Tom, Martina und Herr Parkinson
Von Leon Vahle Smith
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Buchvorschau
Tom, Martina und Herr Parkinson - Leon Vahle Smith
Verleger: K.U. Grosch
Copyright 2018: K.U. Grosch
Schützenstr. 4
59329 Wadersloh
Tel.:02523 9080971
kaiuwegrosch@gmail.com
Cover: K.U.Grosch
TOM
Sechs Uhr, es war wie jeden Morgen. Das Handy dudelte seine Melodie und Tom wurde wach. Müde hantierte er mit einem Glas Parkinsontabletten. Nachdem er sie eingenommen hatte, blieb er noch ein Weilchen liegen, um die Wirkung abzuwarten. Dann stand er auf und schlurfte ins Bad. Er verrichtete seine Morgenhygiene und ging in die Küche wo er die, am Tage vorher befüllte, Kaffeemaschine einschaltete. Er setzte sich an den runden Esstisch und versuchte, seiner Gedanken Herr zu werden. Das gelang ihm meistens erst nach der zweiten Tasse Kaffee. Er griff nach einer Schachtel Cigarrillos und steckte sich eine an. So langsam fing seine Maschine an zu laufen. Er holte sich den Kaffee und trank ihn genüßlich. Dann kam das erste Frühstück, eine Banane. Die war erforderlich, damit er etwas im Magen hatte, denn weitere Medikamente warteten auf ihre Einnahme. Nachdem er auch diesen Tagesordnungspunkt verrichtet hatte, zog er sich an. Er war kaum damit fertig, da schloss jemand seine Wohnungstür auf. Es war der ambulante Pflegedienst, der, die Einahme seiner Tabletten, kontrollierte.
>>Guten Morgen !<< schallte es durch seinen kleinen Flur.
>>Guten Morgen !<< erwiderte Tom.
Freundlich lächelnd betrat Schwester Monika seine
Wohnküche.
>>Na, Tabletten schon genommen?<< fragte sie.
>>Selbstverständlich<<, sagte Tom und zeigte ihr den Dispenser. Zufrieden trug Schwester Monika ihren Besuch in die Liste ein. Dann schaute sie ihn fragend an.
>>Sonst alles in Ordnung?<< kam ihre Frage.
>>Leichte Schmerzen in der linken Hüfte, aber sonst alles okay!<< sagte Tom.
Nachdem die Schwester diese Aussage in der Mappe vermerkt hatte, stand sie auf und ging Richtung Wohnungstür.
>>Dann bis Morgen!<< sagte sie.
>>Ja, bis Morgen! Angenehmen Tag!<<
Tom saß, nachdem die Pflegerin die Wohnung verlassen hatte, immer noch an seinem Esstisch. Er dachte darüber nach, wie er diesen Tag verbringen könnte. Viele Kontakte hatte er nicht mehr, was wohl seiner Erkrankung geschuldet war. Es war Dezember, Vorweihnachtszeit. Nicht die beste für eine kranken, einsamen Mann. Tom jedoch, stand ihr relativ positiv gegenüber. Er hatte aus der Vergangenheit gelernt. Sich zu grämen nützt ja bekanntermaßen nichts und so meisterte er diese Zeit mit viel Humor und, wenn es nötig war, mit positivem Denken.
Nachdem die Morgenprozedur abgeschlossen war, beschloss er, mit dem Bus nach Engstadt zu fahren, dem nächst größeren Ort. Seine Schwester Amelie lebte dort mit ihrer Familie. Aber deswegen fuhr er nicht dorthin. In der Stadt war einfach mehr los und die Infrastruktur war besser als in dem kleinen Dorf, in dem er lebte.
Er zog sich also seine Jacke an und ging zur Bushaltestelle. Es schneite heftig. Er zog seinen Kragen hoch. Zehn Minuten später kam der Bus. Er stieg ein und suchte sich einen Platz. Dann ging es los, Richtung Engstadt. Der Bus fuhr langsam. Die Fahrbahn war glatt. Eine halbe Stunde später, erreichten sie die City. Tom stieg aus und lief Richtung Fußgängerzone zu seinem Stammcafe. Dort angekommen, bestellte er sich einen Kaffee und zwei Croissants, wie jedes mal. Der Laden war voll, die Menschen suchten Zuflucht vor den Schneemassen, die vom Himmel fielen. Der Kirchturm gegenüber spielte, mit seinen Glocken, Jingle Bells. Nachdem sich Tom seinem Gebäck gewidmet hatte verließ er das Cafe und spazierte durch die Innenstadt zu einem Second-Hand-Laden. Der Wind pfiff kalt und trieb ihm die Schneeflocken ins Gesicht.
Tom sammelte Drucke bekannter Künstler. Er hoffte auch heute wieder, eins in dem Geschäft zu finden. Während er durch die Stadt ging, hielt er Ausschau nach bekannten Gesichtern. Doch er traf niemanden. Ihn beschlich dann jedesmal ein Gefühl der Enttäuschung. Die Wahrscheinlichkeit war jedoch auch nicht sehr groß. Im Gegensatz zu ihm, mussten die Leute ja arbeiten. Ein paar mal hatte er seine Schwester getroffen und mit ihr einen Kaffee getrunken. Wenigstens dieser Kontakt bestand noch, worüber er sehr froh war. Auch zu seinen Eltern hatte er noch einen guten Draht. Sie halfen ihm, wo sie konnten.
Heute traf er niemanden Schließlich erreichte er den Gebrauchtwarenshop. Er stöberte in einer großen Kiste, in der Bilder einsortiert waren. Er fand einen Druck, aus den siebziger Jahren, von Van Gogh und ging damit zur Kasse. Etwas mürrisch legte ihm die Verkäuferin das Wechselgeld auf den Tresen. Dann machte er sich wieder zurück in das Schneetreiben. Schräg gegenüber war ein Grieche. Hier konnte man, relativ günstig, zu Mittag essen. Tom war Rentner und das schon seit Jahren. Gearbeitet hatte er nur bis zu seinem vierunddreißigsten Lebensjahr. Seine finanziellen Mittel waren also begrenzt. Er betrat das Lokal und bestellte sich Gyros Pommes Mayo. Ein bis zwei mal im Monat, konnte er sich das leisten. Er aß mit Genuss und dachte darüber nach, ob er noch ins Obdachlosencafe gehen sollte. Obdachlos war er zwar nicht, aber dort trafen sich auch Leute, die eine Wohnung hatten. Er ging also zu dem Cafe, welches etwas weiter die Strasse herunter lag.
>>Hallo Tom! Na wie geht’s?<< grüßte ihn Susanna, eine Frau, die er während eines Heimaufenthaltes kennengelernt hatte und mit der er befreundet war.
>>Hallo Susanna! Och, eigentlich ganz gut!<<
Sie sprachen noch eine Weile über zurückliegende Ereignisse in dem Heim, dann machte sich Tom wieder auf den Weg. Er ging zur Bushaltestelle, nachdem er sich von Susanna verabschiedet hatte und nahm den Bus nach Brensberg, seinem jetzigen Wohnort. Als der Bus dort ankam, stieg Tom aus und ging die paar Meter zu dem Haus in dem er lebte. Der Schnee hatte etwas nachgelassen. Er stieg die Treppen hinauf, schloss die Wohnungstür auf und betrat seine eineinhalb Zimmer Wohnung. Wohnküche, Schlafzimmer und Bad, renovierter Altbau. Er ging in die Küche, nachdem er sich seiner Jacke entledigt hatte und setzte sich an den Esstisch. Hatte eigentlich ganz gut geklappt der Ausflug. Keine Schwächeanfälle, wie sonst manchmal.
Tom konnte trotz seines Parkinsons, verhältnissmäßig gut laufen und sich bewegen. Jedenfalls, solange er pünktlich seine Doparmintabletten nahm. Es kam hin und wieder vor, dass er den richtigen Zeitpunkt verpasste. Dann geriet er sofort aus dem Tritt und es dauerte eine Weile, bis das er seine Balance wieder hatte. Auch kamen manchmal, trotz pünktlicher Einnahme, sogenannte Off-Phasen. Phasen, in denen er sich schwach fühlte und nicht richtig laufen konnte. Bei seinem heutigen Ausflug blieb er allerdings davon verschont.
Tom war, im Allgemeinen, ganz zufrieden. Er hatte vierzehn Jahre ohne die richtige Diagnose, somit ohne die richtigen Medikamente überleben müssen. Er hatte im Rollstuhl gesessen und war ein Pflegefall. Der Tag der Parkinsondiagnose, war wie ein zweiter Geburtstag für ihn, obwohl man da natürlich, normalerweise nicht scharf drauf ist. In seinem Fall lagen die Dinge aber etwas anders.
Tom grübelte darüber nach, wie er den Rest des Tages verbringen sollte. Es war nicht so einfach, den Tag immer sinnvoll zu gestalten, falls man das überhaupt muss. Er jedenfalls hatte den Anspruch an sich. Ein wenig Struktur konnte schließlich nicht schaden. Zum Glück gab es ja das Internet, da konnte er eine Menge Zeit verbringen. Zunächst mal checkte er seine E-mails. Nichts besonderes da. Dann zog er sich nochmal seine Jacke an und ging einkaufen. Der Supermarkt war um die Ecke. Milch, Käse Eier, das abendliche Bier, ein paar Koteletts, Brot und Nuss- Nougat-Creme wanderten in seinen Einkaufswagen. Dann machte er sich auf den Rückweg. Eine leichte Off-Phase schlich sich an und er begann zu humpeln. Das sah dann immer aus, als wäre er betrunken. Anfangs hatte er sich Sorgen um die Blicke der Leute gemacht, aber mittlerweile hatte er sich, an sein fluktuierendes Gangbild gewöhnt. Was sollte er auch machen? Schließlich erreichte er wieder seine Wohnung. Er zog die Jacke aus und räumte die Lebensmittel an seinen Platz. Tom war immer darauf bedacht, Ordnung zu halten. Im Chaos fand er sich nicht zurecht. Er schaute auf die Uhr. 15.30 Uhr. Der Tag wollte einfach nicht zu Ende gehen. Achso, das Bild, dachte er. Er holte Hammer und Nagel hervor und hängte den Druck, den er morgens gekauft hatte, ins Schlafzimmer. Seine Wohnung war mittlerweile die reinste Galerie. Von Kandinsky über Van Gogh bis hin zu Paul Klee hingen die Bilder an seinen Wänden. Und auch eines von ihm selbst. Bis vor einiger Zeit hatte er gemalt. Dann war es verloren gegangen. Seine Feinmotorik wurde, durch den Parkinson, immer mehr eingeschränkt. Früher, das heißt, vor ein bis eineinhalb Jahren, hatte er viel Zeit mit der Kunst verbracht. Nun beschränkte er sich darauf, Drucke von bekannten Künstlern zu sammeln.
Tom schaute wieder auf die Uhr. 15.45 Uhr. Herrje, die Zeit wollte einfach nicht herum gehen. Er schaltete das Radio an, setzte sich wieder an den Esstisch und griff zu seinen Cigarillos. Gedankenlos blies er den Rauch aus seinen Lungen. Er musste irgendeine Beschäftigung finden, aber was? Plötzlich schellte es an seiner Tür. Die Nachbarin brachte ihm Essen. Das machte sie manchmal, wenn sie zuviel gekocht hatte.
>>Vielen Dank<<, sagte Tom.
>>Möchtest du einen Kaffee trinken?<<
>>Och nee, im Moment nicht<<, sagte Ramona und ging die Treppe hinunter zu ihrer Wohnung, die unter Toms lag. Tom stellte das Essen in den Kühlschrank und widmete sich wieder seinem Cigarillo. Mittlerweile war es 16.30 Uhr. Zeit für Medikamente. Tom schluckte sie und schaltete das Radio aus. Dann fuhr er seinen PC hoch und öffnete eine Musikwebseite. Er wählte einen Channel mit Dancehits aus den 90ern. Die hielten bei Laune und er konnte sich im Rhythmus der Musik ein wenig bewegen. Es war nicht einfach, der Langeweile zu entkommen, aber mittlerweile hatte er Übung darin. Plötzlich schloss jemand die Wohnungstür auf. Es war der Pflegedienst, in Person von Robert, der, mit einem Grinsen im Gesicht, die Wohnung betrat.
>>Na, alles in Ordnung?<< fragte er.
>>Tabletten genommen?<<
>>Sowohl als auch!<< antwortete Tom. Robert trug es gewissenhaft in die Mappe ein. Sie wechselten noch ein paar Worte, dann machte sich der Pfleger wieder auf den Weg. Tom genoss diese Momente eines sozialen Kontaktes, wenn sie auch nur sehr kurz waren. Als Robert weg war, ging er zum Kühlschrank und holte sich sein abendliches Bier, das wie ein Schlaftrunk wirkte. Er trank es genüsslich. Dabei hörte er noch bis 19.30 Uhr Musik, dann musste er ins Bett. Sein Tablettenzyklus gab nicht mehr her. Für die Nacht wurde der Doparminspiegel herunter gefahren. Er konnte dann nicht mehr laufen. Eine Tatsache, die ihm schwer gegen den Strich ging, aber nicht zu ändern war. So, da hätten wir wieder einen Tag herum bekommen, dachte er, nachdem er sich hingelegt hatte. Das Bier hatte ihn müde gemacht. Er schlief sofort ein.
MARTINA
Am nächsten Morgen, ging die tägliche Prozedur von vorne los. Die Abläufe waren fast immer gleich. Nach dem Frühstück und dem Besuch des Pflegedienstes, machte er sich wieder auf den Weg nach Engstadt. Er benötigte ein paar warme Pullover und wollte in einem Second-Hand-Laden danach schauen. Der Bus war voll. Ein paar ältere Damen kämpften um die wenigen freien Rollator-Plätze. Schließlich saßen alle und der Wagen setzte sich in Bewegung. In Engstadt angekommen, stieg er aus und steuerte wieder sein Stammcafe an. Als er so bei seinem Kaffee saß und aus Fenster schaute, sah er plötzlich seine Schwester vorbei laufen. Er ging zur Tür und winkte sie hinein. Sie kam und setzte sich zu ihm.
>>Habe nur wenig Zeit, aber für einen Kaffee reicht es<<, sagte sie.
>>Ah so<<, antwortete Tom.
>>Alles gut bei dir?<<
>>Wie man es nimmt! An sich ja, aber ich brauche dringend eine Beschäftigung!<<
Amelie nickte.
>>Und bei Euch?<<
>>Alles gut!<<
Amelie war nie sehr gesprächig, eine Unterhaltung mit ihr zu führen, fiel Tom nicht leicht. Allerdings lebten sie auch in verschiedenen Welten. Amelies Mann war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Finanziell ging es der Familie sehr gut. Tom konnte das von sich nicht behaupten. Aber er war ja auch krank und konnte daher nicht so wie er wollte. Dieser soziale Unterschied wirkte in das Verhältniss zu seiner Schwester hinein. Das machte ihn manchmal traurig.
>>Muss dann weiter<<, sagte Amelie nach einer Weile, >>ich habe noch viel zu tun.<<
Tom nickte.
>>Alles gut<<, sagte er, >>ich gehe noch ein wenig durch die Stadt, wenn ich meinen Kaffee getrunken habe.<<
Amelie verließ das Cafe. Jedesmal dasselbe, dachte Tom, aber im Grunde war es ihm egal. Er kannte es ja schon. Früher einmal war der Kontakt intensiver. Aber nachdem er erkrankt war, hatte sich alles verändert.
Also weiter, dachte er und verließ ebenfalls das Cafe. Er lief die lange Fußgängerzone hinab. Am Rathaus bog er links ab und setzte sich auf eine Bank. Er steckte sich ein Cigarillo an und schaute umher. Doch er konnte niemanden, den er kannte, entdecken. Naja, soviele gab es davon in Engstadt ja auch nicht. Nach einer Weile stutzte er. Die Frau da hinten, die bei den Obdachlosen saß, kam ihm irgendwie bekannt vor. Das ist doch Martina, dachte er. Aber wie sollte die... ?
Martina war eine Bekannte von früher, mit der eine Zeit lang befreundet war. Das war allerdings nicht in Engstadt, sondern 70 km weit weg, in Brockheim, seiner Heimatstadt. Und es war schon mindestenstens 25 Jahre her.
Er beobachtete sie eine Weile, dann war er sich sicher, dass es wirklich Martina war. Er zögerte noch ein wenig, doch schließlich ging er zu der Gruppe hin.
>>Martina?<< fragte er beherzt.
Eine Frau drehte sich um.
>>Tom! Tom, bist du das?<< fragte sie überrascht.
>>Was machst