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Die Schreie der Mohnblumen: Band 2 der märchenhaften Urban Fantasy Dilogie
Die Schreie der Mohnblumen: Band 2 der märchenhaften Urban Fantasy Dilogie
Die Schreie der Mohnblumen: Band 2 der märchenhaften Urban Fantasy Dilogie
eBook393 Seiten5 Stunden

Die Schreie der Mohnblumen: Band 2 der märchenhaften Urban Fantasy Dilogie

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Über dieses E-Book

Ich bin die Hüterin des Waldes.
\Ja, es gibt ne neue. War nicht meine Idee./
Ich bin das Herzstück des Evergreen Forest
\Und nein, mein Haar ist nicht rosa, sondern Schwarz wie Ebenholz./
Ich bin die Bewahrerin allen Lebens
\Dienerin des Todes./
und das Mädchen, das die Welt zugrunde richten wird...

Ich bin Poppy, die Mohnblume,
deren Schreie solange Tod und ewige Finsternis
über die Menschen bringen werden, bis ein Märchenprinz auftaucht
und ein Kuss wahrer Liebe, mein Herz auftaut.
\Erwähnte ich, dass ich mit Agoraphobie lebe und noch nie geküsst wurde? Nein?
Tja, so ist es, also macht euch keine Hoffnung, sondern ein Testament./
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum17. März 2023
ISBN9783910615700
Die Schreie der Mohnblumen: Band 2 der märchenhaften Urban Fantasy Dilogie

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    Buchvorschau

    Die Schreie der Mohnblumen - Martha Kindermann

    Die_Schreie_der_Mohnblumen.jpg

    Copyright 2022 by

    Dunkelstern Verlag GbR

    Lindenhof 1

    76698 Ubstadt-Weiher

    http://www.dunkelstern-verlag.de

    E-Mail: info@dunkelstern-verlag.de

    ISBN: 978-3-910615-70-0

    Alle Rechte vorbehalten

    Für Margrit,

    die tapferste Blume unter der Sonne, die dem Geruch frischgedruckter Bücher nicht widerstehen kann.

    Poppy ist und war schon immer für dich!

    Triggerwarnung

    Liebe Lesende,

    dieses Buch enthält neben unverblümt blumiger Sprache potenziell triggernde Inhalte. Falls ihr denkt, ihr könntet davon betroffen sein, findet ihr am Ende des Buches eine Liste mit den Triggerthemen. Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch.

    Inhalt

    Prolog

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Moss

    Poppy

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Poppy

    Moss

    Poppy

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Arnit

    Poppy

    Poppy

    Arnit

    Poppy

    Moss

    Arnit

    Poppy

    Arnit

    Epilog

    Moss

    Danksagung

    Triggerwarnung

    »Auch wer um die ganze Welt reist,

    um das Schöne zu suchen,

    findet es nur,

    wenn er es in sich trägt.«

    Ralph Waldo Emerson

    Prolog

    Was ist »Aschenbrödel« eigentlich für ein Scheißname? Kann mir das mal einer sagen?

    Ja, ich weiß, ich habe gerade andere Sorgen und sollte mir den Kopf nicht über ein Märchen zerbrechen, welches mir einst das Liebste unter den fantastischen Geschichten meiner Kindheit war, aber …

    Okay, anders: Wenn du … sagen wir mal … gefangen … wärst – stellst du es dir vor, ja? Gut! Wenn du bis in alle Ewigkeit festsitzen würdest, einem Schicksal ausgeliefert, welches du … na ja … nicht ganz freiwillig gewählt hast … wenn deine biestige Halbschwester dich 24/7 bevormundet und dich mit ihrer grellen Stimme beinahe in den Wahnsinn treibt, und … du … ganz zufällig mit Tieren sprechen kannst … dann stellt sich doch zwangsläufig die Frage: Wo sind die Haselnüsse, die Fee, die Ballkleider und natürlich der Prinz? Und schon überkommt mich wieder der Gedanke, womit das arme Ding, dessen Großherzigkeit mich immer berührt hat, einen derartig bekloppten Namen verdient hat?

    Hach, auch egal! Aschenbrödel hin oder her … es gibt keine gläsernen Schuhe, die an meine Plattfüße passen würden, in hamsterarschlochviolettfarbenem Tüll sehe ich vermutlich aus wie eine Presswurst und Männer auf Pferden, die in den Forest reiten, um sich unsterblich in das verdreckte Waldmädchen zu verlieben … merkst du selber, oder? Völlig Banane!

    Ich bin die Hüterin des Waldes, wache über Fauna und Flora des Evergreen Forest und lebe in einem mächtigen Baum, der sich aus der natürlichen Kraft der Mohnblumen und den widernatürlichen Überresten eines steinernen Gebäudes formte. Mein Leben ist eine einzige Freakshow und ich die Person im Rampenlicht.

    Ich habe all das, was ich nie wollte: Verantwortung, Macht und düstere Gedanken, welche die Stimme meiner toten Schwester weiter nähren, um meinen Geist zu verdunkeln und die Mäzenin des Todes in mir zu erwecken.

    Ich weiß nicht, wie lange ich gegen die Verlockung der Dunkelheit ankämpfen kann. Ich weiß nicht, ob meine Freunde noch immer versuchen, mich aus diesem Gefängnis zu befreien oder ob sie mich längst vergessen haben.

    Ich weiß nicht, ob ich vergeblich auf den Kuss der wahren Liebe warten muss, der alles verändern und mir meine Lebensfreude zurückbringen könnte.

    Aber in einer Sache bin ich mir sicher: Ich würde mir, ohne zu zögern, beide Fersen abhacken, wenn ich die Zeit zurückdrehen, wieder einfach nur Poppy, die agoraphobe Krankenschwester, sein könnte und es Magie nur in Märchen gäbe.

    Arnit

    Linnea, was machst du da?«

    Ja, Doktor Fiorello, das würde ich auch sehr gern wissen, zumal ich an einen Waschtrog gefesselt und geknebelt auf dem Boden einer Holzhütte sitze und diese Frau bei ihren vergeblichen Versuchen zu zaubern beobachte.

    Mmh, ja, zaubern, richtig gehört! Die ist vollkommen irre und es ist mir absolut schleierhaft, was unser netter Herr Doktor mit ihr zu schaffen hat, wo er doch eigentlich die Chefin höchstselbst ehelichen wollte. Zugegeben, die ist nicht weniger gruselig, und wenn ich den Unterhaltungen meiner Peiniger hier Glauben schenken darf, dann weilt sie zudem nicht mehr unter uns. Schade eigentlich. Ich werde ihre gemeinen Sprüche über mein äußeres Erscheinungsbild wohl vermissen. Schließlich war sie eine der wenigen im WONC, die mich überhaupt wahrgenommen hat. Okay, sie hat mich eigentlich immer nur beleidigt, wenn sie sich dazu herabließ, mit mir zu sprechen, aber es war eine Unterhaltung und kann somit als menschliche Konversation gewertet werden.

    »Sieh ihn dir an, Fio«, entgegnet die Hexe mit dem rosafarbenen Haar, während sie seltsame Bewegungen mit ihren dürren Fingern vollführt. »Er schaut so traurig und verstört aus. Wie ein scheues Kitz.«

    »Ist das verwunderlich?«, fragt der Herr Doktor und spricht mir damit aus der Seele. »Er wurde samt einem Haufen magischer Wesen und gemeinsam mit dem Gebäude, in dem er gearbeitet hat, in einen mystischen Stab gesogen, in den Forest gebeamt, von bösartigen Mutantenmohnblumen attackiert und musste dabei zusehen, wie du seine Chefin auf Ameisengröße geschrumpft und im Boden verschwinden lassen hast, während sich im Hintergrund die Gesteinsüberreste und Killerblumen zu einem neuen Ältesten vereinigten.«

    Genau! Wer dreht da bitte nicht völlig durch? Ich bin ein einfacher Kerl, von ungefähr zweiundzwanzig Jahren (ja, lange, traurige und komplizierte Geschichte), mag die Routine meines Jobs im Whim of Nature Conservatory, in welchem ich seit siebenundvierzig Monaten als Nachtwächter tätig bin, und hätte auf diesen kranken Hokuspokus der letzten Tage gut und gerne verzichten können.

    »Eben, Fio«, trällert die von Sommersprossen übersäte Gruselbraut, »ich möchte ihm etwas Gutes tun, ihn aufheitern und …«

    »Und?«, hakt mein sympathischer Vorgesetzter ein und verschränkt die Arme fragend vor der Brust.

    »Und dafür ist nur ein winzig kleiner Zauber notwendig.«

    »Aha«, murmelt Doktor Fio, und wenn ich Augenbrauen hätte, dann würden sie sich ebenso in die Höhe ziehen wie seine. »Dir ist aber schon bewusst, dass deine Grünlinge … na ja …«

    »Kaum mehr auf meine Rufe regieren? Mich freundlich begrüßen, sich an mich schmiegen, aber meine Magie nicht mehr ausführen?« Er nickt und ich verstehe nur Bahnhof. »Glaub mir, Fio, niemand weiß dies besser als ich. Meine Zeit als Livtinga ist vorüber. Der Älteste hat die wahre Erbin gefunden und Poppy zur Hüterin des Waldes gemacht. Damit sind meine floralen Zauber auf sie übergegangen und machen aus mir wieder eine … beinahe normale Frau, die sich glücklich an deine Seite lehnen kann.«

    Poppy. Ich habe keine Peilung, was ein ›Ältester‹ oder eine ›Lidingsda‹ ist, aber an Poppy erinnere ich mich gut. Sehr gut.

    Die hübsche Krankenschwester mit den Knopfaugen und der großen roten Blume in ihrem pechschwarzen Haar stand so oft in der Eingangshalle des WONC und versuchte mutig, einen Fuß aus dem Gebäude zu setzen. Um mich war es sofort geschehen. In der ersten Sekunde, als ich das scheue Reh sah, schlug mein Herz bis zum Hals und ich saß so lange mit offen stehendem Mund hinter meiner Glasscheibe, bis mir die Spucke von der Unterlippe tropfte. Kein Scheiß. Sie hat vermutlich null Ahnung, wer ich bin, aber … puh, ich bekomme schon feuchte Hände, wenn ich gerade nur an sie denke. Poppy – allein ihr Name. Poppy – klingt wie ein knusprig gebratener Marshmallow, der mich mit seinem süßen Duft in Versuchung führen will und … ja, es wird peinlich.

    Nur so viel: Wir kamen vor knapp vier Jahren beinahe zeitgleich in der wissenschaftlichen Einrichtung an. Sie als Azubine mit einer heftigen Angststörung, die sie an dieses Gebäude band, und ich als frischgebackener Schulabsolvent, ohne Plan, der einen Job brauchte, der ihm genügend Raum zur Selbstfindung einräumte.

    Anscheinend hat Poppy den Schritt nach draußen geschafft, was ziemlich beeindruckend ist, während ich auf den Zauber einer Verrückten warte, der einen Funken Glück in mein Leben bringen soll.

    Ha. Glück! Was ist das?

    Meine Eltern starben, als ich noch klein war – so sagt man, mir fehlt jegliche Erinnerung an sie – und so kam ich mit ungefähr acht Jahren (ja, immer noch die lange, traurige, komplizierte Geschichte) in eine Einrichtung, die die Bezeichnung ›Heim‹ nicht verdient hat.

    Ich leide an einer seltenen Form der Alopezie, besser bekannt als Haarlosigkeit, und wurde durch mein seltsames Erscheinungsbild nie in eine Adoptivfamilie vermittelt. Ich wuchs von den anderen Waisenkindern gemieden in einem baufälligen Haus am Stadtrand auf, verließ mein Zimmer nur, um in die Schule zu gehen, auf der es mir nicht besser erging, und um den kargen Mahlzeiten beizuwohnen.

    Ich vertiefte mich in meine Bücher, flüchtete mich in fantastische Welten und fing an, mir nerdige Hobbys zuzulegen. Ich kann tödliche Waffen aus Papier falten, mit einer Büroklammer oder Haarnadel wirklich jedes Schloss knacken, löse den Zauberwürfel in unter zehn Sekunden und was vielleicht das Coolste ist … ich empfinde keine Schmerzen. Also körperlich. Im Ernst! Ich könnte über glühende Kohlen laufen, mir in den Finger schneiden oder die Arschbacken aneinanderkleben, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Ja, ich weiß, dass ich seltsam wirke und vermutlich allein sterben werde, aber ich bin auch mächtig stolz darauf, was ich mit viel Fleiß und Durchhaltevermögen (und mentalen Superkräften, die ich geheim halte) alles erreichen konnte.

    Bis hierhin.

    Bis zu dem Zeitpunkt, der mein langweiliges Leben auf den Kopf stellte, meine Überzeugungen über den Haufen warf und mich letztendlich an den Zuber in dieser Hütte mit diesen Menschen fesselte, die mich ruhigstellen wollten, bevor ich sie und mich selbst verletze.

    »Aber?«, holt mich Doktor Fiorellos lauernde Stimme aus meinen düsteren Gedanken. »Wie willst du Arnit dennoch helfen?«

    »Mit Basilikum, Fio. Ganz harmlos.«

    Sie kichert.

    O nein, sie kichert. Das kann nichts Gutes bedeuten!

    »Den haben wir in rauen Mengen vor der Hütte wachsen, Linnea. Du brauchst ihn nur zu pflücken. Ganz ohne den Einsatz von Magie und ohne ein schlechtes Gewissen, diese wohlschmeckenden Grünlinge umzubringen. Sie wachsen nach und werden uns in wenigen Tagen erneut das Essen verfeinern.«

    Jetzt reden die auch noch über Essen. Reichen die Fesseln und der Knebel denn nicht aus? Nur weil ich mal kurz die Beherrschung verloren und wie ein kleines Kind herumgeschrien habe, bevor ich mich apathisch an einen Baum klammerte und jämmerlich zu weinen anfing. Anschließend habe ich meinen Kopf wohl etwas zu heftig dagegen geschlagen – ey, ich spüre keine Schmerzen, also – ja, das war nicht gerade eine Sternstunde meines tristen Daseins, aber auch kein Grund mich ruhigzustellen, oder?

    Ich schweife ab. Was war jetzt mit Basilikum?

    »Die Grünlinge fachen meine Magie nicht mehr an, das ist wahr, aber der Funke des Übermächtigen brennt weiterhin in mir, Fio. Ich werde keine Leitern aus Wurzeln mehr erschaffen können oder die Seerosen dazu bringen, dir eine kalte Dusche zu verpassen, aber meine Fingerspitzen kribbeln wie eh und je. Ich muss herausfinden, wie ich diese Energie bündeln und in sichtbare Magie verwandeln kann. Und das erste Wunder dieser Art wird Arnit helfen. Versprochen!«

    Und wenn ich das nicht will? Wenn ich zufrieden bin, so wie es eben ist und ihr mich lediglich losbinden müsstet, um mir wahrlich einen Gefallen zu tun?

    »Na gut«, sagt Fiorello besänftigt und sinkt auf meiner persönlichen Sympathieskala mindestens drei Stufen nach unten. »Was kann ich tun?«

    Linnea, wie die Hexe wohl heißt, fällt dem Doktor mit ihren zerbrechlichen Ärmchen um den Hals und küsst ihn. Würg. Okay, vielleicht bin ich bloß neidisch, weil ich noch nie die Lippen einer Frau auf meinen spüren durfte … Ich stelle es mir vor. Gelegentlich. Na gut, oft. Aber die Frau meiner Träume sollte definitiv ein paar Rundungen mehr aufweisen. Bei Linneas elfenhafter Erscheinung müsste ich permanent Angst haben, dass der Wind sie einfach davonpustet oder sie unter meinen Berührungen zerbricht wie ein Streichholz. Nichts für mich!

    »Mach ihn los und bring ihn vor die Hütte! Ich warte draußen und erwecke das Wunder in mir.«

    Sie teilen einen weiteren Kuss, bevor die Bohnenstange in grauer Schwesternkleidung durch die morsche Tür verschwindet und der Doktor vor mir auf die Knie sinkt. Irgendwie wird mir das grad ein wenig zu intim.

    »He, Arnit«, sagt er und lächelt. Ich würde ja antworten, aber der widerliche Blätterball in meinem Mund hindert mich daran. »Ich verrate dir ein Geheimnis: Sie«, er deutet in die Richtung, in der Linnea vor wenigen Augenblicken verschwunden ist, »jagt auch mir gelegentlich Angst ein, glaub mir. Aber sie ist die wundervollste, liebreizendste und beeindruckendste Frau, die ich kenne. Ich liebe einfach alles an ihr, auch ihre eigentümlichen Wunder, weil ich ihr bedingungslos vertraue und mir sicher bin, dass sie dir nichts Böses will.«

    Ich nicke, obwohl ich nicht überzeugt bin. Eingelullt von seiner netten ›IchverstehdichMannMasche‹, aber nicht überzeugt.

    »Ich nehme dir den Knebel und die Fesseln ab und bitte dich, nicht sofort wieder durchzudrehen. Okay, Kumpel?«

    Ich nicke. O Mann, bin ich ein Wackeldackel oder was?

    »Gut, dann los, Arnit. Bereit?«

    Ich nicke erneut, schließe die Augen und atme so tief ein, dass ich meine, sämtliche Luft der Umgebung in meine Nase zu ziehen. Er bindet mich los, zieht mich auf die zittrigen Beine und führt uns nach draußen ins unendliche Grün des Evergreen Forest.

    Ich bin am Arsch. Entweder ich wehre mich und werde die Fesseln erneut zu spüren bekommen oder ich wähle die Ungewissheit und gebe mich in die Hände der Fremden, die nicht von dieser Welt zu stammen scheint und ihre ›Kräfte‹ aus den kribbelnden Fingerspitzen zieht. Am. Arsch.

    »Arnit, richtig?«, fragt sie und streckt mir ihre winzige Hand entgegen. »Fangen wir noch mal von vorne an, ja?«

    Ich nicke.

    Kann das mal aufhören? Vielleicht stehe ich ja schon längst unter ihrem sonderbaren Kribbelfluch und muss mich willenlos ihrem ›Wunder‹ hingeben?

    »Ich bin Linnea. Schön, dich kennenzulernen. Fio meinte, du bist so etwas wie der Fels des WONC.« Mein schräger Blick lässt Fiorello einschreiten und genauer ausführen.

    »Ich sagte, du wärst die vertraute Konstante, die mich jeden Abend freundlich verabschiedet, zuverlässig das WONC bewacht und sich für unsere Sicherheit die Nächte um die Ohren schlägt. Ich sagte, du seist mit deiner Arbeit verheiratet und man könne sich stets auf dich verlassen.« Doktor Fio lacht, schlägt mir freundschaftlich eine Hand auf die Schulter und gibt Linnea ein Zeichen, mit ihrem Ritual fortzufahren.

    »Deine Zuverlässigkeit und deinen Einsatz für das WONC in allen Ehren, Arnit, aber sich allzeit dem Wohl der anderen zu widmen und sich selbst zu vernachlässigen, kann verbittern und sehr einsam machen. Frag Doktor Fiorello, er weiß, wovon ich da rede.« Sie zwinkert ihm zu und fährt fort: »Jetzt wirst du mal nur an dich denken!«

    Sie wartet meine Reaktion ab, die mir jedoch im Hals stecken bleibt und mich nervös auf weitere Anweisungen lauern lässt.

    »Breite mal deine Arme aus. So!« Sie öffnet die ihren inbrünstig und animiert auch Fiorello, gleichzuziehen. Ungläubig und wenig begeistert schaue ich von einem zum anderen, reiße dann, erst zaghaft, schließlich motivierter, meine Arme auseinander und spüre ein Lachen in mir aufsteigen, welches ich nicht zu erklären vermag. Glücklicherweise kann ich es zurückhalten und weiterhin den unbelehrbaren Skeptiker raushängen lassen.

    »Und jetzt, Arnit«, fährt Linnea mit geschlossenen Augen und eindringlicher Stimme fort, »lass dich fallen!«

    Ich tue es!

    Einfach so. Als hätte sie doch magische Fähigkeiten. Ohne nachzudenken, lasse ich mich aus dem Stand, bei einer Körpergröße von einem Meter fünfundneuzig, eine nicht zu verachtende Höhe, in den Basilikum fallen, der die Sonnenseite der Hütte rahmt. Ein sanfter Wind streicht über meine nackten Unterarme, das Gesicht, die Glatze und erfüllt mich mit einem wohligen Gefühl, welches ich nicht in Worte fassen kann.

    Es fühlt sich … warm an. Weich. Schützend. Es überzieht jede Faser meines Körpers und lässt mich glückselig erschauern. Toll!

    Ich genieße diesen Zustand noch eine Weile, bevor ich mich langsam aufsetze und in die entsetzten Augen der Wunderheilerin blicke, die sich erschrocken die Hand vor den Mund schlägt.

    »Das wollte ich nicht«, nuschelt sie verlegen und kommt näher. Augenblicklich verändert sich mein positives Gesamtbefinden und nackte Panik versucht mich zurück in alte Muster zu zerren.

    »Was genau wolltest du nicht?«, frage ich stockend und richte mich nun zu voller Größe auf.

    »Nun ja …«, versucht sie, eine Antwort zu finden, die mich wohl besänftigen soll, »Basilikum hat eine beruhigende Wirkung auf den Menschen, deshalb dachte ich …«

    »Ja?«

    Fiorello hält mich auf, legt beide Hände auf meine Schultern und blickt mir beschwichtigend in die Augen.

    »Arnit, Linnea hat recht. Auch im WONC werden mit Basilikum Forschungsreihen zur AntiStressWirkung durchgeführt. Es hätte klappen können, und na ja …«

    »Was soll dieses Na ja, Herr Doktor? Ihr Tonfall passt für mich gerade nicht zum schuldigen Herumgestottere Ihrer kleinen Freundin.«

    Ich schlage seine Hände von meinen Schultern und will mir aufgebracht über das Kinn fahren, als ich innehalte und mein Herz einen Schlag aussetzt.

    In Zeitlupe lasse ich meinen Arm sinken und drehe ihn wie das elfte Weltwunder vor meinem Gesicht hin und her. Der Arm … er ist … behaart. Dunkle kurze Haare überziehen die braune Haut, setzen sich sogar auf den Fingern fort. Ich lasse sie erneut in mein Gesicht gleiten und erspüre den prächtigen Bart, der sich auf meiner aalglatten Kinnpartie breitgemacht hat und zudem … zu tanzen scheint.

    Ich. Träume. Shit.

    Die Finger wandern weiter gen Norden. Ich erfreue mich an Wimpern und Augenbrauen, die mir auf Grund meiner Alopezie ein Leben lang verwehrt blieben. Eine medizinische Ursache für meine Haarlosigkeit am gesamten Körper konnten die Ärzte nie ausmachen. Es gab keine genetische Auffälligkeit, keine angeborene Mutation, die meine DNA besonders macht … und doch musste ich nie Geld für Rasierschaum oder Klingen ausgeben, durfte mich als ›nackter Affe‹ beschimpfen lassen oder mit einem verminderten Selbstwertgefühl leben, weil mich keiner in den Arm nahm und mir sagte, dass ich genug, dass ich schön sei.

    Als ich meine Glatze erreiche, schlägt die Ernüchterung mit voller Breitseite zu. Arnit mit dem tanzenden Zauberbart trägt auf dem Kopf weiterhin ›barfuß‹.

    Poppy

    Poppy! Poppyyyyyyyy!

    Die schrecklich nervtötende Stimme meiner gestörten Halbschwester reißt mich aus dem Dämmerzustand und schafft es binnen weniger Sekunden, dass ich mich wieder so richtig schön beschissen fühle.

    Steh endlich auf, du wertloses Stück! Stell dich deiner neuen, beeindruckenden Wirklichkeit und bring ein wenig Verderben über den Forest, Schwesterherz!

    »Sie existiert nur in meinem Kopf! Sie existiert nur in meinem Kopf!« Aber egal, wie oft ich mir dieses Mantra verzweifelt vorbete, weil mir jeder noch so unangenehme Tinnitus im Ohr lieber wäre als dieses biestige Weib – ich werde sie einfach nicht los. Wie ein lästiges Hühnerauge. Sie flüsterst mir aus den Gesteinsüberresten entgegen, die den Ältesten seit seiner Verwandlung zieren, schreit mich an, sobald ich mich in die Wärme der belebenden Rinde schmiegen will und versüßt mir jeden verdammten Tag mit ihren fiesen Kommentaren.

    Ich vermisse die Zeit, in der ich, verborgen unter der Erde, meine Ruhe hatte. Ich war allein, aber es war friedvoll und ich hatte ein Feld von rotem Klatschmohn um mich herum, der meinen Problemen aufmerksam lauschte und mir irgendwie Geborgenheit schenkte. Ich war in einer märchenhaften Zwischenwelt gefangen, die sich jedoch viel weniger nach einem Gefängnis anfühlte als alles, was ich jetzt erdulden muss.

    Seit das Beben durch den Forest ging, Narcissas Geist in den neuerweckenden Ältesten einzog und ich das Erbe Lady Alissas als Hüterin des Waldes antrat, ist alles anders. Ätzend anders.

    Ich habe das Gefühl für Zeit und Raum verloren. Ich weiß nicht, ob ich mich seit zwei Tagen oder fünf Wochen im Schutz des alten Baumes verstecke. Ich weiß nur, dass ich, sobald ich einen Fuß auf den Boden außerhalb der Livtingafestung setze, eine Spur der Verwesung und des Todes hinterlasse.

    Kein Blatt und kein Tier überlebt eine Begegnung mit mir, als sei ich die Manifestation alles Bösen und nur dafür geschaffen, den Weltuntergang herbeizuführen.

    Das kann ich nicht zulassen. Auch wenn ich die letzten zwanzig Jahre meines Lebens hinter sicheren Mauern, zu Hause oder im WONC verbracht habe – ich liebe diese Erde, ich liebe die Grünlinge, die tierischen Bewohner unseres wundervollen Planeten und auch die wenigen Menschen, die mir am Herzen liegen. Meine Eltern beispielsweise, oder Linnea und Fio.

    Wenn ich ihr Leben und das aller anderen Organismen bewahren möchte, werde ich im Ältesten verweilen, bis der Tod mich zu sich holt und Narcissas giftspritzende Stimme endlich für immer verstummt. Ich werde einsam sterben, aber ich werde ohne Schuld von dieser Erde gehen. Es gibt keinen Ausweg, und damit habe ich mich abgefunden.

    Wie kann man nur so verbohrt und egoistisch sein, Poppy?

    Warum nur muss ich mir ausgerechnet mit der Drachenlady eine Blutlinie teilen? Warum nur erfuhr ich erst nach ihrem Tod, dass die gütige Lady Alissa, der ich mich schon so lange Zeit verbunden fühlte, meine leibliche Mutter war und kein anderer als Narcissas Vater, Kerr Dimas, mein Erzeuger?

    So viele Fragen quälen mich und bringen mich Nacht für Nacht um den Schlaf. Was ist mit meinen Zieheltern? Wussten sie es? Waren sie von Anfang an in den kranken Plan der Dimas’ involviert? Warum hat Lady Alissa ihr Leben gegeben, wo ich sie doch jetzt am allermeisten gebraucht hätte? Ich kann nur Spekulationen anstellen, mich selbst bemitleiden und auf ein baldiges Ende hoffen.

    Dein erbärmliches Dasein kotzt mich an, Poppy! Du hast zwei Arme, zwei pummlige Beine, ein intaktes Gehirn und kannst dein Schicksal noch zum Guten wenden. Du bist zur Hälfte eine Mäzenin des Todes. Es ist deine Pflicht, diesen elenden Wald zu vernichten und für florale Ruhe auf dem Planeten zu sorgen. Du brauchst nur mit dem Finger schnippen und schon erstirbt alles, dem du dich in einem Umkreis von zwanzig Metern näherst. Das ist eine verfluchte Gabe, Poppy, und du wirfst dein Talent weg und verwehrst dich deiner Bestimmung. Schändlich! Einfach schändlich!

    »Halt deine toxische Klappe, Narcissa. Du bist nicht mehr mein Boss und ich habe dir nichts zu sagen. Lass mich einfach in Ruhe und frag dich lieber, warum du so ein Hühnerauge bist, das seinen Mitmenschen das Leben zur Hölle gemacht hat.«

    Ich hatte nie eine Wahl, kleine Schwester, und das weißt du!

    »Man hat immer eine Wahl, Narcissa. Du hättest in den Armen einer geliebten Person sterben und die Welt verschonen können.«

    Ich bin ungerecht und zynisch. Beides Charakterzüge, die ich von mir nicht kenne und auch niemals in mein Profil schreiben wollte, aber Gespräche mit Narcissas Geisterstimme lassen mich ihr immer ähnlicher werden. Ich hasse es.

    Sie ist eine Mäzenin des Todes und alles Lebendige ihr Feind. Wie in mir die Herzen beider Mächte – die lebendige Kraft der Hüterin des Waldes und der todbringende Fluch der Mäzen – schlagen können, ist ein weiteres Rätsel, das ich gern gelöst hätte.

    Dann schwing deinen fetten Arsch hoch und finde es heraus, verdammt. Die Villa meines Vaters ist voll mit seinen Aufzeichnungen, die dir sicherlich Klarheit über deine lächerliche Hybridabstammung liefern können. Bei dieser Gelegenheit könntest du auch das nervige Moosglöckchen aufsuchen und ihr befehlen, den ganzen Schlamassel rückgängig zu machen.

    Diese Leier schon wieder!

    Ich hatte Pläne, Poppy. Ich hatte ein Leben, einen Verlobten. Wir standen so kurz vor unserer Verwandlung. Die freiwillige Blutspende der Livtingas hätte mich zur mächtigsten Frau der Welt gemacht und nicht dich, du bedauernswertes kleines Ding. Aber nein, die rosa Elfe stiehlt mir den Mann, die Macht, vereitelt meinen genialen Plan und bannt meinen Geist in diesen Baum. Aaaaaargh! Ich hasse sie! Mehr als dich. Und das soll schon etwas heißen.

    Bla, bla, bla – ich kann es nicht mehr hören. Mehrmals schon hat mich ihr Klagelied aus dem Ältesten gescheucht, nur um verstört und tieftraurig den Rückweg antreten zu lassen, da der Wald vor meiner Nase und durch meine pure Anwesenheit starb. Das ist schrecklich. Einfach schrecklich. Ich vermisse ShinyHorst, die wollüstige Vera und all die anderen Grünlinge, die ich in meinem Apartment im WONC versteckte und die mich und meine Macken einfach so liebten, wie ich nun einmal bin. Etwas verkorkst vielleicht, aber freundlich und nicht gemein und todbringend.

    Schon seltsam. Mein ganzes Leben habe ich mich verkrochen, versteckt und meiner Angst unterworfen. Und kaum mache ich Fortschritte, fühle mich wohl im Evergreen Forest und beginne mich frei zu bewegen, lacht mir das Schicksal fies ins Gesicht und belegt mich mit diesem mordenden Fluch, der mich erneut in Ketten legt.

    Ich wünschte, Linnea wäre hier. Sie könnte mir zuhören, mir beistehen, mir dabei helfen, die grüne Seite meiner Seele zu festigen und die Dunkelheit in den Hintergrund zu drängen. Ihr fröhliches Lachen würde mich aus diesem depressiven Loch holen und vielleicht den unbändigen Lebensmut in mir wecken, den ich vor der Verbannung spürte.

    Die Agoraphobie hat mich gehemmt, mich abgeschottet und vor der Realität beschützt, aber sie hat mich nicht traurig oder lebensmüde werden lassen. Ich war glücklich in meinen vier Wänden, genoss die Arbeit mit Patienten und hätte mit nur einer fehlenden Zutat ein perfektes Leben geführt.

    Nur eine einzige Zutat. War es zu viel verlangt?

    Ich möchte die Liebe erfahren. Ich möchte einen Mann – denn ich glaube, ich stehe auf Männer – kennenlernen, der mich so ansieht wie Fio seine Linnea. Dem meine Angststörung und die zwei Kilo zu viel auf der Waage völlig egal sind und der mich wie eine Prinzessin auf Händen trägt. Ich sehne mich nach Kitsch, RomantikOverkill und einer rosaroten Brille auf Wolke sieben.

    Aber he – kehren wir zurück in die Realität. Als Hüterin des Waldes habe ich mich der Bewahrung allen Lebens verschrieben und sollte keine Männer neben dem Ältesten dulden. Und als Mäzenin … da bräuchte es schon einen Kerl, der gegen meinen Fluch immun ist und keine Schmerzen kennt. Und mal ehrlich … ich mag naiv sein, aber nicht gänzlich bescheuert. Solche Typen gibt es nicht.

    »Halloooooooo?«

    Was? Moment. Da ruft doch jemand. Aalso ein Mann … vermute ich, denn ich höre eine tiefe Stimme in unmittelbarer Nähe.

    Überraschung! Dein schillernder Prinz steht vor dem Schloss!

    »Wirklich wahr?«, frage ich mit laut pochendem Herzen.

    Du hohle Nuss. Das war ein Scherz. Schon vergessen? Für dich gibt es keinen passenden Arsch auf deinen übergroßen Nachttopf.

    »Du bist wirklich das Letzte, Narcissa!«

    Verwirrt kauere ich mich in einer dunklen Ecke des mutierten Lebensbaumes zusammen und halte mir beide Ohren zu.

    »Hallooooo? Jemand zu Hause? Ich bin auf der Suche nach der Hüterin des Waldes, oder so.«

    Oder so? Was hast du dir denn da für einen Vollhorst an Land gezogen? Naaaw, verdammt, warum nur ist mein Geist an dieses Stück Holz

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