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100 Tage: Der Fluch
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eBook345 Seiten4 Stunden

100 Tage: Der Fluch

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SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum19. Juni 2018
ISBN9783742733603
100 Tage: Der Fluch

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    Buchvorschau

    100 Tage - Team epubli

    Prolog

    Es war einmal eine kleine britische Stadt, weit entfernt von der nächsten, aber dieser und allen anderen Städten der Erde sehr ähnlich: Im Stadtkern lebte der Bürgermeister, badend in Geld und Wohlstand, und um seinen prunkvollen Palast herum standen Häuser, für die keine Baukosten gespart worden waren. Dafür gab es jedoch eine wesentlich größere Bevölkerungsgruppe, wie ein Ring umkreisten ihre heruntergekommen Häuser die der Reichen und Gebildeten, die bitter arm waren und in solch schlechten Verhältnissen lebten, wie man sie sich überhaupt nicht vorstellen mochte.

    Man könnte meinen, betrachtete man die Erde im heutigen Zustand, sie hätte eine Rückentwicklung gemacht, sehr zu vieler Menschen Ungunsten. Zwar waren viele, viele Jahre seit dem dunklen Zeitalter vergangen und tatsächlich hatte es auch eine rasante Weiterentwicklung gegeben, doch nur auf Seiten der Wohlhabenden, denn die Lebensstandards der Armen waren in den letzten Jahrzehnten wieder mächtig gesunken.

    Während es den Einen gut ging, sie hatten eine gute, eigentlich faszinierend fortgeschrittene medizinische Versorgung und es mangelte ihnen an nichts, hatte der Großteil der Bevölkerung kaum etwas. Wegen mangelnder Hygiene wurden sie schnell krank und bekamen keinen Arzt. Denn dieser kostete Geld, so viel, dass sie es sich nicht leisten konnten und somit war ein Mediziner zu ihrer Heilung ausgeschlossen.

    Alles kostete Geld, nichts wurde aus Mitleid oder Hilfsbereitschaft gegeben. Wuchs man in einer armen Familie auf, hatte man nicht die Chance, aus der Armut heraus zu kommen.

    Die, denen es gut ging, interessierten sich nicht für ihre Mitbürger. Es war ihnen egal, wie schlecht es einige hatten, solange es ihnen selbst gut ging. Hilfe boten sie nicht an, die jedoch dringend notwendig gewesen wäre.

    Es herrschte eine düstere Stimmung in den Städten, sowohl im Armenviertel, wie zwischen den Menschen. Die Wohlhabenden verachteten die armen Leute und andersherum war es genau so.

    Dreckig und dumm wären die Menschen in Armut, gewaltsam und diebisch.

    Ein Zaun zog sich um den Bezirk der Reichen, denn die Armen wären nicht nur gefährlich, sondern würden auch schlimme Krankheiten übertragen. Anstatt ihnen also zu helfen, verschlossen sie ihre Türen und ließen das Volk dahinter an ihren Krankheiten verenden.

    Dieser Zaun machte den Menschen, wegen denen er errichtet war, auch deutlich, dass nicht die geringste, auch nur winzig kleine Chance auf Besserung bestand. Sagte man ihnen vielleicht, es sei bloß, weil sie kein Geld hätten, war es doch eigentlich nur, um ihre Hoffnungen zu zerstören und jedem von ihnen klar zu machen, dass sie dort geboren wurden, dort hingehörten und es nicht anders verdienten.

    Noch schlimmer als die Reichen behandelten die Bürgermeister das zweitrangige Volk. Einer von ihnen war schlimmer und grausamer als der andere. Sie hatten kein Interesse an Geld, wovon die Menschen des Armenviertels sowieso kaum mehr als ein paar Münzen hatten, und um eben diese paar Groschen kümmerten sich die Bürgermeister nicht.

    Ihr Interesse galt den Leben.

    Wer ein Verbrechen beging, von dem der Herr mitbekam, und seine Polizisten waren überall, bezahlte mit seinem Leben oder wurde furchtbar bestraft. Schmerz und Leid sahen die Bürgermeister am Liebsten. Das Leben eines dreckigen Bürgers war in ihren Augen nichts wert und sie, die mächtigen Herrscher, hatten alles Recht, das sie sich nur nahmen.

    Corvinei hieß die kleine Stadt im Norden der Insel, benannt nach Corvin, dem Bürgermeister. Die Städte bekamen die Namen nach ihren Herrn, denn diese Macht und Ehre hatten sich die hohen Herren auch genehmigt.

    Corvin war ein besonders schrecklicher Herrscher. Er fand nicht nur Gefallen an der Todesstrafe, sondern hatte neben seinem weißen Palast eine Arena erbauen lassen, in der für schuldig gesprochene Männer und Frauen aus der Unterschicht gegeneinander kämpften, bis einer den anderen überwältigte. Den Sieger ließ Corvin erneut antreten, bis dieser von einem Stärkeren oder Geschickteren geschlagen wurde.

    Nie kam jemand aus diesem Teufelskreis heraus.

    In einem Haus, das nur zwei Räume hatte, undichte Fenster und ein hartes, unbequemes Bett, lebten eine Frau und ihr Mann mit ihrem Sohn, einem kleinen, fröhlichen Jungen, noch keine fünf Jahre alt. Er war gesund und das war den jungen Eltern das Wichtigste. Ihr Kind war ihre ganze Freude. Der Junge ging erstaunlich gut mit der Situation, in der sie lebten, um. Trotz des heruntergekommenen Hauses, des wenigen Essens, gerade so viel, das sein Bauch nicht mehr knurrte, und der wenigen Zeit, die sein Vater für ihn hatte, weil dieser lange und schwer arbeiten musste, um die Familie zu ernähren, denn die Mutter war krank. Sie hatte eine Krankheit, die sich schleichend verschlimmerte und lebte nun schon mehrere Jahre damit, doch Anfang diesen Jahres hatte sich ihr Zustand verschlechtert. Alles war für sie furchtbar anstrengend geworden.

    Ihre Lunge wäre schwach, sagte sie ihrem kleinen Sohn.

    „Dann müssen wir sie aufpäppeln., sagte er. „Was essen denn Lungen gerne?

    Die Mutter lachte und verlor eine Träne, die sie schnell fort wischte, bevor er sie entdeckte.

    Sie war so glücklich, dass ihr Sohn unbeschwert war und den Ernst des Lebens noch nicht verstand. Sie wünschte, er müsste es niemals. Denn dieses Leben hatte sie einem Kind nie zumuten wollen. Doch dann war sie schwanger geworden und wollte das kleine Wunder, das in ihr heranwuchs, nicht mehr her geben. Jetzt war sie unendlich froh, dass sie ihn hatte. Er war das Licht ihres Lebens.

    Sie war schwach und krank und wusste, dass sie früher scheiden musste, als es ihr möglich gewesen wäre, doch in dieser Zeit schenkte ihr ihr Sohn Kraft. Durch sein Lachen, das seine hellblauen Augen zum Strahlen brachte und eine Röte auf seine Wangen trieb, und seine Fröhlichkeit, die sie immer wieder bewunderte.

    Sie hatten ihn William genannt.

    Damals wussten sie und ihr Mann nicht, zu welch großem, starkem Mann er heran wachsen würde.

    Der kleine William war vor ein paar Wochen fünf geworden. Eine nette Frau aus der Straße, die ihn sehr mochte und seine Mutter manchmal pflegte, hatte ihm einen Kuchen gebacken. Es war ein toller Kuchen! Er schmeckte nach Schokolade und war etwas Besonderes, denn selten gab es etwas so Gutes bei ihnen zu essen.

    Kurz darauf bekam seine Mutter starken Husten, der nicht aufhören wollte. Den ganzen Tag verbrachte sie ihm Bett und William machte sich große Sorgen um sie. Er wusste nicht was sie hatte und konnte sich nicht ausmalen, wie stark ihre Schmerzen waren. Sie versuchte es nicht nach außen zu tragen. Sie wollte ihn nicht sehen lassen, welche Qualen ihr die Krankheit bereitete.

    „Du wirst doch wieder gesund, Mama?", fragte er sie, als er ihr eine Tasse warmen Tee ans Bett brachte.

    Sie nahm sie dankend in die zitternden Hände. Dann sah sie ihren Sohn an und in seinen Augen leuchtete Hoffnung, aber auch Angst erkannte sie darin. Sie brachte es nicht über sich, ihm die Wahrheit zu sagen, ihrem kleinen, fröhlichen Sohn, der immer an das Gute glaubte und das Böse in der Welt nicht erkannte. Sie konnte es einfach nicht tun.

    Also lächelte sie, doch es kam ihr so schrecklich falsch vor. Sie unterdrückte die Tränen, denn sie wollte, nein, sie musste stark sein. Für ihren Sohn.

    „Ja.", antwortete sie ihm mit leiser, heiserer Stimme.

    Sie hatte in den letzten Tagen selten gesprochen. Sie war so schwach. Nie in ihrem jungen Leben war es ihr so schwer gefallen sich zu beherrschen.

    Als William wieder lächelte und es war ein überzeugtes, wahres Lächeln, drückte die Last ein wenig leichter auf ihre zarten Schultern.

    Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.

    Darin stand die Bäckerin, die William den Kuchen gebacken hatte. Es war noch gar nicht lange her.

    Doch diesmal hatte sie keinen Kuchen dabei und sah auch nicht aus, als käme sie wegen solcher Dinge. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ein Ausdruck der Panik lag auf ihrem blassen Gesicht und sie atmete schwer, als hätte sie sich abgehetzt.

    „Er wurde festgenommen!", rief sie außer Atem.

    Sie kam in den Raum und ließ die Tür hinter sich offen.

    William sah verwirrt seine Mutter an, deren Gesicht eine ungesund graue Farbe angenommen hatte. Sie stützte sich auf einen Arm und blickte die Bäckerin entsetzt an. Diese kam ans Bett, auf einmal völlig aufgelöst, und streichelte erst William über den Kopf, dann nahm sie die schlaffe Hand seiner Mutter in die ihre.

    Ihre Lippe zitterte, als sie weitersprach.

    „Er ist über den Zaun gestiegen, ich habe die Kisten gesehen, die er auf dieser Seite gestapelt hat. Der Herr Lehrer erzählte mir, wo er hin ist. Oh, es tut mir so leid!"

    Sie brach in Tränen aus und verbarg das Gesicht in den Händen. Ihr Körper bebte. William wusste nicht, wie er sich in dieser Situation verhalten sollte. Wenn seine Mutter geweint hatte, sollte er es nicht beachten, doch die Bäckerin sah aus, als könnte sie jemanden gebrauchen, der sie tröstete. Also tätschelte er ihren Arm.

    Sie sah auf, das Gesicht ganz rot, die Augen geschwollen und lächelte dankbar.

    „Danke, mein Junge.", schluchzte sie.

    Sie brauchte eine Weile, bis sie sich gefasst hatte und erneut zu erzählen begann.

    „Er wurde gesehen mit zwei Polizisten. Sie haben ihn an den Armen gepackt und neben sich her geführt. Sie kamen aus dem Krankenhaus. Er hat gerufen, seine Frau sei krank, wie könnten sie einer Sterbenskranken nur Hilfe verweigern? Doch die Männer schoben und zerrten ihn weg."

    Es wurde still im Raum und diese Stille war unerträglich.

    William musste die Dinge erst verarbeiten. Er war noch so jung und er verstand erst nicht, was es hieß, sterbenskrank zu sein oder was mit seinem Vater geschehen war. Er war weg, das wusste er, aber wohin hatten sie ihn gebracht? Und überhaupt, was hatte sein Vater denn getan? Hat er etwas Böses gemacht? Polizisten fangen böse Leute. Aber sein Vater war nicht so einer. Ganz bestimmt nicht. Da war William sich sicher.

    „Mama, was heißt das?"

    Seine Mutter sah ihn an.

    Sie wusste, dass sie ihm nun die Wahrheit sagen musste. Jetzt war es noch viel schlimmer. Wenn sie nicht mehr da wäre und ihr Mann war abgeführt worden, wer sollte sich um das Kind kümmern? Er hätte keinen mehr. Sie hatte plötzlich solche Angst. Hoffentlich würde der Bürgermeister ihren Mann wieder gehen lassen. Mit Schlägen käme er noch gut davon. Aber wenn er kämpfen musste oder direkt ermordet wurde? Welcher Laune würde der Herr nachgehen?

    Sie hoffte so sehr, er hätte heute einen guten, gnädigen Tag. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass dies ein dummer, naiver Gedanke war. Sie wusste, wie der Herrscher war und doch wollte sie nicht an seine Grausamkeit glauben.

    Ihr Mann musste überleben. Für ihren Sohn. Ihren Liam, der ein lieber, herzensguter kleiner Junge war.

    Sie merkte, dass sie ihn hatte lange Warten lassen. Er schaute sie an, unsicher, ungeduldig.

    „Es...es heißt, dass Papa erst mal nicht nach Hause kommt."

    „Wann kommt er wieder?", fragte William.

    Sie schluckte.

    Die Bäckerin wich ihrem Blick aus und schlug die Augen zu Boden. Es war die schwerste aller Aufgaben, einem Kind die gnadenlose Wahrheit zu sagen. Es brach ihr das Herz in tausend Stücke.

    Sie hob die Hand, aber sie hatte keine Kraft, sie bis an Williams Gesicht zu führen, um über seine Wange zu streichen. Sie wollte ihren Kleinen trösten. Er war so jung. Zu jung, um solch schreckliche Dinge zu erfahren und sie zu verstehen. Doch bald musste er damit klarkommen, dann wäre er kein kleiner Junge mehr, sondern musste stark sein. Seine Kindheit wäre vorüber. Viel zu früh.

    „Vielleicht kommt Papa gar nicht mehr nach Hause."

    William starrte sie an.

    In seinen großen blauen Augen sammelten sich Tränen. Er schniefte und strich sich mit dem Handrücken über die Nase. Er fragte nicht Warum, was ein Kind in seinem Alter getan hätte. Er blieb einfach ganz still und sah seine Mutter an.

    „Und du, musst du auch sterben?"

    Seine dünne Stimme zerschnitt die Luft und seine Worte trafen sie dort, wo sie am Verletzlichsten war.

    Sie holte tief Luft. Sie hustete und hustete, bis ihre Augen feucht waren und sie geschwächt ins Kissen sank. Ihre Lunge brannte wie Feuer.

    Sie schloss die Augen und wünschte sich, sie könnte für ihn da sein, wie es eine Mutter sein sollte. Vor ihren geschlossenen Augen erschien er und er stand vor ihr, sah sie an. Doch er entfernte sich immer weiter von ihr. Sie rief in ihrem Kopf nach ihm, streckte die Hand nach ihm aus, aber ihr Sohn war unerreichbar. Sie weinte und schluchzte seinen Namen, bis ihre Stimme nur noch ein flehendes Winseln war, wie das eines Hundes.

    „Komm, Liam.", hörte sie die Stimme der Bäckerin.

    Die Bäckerin nahm William an den Schultern, sodass er sie ansehen musste. Er war steif wie ein Brett, sein Blick war noch immer starr geradeaus gerichtet.

    Sie zog ihn zu dem alten Schaukelstuhl, der schon mehrere Generationen in diesem Haus überdauert hatte, und setzte ihn auf ihren Schoß. Dann wiegte sie mit ihm vor und zurück. Der kleine, magere Junge krümmte seinen Rücken. Die braunen Haare fielen ihm in sein blasses, ausdrucksloses Gesicht. Er schloss hinter seinem Vorhang aus dichten Haaren die Augen und leise kullerten ihm Tränen die Wangen hinab und tropften auf seine verdreckte, löcherige Hose.

    Eine tiefe Schwärze umhüllte ihn und er dachte, nie wieder die Augen öffnen zu können. Die Lider waren ihm so schwer und er sah kein Licht in der Dunkelheit.

    Es war der Moment gekommen, in dem er verstanden hatte, was mit seiner Mutter war und wo sein Vater hingebracht wurde. Beide würden nicht mehr zurück kehren. Von da, wo sie hingingen, gab es keinen Weg zurück. Das wusste er.

    Denn als seine Großeltern gestorben waren, kaum ein Jahr war es her, hatten es ihm seine Eltern erklärt.

    Er war ein kluger Junge und jetzt wünschte er sich, es nicht zu sein. Er wollte das alles nicht verstehen. Mama und Papa konnten nicht einfach gehen. Er brauchte sie doch. Was sollte er nur ohne sie machen?

    Er wehrte sich, doch die Hände, die seine beiden Oberarme umklammerten, waren wie Schraubstöcke. Er selbst war kräftig, weil er jeden Tag schwere Kisten mit Ernteprodukten schleppte, aber gegen zwei Polizisten konnte er nicht ankommen. Sie redeten kein Wort mit ihm oder untereinander, während sie ihn abführten. Auch, als er geschrien hatte, hatten sie ihm nicht das Schweigen befohlen. Sie hatten ihn einfach weiter gedrängt.

    Seine Versuche, sie irgendwo zu treffen, parierten sie mühelos. Trotzdem gab er nicht auf.

    Er wusste natürlich, wo sie ihn hin brachten und das konnte er nicht zulassen. Schließlich hatte er nichts getan, außer im Krankenhaus um Hilfe gebeten.

    Er hatte die Frau hinter der Rezeption angefleht, einen Arzt zu schicken, doch sie war regungslos geblieben und hatte gesagt, er sollte verschwinden, da es ihm nicht erlaubt wäre, hier zu sein, auf der anderen Seite des Zauns und er kein Geld für die Behandlung hätte.

    „Ist das alles, wonach Sie trachten?", hatte er sie angeschrien, als er seine Beherrschung aus purer Verzweiflung und Wut verlor.

    „Geld? Ist es das Einzige? Was ist mit Ihrem Gewissen? Da drüben sterben Leute, nur weil Sie ihnen ihre Hilfe verwehren. Sie könnten so viele Leben retten! Sie haben die Mittel dazu! Warum tun sie es dann nicht?"

    Für einen Moment hatte sie überrascht gewirkt und blinzelte mehrmals, doch dann wurde sie ärgerlich und verzog den geschminkten Mund.

    „Wir sind nicht für euch verantwortlich.", hatte sie leise, aber überzeugt gesagt.

    Ihre Stimme und ihr Blick waren eiskalt. Dann tippte sie auf den Bildschirm zu ihrer Rechten. Er hatte sie bitterböse an gefunkelt.

    Ihr ordentlich zurück genommenes blondiertes Haar, ihr perfektes Make-up, die künstliche graue Iris, in der silberne Partikelchen schimmerten und ihre weiße Kleidung; alles an ihr präsentierte, dass sie wohlhabend war, dass sie das Geld zu solch unnötigen Dingen besaß. Kümmerte sie es wirklich nicht, wie es drüben aussah, oder schaute sie nie hinüber, durch den Maschendrahtzaun, der zwei verschiedenen Welten voneinander abtrennte?

    Sie noch weiter anzuschreien, hatte er keine Gelegenheit gehabt, denn Sekunden später hatten ihn die kräftigen Hände von hinten gepackt, die ihn immer noch im Griff hatten und ihn von dem Schalter weg gezerrt. Er war überrumpelt worden, hatte nicht darüber nach gedacht, was die Frau in ihren Bildschirm eingegeben hatte und sich dafür selbst verflucht. Er hatte gerufen, dass seine Frau todkrank wäre und sein Stimme hatte verzweifelt geklungen.

    In diesem Moment meinte er, hätte er in dem strengen Gesicht der Frau etwas zucken sehen, eine Regung von Mitgefühl. Doch dann hatte sie die Lippen fest aufeinander gepresst und sich von ihm abgewandt.

    Er hatte weiter geschrien, bis sein Hals heiser war.

    Was er damit bezwecken wollte, wusste er nun selbst nicht mehr, denn die Frau hatte ihm ihre Hilfe verweigert und ihm war klar, dass sie ihre Meinung durch seinen Protest nicht geändert hätte. Doch er hatte schreien müssen, wie ein Verrückter, dessen Leben davon abhing, denn er war so weit vorgedrungen, ohne gefasst zu werden, war unbemerkt über den Zaun gekommen und ins Krankenhaus und hatte die Chance gehabt, die Leute umzustimmen.

    Er hatte wirklich geglaubt, sie würden weich werden und ihm helfen. Doch was hinter dem Zaun geschah, interessierte sie offensichtlich nicht. Das konnte er einfach nicht verstehen. Wie in Gottes Namen konnten die, denen es so gut ging, nicht ihre Fähigkeiten teilen?

    Er verlangte nicht einmal Geld oder sonstige Güter. Er verlangte doch nur Hilfe, war das denn nicht menschlich? Und war es nicht auch menschlich, den Bedürftigen zu helfen?

    Unter den Reichen und Gebildeten waren so viele Ärzte, ein Kinderspiel wäre es für sie, eine Grippe zu heilen oder die Symptome seiner armen Frau zu lindern.

    Er hatte um sein Leben geschrien, denn ihres hing von seinem Erfolg ab. Doch er war gescheitert und wurde sich nun bewusst, was dies bedeutete. Sie musste sterben.

    Er blieb stehen, was die beiden Polizisten überraschte.

    Er schnappte nach Luft und hielt sie an, dann blies er sie langsam aus. Nicht nur sie war nun auf der Schwelle des Todes, er war es höchstwahrscheinlich auch. Der Bürgermeister würde sich über eine neue Spielfigur für seine barbarischen Spiele teuflisch freuen.

    Er lachte verbittert.

    Die Polizisten in ihren dunkelblauen Anzügen guckten ihn komisch an und packten seine Arme fester. Sie glaubten, der Mann wäre verrückt geworden. Erst wagte er sich über den Zaun, eine gefährliche Kletterpartie, dann in eine öffentliche Einrichtung, was regelrecht lebensmüde war, schrie wie ein Durchgedrehter und brach nun in eine gruselige Heiterkeit aus. Diese verflog so schnell wie sie gekommen war.

    Der Mann brach völlig unerwartet zusammen. Er sackte auf den Boden und sie konnten ihn nicht aufrecht halten. Also gingen sie mit ihm in die Hocke und warteten, ob er wieder aufstehen würde. Diese Gefühle passten besser zu dem, was ihm bevor stand. Natürlich wusste er es und fing an zu verzweifeln. Er musste sterben, Corvin würde ihn sicherlich nicht am Leben lassen.

    Während die beiden Polizisten sich also fragten, was in dem Mann vorging, dachte er nicht über seinen eigenen Tod nach, so wie sie es vermuteten.

    Er erinnerte sich seines Sohnes, der ein Waise wäre, wenn seine Mutter schied und er nicht zurückkehrte. Sein Sohn hätte weder Vater noch Mutter. Es war genug, dass er seine geliebte Frau verlor, doch seinen Sohn ließ er auch im Stich. Er hatte die Verantwortung für beide.

    Die Polizisten verloren die Geduld und zogen den unglücklichen Mann an den Armen hoch. Er wehrte sich nicht und ließ sich widerstandslos weiterziehen.

    Er hatte aufgegeben. Alles war verloren, nichts war mehr zu retten. Jetzt konnte er sich auch abführen lassen, denn er hatte begriffen, dass er machtlos war. Er wollte für die kämpfen, die er über alle Maßen liebte, aber es machte doch keinen Sinn. Seine Frau würde sterben und er konnte seinen Tod genauso wenig verhindern, denn er konnte den Polizisten nicht entkommen.

    Sie waren zufrieden, dass der Mann sich nicht mehr wehrte. Sie dachten, sie hätten gewonnen, ihn endlich still bekommen.

    Doch wer den Mann besiegt hatte, war die Verzweiflung. Die Erkenntnis der bitteren Realität.

    In die Menschen auf dieser Seite des Zauns hatte er jegliche Hoffnung verloren. Sie hatten die Macht über die Leute auf der anderen Seite, weil sie über deren Tod und Leben entscheiden konnten. Sie hatten sich für den Tod entschieden.

    Der Palast war gewaltig. Er stand im Herzen der Stadt und die armen Menschen sahen davon nur die goldene Spitze der Kuppel, was ihnen gemeinerweise den Reichtum des Bürgermeisters vor Augen führte.

    Es war ein riesiges weißes Gebilde. Zu beiden Seiten eines Zylinders, auf der die Kuppel saß und in die das mächtige, prunkvoll verzierte Tor eingelassen war, gingen rechteckige Steinbauten ab, in die hunderte Fenster mit gelben Rahmen eingesetzt waren. Zum Palast führte ein langer, sandiger, breiter Weg. Am Tor, auch der Palast war abgetrennt von seinem umhüllenden Häuserring, aber mit einer hellen Sandsteinmauer in einer Höhe von fast zwei Metern, standen mehrere Wachen, die es von innen öffneten und die Polizisten mit ihrem Gefangenen reinließen.

    „Das wird den Herrn freuen!", sagte einer der Männer mit einem ekelhaften Grinsen.

    Er schob das Tor hinter ihnen wieder zu und stellte enttäuscht fest, dass der Gefangene keine Anstalten machte, zu fliehen oder schwierig zu werden, geschweige denn, auf seine provokanten Worte wütend zu reagieren.

    Der Mann wurde am Palast vorbei auf den Hinterhof geführt. Dort stand ein Gebäude, das von außen mit seiner hellblau angestrichenen Fassade ganz und gar nicht den Eindruck machte, als halte man dort Männer und Frauen gefangen, die meisten wegen Kleinigkeiten verurteilt wurden, weil sie etwas gesagt oder getan hatten, dass dem Bürgermeister nicht gefiel oder weil sie geklaut oder handgreiflich geworden waren. Nur die Wenigsten unter ihnen waren ernsthafte Verbrecher, wie Mörder oder Vergewaltiger.

    Mit Grauen entdeckte der Mann den Klotz, der aus der Erde ragte, als er seinen schlaff herunter hängenden Kopf hob. Er war quadratisch, der Lack glänzte und die Sonne spiegelte sich darauf. Sie brannte auf die Arena. Angst durchfuhr ihn und er zuckte zusammen. Die Polizisten spürten seine plötzliche Aufgebrachtheit und einer von ihnen machte endlich den Mund auf. Der Mann erschrak, er hatte nicht geglaubt, das diese Männer tatsächlich mit ihm sprechen würden.

    „Zwei Drittel sind in die Erde versenkt. Unterirdische Gänge führen von dort, er zeigte auf das Gefängnis, das dem Mann so harmlos vorkam, „in die Arena.

    Dann sagte er nichts mehr, tauschte mit seinem Partner einen Blick aus und sie zogen den Mann weiter.

    Sie brachten ihn in einen Raum im blauen Haus. Von innen strahlten ihm weiße Wände entgegen, in die Türen in geringem Abstand eingelassen waren. Er dachte daran, dass hinter einer dieser Türen der Gärtner, den sie vor drei Tagen erst festgenommen hatten, sitzen könnte oder der Junge, der noch nicht mal achtzehn Jahre alt war und einen Leib Brot gestohlen hatte.

    Die Polizisten drückten den Mann in einem kleinen Raum auf einen Stuhl.

    Er sah sich um. Das Fenster war ausbruchsicher vergittert, es standen noch drei weitere Stühle da und sonst war der Raum leer. Er kam sich unbehaglich vor.

    Die Polizisten hatten ihn losgelassen und beobachteten ihn aus dem Stand, statt sich ebenfalls zu setzen. Warteten sie auf etwas? War das hier der Verhörraum, der Entscheidungsraum, was man nun mit ihm anstellte?

    Er räusperte sich.

    „Es sieht nicht aus wie ein Gefängnis hier.", sagte er und meinte die blaue Fassade und die hellen Flure, sowie auch dieses Zimmer weiß war.

    Es kam ihm merkwürdig vor, denn warum sollte ein so schrecklicher Ort, ein Gefängnis, einladend für die Leute aussehen? Das passte nicht. Irgendwas stimmte damit nicht.

    Der Polizist, den er noch nicht reden gehört hatte, antwortete ihm. Er hatte ein hartes, unfreundliches Gesicht und stechende Augen, erkannte der Mann, jetzt, wo er ihn ansehen konnte und sie ihn nicht festhielten.

    „Das ist eine gute Vorbereitung auf den Tod.", sagte der Polizist völlig ungerührt.

    Der Mann hätte ihn wütend angeschrien, doch er hatte keine Kraft dazu und war so ruhig geworden, dass es ihn selbst fast erschreckte. Er hatte aufgegeben und er hatte es akzeptiert.

    „Es ist grausam.", murmelte er.

    Die Polizisten lachten beide auf, als

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