Auf der Strecki
Von Roland Reichen
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Über dieses E-Book
In zwölf "Bitzen" erzählt Roland Reichen Geschichten einer Familie, die am Rand steht. Hinterwäldlerisch, geplagt, zuweilen aufmüpfig ist der Clan. Seine Abstammungsgeschichte gründet im Hühndliwald. Viele Erwartungen und noch mehr satte Enttäuschungen, Drogen, alltägliche Gewalt und eine schonungslose Komik verbinden sich zu einer aber-witzigen Unterschichten-Familiensaga.
Wie in den vorangegangenen Büchern "aufgrochsen" und "Sundergrund" sind Reichens Figuren unterprivilegiert, bevormundet, ausgestossen; und hier wie da besteht die aufrührerische Geste der Literatur darin, den Figuren eine Stimme zu geben, und sei sie noch so holprig, noch so ungeschliffen, noch so unrecht. Denn diese Geschichten beugen sich weder einem begradigten Deutsch noch einem rücksichtsvollen Blick: Reichens Prosa ist böse, wo sie nicht anders kann, lustig, wenn es halt so kommt, störrisch bis stur, weil es zählt.
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Buchvorschau
Auf der Strecki - Roland Reichen
Roland Reichen
Auf der Strecki
Roman
Roland Reichen
Auf der Strecki
1. Auflage, 2020
eISBN 978-3-03853-165-4
© Der gesunde Menschenversand GmbH, Luzern
Alle Rechte vorbehalten
www.menschenversand.ch
«Auf der Strecki» entstand mit Unterstützung von:
Swisslos Kultur Kanton Bern, Kultur Stadt Bern
Lektorat: Stefan Humbel
Gestaltung: hofmann.to
e-Book: mbassador GmbH, Basel
Der gesunde Menschenversand wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
Für Väti, Müeti, Piti, Fippi, Hasli, Höpfi, Hümbi und Matthias.
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A8 · Passion Reisen Steffisburg
Krankgrün flackert das Schild von der BP-Tankstelle durch die Nacht. Vättu, neben mir, stampft auf das Bremspedal wie in die Eingeweide von einer tollwütigen Sau – unsere Rostbütti ruckelt noch etwas weiter. Und noch etwas weiter. Am BPSchild vorbei. An den Zapfsäulen vorbei. Auf den Grienplatz dahinter. Mitten auf dem Grienplatz kracht es dann plötzlich unter der Motorhaube. Die springt kurz auf, stösst schwarzen Qualm aus. Und mit einem metallischen, jammernden Gixen bricht die Bütti auf der Vorderachse ein.
Ich steige aus, nehme den Rucksack und die zwei Klappstühl vom Hintersitz und rauche eine letzte Zigarette. Vättu versucht, die Bütti noch einmal anzulassen. «Du Saumore, du hast mir da gar nicht blöd zu schiessen!», höre ich ihn durch den offenen Fensterschlitz fluchen. «Ich war doch erst grad im Service mit dir!» Das Rasseln vom Zündschlüssel. «Rtttt, rtttt», macht die Bütti. Dann schüttelt es sie, weil Vättu im Innern um sich brätscht.
Ich gehe schon mal Richtung Strass. Die Teerkruste vom Autobahnausleger glitzert im taghellen Flutlicht. Sie frisst sich zwischen ihren Leitplanken durch einen kahlen Hügelrücken. Dahinter, hinter den Lärmschutzwänd, ragen die Umriss von den Sodmattblöck in die Nacht, mit ihren Staublungen, den billigen Wohnigen. – Zackpoing!, macht die Bütti von hinter meinem Rücken jetzt plötzlich doch noch einen Satz; rechts von mir schnellt sie auf den Rand vom Grienplatz zu, wo sie gegen etwas tätscht. Eh ja, halt ein paar neue Beulen, sage ich mir und stelle mich zum Bössunterstand, einem Bretterhäuschen neben drei verdorrten Büsch. Wo der Car kommt, kommt auch Vättu endlich. «Das sind doch fixfertige Arschlöcher, die von der Gmeind!», schnauzt er. «Da an den blödsten Orten Küderkessel aufstellen!» Ich schnippe den Zigistummel weg und luge ihn an: die dicken Jeans, wo ihm beim Ranzen einschneiden. Sein Bocksbärtli. Der schroffe Nasengrat. – Das ist doch eine Schnapsidee, denke ich bei mir, wo die Tür vom Car aufschwingt, da mit dem Alten aben auf Monza. Daheim im Näscht, vor dem Fernseh, da hätte ich das Rennen doch viel besser gesehen.
Schuld war, wie an vielem, natürlich das Müeti. Das Müeti, das hatte die Anzeig von Passion Reisen Steffisburg im Blättli gesehen; am Telefon hatte es gefunden, das täte uns doch gut, Vättu und mir, zusammen an die Formu Eis, da nach der Aufregung wegen dem Hüsli. Das war Pfingsten gewesen. Ich bei den Eltern, im Hüsli. Ich helfe dem Müeti gerade etwas Zwetschgenmus einkochen – da pamm!, schletzt die Kuchitüre auf, Vättu trogelt auf seinen Holzzockeln herein und wirft mir mit hochroter Bire an den Kopf, ich müsse ihm sein Hüsli jetzt abkaufen, weil er kein Geld mehr für die Rechnigen habe. Ich solle einen Kredit über 200’000 aufnehmen, und er wolle bis ans Lebensendi im Hüsli bleiben.
Ich blieb dann nicht mehr lang. «Eh, du kennst ihn doch, er meint das nicht bös», wischte sich das Müeti vor der Hüslitür die nass Händ ab am Schurz. «Aber uns geht einfach das Geld aus, von der letzten Hypothek. Gell, jahrelang nur IV und jetzt die Mindestrente, das langt einfach nicht für ein Haus, auch nicht für ein Hüsli. Und das Auto, das ist halt auch teuer.» – «Immer davonseckeln vor den Problemen!», mööggete Vättu im Hintergrund aus der Stube. «Natürlich, wir könnten es schon auch verkaufen, das Hüsli», küschelete mir das Müeti noch zu, wo wir uns die drei Abschiedsmüntschi gaben. Durch den Türspalt, wo es die Tür schon wieder zuzog, schob es lauter nach: «Aber das möchte ich dem Papi dann doch nicht antun, dass er aus seinem Elterenhaus hinausmuss, in die Sodmatte, in die Blöck. Innert zwei Tag gungte der mir dort ja ein vor Längiziti!»
Ich selber wohne ja schon seit zwanzig Jahr in einer Blockwohnig in Bern, seit sie mich damals herausholen mussten aus dem Hüsli, und mich hat also noch nie einer gefragt, ob ich nicht eingiengte in dem Anderthalbzimmer-Verschlag. – «Emel Geld für Kärren hat er noch!», schnappte ich in den Hörer, wo das Müeti nach drei Wochen Funkstilli eben wegen dem Rennen anläuten tat. «Vättu im Jeep, Vättu im Lexus – du sagst ja selber, dass er die Kärren wechselt wie ander Leute Unterhosi!» – «Eh ja, du hast ja schon recht», machte das Müeti kleinlaut. «Dass er einfach nicht Sorg häben kann zum Zeug. Gell, den Civic jetzt, erst letzten Herbst hat er den doch zuchengetan, beim Briggen in Goldswil. Wie neu war der, und jetzt gixt er schon in jeder Kurve…»
Aber man müsse den Papi halt auch verstehen, seufzte das Müeti. Er mit seinem schweren Lebenslos, er habe es auch nicht leicht. Und ich weiss nicht, wo ich das Müeti dann da so brichten hörte mit seinem feinen Stimmli von all den Schicksalsschläg für Vättu, von seiner komischen Erziehung und wie er in der Lehr verseckelt worden war, da bekam ich auf all Fäll immer stärker das Gefühl, ich müsse doch wenigstens zum Grand Prix mit dem Alten Ja sagen, wenn ich ihm sein Hüsli schon nicht abkaufen wollte. «Du lugst die Rennen doch auch gern», redete das Müeti mir zu. «Und er für sich, er gelustet eben schon lang für wieder einmal an die Strecki.» Ich las den Werbespruch von Passion Reisen auf dem Info-Fötzel, wo mir das Müeti geschickt hatte: «Verpassem Sie diesem einmalig rasanten Anlass auf keinen Fall!» Es war dann doch mehr der Preis, wo den Ausschlag gab: «Carfahrt inklusive Stehplatz 175.– SFr.» – «Weil wenn du nach Hockenheim willst», hatte Vättu von hinter Müetis Rücken ins Telefon geschnuret, «da zahlst du allein schon für den Stehplatz gegen 300 Euro.»
Unser Chauffeur heisst Miescher Rolä. Er hat ein zerblasenes Nest aus braunen Kruslen vor dem Gesicht, als wäre er heute Morgen in einen Kuhzaun geraten; irgendwie schmöckt es auch komisch verschmürzelet von seinem Sitz hinter dem Steuer. «Tschou zämä, hocket ab!», streckt er Vättu und mir seine rechte Pfote entgegen, während er mit der linken probiert, das Geheu vor seiner Nase auf die Seite zu schaufeln – allerdings erfolglos, weil das alles so in Zotteln und Paggeln zusammenklebt. Das Licht ist schummrig. Wir sind die einzigen Passagier. Vättu will weit nach hinten. «Sorry, he, wegen meiner Frisur…», kräschelt Roläs Stimm aus dem Lutsprecher, wo wir abgehockt sind. «Irgendwie, haha, habe ich allweg meinen Wachs verlegt…» Im Rückspiegel ob der Frontschibe sehen wir, wie er im Licht der Armaturen weiter mit seinen Kruselbüscheln kämpft. Dabei macht er etwas Info-Talk: Weil die Fahrt ein Billigangebot sei, könne er uns leider nichts zum Fooden oder zum Suufen anbieten. Dafür herrsche aber ein unvergleichlicher «Schpirit» bei Passion Reisen Steffisburg. – «Du, der hat ja eine Sunnenbrülle an!», entfährt es Vättu. Und in dem Moment sehe ich es auch, halb hinter den filzigen Haarschnür, wo sich Rolä aus der Stirn zu streichen versucht: ein dickes, hellblaues Brüllengestell aus Plastik und mit verspiegelten Gläsern. – «Wir haben jetzt fünf ab halbi vieri, auf die zehni sollten wir dann öppen in Monza sein», sagt Rolä ins Mik. «Wobei, ich