die habt Ihr auch auf Euren gekrümmten Rücken schon mitgebracht. Mit dabei waren wohl auch jene, die sich der jeweilige Träger nicht aussuchen durfte und die dazu angetan waren, ihn damit zu beleidigen oder ihn zu demütigen. Mittlerweile tragen sie den ehemals selbst ausgesuchten oder ihnen aufgedrückten Namen mit einer Souveränität, die keine Blässe mehr zeigt. Sie alle haben im Tal ein Zuhause gefunden und sind eingebettet in eine Solidargemeinschaft auch mit jenen, die aus den Bauernhöfen der Südtiroler Berge ausziehen mussten, weil Lohn und Brot fehlten. Für keinen war und ist es jemals Sache gewesen, irgendeine Herkunft zu hinterfragen, murmelte ich abschließend. Mir jedoch war es ein unerklärliches Bedürfnis und dies nicht zum ersten Mal, die erst vor kurzem erworbenen Kenntnisse zur Namensbildung vor mir auszubreiten. Danach hatten die Juden Ende des 18. Jahrhunderts in absolutistisch regierten Staaten Mitteleuropas deutsch lautende Namen zu übernehmen um Spuren zu ihrer ursprünglichen Herkunft auszulöschen. Im Gegenzug dazu hatte es für sie erweiterte Bürgerrechte gegeben. „Um diese Zeit haben wohl auch viele der Zugewanderten den herkömmlichen jüdischen Glauben verlassen und bekannten sich nach langem Leidensweg, den die Ahnen schon kaum mehr zu schultern vermochten, zum landesüblichen Christentum, ging es mir durch den Kopf.

    Später sollte sich mein diesbezügliches Wissen aufstocken. Nämlich dahingehend, dass mit einer im November 1932 eingeführten Verordnung und dem Rund- Erlass des preußischen Reichsinnenministeriums dazu, Richtlinien im Dezember desselben Jahres geschaffen wurden, die es den Juden unmöglich machen sollten, einen als jüdisch geltenden Familiennamen abzulegen. Damit gab es wohl bereits die verwaltungstechnischen Voraussetzungen für den Ende 1941 beginnenden Holocaust.

    Noch auf dem gedanklichen Weg mit Mora, hin zu ihren Anfängen und im dicken Polster sitzend, wusste ich das nicht.

    Das Fotoalbum lag noch aufgeschlagen auf meinem Schoß, als ich nach

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