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Die Zeitlinie: Petrichor
Die Zeitlinie: Petrichor
Die Zeitlinie: Petrichor
eBook437 Seiten6 Stunden

Die Zeitlinie: Petrichor

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Über dieses E-Book

Der Kölner Medizinstudent Linus reist ungeplant 392 Jahre zurück in die Vergangenheit um sich der Herausforderung zu stellen, die sein Leben verändert. Oder zerstört. Ein rasantes Abenteuer in eine unbekannte Zeit. Und die Erkenntnis, dass nichts jemals so ist, wie es scheint.
Schonmal eine Zeitmaschine geerbt? Ohne zu wissen, was das eigentlich bedeutet, ist das erst der Beginn einer abenteuerlichen Reise in ein fremdes Leben, spannend und gefährlich, denn nicht nur Freund und Feind, auch eine unerwartete Liebe sind die Wegbegleiter.
Und wenn das noch nicht genügt, bleibt die Frage, ob man als Zeitreisender die richtige Entscheidung getroffen hat. Denn die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Nov. 2016
ISBN9783738092622
Die Zeitlinie: Petrichor
Autor

Carolin Frohmader

Lebt und schreibt in Köln.

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    Buchvorschau

    Die Zeitlinie - Carolin Frohmader

    Petrichor

    To T. L. J.

    Who taught me

    what really matters

    in life.

    Thank you,

    my brave adventurer!

    Der Geruch von Regen auf trockenem Boden.

    Petros bedeutet Stein, Ichor soll aus der griechischen Mythologie stammen und die Flüssigkeit sein, die durch die Adern der Götter floss.

    V 4.0

    Prolog

    Hört nicht auf zu hoffen!

    Hört nicht auf zu bangen!

    Hört niemals auf daran zu glauben, dass es ein Morgen für euch gibt.

    Ganz gleich in welche Richtung euch das Universum schickt.

    Kapitel 1

    Alles hat ein Ende

    Keuchend lag der kleine Junge im Staub. Der aufgewirbelte Dreck rieselte noch immer herunter und bedeckte ihn mit einer dünnen Schicht. Er rührte sich kaum, zitterte nur vor Angst.

    Mein Blickfenster war schmal und nur in der Mitte scharf, die Ränder waren verschwommen, weshalb ich den Oberkörper der Frau nicht sehen konnte, die das Kind plötzlich hoch riss und auf die Füße stellte. Sie zog ihn fort und ich konnte nur zusehen. Ihr Rock schleifte auf dem Boden, der Junge stolperte, sah sich um direkt in meine Richtung um direkt durch mich durch zu sehen. Ich stand einfach bloß da, wie ins Bild hineinmontiert, aber nicht wirklich zugehörig. Ich gehörte dort nicht hin. Sie verschwanden aus meiner Sicht und ich blieb zurück.

    Eine der ersten Erinnerungen die mir als sechsjähriges Ich geblieben war, aus der Perspektive eines Außenstehenden. Nur, dass ich nie außen gestanden habe. Damals nicht und niemals mehr.

    Mein Smartphone vibrierte bereits und drehte seine Runden auf dem Boden im Schlafraum. Der Traum der mich eben noch völlig eingenommen hatte, war im selben Moment weg, als Oberschwester Martha die Tür aufriss und sie an die Wand klatschen ließ. Im nächsten Moment war ich wach und saß senkrecht auf der Pritsche. Martha tippte nur einmal auf ihre nicht vorhandene Armbanduhr und drehte sich wortlos wieder um.

    Sie kannte keine Gnade, dass wusste ich bereits, aber noch schlimmer wäre es, die Visite zu verpassen, obwohl ich nicht mal wusste, wer heutiger Stationsarzt war.

    Hektisch griff ich nach dem Telefon, steckte es in die Tasche und versuchte vergebens mein Shirt glatt zu streichen. Ich warf den Kittel über als ich im Treppenhaus hinunter rannte. Nach einem halben Jahr als PJ-ler, also Medizinstudent im praktischen Jahr, in der Uniklinik in Köln, war mein Schlafdefizit bereits so enorm, dass mir allmählich hören und sehen verging.

    Durch mein Studium gelangte ich immerhin ziemlich ordentlich. Zwar machte ich mich keiner außergewöhnlichen Leistung schuldig, aber ich erbrachte durchschnittlich mehr als mein Soll und meine Vorbereitung war stets tadellos. Wenn auch nicht an jenem Morgen. Die Nachtschicht saß mir noch in den Knochen, und selbst wenn es nur noch acht Stunden bis zum Wochenende waren, schien die Zeit still zu stehen. Etliche Kommilitonen hatte ich angebettelt mit mir den Dienst für den morgigen Samstag zu tauschen. In mir hatte sich der sehnliche Wunsch festgefressen einfach nach Hause zu fahren, meine Eltern und meinen besten Freund Pit zu besuchen und das Großstadtleben mit der Uni einfach zurück zu lassen. Seitdem ich mein Elternhaus mit 18 verlassen und nach Köln gezogen war, schlug ich mich mehr schlecht als recht durch und teile mir die Wohnung mit zwei weiteren Studenten. Um mir das kostspielige Leben eines Medizinstudenten leisten zu können, trat ich bei den meisten Freizeitaktivitäten auf die Bremse. Die Zuschüsse meiner Eltern waren mir selten recht. Sie hatten damals aber darauf bestanden mir zur Volljährigkeit wenigstens ein Auto schenken zu dürfen und der Scirocco erfüllte mehr als nur seinen Zweck.

    Beinahe raste ich den Korridor hinunter, Richtung Innere Medizin.

    Visite. Station B.

    Wahrscheinlich sah er mich, bevor ich ihn gesehen hatte, oder er hatte meinen Schweiß gewittert. Obwohl ich ihm keine übernatürlichen Fähigkeiten zuschreiben wollte, besaß er eine verdammt gute Beobachtungsgabe um die ich ihn bereits beneidete: Professor Rieck und er sah nicht erfreut aus. Ich war zu spät - natürlich. Er stand bereits in einer Traube von Assistenzärzten und Studenten. Die Visite mit Professor Rieck war begehrt. Allerdings nur die Teilnahme. Wenn man in die Verlegenheit kam einen Patienten vorstellen zu müssen, wurde man ausgequetscht wie eine Zitrone. Er stellte unzählige Fragen und schweifte gern ab. Der Umgang mit dem Patienten lag ihm zwar nicht all zu sehr am Herzen, jedoch mussten auch Patientenfragen ausführlichst beantwortet werden. Wobei ich jedoch berechtigten Zweifel hegte, dass jeder Patient es so genau hatte wissen wollen.

    «Welch eine Ehre Mister Harris», sagte der Professor trocken, ohne mich auch nur anzusehen. Eh ich zu einer lächerlichen Entschuldigung ansetzen konnte, erstickte er sie im Keim.

    «Wenn Sie also so freundlich wären und uns die nächste Patientin vorzustellen», sagte er und Thomas, ein Kommilitone, streckte mir dankbar die Patientenakte entgegen. Sein Gesichtsausdruck und der Schweiß, der auf seiner Stirn glänzte, ließ keinen Zweifel an seiner Erleichterung.

    Die Vorstellung der Patienten, Anamnese und das Schreiben eines Therapieplanes gehörten zu den Hauptaufgaben eines PJ-lers. Nebst den Dingen wie Zugänge und Drainagen zu legen oder zu entfernen. Höhere Schwesternarbeit nennen das einige. Allerdings konnte ich dem nicht ganz zustimmen. Das waren immerhin die Grundlagen auf welchen man stetig aufbaute.

    Wahrscheinlich musste ich das auch so sehen. Immerhin hatte ich an diesem Morgen keine andere Wahl und setzte zu meinem gequälten Monolog an.

    ***

    Im Bereitschaftsraum stapelten sich Patientenakten links von mir und ein paar meiner Bücher für die Uni rechts auf dem Tisch. Keiner der beiden Stapel hatte irgendeine anziehende Wirkung auf mich. Ausharrend nippte ich an meinem Kaffee, rutschte auf meinem Stuhl hin und her als hätte ich den Tag einfach aussitzen können.

    «Selbststudium macht einen großen Teil des Ganzen aus!», ermahnte mich eine bekannte Stimme vom Flur her. Oberschwester Martha stand mit verschränkten Armen in der Tür zum Bereitschaftsraum, doch ihr Gesichtsausdruck verriet mir nichts über ihren Gemütszustand. Für gewöhnlich war sie stets professionell und um keinen Rat für Studenten oder auch Assistenzärzte verlegen. Mit Privatem hielt sie eher hinter dem Berg. Dies konnte ich ihr aber nicht verübeln. Ein Krankenhaus ist ein Hexenkessel, wo täglich an der gärenden Gerüchtesuppe gekocht wurde und nicht selten gab jemand mehr Zutaten hinein, als nötig gewesen wäre.

    Ich brachte ihr nur ein verhungerndes Lächeln entgegen. Sie trat in den Raum und steuerte auf die Kaffeemaschine zu, doch sie hielt inne, eh sie nach der Kanne greifen konnte.

    «Das ist ernst Linus!», sagte sie, drehte sich wieder zu mir und sah mich direkt an

    «Ich weiß nicht, was in letzter Zeit mir Dir los ist und es interessiert mich auch nicht. Aber sieh zu, dass Du das schnell in den Griff bekommst.»

    Sie drehte sich weg und schenkte sich Kaffee ein. Ohne sich wieder umzudrehen sprach sie weiter und schaufelte sich Zucker in ihren Becher.

    «Es gibt einige hier, die sehr viel von Dir halten und denken, Du könntest einer der Besten deines Jahrgangs werden.» Ich musste schlucken.

    «Reiß Dich zusammen!», warf sie scharf hinterher und verließ dem Raum ohne eines weiteren Blickes.

    Mein Augen hatten ihr durch den Raum gefolgt, als wäre sie eine attraktive 20jährige, statt einer zerknitterten kleinen Frau. Ende vierzig wie ich schätzte. Zerknittert und klein, aber voller Kompetenz und Selbstbewusstsein.

    ***

    «Mensch Linus, hättest Du die letzten Stunden nicht noch ohne Schnitzer hinbekommen?» feixte Thomas während wir uns in der Umkleide der Krankenhausklamotten entledigten. Wollte er seine Erleichterung verbergen, dass ich ihm die Vorstellung erspart hatte, so gelang es ihm nicht besonders gut.

    «War schon im Wochenende. Immerhin habe ich diesmal eins», murmelte ich.

    «Wenn Du wenigstens eine Freundin hättest, Linus. Aber so mach ich mir schon fast Sorgen.» Er boxte mich gegen den Oberarm und grinste. Normalerweise würde mir das auch nichts ausmachen, denn ich gehörte nicht zur mageren Fraktion, sondern hätte mich als fit und kräftig bezeichnet, ohne übertreiben muskulös zu wirken. Diesmal jedoch, brachte mich der Boxhieb beinahe zum taumeln.

    «Dann lass Dich mal von Mutti verwöhnen, Weichei!» witzelte Thomas weiter und schüttelte verständnislos den Kopf.

    Seit sich drei Wochen zuvor Julia von mir getrennt hatte, hing ich etwas neben der Spur. Ich war noch nicht bereit mir selbst einzugestehen, dass die Trennung das einzig Vernünftigste war. Sie war nach Hamburg umgezogen, weil sie ihren Studiengang gewechselt hatte und sie war es auch, die das Thema Trennung schließlich ansprach und bis der letzte Hoffnungsschimmer gestorben war, ausdiskutierte. Schließlich hatte ich zu dem Zeitpunkt einfach klein-bei gegeben, denn ich konnte weniger Gründe finden die für uns sprachen als gegen uns. Wohl hoffend, dass sie es sich noch anders überlegen würde. Doch da lag ich falsch, drei Wochen hatte ich nichts von ihr gehört. Sie hatte zwar nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie nach Hamburg wollte, doch ich war mir nicht sicher, ob ich den Wink einfach übersehen oder schlichtweg ignoriert hatte. Womöglich konnte ich zu Hause die Ruhe finden um mit meiner gescheiterten Beziehung endgültig abzuschließen. Julia selbst hatte dies wohl schon vor unserer Trennung geschafft.

    Zuletzt streifte ich in der Umkleide meine Lederjacke über und Thomas ging bereits eilig zur Tür hinaus ohne sich zu verabschieden.

    «Und lass deine Pechsträhne in dem Kaff da! Ich brauche Konkurrenten und keine Untertanen», drang Thomas' Stimme von der Tür. Er grinste noch kurz auffordernd durch den Türrahmen, eh er endgültig verschwand.

    Es ärgerte mich, dass es noch nochmal ausgesprochen hatte, aber leider hatte er nicht ganz unrecht. Seit der Trennung war ich nicht mehr in Höchstform und das ärgerte mich selbst schon genug. Es erinnerte mich an den Präp Kurs im 4. Semester. Das präparieren der Leichen war der reinste Reinfall. Die anonymem Leichen, die bäuchlings auf den Bahren lagen, wurden in Sektionen eingeteilt. Es standen sechs bis achte Studenten um die Tische und präparierten die vorbereiteten Leichen. Sarah Kingston und ich teilten und den linken Unterschenkel, welcher rasiert und beinahe unwirklich vor uns lag. Eine Stunde zuvor hatten Julia und ich Schluss gemacht. Sie hatte mir leid getan, doch es machte keinen Sinn mehr an unserer Beziehung festzuhalten, wenn man keine Zeit mehr für einander hat und allmählich das Interesse schwindet. Deshalb war ich überhaupt nicht bei der Sache und hätte Sarah beinahe verletzt. Zudem war der Unterschenkel nicht mehr zu gebrauchen.

    Mir Schwung schepperte die Tür meines Spindes zu und ich konnte meine müde Erscheinung im Spiegel an der Wand sehen. Meine graugrünen Augen schienen tief in den Höhlen zu liegen, zumindest vermittelten de dunklen Ränder diesen Eindruck. Die Haare, Straßenköter Blond, zerzaust. Ich machte mich gar nicht erst die Mühe sie in Form bringen zu wollen. Wachs hatte ich keines dabei und dorthin wo ich fahren würde, machte es keinen Unterschied ob ich perfekt gestylt war, oder eben so aussah, wie ich es tat. Ich strich mir noch kurz über das stoppelige Kinn, aber an rasieren verschwendete ich erst recht keinen Gedanken mehr.

    Der Rucksack landete mit einem dumpfen Klong auf dem Rücksitz meines weißen Sciroccos, direkt neben einer kleinen schwarzen Reisetasche. Trotz der offensichtlichen Unwahrscheinlichkeit, dass ich auch nur ein einzige Mal ein Buch aufklappen würde in den kommenden 48 Stunden, hatte ich vorsichtshalber ein paar Bücher eingesteckt. Völlig entnervt stieg ich schließlich ein. Ich ärgerte mich über die Leiche, über Sarah, über Thomas, über Professor Rieck, natürlich über Julia und schließlich auch über mich selbst. Verdammt ich war so verdammt wütend, dass ich am liebsten ins Lenkrad gebissen hätte. Stattdessen knurrte ich wie ein Hund bis ich vor lauter Wut zu schwitzen begann und aufs Gas trat.

    Dabei hatte ich gar nicht gemerkt wie die kleinen Regentropfen leise auf den Wagen trommelten und der Scheibenwischer begann zu wischen. Ich knurrte noch ein weiteres Mal das Lenkrad an, eh ich die Geschwindigkeit verringerte um mein Ziel noch lebendig zu erreichen.

    Allmählich färbte sich das Laub rot und braun, doch die Farben leuchteten nicht so, wie es mir zu den vergangenen Herbstzeiten vorgekommen war.

    Mein 90 minütiger Weg führte mich nach Althernau, in die Hocheifel. Ein kleiner Ort in der Mitte von Nirgendwo. Als Kind hatte ich es geliebt doch die Jugend dort schien mir gleich der Hölle zu sein. Bis auf Pit und meine Eltern hatte Althernau dennoch nichts, was ich vermisste.

    Die obligatorische Kirche in der Dorfmitte konnte ich als Erstes hören, als ich Schlag 19 Uhr die Ortsgrenze passierte. Zwei alte Eichen nahmen sie in ihre Mitte, welche weniger durch ihre Höhe, sondern vielmehr durch die Breite ihrer Stämme bestachen. Unermüdlich läuteten die Glocken der Kirche zu jeder vollen Stunde, seit ich mich zurück erinnern konnte. Die Straßen wurden gesäumt von alten, weißen Fachwerkhäusern, mit den typischen schwarzen Querbalken. Schicke Gärten umrahmten einzelne Häuser, einige davon sogar mit roten Dachziegeln.

    Trotz Fachwerk sah jedes Haus anders aus und mittlerweile fanden sich auch einige neuere Bauten zwischen den mir so vertrauten Straßenzügen.

    Obwohl ich zuerst mein Elternhaus ansteuern wollte, bog ich zwei Straßen früher ab und hielt vor einem der älteren Fachwerkhäuser mit einer kleinen Bäckerei im Erdgeschoss. Dernbachs Backstube stand in kursiven Lettern in der Mitte des Schaufensters.

    Inzwischen war es dunkler geworden, Wolken hatten den Himmel verdeckt und starker Wind fegte durch die Baumwipfel. In der Bäckerei brannte noch Licht und es zog mich an wie eine Motte. Ich fischte meinen Reisetasche vom Rücksitz und trat anschließend auf die Schwelle der Eingangstür.

    Ich hielt kurz inne, mit erhobener Faust zum klopfen bereit. Zuerst holte ich tief Luft und lies sie ganz langsam aus meinen Lungen wieder entweichen. Es lag etwas darin, etwas, was ich womöglich auch vermisste. Petrichor. Kaum noch wahrnehmbar, längst nicht so intensiv wie im Sommer. Der Duft von Regen auf trockener Erde. Ich lächelte unwillkürlich und schüttelte es direkt wieder ab. Wie an einem Stück alte Heimat, klopfte ich schließlich an die dünne Glasscheibe in der Tür. Lange musste ich nicht warten, als die Tür aufgerissen wurde.

    «Man, Du siehst scheisse aus, Alter.» Pit winkte mich mit einer kurzen Armbewegung rein und wir umarmten uns zu einen kurzen Gruß.

    Pit würde mich nicht fragen, warum ich dieses Wochenende kam. Er würde mir ein Bier nach dem anderen in die Hand drücken und einfach abwarten, ob ich die Worte fand, oder eben nicht.

    Eigentlich hieß Pit auch nicht Pit, sondern Eric. Eric Peterson. Für mich jedoch, seit ich mich zurück erinnern kann, war er Pit.

    Miranda würde nicht so zurückhaltend sein. Sie und Pit waren schon seit einige Jahren zusammen und wohnten gemeinsam über der Bäckerei, in der Pit arbeitete.

    Er ging vor durch den Verkaufsraum und die Treppe rauf, die sich hinter einem roten Vorhang verbarg. Ich sah mich unwillkürlich nochmal um, knipste das Licht aus und folgte ihm dann hoch in die warme Wohnküche der zwei Zimmer Wohnung. Dabei fiel mir auf, dass Pit deutlich runder geworden war.

    «Und was ist das?», fragt ich ihn belustigt und kniff ihn in den deutlich anschwellenden Rettungsring.

    «Das nennt man Arbeitseinsatz», konterte er und winkte ab. «Seit der alte Dernbach gestorben ist...», fügte er hinzu. Dabei ließ er den Kopf fallen und schob sich auf einen Stuhl am Küchentisch.

    «Bier?», fragte Pit. Und er meinte es ernst. Allerdings war ich noch nicht breit für die Bier-Offenbarung.

    «Ging es ihm zuletzt nicht besser?»,fragte ich schnell um der Getränkefrage auszuweichen.

    «Es war einfach alt, Linus. Er ist 92 geworden und...»

    «92?», wiederholte ich überrascht und schnitt Pit somit das Wort ab. «Die Zeit rast. Das ist ja der Wahnsinn.» Eifrig rieb ich mir über die Augen.

    «Allerdings. Omi wird doch dieses Jahr auch noch 89 Jahre. Sie macht aber einen fideleren Eindruck als Chefchen es gemacht hat», sagte Pit und wieder überraschte er mich. Er nannte meine Oma Ludovika Harris, ebenfalls Omi, das hatte sie ihm vor vielen Jahren angeboten, weil Pit keine Großeltern hatte. Somit war meine Oma, unserer beider „Omi". Er war lange Zeit sehr stolz darauf und nun wusste ich, dass er es noch immer war.

    «Sie wird sich freuen!», fügte er hinzu.

    «Worüber?», fragte ich und rieb mir diesmal die Schläfen.

    «Hm, ich bin zwar nicht so neunmal klug wie Du, aber ich hab mir schon gedacht, dass Du nicht ihretwegen kommst», teilte Pit zufrieden mit. Seine Zufriedenheit wandelte sich aber schnell in etwas zwischen Besorgnis und Neugier, als ich nicht sofort antwortete.

    «Hatte keine Ahnung, dass sie hier ist. Niemand hat es mir gesagt», stellte ich ernüchtert fest. Nicht nur, dass mir niemand gesagt hatte, dass sie meine Eltern, zwei Straßen weiter besucht, zudem stand mir plötzlich nicht mehr der Sinn nach einem Familienwochenende.

    «Warst du schon dort? Was gab's zu Essen?», fragte ich rhetorisch. Doch Pit verstand den Wink nicht und antwortet trotzdem.

    «Jup. Heut zum Mittagsessen. Deine Mutti hatte einen wirklich prima Hackbraten gemacht und Omi war ganz aufgeregt.»

    Jetzt hatte ich Kopfschmerzen.

    «Wo ist Miranda eigentlich?», wollte ich nun doch wissen, wo es jetzt einige Minuten still gewesen war. Miranda ist eine durchaus neugierige und interessierte Person. Hätte sie mich also bemerkt, wäre sie längst hier und würde mich mit Fragen löchern. Stattdessen war es mir vergönnt in aller Ruhe auf die hölzerne Tischplatte vor mir zu starren. Was ich aber am meisten an ihr schätzte, war die Tatsache, dass sie Pit glücklich machte. Vermutlich hätte sie alle Jungs der nächsten 20 Dörfer haben können, doch irgendwas fand sie an Pit. Sie selbst war zwar keine Schönheit im klassischen Sinne, doch sie war attraktiv und nicht dumm.

    «Zu ihren Eltern gefahren das Wochenende. Sie ist schon heute Morgen los.»

    Pit fragte nicht, aber er sein Blick war durchdringender als die Fragen von Professor Rieck jemals hätten sein gekonnt. Eine Prise Vorwurf las ich aus dort heraus, denn ich war länger schon nicht hier gewesen. Hatte weder meine Eltern noch ihn und Miranda besucht.

    Wortlos stellte er mir ein Glas vor die Nase und schenkte Cola ein.

    «Das sollte ich auch nicht mehr trinken.» sagte er und hielt die Flasche hoch. «Das verdammte Zeug bleibt sofort kleben und bald kann ich mich durch die Backstube rollen.» Er runzelte die Stirn und stellte die Flasche weg.

    So dick war Pit nun auch wieder nicht. Seine jugendliche hagere Figur, hatte er allerdings tatsächlich abgelegt.

    «Konnte er nicht mehr backen?», hakte ich nach. Der alte Dernbach lebte früher nur für seine Backstube. Es war für mich unvorstellbar, dass er nicht mehr selbst backte.

    «Nein, gar nicht mehr.» seufzte Pit. «Er hatte den Betrieb bereits ganz mir überlassen. Allerdings...», stoppte er abrupt.

    «Was?»

    «Allerdings weiß ich auch nicht, wie lang ich noch backen kann. Die Großbäckereien schnappen mir die Kunden weg. Die Restaurants kürzen ihre Bestellungen oder geben erst gar keine mehr auf.»

    Ich hätte mich Ohrfeigen können. Klasse Freund war ich. Da war ich wütend wegen ein paar schlechten Wochen und Pit sorgte sich um seine Existenz.

    «Shit.» Brachte ich spontan heraus. «Shit.» Wiederholte ich etwas leiser, als mir eine wichtigere Überlegung durch den Kopf schoss.

    «Und die Backstube? Und hier...», ich wirbelte mit den Armen. «Was ist mit der Wohnung? Wer erbt das alles?» Pit sah an mir vorbei und zuckte mit den Achseln. «Keine Kinder, soweit ich weiß.» Er machte eine lange Pause und ich wartete. Unschlüssig ob weiter nachfragen oder einfach die Füße still halten sollte.

    «Er- Er hat uns manchmal gesagt, wir müssten uns keine Sorgen um die Zukunft machen. Aber weiß der Teufel ob das ernst war, oder auch nur... gelallt.»

    «Er hat getrunken? Wirklich?» Etwas erstaunt war ich tatsächlich. Der graue alte Herr hatte auf mich nie einen volltrunkenen Eindruck gemacht, doch die Menschen fangen bekanntermaßen aus den niedrigsten Beweggründen mit der Trinksucht an.

    «Weiß nicht. Also... nein. Denke nicht. Vielmehr... er wurde immer komischer. Also komisch im Sinne von...», Pit machte mit dem Zeigefinger ein paar kreisende Bewegungen neben seinem Kopf. «nicht komisch wie lustig», fügte er noch hinzu.

    «Dass er alt war, wissen wir ja», sagte ich achselzuckend und drehte das Glas Cola unwillkürlich im Kreis.

    «Ja schon, aber manchmal sprach er von ihr.» flüsterte Pit.

    «Von wem?», flüsterte ich zurück, obwohl ich keine Ahnung hatte wen er meinte, oder warum er flüsterte.

    «Na von Omi natürlich», sagte Pit, also wäre das das offensichtlichste auf der Welt.

    «Sie haben sich früher schon gekannt, im Krieg bereits, ich weiß», sagte ich. Pit und trank das halbe Glas Cola in einem Zug aus.

    «Das meine ich nicht», flüstere er weiter. «Sondern das Andere.»

    Ich hob die Augenbrauen. So langsam musste er mal zur Sache kommen.

    «Na, der alte Dernbach behauptete, er hätte mal was mit unsere Omi gehabt. So im Sinne von, die Zeiten waren schlimm und wir hatten ja nüscht

    Mir blieb nicht anderes als heftig den Kopf zu schütteln.

    «Also eigentlich will ich gar nicht wissen, ob meine Oma mit irgendjemandem irgendwann mal was gehabt hat.» Der Gedanke sich die eigene Großmutter beim rummachen vorzustellen ging mir etwas zu weit. Selbst wenn die als zwanzig Jährige zweifellos ein heißer Feger gewesen sein musste und das genügte um mir ein Schmunzelte entgleiten zu lassen.

    «Muss auch im Krieg gewesen sein», sagte Pit.

    «Möglich», stimmt ich ihm zu. «Aber ein Leben kann lang sein. Wer weiß, vielleicht irrt er sich ja auch.»

    «Hmm.» Pit sog scharf Luft durch seine Nase und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

    «Denk nicht mal daran sie zu fragen, Pit. Vielleicht, wenn daran was sein sollte, will sie sich vielleicht nicht daran erinnern. Und wenn es in Kriegszeiten war, stelle ich mir das deutlich weniger romantisch vor als eine Liebschaft aus heutiger Zeit. Damals war alles anders. Viele Frauen sind vergewaltigt worden.»

    Pit hob sofort resignierend die Hände, als wolle er sich ergeben. Danach ließ er sie auf den Tisch sinken. «Ich will mir das auch nicht vorstellen, ok? Aber ich hab ihm irgendwie geglaubt.»

    «Er war alt Pit. Es kommt vor, dass Menschen kurz vor ihrem Tod, sich an längst vergangene Dinge erinnern können. Das muss ja nicht zwangsläufig was körperliches gewesen sein.» Ich schnappte nach Luft. «Vielleicht hat sie ihm mal Kekse gebacken!?» Okay. Das würde ich mir selbst wahrscheinlich auch nicht abkaufen, doch mir hatte sich immer noch nicht erschlossen worauf Pit überhaupt hinaus wollte. Meine Augenlider machten sich mittlerweile ziemlich schwer.

    «Kekse?» krächzte Pit und mir blieb nicht weiter als die Schultern zu heben.

    «Übrigens hat Dir niemand was gesagt, weil deine Mutti der Meinung war, dass Du zu viel arbeitest und keine Familie brauchst die Dich ständig anruft. Sie würden sich aber trotzdem freuen, wenn Du morgen da aufschlagen würdest. Omi an erster Stelle.» Pit grinste über das ganze Gesicht und natürlich hatte er recht. Was aber auch bedeutete, dass ich vorher eine Nacht durchschlafen konnte. Mein Blick fiel auf die heimelige grüne Couch am anderen Ende des Raumes. Sie war zwar nicht ausziehbar, aber die gemütlichste auf der ich je schlafen durfte und sie war früher schon öfters von mir bezogen worden. An sich konnte ich es kaum erwarten.

    «Da wäre aber vielleicht noch was.» Pit flüsterte wieder. «Ja, ich weiß, der alte Dernbach war alt. Das hatten wir schon, aber er hat noch mehr gesagt. Ok, er hat mehr gelallt, aber dabei war er ziemlich deutlich. Was auch schon komisch war, also wieder...» Pit wiederholte die kreisende Bewegung mit dem Zeigefinder neben seinem Kopf. «Denn er roch gar nicht nach Alk. Kein bisschen. Höchstens etwas muffig.»

    Mit etwas Mühe verkniff ich es mir herzhaft zu gähnen und reckte meine Arme in die Höhe.

    «Komm zum Punkt, Pit», raunte ich.

    «Ja, ja gut. Er hat gelallt, dass alles mal ein Ende hat. Und, dass man auch nicht ewig lebt, selbst wenn man nicht krank ist.» sagte Pit in gedämpften Ton und rutschte auf seinem Stuhl herum.

    «War er also doch krank? Was hatte er denn?»

    «Nein. Nicht krank. Nicht er.» Pit lehnte sich zu mir über den Tisch. «Er behauptete, dass Omi krank ist und dass sie bald sterben muss.»

    Ich starrte ihn an und war wieder hellwach.

    «Vielleicht nehm' ich doch ein Bier.»

    Kapitel 2

    Selig sind die Unwissenden

    Geschäftiges Treiben und Stimmen hörte ich aus der Backstube und dem Verkaufsraum während ich die Schnürsenkel meiner Turnschuhe verknotete. Ich saß oben auf einem Küchenstuhl und lauschte nach unten.

    Die Sonne drängte sich durch die dicken Vorhänge in der Küche. Als ich sie zurück zog, kniff ich geblendet die Augen zu, denn das grelle Sonnenlicht war um ein vielfaches heller, als ich erwartet hatte. Meine müden Augen gewöhnten sich nur langsam daran.

    Das Dutzend Bierflaschen auf der Küchenzeile ließen mich vermuten, dass Pit nun wusste, warum ich hergekommen war. Weil die letzten Wochen ein reiner Spießrutenlauf gewesen war. Weil mich meine Freundin schlichtweg abserviert hatte und mir vor lauter Müdigkeit oft die Augen zu fielen. Die Frustration darüber, wie sehr sich mein Leben zum negativen verändert hatte und wie wenig ich scheinbar ausrichten konnte um das Gegenteil herbei zu führen, ärgerten mich mehr als ich zugeben wollte. Aber ich war nicht allein auf der Welt mit Problemen.

    Bevor ich eingeschlafen war, hatte mich noch Pits Sorge über seine nahe Zukunft und die Backstube beschäftigt. Die Hiobsbotschaft über den baldigen Tod meiner Großmutter und somit auch Pits, hatte ich relativ schnell als nicht ernstzunehmendes Geschwätz eines alten Mannes abgetan. Natürlich ist niemand vor einem plötzlichen Tod gefeit, erst recht nicht nach einem langen und erfüllten Leben. Allerdings hatte ich enorme Zweifel an der Glaubwürdigkeit solcher Voraussagen. Der Mediziner in mir betrachtete das etwas nüchterner. Meine Großmutter war stets gesund und kräftig gewesen und nichts hatte darauf hingedeutet, dass sich die sobald ändern sollte.

    Die Nacht hatte ich tatsächlich ohne Unterbrechung im Tiefschlaf auf meiner grünen Couch verbracht. Wie schön durchschlafen sein kann, weiß man erst zu schätzen, wenn man sonst nachts arbeitet, lernt oder schlaflos an die Zimmerdecke starrt.

    Das T-Shirt vom Vortag stopfte ich noch meine Reisetasche und kickte sie unter die Couch, eh ich die Treppe zur Backstube hinunter lief. Der Verkaufsraum war gerade leer und Pit zog ein Blech dampfender, goldbrauner Croissants aus dem Ofen. Die Wolke traf mich wie ein Schlag.

    «Wow, ich hatte ganz vergessen...!», murmelte ich zu mir selbst, doch Pit schien mich bereits vorher gehört zu haben.

    «Moin, Moin. Kannst gleich welche haben», rief Pit mir über die Schulter zu.

    «Morgen! Später. Gern. Ich geh erst mal rüber.» sagte ich und nickte zur Tür.

    «Alles klar, bis später.» rief Pit zurück, drehte sich aber nicht mehr um.

    Draußen schien es noch viel heller zu sein, als ich drinnen vermutet hatte. Keine einzige Wolke war mehr am Himmel und die Sonne strahlte noch einmal mit voller Kraft vom stahlblauem Himmel.

    Die beiden Straßen zu meinem Elternhaus ging ich zu Fuß und ließ den Scirocco gegenüber der Backstube stehen. Es war erschreckend wie wenig sich seit meiner Kindheit dort geändert hatte. Der unaufdringlich lilafarbene Lavendel, von Frau Krämer wuchs immer noch ungehindert über ihre Grundstücksgrenze auf den Bürgersteig. Ihre Nachbarin und wohl eine waschechte Erbsenzählerin, Frau Hambücken, hatte jahrelang jeden Herbst den überwachsenden Lavendel moniert und bestand darauf, dass die Büsche zurück geschnitten wurden. Als Pit und ich etwa acht Jahre alt waren, fanden wir hinter dem Haus meiner Eltern ein totes Eichhörnchen und fanden, dass es begraben werden musste. Allerdings bestattet wir es nicht im eigenen Garten, sondern wir suchten uns Frau Krämers Lavendel als Grabstätte aus. Sie kreischte hysterisches, als sie das halb verrottete Nagetier fand und warum auch immer, verdächtigte sie wohl Frau Hambücken, ihr das tote Tier untergeschoben zu haben. Diese bestreitet das noch heute.

    Weiter die Straße entlang, am Grundstück der Familie Gerbhoff vorbei, erinnerte ich mich an die schönen Grillabende die wir dort verbracht hatten. Die Rauchschwaden gefüllt mir dem Duft von Würstchen, Koteletts und einigem an Gemüse. Bis in die tiefsten Sommernächte hinein in denen es spät Abends noch Toffifee in Blätterteig vom Grill gegeben hatte. Die Gerbhoffs hatten zwei Kinder, damals etwa in meinem Alter. Die Zweieiigen Zwillinge Hanna und Yannik. Soweit ich wusste, hatten beide das Dorf kurz nach mir verlassen. Hannah ging nur nach Koblenz um Pferdewirtin zu lernen, während Yannik sich in die Hauptstadt Berlin verguckt hatte. Oder in die Straßenmusikerin Jojo. Das konnte niemand so genau wissen. Jedoch genau wusste ich, dass der vierte Stein von rechts, der oben auf der Steinmauer lag, noch immer lose war. Er hatte sich vor etwa 15 Jahren aus dem Zement befreit und lag dennoch an der selben Stelle. Verblüffend wie man sich an solche Banalitäten erinnern kann. Natürlich kam ich nicht umhin daran zu wackeln und mich von der Richtigkeit meiner Erinnerung zu überzeugen.

    Als ich um die perfekt getrimmte, grüne Hecke an der Straßenecke bog, die zum Grundstück des Ehepaars Heiner gehörte, konnte ich den grünen Landrover meines Vaters bereits in der Einfahrt stehen sehen. Zuvor hatte ich die leise Befürchtung, dass Frau Heiner, in ihrem weißen Klappstuhl mittig auf dem leicht erhöhten Rasen sitzen würde, von wo aus man einen fantastischen Blick über die Straße hatte. An diesem Tag tat sie es nicht.

    Es war ein älteres Modell des Landrover, welcher von meinem Vater jedoch liebevoll gepflegt und ich Schuss gehalten wurde. Die braune Ledergarnitur machte noch immer einen nagelneuen Eindruck. Ich spähte hinein, als ich am Wagen vorbei ging.

    Ich machte mir gar nicht erst die Mühe zu klingeln und drauf zu warten herein gelassen zu werden, stattdessen umrundete ich das Haus und sah genau das, was ich auch erwartet hatte. Der runde Tisch auf der Terrasse war zum Frühstück gedeckt gewesen, wenn auch das Frühstück schon vorüber gewesen war. Meine Mutter entdeckte mich als erste und klatschte vergnügt in die Hände. Eine liebevolle Unart, wie ich schon vor vielen Jahren feststellte. Immerhin wusste sofort jeder, dass etwas geschehen war. Von ihrem Gesicht konnte man zeitnah ablesen, ob es sich um eine gute, oder eine schlechte Sache handelte.

    Meine Mutter lächelte und nickte mir zu. Sie fasste auf die Armlehne des Stuhls neben ihr, der mit dem Rücken zu mir stand. Meine Großmutter erhob beide Hände zum Gruß und winkte.

    «Linus!», flötete meine Großmutter. Nachdem ich mich aus der Umarmung meiner Mutter lösen und ich mit Mühe den erstaunlich festen Klammergriff meiner Großmutter lockern konnte, küsste ich beide Frauen noch auf die Stirn.

    «Will, unser Sohn ist hier,» rief meine Mutter aus vollem Hals, ohne sich zu rühren oder mich aus ihrem Blick zu entlassen. Noch so eine Unart. Die zu überwindende Strecke machte sie mit höherer Lautstärke wett. «Noch ein Überraschungsgast dieses Wochenende», quietschte sie vergnügt. Und dies war auch schon das dritte unverkennbare Erkennungsmerkmal meiner Mutter. Normalerweise würde ich behaupten, dass erwachsene Frauen nicht quietschten. Diese schon.

    Eh ich nach meinem Vater fragen und meine Mutter zu ihrem Monolog über mein spärliches Kommunikationsverhalten ansetzen konnte, stand er auch schon in der Schiebetür zur Terrasse, seinen Tennisschlager und eine grüne Sporttasche geschultert.

    «Junge!», sagte mein Vater trocken. Für seine zurückhaltende Freude war ich ihm dankbar. So wenig ich natürlich meiner Großmutter oder meiner Mutter böse sein konnte für ihre überschwängliche Freunde meines überraschenden Besuches. Unangenehm war es mir dennoch. Ich wusste schon längst, dass sie mit ihrem angehenden Arzt-Sohn in Köln prahlten und nur ungern hätte ich ihr Bild von mir enttäuscht.

    «Hi Dad. Auf dem Sprung?»

    «Ja. Herbert hat auf ein Revanche bestanden. Leider hatte er das letzte Mal keine Chance gegen meine äußerst glückliche Rückhand.» Mein Vater war seit ich mir zurück erinnern konnte, ein leidenschaftliche Tennisspieler. Bisher hatte er, sportlich gesehen, das ganze Dorf und schon einige Gegner aus Nachbardörfern gegen sich aufgebracht.

    Er nahm mich an der Schulter und zog mich ein Stück zurück um Auto. «Wie lange bleibst Du?»

    «Bis Sonntag. Ich bleibe bei Pit.»

    «Gut, dann sehen wir uns später noch.»

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