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Garten ohne Leben
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eBook223 Seiten3 Stunden

Garten ohne Leben

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Über dieses E-Book

Karl Stadler, Mitte fünfzig, Buchhalter, kann endlich seinen Lebenstraum vom eigenen Haus verwirklichen. Die ungeliebte Ehefrau stirbt bei einem Unfall, den Stadler hätte verhindern können. Als er kurz danach gekündigt wird, will er sein weiteres Leben zurückgezogen von Menschen und Umwelt verbringen. Die überraschend erlangte finanzielle Unabhängigkeit soll dies ermöglichen. Aber die Ehefrau greift selbst als Tote noch in den Lauf des Schicksals ein.
Schauplatz der Handlung ist Wien.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. Okt. 2013
ISBN9783847653486
Garten ohne Leben

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    Buchvorschau

    Garten ohne Leben - Norbert Zagler

    1.

    An diesem Sonntag erwachte Karl gegen neun Uhr, ging ins Badezimmer und war, wie in den Tagen zuvor, erstaunt über die neue Umgebung, an die er sich erst gewöhnen musste. Der Spiegel zeigte ihm aber das alte Gesicht, Nase und Wangen durchzogen von dünnen roten Linien, die Spuren des Weines. Gemein, dachte Karl, manche Leute saufen genauso viel und es ist ihnen nicht anzumerken. Als er sich über das Waschbecken beugte, um mit kaltem Wasser das dumpfe Gefühl in seinem Kopf zu vertreiben, sah er im Augenwinkel einen schwarzen Streifen in der Badewanne. Ameisen!

    Vom kleinen Fenster im Badezimmer, das er am gestrigen Abend gekippt hatte, zogen sie wie in einem Strom quer über die Wand in die Wanne hinunter und verschwanden im Abfluss. Eine Ameisenstraße – mehr schon eine Autobahn, oder doch die überfüllte Fußgängerzone einer Großstadt, aus der Luft betrachtet. Es war ein Gewusel, die Ameisen liefen rauf und runter, begegneten einander, drehten sich hin und her, um dann weiterzulaufen, scheinbar sinnlos, ohne Plan und Ziel, jedoch hielten sie eine strenge Grenze ein, der Streifen war an keiner Stelle breiter als drei Zentimeter. Karl stand minutenlang vor der Wanne und beobachtete das Schauspiel, konnte aber keinen klaren Gedanken fassen, nur das eine war notwendig, diese unerwünschten Zeugen zu beseitigen. Er schloss das Lüftungsfenster, um die Reservetruppen abzuhalten. Mit dem scharfen Strahl der Handbrause spülte er die Ameisen in den Abfluss und stellte das Wasser nicht eher ab, bevor nicht alle Emsen in diesem schwarzen Loch verschwunden waren. Er blieb noch einige Minuten stehen, um zu kontrollieren, ob sich noch ein Insekt auf diese gefährliche Straße wagen würde, Ameisen waren zäh, die kröchen womöglich aus dem Abfluss wieder hinauf in die Wanne und dann weiter in das Haus hinein, vom Fußboden aus die Wände hinauf, alles abfressend, bis sie sich dann auf ihn stürzen würden, Karl sah sich schon von ihnen überwältigt, zerfressen, bis nur mehr sein Gerippe übrig bleiben würde.

    Karl beeilte sich, das Badezimmer zu verlassen, nach dem, was geschehen war, würde er es nicht wirklich benützen können, vor allem die Wanne nicht! Er schlurfte zurück ins Schlafzimmer, das ihm in dieser Situation als der geeignete Zufluchtsort erschien. Aber auch hier ließ ihm das benützte Bett neben dem seinen keine Ruhe, so dass er nochmals aufstand, das Bettzeug der zweiten Liege zusammenraffte, verknotete und das Bündel ins Vorzimmer schmiss, später würde er sich darum kümmern.

    Erst gegen Mittag war er fähig, sich aus dem Bett zu erheben. Er kochte eine Gemüsesuppe aus der Packung, so ferne man das als Kochen bezeichnen kann, und löffelte die Suppe aus dem Topf, weil er zu faul war, einen Teller zu holen. Die warme Suppe beruhigte seinen Magen. Der physische Aspekt seines Daseins war für die nächste Zeit zufriedengestellt, nun konnte er sich allem anderen zuwenden. Er ging in den Garten, um zu kontrollieren, ob die Arbeit der Nacht dem Tageslicht standhalten konnte. Das, was wirklich vorgefallen war, verdrängte er, so als ob es ihn nicht beträfe, sondern einen anderen, mit dem Karl nichts zu tun hatte.

    Einen idealeren Platz, als dieses Haus neben dem Friedhof, hätte er nicht finden können.

    Etwa vor einem Jahr hatte Karl begonnen, ein Haus in ruhiger, möglichst einsamer Lage zu suchen, nicht zu groß, nicht zu teuer, denn seine Mittel waren knapp bemessen. Viele Häuser hatte er besichtigt und sich aber nie entscheiden können, weil immer irgendwas nicht gepasst hatte. Durch einen Zufall hatte er dann dieses Haus in Rodaun entdeckt.

    Am Weg von seinem Büro zur damaligen Wohnung in Kaltenleutgeben war die übliche Route, die er täglich benützte, wegen eines Einsatzes der Feuerwehr gesperrt gewesen. Karl vertraute seinem Orientierungssinn und nahm einen Schleichweg. Ein Navi hatte er nicht und würde sich auch keines anschaffen. Mit Freude erinnerte er sich des Rüffels, den ein jüngerer Kollege vom Chef der Kanzlei einstecken musste, weil er sich zu einem besonders wichtigen Termin verspätet hatte, statt in Kirchberg am Walde war der Kollege in Traismauer gelandet, weil sein Navi die neue Donaubrücke bei Tulln noch nicht gespeichert hatte. Landkarten und Hinweisschilder lesen war offensichtlich nicht die Stärke der jüngeren Generation, die blind dem Computer vertraute, ohne das eigene Hirn einzuschalten.

    Karl war damals in eine der stillen Nebengassen Rodauns ausgewichen und hätte fast ein simples Schild an einem Gartentor übersehen. Ohne zu überlegen hatte er sein Auto angehalten und war ausgestiegen.

    Eine hohe Hecke wild wachsender Thujen, hinter dem rostigen Gitterzaun, der einmal dunkelgrün gestrichen gewesen war, bildete die Front zur Gasse. Dort, wo das Schild angehängt war, befand sich ein schmales Einfahrtstor, davor stehend konnte Karl einen Blick auf das zum Verkauf angebotene Haus werfen. Es war ein unscheinbarer Bau, ein Einfamilienhaus mit einem flachen Anbau. Es erinnerte an die Siedlungshäuser der Zwischenkriegszeit, so quasi – Vorbau, Zimmer, Zimmer, steiles Giebeldach. Der Anbau war vielleicht nach dem Krieg errichtet worden, um mehr Wohnraum zu schaffen.

    Neugierig war Karl entlang der Straßenfront hin- und hergegangen. Das Haus mit der winzigen Garage stand in der äußersten Ecke des Grundstückes, alles andere war ein riesiger Garten mit zahlreichen Bäumen und Büschen. Karl konnte das von außen erkennen, wo ihm einige Stellen in der Hecke einen Durchblick gewährten. Auf dem rechts angrenzenden Grundstück stand ein Haus ähnlicher Bauart, das unbewohnt wirkte. An der linken Grenze war ein weiteres großes Areal und durch den dünnen Bewuchs am Zaun war ein altes Holzhäuschen zu sehen, also kein Platz, der das ganze Jahr über bewohnt war.

    So wenig Nachbarschaft hatte sich Karl immer gewünscht!

    Er war zurück zum Tor gegangen und hatte alles noch einmal in Augenschein genommen, lang und gründlich, verschiedenen Blickwinkel suchend, und je mehr er gesehen hatte, desto besser hatte ihm alles gefallen. Das Haus war unscheinbar, grau, düster, das hatte Karl aber nicht abgestoßen, im Gegenteil, dieses Haus war genau das, was er so lange gesucht hatte. Stille und Einsamkeit, aber genau das würde er nicht finden können, wenn er hier an diesem Platz nicht allein lebte.

    Jetzt, an diesem ersten frühlingshaften Tag im März, stand Karl unter dem großen Nussbaum in der Mitte des Gartens und dachte zurück an jenen Tag im Februar, als er das Haus und den Garten zum ersten Mal gesehen hatte. Es war ihm, als hätte das Haus auf ihn gewartet, als hätte alles so ablaufen sollen, wie es sich ereignet hatte.

    Der Kauf war einfach abzuwickeln gewesen. Karl hatte alle seine Reserven flüssig gemacht und für den Großteil des Kaufpreises einen Bausparvertrag abgeschlossen, mit seinem guten Gehalt als Bilanzbuchhalter kein Problem bei der Bank.

    Um drei Uhr läuteten die Glocken einer nahen Kirche, danach herrschte wieder die Stille, wie er sie immer gesucht hatte. Das alte Haus mit dem großen Garten rundherum schützte ihn vor dem, was von außen eindringen mochte, vor den belästigenden Absonderungen minderwertiger Existenzen, die nicht wichtiger als Ameisen sein konnten. Karl holte aus der Garage einen Liegestuhl, so ein richtiges altes Modell, ein Holzrahmen, mit gestreiftem Stoff bespannt, und ließ sich im Garten nieder, obwohl es dafür noch zu kühl war.

    Von seinem Platz aus konnte er jene Stelle in der Wiese sehen, wo die Sträucher eine kleine Lichtung bildeten, und darin das längliche Beet mit der frischen schwarzen Erde, so wie er es in der vergangenen Nacht zurückgelassen hatte. Aber das machte ihn nicht unruhig, alles schien so weit weg, als hätte es sich vor vielen Jahren ereignet und mit ihm nichts zu tun. Seltsam, dass gerade ein Friedhof, mit einer alten Steinmauer, den Garten nach hinten abgrenzte. Alles passte zusammen, als hätte es jemand anderer für ihn entschieden. Das Haus bestimmte, was zu geschehen habe. Noch müde vom Vortag nickte er ein.

    Als er erwachte, fröstelte ihn. Der Garten lag im Dunkeln und die Sonne war längst untergegangen. Eigentlich wollte er rasch ins Haus, aber etwas zwang ihn, zu dem Fleck Erde zu gehen, der noch so frisch dalag, als hätte eben ein emsiger Gärtner seine Arbeit beendet. Hier würde nichts wachsen, nichts Geplantes, mit Absicht Gesätes. Die Natur würde Sorge tragen, der Wind würde Samen herbeischaffen, Gras und Unkraut würde wachsen, und spätestens im Sommer würde die Fläche kaum von einer anderen im Garten zu unterscheiden sein. Als sei er erst jetzt wirklich wach geworden, überfiel ihn ein Unbehagen, die Bilder des Abends drehten sich in seinem Kopf, es war, als würde er erst beim Anblick dieses Grabes sich bewusst werden, dass er gestern eine Handlung gesetzt hatte, die einen Trennstich zwischen seinem bisherigen und seinem weiteren Leben bedeutete.

    Karl ging ins Haus und öffnete eine Flasche Bordeaux, die er zu einem Betrag erstanden hatte, den er in seinem bisherigen Leben für Wein noch nie ausgegeben hatte. Vergessen würde ihm für alle Zukunft unmöglich sein, auch wenn er zwei oder drei Flaschen Wein trinken würde, ein kurzes Auslöschen für einige Stunden, aber je mehr er tränke, desto unerbittlicher würde die Erinnerung nach Abflauen der Betäubung zurückkehren.

    Den Montag in der Firma brachte Karl nur mit großer Mühe hinter sich. Es fehlte ihm die Konzentration auf die Arbeit, er musste sich zwingen, einige Routinearbeiten zu erledigen. Seine Kollegin, mit der er das Zimmer teilte, hatte den Montag freigenommen, was Karl sehr gelegen kam. Zum ehest möglichen Zeitpunkt verließ er das Büro, was dank der in der Kanzlei geltenden Gleitzeitvereinbarung möglich war und wofür Karl, als leitender Angestellter, auch keiner besonderen Genehmigung bedurfte.

    Kaum zu Hause angekommen, ging er in den Garten. Karl musste das Beet besichtigen, es war ein Grab und so sah es auch aus. Karl schien es, als hätte sich der Hügel sogar noch ein wenig gewölbt, vielleicht würde er das alles noch einmal ändern müssen. Mit diesem Gedanken kehrte er ins Haus zurück und sichtete den Stapel an Prospekten von Möbelhäusern und Supermärkten. Dazwischen fand er auch einen Brief des Bürgermeisters, der Karl und Ehefrau als neue Bürger der Stadt Wien sehr herzlich begrüßte. Karl musste lachen. Im Datennetz der Stadt lebte eine Frau Eva Stadler noch, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht mehr gut roch. Karl ging in die Küche, füllte ein Glas Rotwein und leerte es in einem Zug. Karl horchte, aber es erklang kein ´trinkst du schon wieder´ - alles blieb ruhig, nur der Wind fuhr durch die Bäume im Garten.

    Karl ging hinaus auf die Straße. Er spazierte an dem Zaun entlang, aber an keiner Stelle konnte er durch die Hecke das Grab sehen, er hatte das so gut gewählt, dass es in jeder Richtung von Büschen, niedrigstämmigen Obstbäumen und allerlei wildwachsenden Pflanzen, die er nicht kannte, verdeckt war.

    Zurück im Garten stand er lange vor dem Fleck Erde, er konnte keine Reue aufbringen, weil er auch keine Schuld empfinden konnte, das Vergessen war eine andere Sache. Der Wind wurde kühler, Karl fröstelte und ging zurück ins Haus, um sein neues Leben zu ordnen. Den Brief des Bürgermeisters und die gesamte übrige Werbepost warf er in den Abfallkübel. Von ihm aus sollte sie weiterleben in den Akten, nur belästigen sollte sie ihn nie mehr. Eigentlich trug ja nur sie allein Schuld an der ganzen Affäre. Wäre sie nicht so unsagbar blöd gewesen, hätte sie ja alles vermeiden können. Dieser Gedanke festigte sich in ihm, er konnte das abschließen und sich den neuen Herausforderungen eines allein stehenden Mannes widmen. Da sah er genug Probleme auf sich zukommen, aber die würde er auch ohne Frau meistern können.

    Der nächste Tag kam strahlend daher, voller Frühlingsduft und Sonne. Karl begann seinen Tag wie immer, aber es war ein mechanischer Ablauf, irgendwie war es ihm, als stünde er neben sich selbst. Auf einmal hatte sich alles verändert. Früher waren Arbeit, das Büro, sein Kontakt mit Kollegen und Klienten, so wichtig gewesen. Jeder neue Tag in der Firma bedeutete Erfüllung und Bestätigung, Anerkennung, die er zu Hause nicht bekommen konnte. Das Leben im Büro war sein wahres Leben, wo er Karl Stadler jene Position einnahm, die ihm im Privaten verweigert wurde. Und die Fahrt zum Arbeitsplatz war oft ähnlich einer Flucht gewesen, gegen die seine Frau nichts hatte einwenden können.

    Pünktlich um 9 Uhr saß Karl an seinem Arbeitsplatz in der Wirtschaftstreuhänder- und Steuerberatungskanzlei L&B&Partners im 9.Bezirk, die zu den führenden Unternehmen in Wien zählte.

    Seine Kollegin, ihm nicht ganz gleichrangig und erst seit vier Jahren in der Firma, war heute da, sie beide teilten sich ein Büro, getrennt von den Angestellten im wesentlich größeren Nachbarraum, wo sechs Damen mit den Buchungen für die Klienten der Kanzlei beschäftigt waren.

    „Guten Morgen, Karl", Stefanie Hruska schwirrte herein wie jeden Morgen, und sofort verbreitete sich der Duft ihres Parfüms im Raum, sehr exotisch, eigentlich für den Arbeitsmorgen in einer Steuerberatungsfirma zu aufdringlich.

    „Guten Morgen, Steffi, alles okay?"

    „Ja, ja, wie war dein Wochenende?"

    Eine Standardfrage zwischen ihnen, die Karl mit den üblichen Floskeln abwehrte, weil er an sein Wochenende nicht erinnert werden wollte.

    Früher einmal war Steffi ein Ziel seiner Begierde gewesen, obwohl sie im Hinblick auf Karls unterdurchschnittliche Größe von 1,65 nicht zusammenpassten, denn Steffi überragte ihn um mindestens 10 Zentimeter. Dabei war sie nicht dick, nicht einmal mollig, sie hatte lange, schlanke Beine und einen fantastischen Busen, der Karl schon einige unruhige Momente bereitet hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, wo er versucht hatte, mit ihr eine Affäre anzufangen. Karl war zwar nicht groß, aber mit seinem markanten Gesicht und seinem männlichen Auftreten hatte er viele Chancen beim weiblichen Geschlecht, die er manchmal verschmäht, gelegentlich aber auch genützt hatte. Oft verschmäht, was ihm leicht in den Schoß gefallen wäre – buchstäblich. Einfach, weil es zu simpel und langweilig gewesen wäre, ein kurzer Akt der Befriedigung, darauf folgend eine lange und womöglich mühsame Anstrengung der Abwehr, das Ganze nicht wert einer momentanen Aufregung. Bei Steffi hatte er nicht landen können und nachdem Karl die Vergeblichkeit seiner Bemühungen verarbeitet hatte, war aus der anfangs etwas schwierigen Situation ein durchaus angenehmes Arbeitsverhältnis entstanden. Karl war manchmal sogar zu einer Art Seelentröster für Steffi geworden. Der gemeinsame Arbeitsplatz brachte es mit sich, dass Karl die Beziehungskrisen seiner Kollegin mitverfolgen musste und ihr manchmal auch Rat spenden durfte. Eine kleine Genugtuung blieb ihm, Steffi war nicht fähig, eine dauerhafte Verbindung zu einem Mann einzugehen, immer geriet sie an Männer, von denen sie in den ersten Wochen mit Begeisterung erzählte, um einige Zeit später abfällige Äußerungen von sich zu geben, wenn Karl sie ein wenig ausfragte. Allmählich machte ihm der Ablauf Spaß, besonders wenn Steffi während der Bürozeit ein ´End-Telefonat´ – so nannte Karl das bei sich – führte, und es schien, als müsse er sie davor bewahren, sich aus dem Fenster im zweiten Stock auf die Straße zu stürzen. So schlimm kam es dann doch nicht. Diese Episoden übertrugen Karl eine gewisse Überlegenheit, denn er war sicher, dass diese nach außen hin so attraktive Frau einen oder mehrere Mängel haben musste, die sie so beziehungsunfähig machte. Und damit konnte er sie so kategorisieren, wie er alle Frauen in ein Schema presste, sich auf diese Weise eine Überlegenheit beschaffend, die allerdings nicht wirklich vorhanden war.

    Karl beschäftigte sich mit dem File, dem er in den letzten Wochen die meiste Zeit des Arbeitstages widmen hatte müssen. Es drehte sich um die Bilanz einer Immobilienfirma, die sowohl als Bauträger als auch als Makler tätig war. Die Firma hatte auch Tochtergesellschaften und ausländische Beteiligungen, alles in allem eine kompliziertes Geflecht, nicht einfach zu durchschauen, aber das war ja wohl die Absicht hinter der Konstruktion. Je genauer sich Karl in die Materie eingelesen hatte, desto mehr Unklarheiten hatte er entdeckt. Darüber hatte er auch schon Dr. Josipvic, dem Seniorchef der Kanzlei, berichtet. Der aller dings hatte das als in der Baubranche usuelle Geschäftsfälle abgetan und hatte den Rat seines erfahrensten Bilanzbuchhalters, die Mandantschaft für dieses Unternehmen abzulehnen, entrüstet zurückgewiesen. Die Firma brauchte Geld, die Konkurrenz war groß, die Kanzlei würde die Bilanz erstellen und sich ansonsten die Hände in Unschuld waschen. Also ging Karl weiter seiner Arbeit nach, wenn auch ohne jede Sympathie für diesen Klienten, in seinen Augen ein Unternehmen, um das man einen Bogen machen sollte.

    Gegen Mittag rief ihn die Chefsekretärin an und bat ihn zu einer Besprechung zu Dr. Josipvic. Karl war überrascht, vielleicht war es jetzt soweit an einen weiteren Schritt auf der Karriereleiter zu denken, hatte doch der Chef bei der Weihnachtsfeier so Andeutungen ge- macht. Allerdings – Stellen in der Hierarchie gab es keine mehr, eventuell die Verantwortung über eine weitere Gruppe, was aber auf alle Fälle ein deutliches Plus am Gehaltszettel ausmachen würde.

    Also positiv gestimmt beeilte er sich zum Chefbüro im

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