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Hundswand: Roman
Hundswand: Roman
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eBook333 Seiten3 Stunden

Hundswand: Roman

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Über dieses E-Book

Paul Samba, der Ich-Erzähler, will mit seinen Freunden Manuel und Carl eigentlich nur ein geruhsames Stammtisch-Wochenende in Limone am Gardasee verbringen. Aber die drei Freunde werden von Manuels Frau Selma davon abgehalten. Sie vergönnt ihnen nämlich nicht, dass sie sich in Italien amüsieren. Stattdessen sollen sie Selmas Almhütte nach dem langen Winter wieder auf Vordermann bringen.
Mit dabei ist Manuels Hund namens Hundsvieh, ein massiger, sympathischer Kerl, der sich im Verlauf der Ereignisse für ein anderes Herrchen entscheidet: für Paul Samba.
Noch bevor sie sich in der Hütte gemütlich einrichten können, passiert das Ungeheuerliche: Die Wand schlägt abermals zu, diesmal in den Tiroler Bergen.
Hundsvieh spielt dabei eine entscheidende Rolle...
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Apr. 2014
ISBN9783847680024
Hundswand: Roman

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    Buchvorschau

    Hundswand - Heinz Schöpf

    1

    Erster Juli und Wettersturz: ein kongeniales Paar. Pünktlich zu Beginn des Sommers macht sich das Wetter lustig über ihn und über uns, die wir hier unser Dasein fristen in dieser kargen Landschaft. Berge, wohin man schaut. Alles so steil hier. Da stürzt sogar das Wetter.

    So schickt das Atlantiktief Josefine seinen ersten Regengruß konsequent in dem Moment los, als meine beiden Freunde und ich aus dem Kino ins Freie treten.

    Also ich nehm mir ein Taxi. Das ist kein Wetter für meine Flipflops. Außerdem hab ich keine Lust auf eine Sommergrippe. Wer kommt mit?", sage ich.

    Sei gescheit, Paul. Mein Wagen steht gleich hinterm

    Hofgarten, bloß fünf Minuten von hier", sagt Carl.

    Wer als Letzter beim Auto ist, zahlt die Grappas bei Ernesto", sagt Manuel, während er auch schon schnellen Schrittes losmarschiert.

    Er hat leicht reden, schließlich ist er als Einziger von uns mit wetterfesten Wanderschuhen ausgestattet.

    Nicht die Grappas, sondern die Obstler", flüstert Carl und zwinkert mir zu, während er die Schnallen seiner Sandalen löst. Er zieht sie aus, nimmt sie in die Hände und läuft Manuel barfuß hinterher.

    Obstler gibt es nur bei uns, nicht in Limone!", schreie ich ihm nach.

    Ich vermeine ein „Eben darum!" zu hören, weiß jedoch nichts mit seiner Antwort anzufangen.

    Manuels schweres Schuhwerk, das überhaupt nicht zum Rest seiner übrigen Erscheinung - Polohemd, Bermudas und Strohhut - passt, hätte mich sofort stutzig machen müssen.

    2

    Auf das diesjährige Stammtischwochenende habe ich mich ganz besonders gefreut. Ein äußerst anstrengendes Schuljahr neigt sich dem Ende zu. In acht Tagen beginnen die verdienten Sommerferien. Zuvor jedoch werde ich die zwei schönsten Tage des Jahres genießen: in Limone, meinem Lieblingsort, in Italien, meinem Lieblingsland, angefüllt mit leichten Gesprächen und schwerem Wein, nur wir drei Freunde, die beiden ohne Ehefrauen, ohne pubertierenden Anhang (ich bin ledig und kinderlos, Gott sei Dank), befreiendes Gelächter über dies und das, einfach ein bisschen die Zeit tot schlagen mit Polenta und Kaninchen, meinem Lieblingstier, vorzugsweise medium, in leichter Rotweinsoße, im Schatten der Zitronenbäume unserer Stamm-Trattoria, anschließend ein, zwei, vielleicht auch sechs oder sieben Grappas auf der Terrasse von Ernestos Bar und als krönender Abschluss die Zeremonie des Entkleidens und Nacktbadens im kühlen Gardasee, um einigermaßen wieder zur Besinnung zu kommen und halbtot zum Hotel Santa Maria zu wanken, wo wir uns mit schweren Zungen und leichten Herzen, sorglos wie die 14-jährigen Jungs meiner 4b auf Klassenfahrt, bei Sonnenaufgang in die Betten unserer gemütlichen Einzelzimmer fallen lassen, gerade einmal drei Stunden von hier entfernt.

    Zwei Jahre ist`s nun her, dass wir dort gewesen sind.

    Aber ich erinnere mich noch genau an jedes Detail, jeden Duft, jeden Gedanken, jedes Kaninchen.

    Heute Abend ist es endlich wieder so weit.

    3

    Der Taxifahrer, beim Einstieg eben noch überschwänglich freundlich, bestraft mich für die zweiminütige Fahrt mit Schweigen sowie einer kleinen Reise durch Sackgassen und Baustellen, bis er mit elfminütiger Verspätung und um zwölf Euro reicher endlich in die Schillerstraße einbiegt.

    Carl und Manuel sitzen längst im Wagen, damit beschäftigt, mit den Unterarmen die beschlagenen Scheiben trocken zu wischen.

    Ich steige hinten ein und lasse mich erschöpft auf die Rückbank fallen, völlig durchnässt, weil mich der Taxifahrer nach Erhalt des Fahrgelds, begleitet von einer zaghaften Beschwerde meinerseits, ziemlich grob ins Freie befördert hat, grußlos, mit der fadenscheinigen Ausrede, er dürfe weder da noch dort anhalten, sondern ausschließlich hier. Und dieses Hier heißt ungefähr zweihundert Meter Entfernung zu Carls Wagen, heißt demnach zweihundert Meter Fußmarsch durch orkanartige Gewitterböen, sodass sich meine Flipflops wie zwei Stangen Zuckerwatte nahezu in Nichts auflösen, heißt: Ich hätte gleich mit meinen Freunden mitlaufen können, barfuß, gratis.

    Carl dreht mit der rechten Hand den Zündschlüssel und schmiert mit dem Rücken der linken über die Seitenscheibe. Manuel niest.

    Noch ein zweites Mal Die Wand angesehen, was?", fragt Carl.

    Und, wie ich sehe, endlich ohne Genierer die Kleider vollgeweint,

    weil Carl und ich nicht mehr zugegen waren?", fragt Manuel.

    Der Hund hat sehr gut gespielt", sage ich, gleichsam als Entschuldigung für mein Zuspätkommen, bemüht, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen, die Schwermut aus dem Film zu nehmen und Manuel daran zu erinnern, Carl daran zu erinnern, Manuels Hundsvieh abzuholen.

    Manuel, der wie immer sofort versteht, was ich meine, sagt:

    Apropos Hund, Carl, vergiss nicht, Hundsvieh abzuholen, du weißt, ich hab`s meiner Frau versprochen und, an mich gewandt:

    Paul, drehst du mir eine Zigarette?"

    Gern", lüge ich.

    Das Hundsvieh hätt ich jetzt glatt vergessen", sagt Carl genau in dem Moment, als Manuels Handy läutet. Manuel schaut auf das Display, lässt betont langsam den Blick zuerst in die Nebellandschaft schweifen, dann zu Carl und schließlich zu mir, zündet sich die von mir gedrehte, von ihm geleckte Zigarette an, die gesenkten Augenbrauen und die fächelnde Handbewegung von Carl ignorierend, drückt die grüne Taste, hält das Handy dicht an sein Ohr, meldet sich mit „Hallo, Schatz" und hört eine Weile still zu.

    Carl dreht seinen Kopf zu mir her, schüttelt ihn, gibt im Rhythmus des Kopfschüttelns ruckartig Gas, was wohl daran liegt, dass er barfuß ist, und formuliert mit den Lippen:

    Siehst du. Ich hab`s doch gleich geahnt."

    Manuel scheint die aufkeimende Unruhe zu spüren, drückt das Handy noch näher an sein Ohr und flüstert hinein:

    Ja. - Ja. – Ja. Toller Film – Ja. – Ja. War erst kurz nach vier zu Ende. – Ja. - Nein. – Weiß ich. - Mach ich. – Ja. Jaja. – Ja, ja gut. – Ja. – Jaja. – Ja klar. – Ja. – Ja, seh ich ein. – Jaja. Natürlich. – Ja, ich auch. – Ja, du dir auch. - Ja, richt ich den beiden aus. – Ja. Ich dich auch."

    Carl dreht sich erneut zu mir und sagt halblaut:

    Übrigens, Paul: Ich darf dich jetzt schon höflich daran erinnern, dass du, als Verlierer der Wette, heute Abend mit der Bezahlung der Obstler an der Reihe bist."

    Manuel massiert mit beiden Zeigefingern seine Augenlider, das Handy in der rechten Hand festhaltend.

    Grappas, nicht Obstler", antworte ich arglos.

    Manuel klappt sein Handy zu und blickt versonnen zum Plafond, setzt sich seine Kopfhörer auf, atmet ein paarmal tief durch, drückt an seinem iPad herum, schließt die Augen, zupft an einer imaginären Gitarre und summt eine dissonante Melodie.

    Carl hebt die Brauen, massiert mit zehn Fingern das Lenkrad, zwinkert mir über den Rückspiegel zu, wirft Manuel einen kurzen Blick zu, stellt fest, dass wir unter uns sind, und beginnt, Manuels Sprechpausen von vorhin mit Sinn und der Stimme von Manuels Frau zu füllen:

    Und? Wie war der Film? Ergreifend, was? Hat er den beiden auch gefallen?"

    Ich lache in meine Hand, gebe ihm aber augenblicklich mit meinem Zeigefinger an den Lippen zu verstehen, er müsse aufpassen, dass Manuel nichts mitbekomme. Carl nimmt die Hände vom Steuer, lenkt mit den Oberschenkeln weiter, gibt Gas und bedeutet mir mit gefalteten Händen, die er an seine Wange schmiegt, dass Manuel nichts mitbekommen könne, weil er über seiner Luftgitarre eingeschlafen sei. Ich grinse und äffe Selmas Stimme nach:

    Schatz, du hast das Buch von Marlen Haushofer doch hoffentlich eingepackt? Jetzt hast du ja zwei ganze Tage und Nächte Zeit zum Lesen! Noch dazu im sonnigen Süden, während wir hier schon wieder die Wintersocken auspacken müssen. Ich Berg-Schi, du Wasser-Schi."

    Carl schlägt mit beiden Händen aufs Lenkrad und setzt noch eins drauf:

    Und, Schatz, du vergisst wirklich nicht auf Hundsvieh? Ihr müsstet doch eigentlich schon längst hier sein. Hundsvieh furzt in einer Natur. Das zeigt mir, wie es sich auf die Almhütte freut. Es braucht wirklich mal wieder ausgiebig Frischluft und ordentlich Auslauf. Und sag bitte Carl, er soll vorsichtig fahren."

    Was sollte das jetzt heißen? Warum erwähnte Carl die Almhütte?

    In der Hoffnung, Carl mit Hilfe einer weiteren Frage von Selma die Antwort zu entlocken, gebe ich ihm mit ihrer Stimme einen kleinen Impuls:

    Wie ich das mit der Almhütte meinte, Schatz?"

    Äh, Schatz, das wollte ich dir ja gerade vorschlagen: Wenn ihr drei schon mal dabei seid, euch zu amüsieren, schaut doch bitte vor Limone noch auf einen Abstecher in Almdorf vorbei, um in der Hütte nach dem Rechten zu sehen", antwortet Carl mit einem sarkastischen Unterton, den ich an ihm nicht kenne.

    Jetzt habe ich Blödmann es endlich kapiert: Manuels Frau will uns auch heuer wieder von Limone fernhalten - wie schon letztes Jahr. Die will sich das Geld für die teure Sanierung dieser Almbruchbude auf unsere Kosten sparen.

    Ich bin gleichermaßen irritiert wie verärgert, dass ich lauter als zuvor in Richtung Manuels Ohr spreche:

    Lass mich bitte ausreden, Schatz, meine hübsche Almhütte liegt ja in etwa auf eurem Weg. Und nur so ganz nebenbei: Müsst ihr überhaupt nach Limone? Almdorf ist doch genauso schön! Und noch dazu viel näher!"

    Manuel hört und sieht nichts, er summt mit geschlossenen Augen unverdrossen vor sich hin, Carl hebt den Daumen, wohl als Zeichen dafür, dass ich endlich begriffen und mit meiner Antwort den Nagel auf den Kopf getroffen habe, und sagt, jedes Wort nach allen Seiten hin mit einem Nicken untermauernd:

    Ihr spart Benzin und könntet dort oben gleich ein bisschen nach dem Rechten sehen, was meinst du? Und wenn ihr alles erledigt habt, könnt ihr ja, wenn`s denn sein muss, eventuell immer noch nach Italien aufbrechen."

    Ich (stinksauer): „Ihr habt doch euren Spaß da wie dort, oder? Und Hundsvieh befände sich noch dazu auf vertrautem Terrain. In Limone langweilt es sich vielleicht zu sehr. Da fehlen ihm die Berge."

    Carl (feierlich): „Ich bin schon so gespannt auf deine Interpretation des Romans! Mensch, Manuel, zwei Tage und Nächte Zeit zum Lesen – wenn ich die bloß einmal für mich zur Verfügung hätte."

    Ich (getragen): „Und Paul und Carl sollen dir bitte während deiner Lesepausen bei den Ausbesserungs- und Aufräumarbeiten ordentlich zur Hand gehen!"

    Carl (gönnerhaft): „Meinetwegen kannst du ihnen ja dafür ein Stamperl Obstler servieren. In der Kredenz müsste sich noch eine angebrochene Flasche vom letzten Jahr befinden. Aber vergiss nicht, die Flasche wieder gut zu verschließen! Dann müsste der Schnaps für Juli nächsten Jahres reichen!"

    Ich (sehr ernst, lange nicht so feierlich wie vorhin Carl):

    Pass auf!"

    Carl, eben im Begriff, gleichzeitig das Fenster und die Augen trockenzuwischen und einen neuen positiven Satz für Manuels Frau zu formulieren, legt eine Vollbremsung hin, um einer Fichtenkrone auszuweichen, die quer in die Fahrbahn herein ragt. Mir ist nicht entgangen, dass Manuel inzwischen die Kopfhörer abgenommen und sich meine Zigarette erneut angezündet hat, nachdem er sie zuvor am Haltegriff des Seitenfensters ausgelöscht hat. Carl spricht nach seinem gewagten Bremsmanöver munter weiter, ohne zu registrieren, dass Manuel uns inzwischen aufmerksam zuhört:

    Ach, übrigens: weil wir uns ja heute gerade so intensiv mit dem Thema Wand befassen: Ich glaube, die Wand hinter dem Ofen gehört wieder einmal frisch geweißelt, Schatz. Da müsste noch genug Dispersionsfarbe in der Speisekammer sein, in einem der Marmeladengläser von Oma! Nicht dass ihr sie aus Versehen zum Frühstück aufs Brot streicht! Und vergiss bitte nicht, die Hortensien unterm Nordfenster zu gießen und die Engelstrompeten hinterm Haus!"

    Ich sage, nun ziemlich laut:

    Ich glaube, es beginnt bald zu schneien."

    Carl vermag meinen Wink nicht richtig zu deuten:

    Ich geh jetzt übrigens mit Hundsvieh schon mal vor die Tür. Bis dann! Ich liebe dich! Genießt die Zeit! Hast du mich auch lieb?"

    Er blökt drauflos. Mir ist längst nicht mehr zum Lachen zumute, ich schwitze trotz der Kälte und verdrehe meine Augen zum Plafond wie Manuel vorhin.

    Manuel kratzt mit seinem vom Tschick geschwärzten Daumennagel einen Totenkopf in das Sitzpolster und schnäuzt in sein weinrotes Stofftaschentuch.

    Das weinrote Tuch hat er bisher nur einmal verwendet. Beim Begräbnis seiner Mutter.

    Schon wieder Almdorf. Wieder nicht Limone. Wieder nur Nebel. Nässe. Kälte. Enge. Und Arbeit.

    Carl, müsstest du jetzt nicht eigentlich dort drüben fahren?", frage ich scheinheilig.

    Carl, eben im Begriff, den Wagen in die Spur Richtung Autobahn Brenner, Richtung Limone zu lenken, tritt aufs Bremspedal, ohne in den Rückspiegel zu blicken und das Gehupe hinter uns zu registrieren, erwidert nüchtern, als ob wir nie anders miteinander geredet hätten:

    Scheiße, natürlich falsche Richtung, diesmal geht`s ja wieder nach Dings. – Und, Scheiße, ja, das Dings."

    Seit ich Carl kenne, verwendet er Dings immer dann, wenn es ihm die Sprache verschlägt: aus Verlegenheit oder vor Wut. Scheiße ist ihm noch kein einziges Mal über die Lippen gekommen und nun gleich zweimal hintereinander. Das verheißt nichts Gutes. Manuel reibt sich mit seinem braun-gelb karierten Stofftaschentuch über die Augenlider.

    Die Stimmung im Inneren des Autos hat sich schlagartig der kühlen Außentemperatur angepasst.

    Wäre ich nur annähernd Herr über meine Gefühle, würde ich jetzt zwei Dinge tun: aus dem fahrenden Auto springen und die vierzig Kilometer barfuß nach Hause laufen.

    Mein Instinkt lässt mich völlig im Stich.

    4

    Magdalena. Deine schwarzen Zöpfe. Diese schmalen, weißen Hände, mit den angeknabberten, schwarz lackierten Nägeln, wie die von Hannah in der 4a, so unvollkommen unregelmäßig und gerade deshalb so reizend, deine Zunge, wie sie zwischen deinen lustigen Sommersprossenwangengrübchen zuerst über die Unter- und dann über die Oberlippe gleitet, immer gegen den Uhrzeigersinn, das hab ich genau beobachtet, und zwar immer dann, wenn du deinen Mann anlächelst, während du deine schwarze Pupille verstohlen zu mir her drehst wie die Linse einer Camera obscura. Und wie du dir jedes Mal ein Zopfende in den Mund steckst, wenn du nervös bist. Wie mir das gefällt. Wie ich es schon dreimal darauf angelegt habe, dass du nervös wirst, nur um dir dabei zuzusehen, wie du an einem Zopf lutschst, und dreimal hast du es tatsächlich getan, zweimal am linken, einmal am rechten. Ich habe genau mitgezählt. Und wie ich mir dann jedes Mal vorgestellt habe, dein Zopf … ach, Magdalena. Du. Hier. Jetzt. Auf dieser Rückbank. Während meine beiden Freunde da vorne mit Schweigen und Scheibenwischen beschäftigt sind. Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Morgen Abend müsste nach meiner Berechnung der rechte Zopf an der Reihe sein. Hoffentlich wartest du nicht in Limone auf mich.

    5

    Statt Magdalena mindestens 80 Kilogramm Hundsvieh neben mir, die rechte Vorderpfote auf meinem linken Oberschenkel ruhend, sein Arsch dicht an meinem, mich immer weiter gegen die Schiebetür quetschend, sabbernd, hechelnd, furzend sich räkelnd, hektisch um sich blickend, als befänden wir uns auf der Flucht.

    Carl betätigt abwechselnd Hupe und Lichtsignal und zeigt jedem Fahrzeug, das uns rechts überholt, den Mittelfinger. (Er fährt konsequent mit 100 Stundenkilometern auf der Überholspur – „Ich fahre die Höchstgeschwindigkeit.") Als Mensch ist Carl der beste Kumpel, als Autofahrer eine Sau. Unentwegt verreißt er das Lenkrad, weil er für jedes obszöne Handzeichen das rechte Seitenfenster hinunter und sofort wieder hinauf kurbelt und sich währenddessen ständig über Manuels Oberkörper beugen muss. Manuel ächzt und hustet. Hundsvieh beginnt sich an mir festzuklammern.

    Die Wischer kämpfen gegen die Wasserströme. Unsere Körper dampfen wie Monets Misthaufen in der Morgensonne, Hundsvieh stinkt nach nassem Hund. Aus seinem Maul steigen Schwaden wie aus einem Weihrauchfass, eine feinherbe Note von Myrrhe und roher Kalbsleber verströmend, es fletscht die Zähne und sieht dabei so gutmütig und fromm aus wie der neue Papst. Als hätte es Gras geraucht.

    6

    Carl ist von der Autobahn abgefahren. Nun lenkt er den Wagen über die Landstraße, taucht ihn, wie mir scheint, absichtlich in jedes Schlagloch, um Manuel wachzurütteln, das schmutzige Wasser spritzt gegen die Scheiben, die Wischer verschmieren es zusammen mit den zahllosen Leichen von Mücken und Schmeißfliegen zu gelb-grauen Schlieren, der Auspuff gurgelt wie ein verstopfter Darm, Manuel gähnt unverfroren in seinen Ellbogen, anstatt Carl ins Lenkrad zu greifen und ehrlich zu sagen: „Andere Seite! Dort drüben geht’s lang! Und, Selma, dass du`s nur weißt, lass uns jetzt einfach mal zwei Tage und zwei Nächte in Ruhe! Bring deine Hütte gefälligst selber auf Vordermann, nein, Verzeihung, Frau Gender, auf Vorderfrau, fleißig und stark, wie du bist, was du ja bei jeder Gelegenheit betonst."

    Hundsviehs rechte Pfote liegt zufrieden auf meiner rechten Schulter, die linke auf meinem linken Oberschenkel, sodass der Fahrer hinter uns wohl nur an das eine denken wird: Du meine Güte, da vorne geht hinten die Post ab.

    Der Unterboden schleift und reibt über Schutt und Geröll, so vollgepackt ist der Kofferraum mit unseren Rucksäcken, mit Wolldecken, Putzmitteln, Geschirr und Paletten mit Hundewurst, Konservendosen sowie Plastiktaschen verschiedenster Inhalte: gefüllte Paprika in Tomatensoße, gefüllte Tomaten in Paprikasoße, acht Schätze süß-sauer, Kalbsgulasch Jägerart, Hundekuchen Großmutterart, Naturschnitzel Zigeunerart, Mohr im Hemd, diverse Leckerlis für den Hund, zwanzig Liter Grauvernatsch im Tetrapak für die Jäger und Förster (von Selma zuvor in eine noble Karaffe umgefüllt), die zu früher Morgenstunde mit ihrem Restalkohol vom Vorabend an der Hütte vorbei kommen, um nach ein paar Begrüßungsgläschen beschwingt zu ihren Hochständen aufzubrechen – insgesamt also weit über 100 Kilogramm Proviant an Bord, ausreichend für eine dreiwöchige Europatournee des Städtischen Sinfonieorchesters. Plus 80 Kilogramm Übergepäck. Hundsvieh.

    Das Bepacken des Kofferraums hat 40 Minuten in Anspruch genommen, was genau der Wegstrecke von hier bis nach Brixen entspricht. Wir könnten also längst in Italien sein.

    Drei vorgebackene Wiener Schnitzel vom Almschwein und ein Kilo gekochte Petersilienkartoffeln, die uns Selma für den morgigen Abend portioniert hat (heute sollen wir laut ihrer Anweisung beim Almwirt in Almdorf zu Abend essen), befinden sich eingeschweißt in einer Frischhaltefolie in der Auftauphase auf der Rückbank links von Hundsvieh, dessen Nase merkwürdigerweise mir zugewandt ist, das auftauende Schwein konsequent ignorierend. Irgendetwas ist da faul. Entweder hat das Schwein sein Ablaufdatum überdauert, oder Hundsviehs feine Nase wittert etwas anderes, weit Wichtigeres, eine Aura, zu der wir Menschen keinen Zugang finden. Kein Hund der Welt beschäftigt sich mit einem Menschen rechts von ihm, wenn links drei Wiener Schnitzel vom rosa Almschwein im Begriff sind, ihr zartes Aroma zu entfalten. Oder ist Hundsvieh schlichtweg Vegetarier?

    Jetzt legt es seine Schnauze auf meinen Oberschenkel und beginnt, in meinen Schoß zu weinen, nicht etwa zu winseln wie normale Hunde, nein, es weint und wimmert wie ein Mann, der sich für seine Schwäche schämt, ganz leise, damit es nur ja niemand merkt. Ich streiche ihm sanft über den Hinterkopf, schiebe seinen Ohrlappen zur Seite und raune ihm ebenso leise in seinen empfindlichen

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