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Der 884. Montag: Roman eines Rebellen
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Der 884. Montag: Roman eines Rebellen
eBook156 Seiten2 Stunden

Der 884. Montag: Roman eines Rebellen

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Über dieses E-Book

Eigentlich wollte ich ja bei meinem 884. Montag, dem eine Sonntagnacht vorausging, in der ich das erste Mal Beischlaf ausübte, mit zählen aufhören. Ich hatte verdammtes Glück gleich beim ersten Mal an eine wunderbare Frau zu geraten, über die noch zu reden sein wird. Ich schwor mir, keinen Tag älter zu werden. Aber es fragt einen keiner, und wenn man dann doch älter wird, will man schließlich auch alt werden. Wenn mir nun schon jeder Tag wie Montag ist, so sollte mir wenigstens ein blasser Schimmer von meinem 884. Montag bleiben.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Okt. 2014
ISBN9783847616818
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    Buchvorschau

    Der 884. Montag - Gunter Preuß

    Zum Geleit

    Fußspuren werde ich hinterlassen,

    gute und geheimnisvolle.

    Fußspuren werde ich hinterlassen,

    wenn ich den Grund reinige.

    Fußspuren werde ich hinterlassen,

    die in gleichen Reihen liegen.

    Fußspuren werde ich hinterlassen,

    die heilig sind.

    (Lied einer Osage-Frau)

    1.

    Es begann an einem so verdammt schönen Montag, an dem man sich wünscht, nie aufgewacht zu sein, weil da wieder so eine Woche anfängt, die man zäh kauen, schlucken, aufstoßen und wieder schlucken muss, wie das liebe Rindvieh das grüne Gras. Es war so ungefähr mein neunhundertsechs-unddreißigster Montag. Für die, die nicht wissen, dass ein Jahr meistens zweiundfünfzig solcher gemeiner Tage hat, sage ich, dass ich haargenau an diesem Montag achtzehn Jahre auf dem Buckel hatte. Eigentlich wollte ich ja bei meinem 884. Montag, dem eine Sonntagnacht vorausging, in der ich das erste Mal Beischlaf ausübte, mit zählen aufhören. Ich hatte verdammtes Glück gleich beim ersten Mal an eine wunderbare Frau zu geraten, über die noch zu reden sein wird. Ich schwor mir, keinen Tag älter zu werden. Aber es fragt einen keiner, und wenn man dann doch älter wird, will man schließlich auch alt werden. Wenn mir nun schon jeder Tag wie Montag ist, so sollte mir wenigstens ein blasser Schimmer von meinem 884. Montag bleiben.

    Tatsächlich habe ich jeden Morgen Schwierigkeiten, auf meine Gebeine zu kommen. Aber bisher hat es Olga noch immer geschafft mit ihren grausamen Sprüchen von Ordnung, Disziplin und Pünktlichkeit.

    Olga ist meine Mutter, achtzig Kilogramm Lebendgewicht, voll emanzipiert, Verkäuferin für diese übel riechenden Wassertiere, deren Geruch ich ständig mit mir herumschleppe, nur dass ich einmal nach Karpfen, das andere Mal nach Kabeljau oder grünen Heringen dufte. Olga war schon in Vorwendezeiten Fischverkäuferin. Doch damals verkaufte sie nur Makrele roh, geräuchert und in Aspik, während sie jetzt vom Stichling bis zum Weißen Hai alles in der Vitrine aufgebahrt hat. Früher leitete sie den Schuppen und hatte nach acht Stunden Feierabend. Heute hat sie nur noch Bitte und Danke zu sagen und muss vor dem Ladenbesitzer zu all dem Fisch noch Bücklinge machen.

    Manchmal hält mich einer dieser organisierten Verrückten, die diesen Tieren mit der Angel nachstellen, an und will wissen: Beißen sie heute? Hast du mit Wurm oder Teig geködert? Wenn es mich wirklich mal packen sollte und ich Lust verspüre, jemanden vom Leben zum Tod zu befördern, dann bestimmt an einem Montagmorgen so einen Fischkranken.

    Olga stand also am besagten Montag vor meinem Bett und ließ ihre Sprüche auf mich los.

    Nun tritt schon ab, Olga, sagte ich missmutig, verdammten Räucherfisch in der Nase. Du hast gewonnen, okay?

    Ich setzte mich gleich im Bett auf und drückte muntere Froschaugen. Meine alte Dame sollte gleich ihren Abgang machen und sich nicht erst noch zu einer Zugabe hinreißen lassen. Aber sie trat nicht ab, ohne mir vorgebetet zu haben, wie glücklich ich mich schätzen müsste, nach dem Rausschmiss aus der Bildungsanstalt für Eierköppe, die sich Gymnasium nennt, endlich eine Lehrstelle bekommen zu haben. Danach sang sie mit gefalteten Händen, dass ich nun endlich Vernunft annehmen, mich wie jeder andere Mensch zusammenreißen und meinem Lebensweg ein ordentliches Ziel geben soll ...

    Wie immer, wenn sie mit Olga durchgingen, sah ich auf so einen Spruch, der in grüner Farbe an meiner Zimmerdecke verewigt ist. Ich habe ihn von einem großartigen Biologen, der immer noch an den lieben Gott und den Kommunismus glaubt und inzwischen Penner geworden ist, was die Besserwisser wohl Karriereknick nennen. Ich war dabei, als er den kleckernden Straßentauben einen Vortrag über die Unsterblichkeit des Menschen hielt: Auf dem modulationsbegrenzten tierischen Miau-Miau, Mäh-Mäh, Wau-Wau oder Muh-Muh lässt sich ebenso wenig eine hoch entwickelte Kultur aufbauen, wie auf dem Blabla mancher menschlicher Zeitgenossen.

    Eigentlich gehörte so ein Spruch an jeden Spiegel gesteckt. Aber da ihn dort wohl keiner sehen will, bewahre ich ihn solange in meinem Zimmer auf, bis es mal Gesetz wird, dass er in jedem Versammlungsraum gut sichtbar angebracht sein muss.

    Endlich war ich allein. Ich stellte mich vor den Spiegel, gähnte und dachte: Ein Scheiß ist das. An so einem Tag darf man doch keinen Job anfangen. Das muss einfach schiefgehen. Bisher bin ich jedes Mal gegen irgendeine Mauer gerannt, egal ob ich den Vor- oder den Rückwärtsgang eingelegt hatte. Und immer hatte es an so einem verdammten Montag angefangen.

    Und schöner war ich auch nicht geworden. Ich habe eigentlich, seit ich denken kann, so ein ausgesprochenes Montagsgesicht. Man muss sich einen Kopf vorstellen, irgendeinen Kopf, fast kahl, nur etwas Flaumhaar bedeckt die Schädelmitte, als hätte dort ein Vogel begonnen, sein Nest zu bauen, was er bald aus Materialmangel wieder aufgegeben hat. Und das mit achtzehn Sommern. Am Anfang habe ich mir literweise Haarwasser auf den Schädel gekippt, aber dann musste ich einsehen: Auf Asphalt kann nun mal kein Gras wachsen. Und einen harten Schädel hab ich, verdammt noch mal".

    Zwischen die Mutzeln habe ich eine kleine blaue Feder gesteckt. Ich habe sie vor Jahren bei einem Klassenbesuch im Indianermuseum aus einem Häuptlingsstutz, in dem sie selbstvergessen zwischen Adlerfedern steckte, mitgehen lassen. Die Mutzeln können das Federchen nicht immer festhalten. Schon der erste Windstoß lässt es hinters Ohr rutschen, und ich sehe aus wie die linke Hand von einem Buchhalter.

    Nun, ich lasse es über der Oberlippe und ums Kinn herum sprießen. Was da gedeiht, ist auch nicht zum Hinschmeißen, aber es sind wenigstens Haare, wenn sie auch so ein paar Farbblinde rot nennen. Für mich sind sie höchstens kupferfarben bis goldbronzen, zu sehen sind sie jedenfalls, wenn man sich die Zeit nimmt, genau hinzugucken. Das edelste der zu meinem Kopf gehörenden Teile ist meine Römernase, an der es rein gar nichts auszusetzen gibt, vielleicht nur, dass sie eben nicht in mein Gesicht passt. Von meinen Augen haben alle meine Pauker behauptet, dass sie unverschämt und anmaßend blicken würden. Mein Mund wäre sinnlich, so jedenfalls hat es mal eine Lady aus unserer Straße gesagt, die mit sechzehn schon einwandfrei auf den Strich ging und als Schulkleidung Strapse bevorzugte. Sie wusste genau Bescheid, wie es die Bienen miteinander machen. So etwas nennt man Spezialistin. Sie gab der Biologielehrerin keine Chance.

    Der verdammte Uhrzeiger war nicht aufzuhalten. Ich warf mich also in Schale, - Billigjeans, Ramschlederweste und Sandalen aus Neandertal -, sprang auf meinen Siebentagerenner und strampelte durch die unbelüftete Stadt, um Olgas Spruch über Pünktlichkeit in Erfüllung gehen zu lassen.

    2.

    Endlich sprintete ich in den Krankenhauskomplex der Uni ein, ohne Freudenschreie und Beifallsrauschen. Es war ein schäbiger Irrgarten mit je-der Menge Filmkulissen: Pappbaracken, altersschwache Häuser und halb fertige Neubauten. Dann stand ich vor so einem Schuppen ohne Gesicht. Ich sah die vielen Steine, die man da aufeinandergesetzt hatte und hinter denen ich nun verschwinden sollte.

    Über der Haustür stand in bröckelnder Goldschrift: PATHOLOGIE. Also so eine verdammte Fabrik, in der Leichen in Teile zerlegt und durch den Schornstein verraucht werden.

    Mir war wie bei meinem eigenen Begräbnis. Ich verfluchte die pingeligen Medizinmänner, die mich für die Arbeit auf See als untauglich eingestuft hatten. Nur weil mein Herz nicht ganz nach ihren Vorstellungen schlägt. Dabei bin ich ganz zufrieden mit meiner Pumpe. Ich weiß wenigstens, dass ich eine habe, wenn sie mal sticht.

    Wenn es nach mir ginge, wäre ich schon längst auf See. Ich würde in Alexandria, London oder Odessa an Land gehen und endlich tief durchatmen können. Ich brauchte mir nicht immer wieder erzählen zu lassen, wie gut es mir doch ginge, dass ich zufrieden sein könne und sich jeder Mensch seinem Schicksal fügen und den Gegebenheiten anpassen müsse.

    Meinen Platz im Leben soll ich finden. Aber man weist mir dauernd einen an, auf dem ich es aushalten soll. Alle müssten das. Doch ich kann es nicht. Sie haben nur Stehplätze außerhalb des Zirkuszeltes für mich, von denen aus man absolut gar nichts mitkriegt und auf Wakan Tanka hoffen muss, dass er es endlich Licht werden lässt. Und wenn du dann wirklich mal einen Sitzplatz erwischst, ist es ein Notsitz, auf dem du mit hunderttausend anderen sitzt und womöglich ein Leben lang festklebst, obwohl du inzwischen mitgekriegt hast, dass du in der falschen Vorstellung sitzt. Es will ja jeder nur mein Bestes, solange es sein Bestes ist.

    Ich parkte also mein Rad im Innenhof der Pathologie, in einer langen Rei-he Leichenwagen. Noch einmal sah ich in den Sommerhimmel, der blau war wie das Meer und in dem die Sonne als unerreichbare goldene Insel schwamm. Schon gut, aber in so einem Montagmorgenaugenblick kann auch ein sogenannter Normaler Wahnvorstellungen bekommen.

    Ich öffnete vorsichtig die schwere Tür. Es schlug mir ein Duft von Formalin, ein Saft, in dem die Innereien dahingegangener Homo sapiens konserviert werden, entgegen. Mein Magen ist stabil wie eine Blechbüchse, aber jetzt begann er doch, sich von innen nach außen zu wenden.

    Ich gab mir einen Tritt, tauchte im Gemäuer unter, lief durch irrsinnig lange Gänge, in denen es nach Kaffee roch, als wäre ich in einer türkischen Mokkastube gelandet. Links und rechts Türen, Namensschildchen von Leuten, die alle ihren Platz im Leben gefunden hatten. Auf den Gängen wimmelte es von Weißkitteln. Sie hatten es furchtbar eilig, als könnten sie ihre Leichen ins Leben zurückrufen. Im Keller, an der Stelle, wo es am dustersten war, fand ich die Technikleute.

    Da hockten meine zukünftigen Kollegen um einen Tisch herum. Sieben Mann, der eine telefonierte, der andere stieg aus den langen Unterhosen, der dritte bastelte an einem Radio, das bestimmt schon existiert hatte, bevor es überhaupt erfunden war. Der eine quälte die anderen gerade mit einem Witz. Und die anderen taten auch nichts.

    Der Raum war ein Loch. Es war mit zwei großen Blechschränken, aus denen es bedrohlich summte, mit Spinden, Stühlen, Tischen und Werkzeugtaschen verstopft. Nur der Einschlupf war freigelassen. Es roch nach Tod und Teufel, sodass ich mich nach Olgas Fischgestank zu sehnen begann. Ich blieb in der Tür stehen, sagte nur: Tag, ich bin wohl der Neue.

    Nun musste ich stillhalten und mich beglotzen lassen wie eine Bakterie unterm Mikroskop. Dann stand so ein schniefender Walrosstyp auf. Er hatte sich soeben noch mit seinen Greifern an den Zehen rumgepolkt. Er watschelte auf mich zu und hielt mir seine Flosse hin, die ich aus Gründen der Hygiene übersah. Das schien ihn zu grämen, denn er sagte: Mein Name ist Firat. Dir ist wohl die Hand deines Meisters nicht gut genug, he? Bist wohl ein ganz Feiner? Du musst nicht denken, dass du hier auf dein Abitur pochen kannst.

    No insults please!

    "Sprich ein ordentliches Deutsch mit mir. Wir sind jetzt alle wieder Deutsche. Oder bist du etwa gar kein Deutscher? Na, das würde passen. Das

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