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Vollbremsung
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eBook205 Seiten2 Stunden

Vollbremsung

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Über dieses E-Book

Als Michael Hallstatt erwacht weiß er nicht, was mit ihm los ist. Er liegt unbeweglich im Bett, die Augen geschlossen, unfähig jeglicher körperlichen Regung, aber im Gegensatz zu seinem körperlichen Defekt ist sein Kopf hellwach. Nach und nach besuchen ihn die Ehefrau und die anderen Familienmitglieder, erzählen Dinge, die sie sich nie getraut haben ihm direkt zu sagen - zwingen ihn zu einer für ihn schmerzhaften Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit.
Hinzu kommt ein Dialog mit einer inneren Stimme, die sich teilweise vehement, zynisch, aber durchaus auch humor- und liebevoll zu Wort meldet. Dadurch bekommt der Leser das Bild eines Menschen, der eher abstößt, als dass sich der Leser mit ihm anfreunden oder gar identifizieren kann. Mit dem Handlungsfortschritt kommt auch zunehmend Hallstatts gedankliche und emotionale Beschäftigung mit einer möglichen Zukunft zur Sprache. Was bleibt, wenn das Leben eine solche Vollbremsung erfährt? Wie wird seine Zukunft aussehen?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Nov. 2016
ISBN9783738092875
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    Buchvorschau

    Vollbremsung - Heike Heth

    1.

    Der runde, leere Raum erstrahlte in einem makellosen Weiß, wie eine großflächig geschlossene Schneedecke, auf welche die Sonne schien. Ohne die bunten Türen, die von den Wänden abstachen wie farbige Kleckse auf einer hellen Leinwand, hätte Michael eine Sonnenbrille gebraucht, um nicht geblendet zu werden. Die Türen reihten sich im gleichen Abstand voneinander an der Wand entlang, jede mit einem anderen Farbton versehen und halb geöffnet. Michael fühlte sich verwirrt und unsicher, die offenen Türen lösten bei ihm, trotz der freundlichen Farben, Angst aus. Ein heftiger Impuls, sie zu schließen, ergriff ihn, so dass er zielstrebig auf die erste zuging, die Klinke in die Hand nahm und sie hastig zuschlug. PENG! Es hallte dröhnend durch den hohen Raum. Erschrocken zuckte er zusammen, der Knall echote in seinen Ohren und hinterließ ein Gefühl von Endgültigkeit. Mit klopfendem Herzen fing er an, die restlichen Türen der Reihe nach zuzuschlagen. Wie bei rasch aufeinanderfolgendem Donnergrollen jagte ein Schlag den nächsten, sie peitschten ihn voran, verfolgten ihn. Atemlos und erschöpft verharrte er am Ende in der Mitte des Zimmers. Er fühlte sich unwohl und spürte einen Druck auf dem Brustkorb.

    Sein Blick schweifte über den Boden, wobei er bemerkte, dass er innerhalb einer schwarzen, viereckigen Umrandung stand. In diesem Moment klappte das Viereck einer Falltür gleich nach unten weg. Vor Schreck stockte ihm der Atem, kurz schien er in der Luft zu schweben, bevor er scheinbar endlos in die Tiefe fiel, bis er heftig aufschlug. Während die Dunkelheit ihn bereits einhüllte, wunderte er sich noch, warum er keinerlei Schmerzen verspürte.

    Michael träumte - er, der nie träumte. Er bewegte sich im Bereich des Unbewussten, einer Region, deren Existenz er verleugnete. Sein Verstand kontrollierte normalerweise seine Wahrnehmung. Er sorgte zuverlässig dafür, dass etwaige Traumerlebnisse nicht in das Bewusstsein vordrangen oder Spuren im Gedächtnis hinterließen.

    Ein lautes Krachen ertönte und schreckte Michael aus seinem Dämmerzustand. Kurz blitzte eine Erinnerung auf. Er sah einen Mann in einem maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug. Dazu trug er ein in dezenten Blauschattierungen gehaltenes Hemd sowie eine Krawatte aus hellblauer Seide. Mit einem Mantel über dem Arm und einem Laptop in der Hand ging dieser auf einen schwarzen BMW zu und stieg ein. Die Autotür wurde heftig zugeworfen, und das Auto brauste so rasant davon, dass eine Staubwolke aufwirbelte.

    Dann verblassten die Bilder. Er fühlte sich wie in Watte gepackt und versuchte vergeblich, sich daraus zu befreien. Im nächsten Moment versank er in einen weiteren merkwürdigen Traum.

    Ein Mann mit fest aufeinandergepressten Lippen und gerunzelter Stirn starrte angestrengt mit vorgeneigtem Oberkörper auf den Bildschirm eines Computers. Er befand sich in einem Zimmer, das neben dem vom Bildschirm abgegebenen Licht von einer modernen Halogenschreibtischlampe erhellt wurde. Es war weder gemütlich noch einladend eingerichtet. Mit Ausnahme eines imposanten Schreibtischs ordnete sich die Ausstattung einer reinen Zweckmäßigkeit unter. Schlichte Aktenschränke für Unterlagen und Bücherregale, in denen sich ausschließlich Fachliteratur befand, standen an der Wand. Ein bequemer Sessel, Grünpflanzen, Bilder oder sonstiges schmückendes Beiwerk fehlten.

    Michael kam dieser Raum vertraut vor, aber bevor ihm einfiel, woher er ihn kannte, veränderte sich die Traumszene.

    Eine Frau betrat mit sachten Schritten das Arbeitszimmer.

    »Ich habe doch gesagt, dass ich nicht gestört werden will«, raunzte der Mann sie unwirsch an, ohne den Kopf vom Bildschirm abzuwenden.

    »Bist du noch nicht mit deiner Rede fertig?«, entgegnete sie nervös. »Es ist spät, und du musst morgen früh raus«.

    Sie wusste, dass ihm das Aufstehen nicht mehr so leicht fiel, und das ärgerte ihn. Er legte viel Wert darauf, in der Öffentlichkeit den Eindruck eines dynamischen Mittfünfzigers zu erwecken. »Das braucht dich nicht zu kümmern«, erwiderte er gereizt. Er schaute sie an. »Außerdem kann es dir egal sein, du kommst ja eh nicht mit«.

    »Von wegen nicht beleidigt! Warum willst du nicht zugeben, dass es dir was ausmacht«, konterte sie gereizt.

    »Und was nützt mir das? Wenn du glaubst, mich so zum Reden zu zwingen, hast du dich getäuscht. Jetzt halt mich nicht länger von meiner Arbeit ab.«

    Der Mann drehte den Kopf energisch zurück zum Bildschirm und signalisierte damit, dass die Unterhaltung für ihn beendet war. Sie ging mit Tränen in den Augen zur Tür und schloss diese mit einem scharfen Knall.

    Die Szene mit den klar gesprochenen Dialogen wirkte so realistisch, dass Michael daran zweifelte, dass er träumte. Sie hinterließ eine eigenartige Empfindung, da ihm die beiden Protagonisten bekannt vorkamen. Was war nur mit ihm los, dass er diese absurden Träume hatte?

    Gewöhnlich erwachte er vom Klingeln des Weckers, das ihn stets unmittelbar aus einem traumlosen Schlaf riss, kurz darauf saß er hellwach im Bett, bereit, den Tag zu beginnen. Und wieso waren ihm solche Fakten geläufig, während er gleichzeitig keine Ahnung hatte, wo er sich befand? Dann fiel ihm ein, dass er geschäftlich häufig in Länder mit anderen Zeitzonen reiste. Der Jetlag führte manchmal dazu, dass er beim Aufwachen desorientiert war und nicht immer gleich wusste, an welchem Ort er sich aufhielt.

    Bestimmt erwachte er gerade in einem fremden Land. Er musste nur die Augen öffnen, um das übliche Hotelzimmer gehobener Ausstattung zu sehen.

    Michael stutzte. Hatte er nicht bereits versucht, die Augen aufzuklappen? Weshalb war es ihm nicht gelungen? Er probierte es erneut. Vergeblich! Was hinderte ihn daran!? Warum funktionierte etwas so Selbstverständliches plötzlich nicht mehr? Ruhig bleiben! Er war jetzt sozusagen hellwach und konzentrierte sich auf das, was er in der Lage war, wahrzunehmen. Dabei stellte er fest, dass ein kräftiger gelb-roter Lichtschimmer durch seine Lider drang. Genauso leuchtete es, wenn einem die Sonne oder eine grelle Lampe direkt auf die geschlossenen Augen schien. Allerdings müsste er die Wärme dann ebenfalls spüren, was nicht der Fall war. Oder träumte er das auch? Aber er träumte doch nie!

    »Nie«, hallte es in diesem Moment sanft aus dem Hintergrund.

    Er hörte es, ganz deutlich. Wer sprach da? Spielten ihm seine Sinne einen Streich? Verwundert wollte er den Kopf schütteln und bemerkte, dass er wie bei den Augenlidern keine Bewegung feststellte. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn. Da stimmte etwas nicht, das war einfach nicht normal.

    »Normal?«

    Da, schon wieder! Es war definitiv nicht normal, Stimmen zu hören! Sein Schädel brummte, ihm schwindelte, er fühlte sich angeschlagen und müde. Er musste krank sein und hohes Fieber haben. Das wäre eine Erklärung für die wirren Träume und Eindrücke. Vielleicht war er deshalb auch zu schwach, um die Augen zu öffnen und seinen Kopf zu bewegen. Erleichtert gab er der Müdigkeit nach und schlief ein.

    Erneut zogen Traumszenen auf, ließen ihn kurz aufschrecken, jedoch ohne ihn in den Wachzustand zurückzukatapultieren.

    Er sieht einen Mann, der in eine Küche tritt. Dort nimmt er sich eine Tasse, füllt sie zur Hälfte mit Kaffee und gießt den Rest mit der auf dem Herd bereitgestellten warmen Milch auf. Eine Frau, vielleicht die Ehefrau des Mannes, begrüßt ihn beiläufig. Er erwidert den Gruß, sagt aber nichts anderes. Sie, bekleidet mit einem Morgenmantel, was dem Mann, dem Blick nach zu urteilen, offensichtlich nicht gefällt, sitzt am Esszimmertisch und trinkt ihren Morgenkaffee. Er setzt sich auf einen Hocker an der Küchentheke, die an das Esszimmer angrenzt.

    Abrupt wechselte die Szene.

    Der Mann befindet sich in einem festlich geschmückten, aber dennoch nüchternen Saal. Er sitzt in der ersten Reihe einer langen Folge von Stühlen, auf denen vornehmlich Herren in dunklen Anzügen und wenige Frauen, in nicht nur ausschließlich dunkelfarbigen Kostümen und Anzügen, sitzen. Jemand am Pult auf dem Podium hält eine Urkunde und bittet den Mann nach vorne. Das Publikum applaudiert.

    Dieser steht ohne Hast vom Stuhl auf und knöpft sich dabei mit der linken, frisch manikürten Hand das Jackett zu. Dann geht er mit forschen, gleichwohl langsamen Schritten, merklich darauf achtend, nicht den Oberkörper nach vorne zu neigen, zu dem Podium. Das gesamte Auftreten und die Gesten wirken akribisch einstudiert.

    Erneut veränderte sich schlagartig das Szenario. In rascher Folge sah er die Frau und den Mann in Situationen, in denen sie jedes Mal heftig stritten. Dabei hatte er den Eindruck, über ihnen zu schweben, abgeschirmt von einer unsichtbaren Hülle, während zornig klingende Gesprächsfetzen zu ihm hochdrangen:

    »... Immer steht deine Karriere an erster Stelle! Nie bist du zufrieden mit dem, was du erreicht hast. Ständig gibt es eine nächste Stufe, die es zu erklimmen gilt! Wann nimmst du dir endlich Zeit für die Menschen in deinem Leben? Man müsste dich festbinden, damit du einem zuhörst! ...«

    »...Wieso kannst du mir nicht kurz und bündig sagen, was Sache ist? Reden, reden, bla, bla, bla, jeder will heute permanent reden! Diese Besprechungsmanie geht mir gehörig auf die Nerven! ...«

    »... Ich möchte, dass du deine Pflicht erfüllst und morgen mit mir zu dieser Veranstaltung gehst! Was glaubst du, wie das wirkt, wenn ich da ohne meine Ehefrau erscheine? ...«

    Nach und nach tauchte Michael aus diesem unruhigen Schlaf auf. Er hatte das Gefühl, seinen Kopf aus einer zähen Masse herauszuziehen. Die Benommenheit wollte nicht weichen, und ständig drohte er, erneut in diesen Dämmerzustand hinabzugleiten. Die geträumten Szenen verfolgten ihn, blieben an ihm haften, und es erstaunte ihn, dass ein Traum solch klare Dialoge wiedergab. So seltsam vertraut kam ihm das Ganze vor, dass er fast glaubte, es selbst erlebt zu haben.

    Er wollte raus aus dieser nebulösen, nicht greifbaren Traumwelt. Er fühlte sich, als hätte man ihn mit verbundenen Augen gefesselt und geknebelt in unbekanntes Terrain ausgesetzt. Verzweifelt versuchte er, wie ein Ertrinkender, an der Oberfläche zu bleiben. Mit schierem Willen zwang er sich, die Benommenheit abzuschütteln. Er musste herausfinden, was mit ihm los war.

    »Ja, unbedingt!«

    Oh nein, jetzt hörte er wieder diese Stimme! Die Lage war auch so schwierig genug. Sicher war es nur ein Nachhall von den Träumen, beschwichtigte er sich.

    Sein Kopf fühlte sich zum Glück zunehmend klarer an, und er meinte, Geräusche um sich herum zu hören. Er konzentrierte sich darauf, und plötzlich nahm die Lautstärke zu, so als hätte jemand Watte aus seinen Ohren entfernt. Deutlich drang von der rechten Seite her ein rhythmisches Rauschen an sein Ohr. Bei genauerem Hinhören glich es eher einem gedämpften, unter einer Decke hervorkommenden Röcheln. Was verursachte dieses Geräusch? Er hatte keine Ahnung, in der Regel achtete er auf solche Dinge im Alltag nicht. Wie die meisten Menschen nahm er die Welt fast ausschließlich mit den Augen wahr. Absurderweise erinnerte es ihn an Darth Vader, den Bösewicht aus »Krieg der Sterne«, der beim Atmen durch eine Maske ein ähnlich klingendes Rauschen erzeugte. Es ärgerte ihn, dass ihm so etwas Banales einfiel.

    Mehr im Hintergrund, aber wesentlich nerviger hörte er einen gleichmäßig wiederkehrenden Piepston, wie ihn Müllautos von sich gaben, wenn sie rückwärtsfuhren. Lag er vielleicht zu Hause im Bett, war einer gerade grassierenden Grippe erlegen und wachte aus davon ausgelösten fiebrigen Träumen auf? Obwohl er sich nicht erinnern konnte, in den letzten vierzig Jahren je eine Erkältung gehabt oder geträumt zu haben. Zu diesen beiden Geräuschen gesellte sich ein Zischen und Stampfen, welches in ihm das Bild einer Maschine heraufbeschwor, die einen Mechanismus in Gang hielt.

    Inzwischen fühlte er sich hellwach, und die anfängliche Konfusion und Verwirrung waren verschwunden. Er war überzeugt davon, aus seiner Traumwelt aufgewacht zu sein, umso mehr irritierte es ihn, sie nicht einordnen zu können.

    »Außerdem träumst du ja nie!«

    Er erschrak! Kein Zweifel, die Stimme hallte deutlich hörbar durch seinen Kopf. Sie könnte genauso gut von einer Person sein, die neben ihm stand. Er glaubte sogar, einen höhnischen Unterton wahrzunehmen. Das konnte nur ein Fieberwahn sein!

    Michael überlegte, wann er ins Bett gegangen war und ob er sich zu dem Zeitpunkt krank gefühlt hatte. Nichts! Da existierte keine Erinnerung. Im Kurzzeitgedächtnis herrschte gähnende Leere. Wohingegen er genau wusste, dass er Michael Hallstatt hieß, dreiundfünfzig Jahre alt und verheiratet war sowie drei Kinder hatte. Letztendlich spulte er mühelos sein komplettes vergangenes Leben ab, bis auf die letzten Tage, die sich hartnäckig seinem Erinnerungsvermögen entzogen.

    Michael fielen Berichte von Menschen ein, die über Nacht einen Hirnschlag oder Schlaganfall im Bett erlitten. Hatte er sich mit seinen sechzig bis siebzig Arbeitsstunden pro Woche zu viel zugemutet, und die Vernachlässigung seines Körpers forderte nun ihren Tribut? Das würde erklären, weshalb es ihm nicht gelang, seine Gliedmaße zu bewegen. Er hatte immer wieder probiert, die Augen zu öffnen, den Kopf zu drehen und die Arme oder Beine anzuheben. Ohne Erfolg. Was war mit ihm passiert? Wie sollte er das herausfinden, wenn er noch nicht einmal unterscheiden konnte, ob er träumte oder wach war. Am Ende bildete er sich diese Geräusche genauso ein wie die Stimme, die er ab und an zu hören glaubte.

    In diesem Moment regte sich am Rande seines Bewusstseins ein Erinnerungsfetzen, narrte ihn wie eine winzige Mücke, die einem dicht vor dem Gesicht herumschwirrt und blitzschnell wegfliegt, so dass man vergeblich versucht, sie zu greifen. Frustriert gab er auf, ihm hinterherzujagen; er musste stärker auf seine Umgebung achten, wenn er mehr erfahren wollte. Dazu sollte er alle ihm zur Verfügung stehenden Sinnesorgane aktivieren. Mit einem Mal registrierte seine Nase eine Vielzahl an Gerüchen. Zuverlässig begann sie nun mit der Arbeit, gliederte die unterschiedlichen Duftnoten auf und transportierte sie ins Gehirn zur Analyse. Er vermutete, eine Art Putzmittel zu riechen; was sonst roch nach Essig, vermischt mit Zitrone? Daneben bemerkte er, wenn er sich nicht täuschte, einen Hauch Urin, überdeckt mit einem Geruch, den er kannte, der ihm aber nicht einfiel.

    Sein Geruchsgedächtnis ließ ihn kläglich im Stich, was ihn nicht wunderte, da er normalerweise nicht auf Gerüche achtete.

    »Normalerweise ... tja, normalerweise ...«.

    Einem Singsang gleich wiederholten sich die Worte mehrmals. Zum Teufel mit diesem Phänomen! Was rief es hervor? Er analysierte viel zu präzise, um im Delirium zu liegen. Wieso aber hörte er Stimmen?

    »Eine Stimme, du hörst nur eine Stimme!«

    Er beschloss, den Vorfall zu ignorieren und konzentrierte sich erneut auf die realen Wahrnehmungen in der Außenwelt.

    Zurück zu den Gerüchen. Irgendwo hatte er diese Mischung schon mal gerochen? Aber wo? Seine ausgeprägten analytischen Fähigkeiten versagten, und ihm gelang nicht, die Geruchsmelange zu identifizieren.

    Dafür meldete ihm sein Gehör, dass es ein sachtes Rascheln vernahm. Sein Gehirn brachte es sofort mit Stoff in Verbindung, woraufhin es die Schlussfolgerung zog, dass es sich hier um Kleidung handelte, die durch Fortbewegung aneinander rieb. Ein gleichzeitig zu hörendes dumpfes, von knappen Pausen unterbrochenes Tapp, Tapp wurde blitzschnell als Schritte erkannt. Das zarte Klimpern von aneinanderstoßenden dünnen Metallteilen fand keinen Abgleich, dennoch ließen alle Geräusche zusammen nur ein Fazit zu: Jemand hielt sich bei ihm im Zimmer auf!

    Diese Erkenntnis stellte unerwartet die Verbindung zu seinem Erinnerungsvermögen her, wie ein loser Draht, der zufällig wieder mit der Schaltfläche in Kontakt kam.

    Bilder von Überwachungsgeräten, Kranke, die in Betten lagen, Urinbeutel, die daran hingen, Medizinschälchen,

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