Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Kullmann kann's nicht lassen
Kullmann kann's nicht lassen
Kullmann kann's nicht lassen
eBook354 Seiten4 Stunden

Kullmann kann's nicht lassen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Kullmann ist offiziell pensioniert und Hauptkommissar Dieter Forseti hat die Nachfolge angetreten. Schon gleich muss der Neue einen verzwickten Fall lösen:
Eine verkohlte Frauenleiche in einem ausgebrannten Auto wirft Fragen auf. Während Forseti an einen Unfall mit Fahrerflucht glaubt, sieht die Kriminalkommissarin Anke Deister mehr dahinter.
Wen fragt sie am besten, wenn sie nicht mehr weiter weiß?
Ihren ehemaligen Chef und Mentor, Norbert Kullmann, Hauptkommissar a.D..
Der Altmeister kann es natürlich nicht lassen und eilt seinem Schützling zu Hilfe - sehr zum Leidwesen des neuen Dienststellenleiters und zur Freude seiner früheren Mitarbeiter ...

Dritter Band der Krimireihe (im Original unter dem Titel "Großeinsatz")

Band 1: Ein ganz klarer Fall
Band 2. Kullmann jagt einen Polizistenmörder
Band 3: Kullmann kann's nicht lassen
Band 4: Kullmann stolpert über eine Leiche
Band 5: Kullmann und die Schatten der Vergangenheit
Band 6: Kullmann in Kroatien
Band 7: Kullmann auf der Jagd
Band 8: Kullmann ermittelt in Schriftstellerkreisen
Band 9: Kullmann und das Lehrer sterben
Band 10: Kullmann unter Tage
Band 11. Kullmann ist auf den Hund gekommen
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Mai 2020
ISBN9783750237162
Kullmann kann's nicht lassen
Autor

Elke Schwab

„Gestorben wird immer“ in den Büchern von Elke Schwab, denn „Mord ist ihr Hobby“. Das beweist die Tatsache, dass die Krimiautorin aus Leidenschaft in den letzten 20 Jahren über 20 Kriminalromane auf den Markt gebracht hat. Und es werden noch mehr, so viel kann sie schon verraten. Nach 14 Jahren ist die Autorin wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Dort ist sie näher an ihren unzähligen Tatorten ...

Mehr von Elke Schwab lesen

Ähnlich wie Kullmann kann's nicht lassen

Titel in dieser Serie (100)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Kullmann kann's nicht lassen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Kullmann kann's nicht lassen - Elke Schwab

    1. Kapitel

    1

    Kullmann

    kann‘s nicht lassen

    Kullmann-Reihe 3

    Elke Schwab

    Impressum

    Texte: © Copyright by Elke Schwab

    Umschlag:

    © Copyright by Elke Schwab und Manfred Rother

    2. überarbeitete Auflage 2019

    ISBN: 978-3749432110

    Foto: Manfred Rother

    Buchcover: Manfred Rother und Elke Schwab

    www.elkeschwab.de

    Printed in Germany

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugs-weisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Kullmann kann‘s nicht lassen

    Kullmann-Reihe 3

    Elke Schwab

    Mitten in der Nacht klingelte das Telefon. Verschlafen schaute Anke Deister zuerst auf die Uhr, die zwei Uhr zwanzig anzeigte, bevor sie den Hörer abnahm. An diesem Wochenende hatte sie Bereitschaftsdienst, da musste sie abheben, egal wie schwer es ihr fiel. Ihr Bauch, der immer dicker wurde, war ihr dabei im Weg, also musste sie sich mühsam erheben, um an das Telefon heranzukommen.

    Es war ihr Arbeitskollege Erik Tenes, mit dem sie seit einem knappen halben Jahr im Team arbeitete. Erik war vom Polizeipräsidium in Köln zum Landeskriminalamt in Saarbrücken versetzt worden. In der kurzen Zeit hatte er sich zu einem beliebten Kollegen entpuppt, trotz aller Zweifel, die Anke anfangs hatte. Oft erinnerte sie sich daran, wie sie ihn ›überdimensionalen Eisklotz‹ tituliert hatte, weil sie ihn überhaupt nicht einschätzen konnte. Heute musste sie darüber lachen, weil dieser Eindruck so falsch war, wie er nur sein konnte.

    »Hallo Anke, wir haben einen Unfall mit tödlichem Ausgang. Die Kollegen der Verkehrspolizei wollen, dass wir vom LKA zum Unfallort kommen, weil Fahrerflucht vermutet wird.«

    »Ich beeil mich.« Anke gähnte in den Hörer.

    »Nein, du brauchst dich dafür nicht aus dem Bett zu quälen. Ich will dich einfach nur informieren, damit uns der Chef morgen keine Schwierigkeiten machen kann. Diese Sache übernehme ich allein und rufe dich rechtzeitig wieder an.«

    Diese Rücksichtnahme rührte Anke. Außerdem war sie froh, nicht aufstehen zu müssen. Ihre Schwangerschaft machte sie häufig müde, ein Zustand, der neu für sie war. Erleichtert ließ sie sich zurück in die Kissen sinken und dachte noch eine Weile darüber nach, wie überaus fürsorglich Erik sich ihr gegenüber verhielt, seit er wusste, dass sie Mutter wurde. Ganz am Anfang seiner Dienstzeit in Saarbrücken hatte er ihr einmal von seiner Familientragödie erzählt. Das war ein Thema, das er seither nicht mehr angesprochen hatte. Vermutlich, weil es ihm zusetzte. Er hatte seine Frau und seine Tochter durch einen Autounfall verloren. Aber das war noch nicht das Ende der Geschichte; seine Frau war schwanger und auf dem Weg zu ihrem Gynäkologen zur Untersuchung, als es passierte. Bei diesem Gedanken musste Anke sich schütteln vor Entsetzen. Schützend hielt sie ihre Hand auf den Bauch, der sich inzwischen deutlich unter ihren Kleidern abzeichnete. Sie war jetzt im fünften Monat. Vor einigen Tagen hatte sie die erste Bewegung gespürt, was ihre Einstellung zu der Schwangerschaft ganz und gar verändert hatte. Diese zarten Bewegungen waren für sie der unumstößliche Beweis, dass da wirklich ein Kind heranwuchs, ihr Kind.

    Am nächsten Morgen wurde sie in aller Frühe erneut durch das Telefon geweckt. Wieder war es Erik, der ihr riet, ins Büro zu kommen, bevor der Chef ankam.

    Anke traf rechtzeitig ein.

    Der neue Chef, der erst seit fünf Monaten die Abteilung leitete, war prinzipientreu und unerbittlich. Da konnte Anke ihre Schwangerschaft nur schwerlich als Entschuldigung einsetzen, wenn es darum ging, sich vor nächtlichen Einsätzen zu drücken. Dieter Forseti hatte die Nachfolge von Norbert Kullmann angetreten. Kullmann war jahrelang Ankes Vorgesetzter und ihr bester Lehrmeister und Berater gewesen. Obwohl inzwischen fünf Monate vergangen waren, gelang es Anke immer noch nicht, sich an den neuen Chef zu gewöhnen. Die Umstellung war extrem. Während Kullmann fürsorglich und väterlich für sie war, gab sich Forseti immer ernst, streng, sogar stets bemüht, keine menschlichen Züge von sich preiszugeben.

    Erik sah übernächtigt aus. Kaffee brodelte in der Kaffeemaschine. Sogleich stellte er ihr eine Tasse vor die Nase, doch Anke konnte zurzeit den Geruch von Kaffee nicht ertragen. Hastig sprang sie von ihrem Stuhl auf, rannte zur Toilette und knallte die Tür hinter sich zu. Kurze Zeit später kam sie zurück.

    Erik begann mit seinem Bericht: »Auf der Neuhauser Straße zwischen Saarbrücken-Rußhütte und Riegelsberg ist ein Auto in einer S-Kurve von der Straße abgekommen, über die auslaufenden Leitplanken geschleudert und einen Abhang hinuntergestürzt.« Während er sprach, legte er Anke Polizeifotos vor. »Das Fahrzeug ist zum größten Teil ausgebrannt. Eine Frau saß auf dem Beifahrersitz.«

    Die Fotos von der stark verbrannten Frauenleiche waren schrecklich. Bei diesem Anblick hatte Anke Mühe nicht schon wieder zur Toilette zu rennen.

    »Das Auto wird in der Kriminaltechnik auf Spuren von Fremdeinwirkung untersucht, die Leiche ist in Homburg in der Rechtsmedizin. Ich warte noch auf einen ersten Bericht.«

    »Wer hat den Unfall gemeldet?«, fragte Anke.

    »Ein Mann, namens Emil Tauber. Er kam an der Unfallstelle vorbei, sah das brennende Auto, konnte aber nichts mehr für die Frau tun.«

    »Ist er glaubwürdig?«

    »Er muss noch seine Aussage zu Protokoll geben, erst dann können wir mehr über ihn erfahren. Die Spurensuche hat inzwischen herausgefunden, in welche Richtung der Fahrer des Wagens geflüchtet ist. Sie sind noch vor Ort und suchen weiter.«

    »Heißt das, dass tatsächlich ein Tötungsdelikt vorliegt?«

    »Das können wir nur aus dem Verhalten des Autofahrers schließen. Wenn derjenige sich in den nächsten Stunden noch meldet, dann könnte eine Schockreaktion vorliegen und wir müssen unsere Theorie ändern.«

    »Welche Theorie?«

    »Ganz einfach: Der Fahrer kommt von der Straße ab, das Auto fängt Feuer, er rettet nur sich aus dem Auto und lässt die Beifahrerin in den Flammen zurück. Warum auch immer. Es kann vorsätzlicher Mord vorliegen oder unterlassene Hilfeleistung. Vielleicht war er zu besoffen um zu merken, was wirklich los war. Im Kriminallabor werden alle Spuren ausgewertet, vielleicht finden sie dort einen entscheidenden Hinweis.«

    »Und zwar?«

    »Wie wär’s mit einem Feuerzeug?« Erik lachte müde.

    »Ja stimmt! Das wäre wie im Fall unseres Diebes Robbie Longfinger, den man an seinen langen Fingern erkennt.«

    Dieter Forseti betrat in Begleitung seiner Mitarbeiterin Claudia Fanroth das Büro. Claudia war gleichzeitig mit ihm in diese Abteilung gekommen und arbeitete immer an seiner Seite. Da hatte Ankes erster Eindruck sie nicht getäuscht: Claudia war und blieb unnahbar. Sie machte nicht die geringsten Versuche, sich mit den anderen Mitarbeitern der Abteilung zu arrangieren. Ihre Zusammenarbeit ging über die obligatorischen Dienstvorschriften nicht hinaus. Außer bei Erik, überlegte Anke, als sie aus ihren Augenwinkeln beobachtete, wie sie sich gezielt vor seinen Augen niederließ. In ihrem maßgeschneiderten Hosenanzug wirkte sie wie immer tadellos. Ihre blonden Haare waren akkurat zurückgebunden, da lag kein Haar falsch. Ihre ebenmäßigen Gesichtszüge waren dezent geschminkt, was ihre hohen Wangenknochen und ihre weit stehenden, großen Augen betonte. Sie könnte als Fotomodell Karriere machen, gestand Anke dieser Frau zu. In ihrer Gegenwart fühlte sie sich mit ihrem immer dicker werden Bauch besonders unförmig und plump. Das waren Augenblicke, in denen sie erkannte, dass sie noch viel über sich selbst lernen musste – sie musste lernen, sich so zu akzeptieren, wie sie war. Ein dicker Bauch während einer Schwangerschaft war das Natürlichste auf der Welt. Das erging allen Frauen so. Also: nicht kaschieren, sondern präsentieren, überlegte sie, auch wenn es schwerfiel.

    Jürgen Schnur und Esther Weis, die schon lange in der Abteilung arbeiteten, waren inzwischen ebenfalls eingetroffen und die Arbeit konnte beginnen. Erik berichtete bis ins Detail, was es an Hinweisen über den neuen Fall gab. Forseti hörte konzentriert zu. Erst als Erik fertig war, wandte sich der Dienststellenleiter an Anke und fragte: »Warum lassen Sie ihren Kollegen alles allein vortragen?«

    Anke wurde heiß. Dieser Kerl bemerkte aber auch alles. Aber klein beigeben durfte sie nicht, weil sie damit nicht nur sich selbst in Schwierigkeiten brachte.

    »Weil er alles Erwähnenswerte bereits genannt hat.«

    Diese Antwort war so geschickt, dass Forseti nicht weiter nachhakte. »Wer ist die Tote?«, ging er stattdessen zum Geschäftlichen über.

    »Sybille Lohmann«, antwortete nun Anke. »Witwe, ein Sohn, Sven Koch, wohnhaft in Riegelsberg-Walpershofen.«

    »Ist der Sohn schon informiert?«

    »Nein, wir haben erst in den frühen Morgenstunden anhand des Autokennzeichens die Identität des Opfers ermittelt. Es ist ihr Wagen, in dem sie gefunden wurde«, erklärte Erik diese brenzlige Situation.

    »Esther Weis und Jürgen Schnur, Sie beide werden das übernehmen«, bestimmte Forseti.

    Die beiden Angesprochenen nickten.

    »Gibt es bereits Ergebnisse aus der Rechtsmedizin?«

    Erik verneinte.

    »Ich warte auf einen Anruf von dort. Der Pathologe versprach, sich sofort zu melden, wenn er ein Ergebnis hat«, erklärte Anke schnell.

    »Warum dauert das so lange?«, schimpfte Forseti, worauf Jürgen Schnur ganz trocken reagierte: »Wir sind hier nicht ausgerüstet wie das Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Aber wir machen unsere Arbeit gut.«

    »Das will ich hoffen«, konnte Forseti darauf nur entgegnen und teilte die Aufgaben ein. »Frau Deister, ich will auf Ihre Umstände Rücksicht nehmen und werde Sie nicht zur Beaufsichtigung der rechtsmedizinischen Untersuchung nach Homburg schicken. Bis das Kind da ist, sind Sie von diesen Aufgaben befreit.«

    Anke bedankte sich, obwohl ihr das widerstrebte. Seine Selbstherrlichkeit nahm ihr jegliche Lust an der Arbeit.

    »Erik und ich könnten den Sohn der Toten zur Rechtsmedizin fahren! Was halten Sie davon?«, schlug Claudia vor.

    »Warum wollen Sie das tun?«, fragte Forseti anstelle einer Antwort.

    »Weil ich die Familie kenne«, antwortete Claudia.

    »Wie gut?«, hakte Forseti skeptisch nach. »Befangenheit wäre sicherlich nicht gerade ein guter Start.«

    »Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich bin einfach nur im gleichen Ort aufgewachsen. Sybille Koch war damals bekannt in Walpershofen, weil sie leichtlebig war. Soweit ich informiert bin, weiß sie nicht, wer der Vater ihres Sohnes ist. In kleinen Dörfern wird immer gern über andere geredet.»

    »Kennt der Sohn der Toten auch Sie?«

    »Ganz sicher, er ist nur wenige Jahre jünger als ich. Als kleiner Junge war er ein echtes Ekelpaket und hat die älteren Mädchen nach allen Regeln der Kunst geärgert. Da hat er bei mir keine Ausnahme gemacht.«

    Bei dieser Vorstellung mussten alle lachen, sogar Forseti, dem selten ein Lächeln zu entlocken war.

    »Besteht die Möglichkeit, dass Sven Koch der Fahrer des Unfallautos war?«, mischte sich Jürgen in die Unterhaltung ein.

    Kurze Stille trat ein. Claudia überlegte eine Weile, schüttelte aber dann energisch den Kopf und meinte: »Nein, Sven Koch hatte ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter. Wäre er wirklich der Fahrer des Wagens gewesen, hätte man ihn auch dort an der Unfallstelle gefunden.«

    »Das ist nur eine Vermutung. Fahren Sie zusammen mit Erik Tenes den Sohn der Toten abholen, damit er sie identifizieren kann. Anschließend benötigen wir seine Aussage«, schloss Forseti das Thema ab.

    Anke zog sich in ihr eigenes Zimmer zurück, um sich ein wenig Ruhe zu gönnen. Leider trat kurz darauf Esther ein. Während ihres letzten großen Falls waren zwischen Anke und Esther große Differenzen entstanden, die Anke am liebsten vergessen hätte. Doch Esther schien das anders zu sehen.

    »Ich glaube, Claudia schafft es, sich an Erik heranzumachen.«

    »Stört dich das?«, erwiderte Anke, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie diese Absicht ebenfalls mit gemischten Gefühlen beobachtet hatte.

    »Nein, nicht im Geringsten«, wehrte Esther ab, wobei Anke deutlich erkannte, dass sie genau das Gegenteil von dem sagte, was sie meinte. Zu genau erinnerte sich Anke daran, dass Esther keine Mühen gescheut hatte, bei Erik zu landen. Aber es war ihr nicht gelungen. Sollte es nun Claudia gelingen, würde das die Stimmung in ihrer Abteilung verschlechtern. Zum Glück betrat just in dem Moment Jürgen Schnur das Zimmer und wechselte unbemerkt den unangenehmen Kurs.

    »Ich glaube, dass wir gar keinen Fall haben«, begann er.

    »Warum?«

    »Sybille Lohmann, geborene Koch, ist erst vor einem Jahr Witwe geworden. Ihr Mann, Kurt Lohmann, war am 11. September 2001 in New York im World Trade Center, als dieser schreckliche Terrorangriff geschah!«

    Diese schwere Katastrophe ereignete sich vor fast genau einem Jahr. Die Medien waren voll davon und die Bilder, die das Fernsehen ausstrahlte, waren so schrecklich, dass Anke sich keine Nachrichten mehr ansehen konnte. Schon vor einem Jahr hatte sie deshalb schlaflose Nächte verbracht, was sie sich nicht noch mal antun wollte.

    »Ist es ganz sicher bewiesen, dass Kurt Lohmann unter den Toten war?«, vergewisserte sich Anke.

    »Ganz sicher«, bestätigte Jürgen. »Ich habe mit dem Bundeskriminalamt gesprochen, dort wurden die Untersuchungen sämtlicher Gewebeproben der Toten, die aus Deutschland kamen, durchgeführt. Nach allen Vergleichsproben konnte einwandfrei festgestellt werden, dass Kurt Lohmann darunter war.«

    »Das ist ja schrecklich«, schüttelte Esther den Kopf. »Und nun stirbt auch noch die Witwe – äußerst tragisch.«

    »Bevor wir hier alle in Tränen ausbrechen, muss ich noch erwähnen, dass Sybille Lohmann und ihr Mann schon seit einiger Zeit getrennt gelebt haben«, entschärfte Jürgen die Tragik.

    »Das heißt aber nicht, dass es ihr nicht mehr nahe ging«, stellte Esther mürrisch klar.

    »Nein! Aber erfahren werden wir es sicherlich nicht mehr«, konnte Anke dazu nur bemerken.

    »Warum so kaltschnäuzig?« Esther klang böse.

    »Warum so gefühlsdusselig? Das hilft bei unseren Ermittlungen nicht weiter.«

    »Ruhe jetzt!«, unterbrach Jürgen das Streitgespräch, wofür er erstaunte Gesichter erntete. »Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass ich eure Streitereien schnellstmöglich unterbinden muss.«

    »Hat Sybille Lohmann etwas zu vererben?«, fragte Anke schnell weiter.

    »Das muss ich noch herausfinden«, gab Jürgen zu. »Aber es ist Sonntag, da bekomme ich nicht alle Informationen.«

    Das Telefon klingelte. Es war Dr. Thomas Wolpert, der junge Rechtsmediziner, den Anke nur durch ihre regelmäßigen Telefonate kannte. Sie freute sich, dass ausgerechnet Thomas an diesem Wochenende Dienst hatte, weil sie gern mit ihm plauderte.

    »Wir haben erste Ergebnisse, die ich dir durchfaxen möchte«, erklärte er.

    »Ist das alles, was du mir sagen willst?«, fragte Anke etwas enttäuscht.

    »Nein, so schnell bekommst du mich nicht mehr aus der Leitung.«

    »Das beruhigt mich! Also, was kannst du mir schon vorab über die Tote sagen?«

    »Wir haben hier so unsere Zweifel«, begann er geheimnisvoll. »Die Tote hat eindeutig Kohlenmonoxid im Blut, was die Todesursache ist. Außerdem haben wir die Schürfwunden an beiden Unterarmen untersucht, die die charakteristische Hyperämie, verursacht durch die erhöhte Anzahl von Leukozyten, aufweisen.«

    »Das klingt in meinen Ohren eindeutig.«

    »Ja, aber das ist noch nicht alles. Wir haben keinerlei Rußpartikel in Atemwegen und Lunge der Toten gefunden. Außerdem haben wir weitere Verletzungen an beiden Knien gefunden, die eindeutig postmortal eingetreten sind. Diese Wunden zeigen keinerlei Eiweißreaktion und sind hart und gelb.«

    »Was sagt uns das?«

    »Das fragen wir uns auch. Wir werden noch alle möglichen toxikologischen Untersuchungen durchführen, die uns mehr über den genauen Todeszeitpunkt aussagen können«, erklärte der Rechtsmediziner.

    »Du bist dir also nicht sicher, ob das Opfer bei dem Unfall gestorben ist?«

    »Nein, nicht hundertprozentig. Deshalb dürfen wir nichts außer Acht lassen.«

    »Es könnte aber doch sein, dass die Frau bei dem Absturz des Wagens starb, kurz bevor das Feuer ausbrach?«, spekulierte Anke weiter.

    »Sicherlich! Aber an was? Sie hatte keine Knochenbrüche, ihr Genick war heil, die Schädeldecke ebenso. Woran könnte sie gestorben sein, bei dem Aufprall? Vielleicht an einem Herzinfarkt, weil ein gewaltiger Schreck vorausgeht, wenn ein Auto in einen Graben stürzt«, überlegte Thomas weiter.

    »Kannst du das Herz noch untersuchen? Die Leiche war stark verkohlt«, zweifelte Anke.

    »Die inneren Organe sind gut erhalten. Das ist immer das Erstaunliche bei Brandleichen. Die hohe Temperatur nimmt zum Körperinneren schnell ab, weil sie das Fett und den hohen Wassergehalt nicht durchdringen kann.«

    »Wenn das so ist, dann kannst du doch das Herz auf einen Infarkt untersuchen«, schlug Anke vor.

    »Dir liegt aber viel daran, diesen Fall so einfach wie möglich zu machen«.

    »Du hast es erkannt. Ich bin jetzt werdende Mutter, da wünsche ich mir nichts sehnlicher, als eine komplikationslose Zeit bis zum Mutterschutz.«

    »Das kann ich verstehen.«

    Mit dem Bericht des Rechtsmediziners machte sich Anke auf den Weg zu ihrem neuen Vorgesetzten. Es war für sie immer noch ein befremdliches Gefühl, wenn sie in Kullmanns ehemaliges Büro trat und dort Dieter Forseti am Schreibtisch sitzen sah. Nichts mehr in diesem Büro verriet etwas über Kullmanns dreißigjährige Dienstzeit, die er in diesen Gemäuern verbracht hatte. Und trotzdem war Kullmann niemals ausgelöscht. Viel zu beeindruckend und zu erfolgreich war seine jahrzehntelange Arbeit gewesen. Dieter Forseti war das genaue Gegenteil, was Ankes Erinnerungen an ihren ehemaligen Chef eigentlich noch leichter machte. Kullmanns warmherzige Ausstrahlung und seine gemütliche, väterliche Erscheinung vermisste sie am meisten. Forsetis Aussehen war aristokratisch, tadellos; sein Auftreten unnahbar und unpersönlich. Über sein Privatleben wusste sie gar nichts, weil er niemals ein außerdienstliches Wort sprach. Das behagte Anke nicht, weil sie dadurch einfach nicht den Menschen hinter der Fassade sehen konnte.

    Er las den Bericht gründlich durch, bevor er den Kopf hob und seine drei Mitarbeiter der Reihe nach anschaute. Anke ahnte schon, dass dieser Blick nichts Gutes bedeutete, und so war es auch.

    »Ist es wirklich notwendig, mir diesen Bericht zu dritt vorzulegen?«

    Esther und Jürgen verstanden diese Anspielung sofort und eilten aus dem Büro. Anke blieb nichts anderes übrig, als stehenzubleiben, weil sie die Beauftragte war.

    »Nach diesem Befund steht nicht eindeutig fest, dass das Opfer noch geatmet hat, als das Feuer ausbrach. Genauso wenig steht fest, dass sie nicht mehr geatmet hat. Also dürfen wir weder einen Unfall mit Todesfolge noch ein Tötungsdelikt ausschließen.«

    Damit machte Forseti Ankes Hoffnung auf eine schnelle Lösung des Falls zunichte.

    »Die Tatsache, dass in den Atemwegen und in der Lunge keine Rußpartikel gefunden wurden, rät uns zur Vorsicht.«

    Anke wartete darauf, dass er ihr endlich sagte, was sie nun tun sollte.

    »Beauftragen Sie das Kriminallabor, die Spurensuche auf das Haus der Toten zu erweitern! Nach diesem Bericht besteht die Möglichkeit, dass die Frau schon tot war, bevor das Auto zu brennen begann.«

    Anke nickte und wollte sich geschwind aus dem Raum verdrücken, als Forseti sie aufforderte zu bleiben. Mit einem Seufzer drehte sie sich um. Seine Strenge hatte um seinen Mund Falten bilden lassen – Zeugen seiner Unnachgiebigkeit. Seine Stirn war ebenfalls in Falten gelegt, als sei er unentwegt am Nachdenken.

    »Ich habe den Eindruck, dass hier in meiner Abteilung Dinge geschehen, die sich meiner Kenntnis entziehen«, begann er emotionslos.

    Anke wurde ganz heiß zumute.

    »Ist Ihnen nicht gut?«, lenkte er plötzlich ein, worüber Anke noch mehr überrascht war. »Setzen Sie sich doch, bevor Sie umfallen!«

    Die junge Frau nutzte die Gelegenheit, sich auf das nun folgende Gespräch vorzubereiten. Sie musste standhaft bleiben, was ihr in ihrem Zustand nicht so leichtfiel. Ihre Schwangerschaft brachte in letzter Zeit häufiger schlechte Launen und damit verbunden schlechtes Taktieren in unerwarteten Situationen zutage. Das musste sie in den Griff bekommen, denn sie könnte Erik in Schwierigkeiten bringen. Das hatte er bestimmt nicht verdient.

    »Ich glaube, es geht wieder«, keuchte Anke theatralischer, als ihr Zustand eigentlich war.

    Ihr Chef biss prompt an. Er schaute sie eine Weile schweigend an, schüttelte dann den Kopf mit den Worten: »Wir werden uns ein anderes Mal darüber unterhalten, wenn es Ihnen wieder besser geht.«

    Anke freute sich innerlich wie ein kleines Kind, dass ihr dieser Schachzug gelungen war. Doch sie bekam keine Gelegenheit, diese Freude auszukosten, da wurde die Tür aufgestoßen und Claudia und Erik traten ein. Als Ankes und Claudias Blicke sich trafen, hatte Anke nur noch einen Gedanken: so schnell wie möglich dem Raum zu verlassen. Aber so sollte es nicht kommen, weil Erik sie am Arm leicht berührte und ihr ein Zeichen gab zu warten.

    »Wir haben Sven Koch nicht zu Hause angetroffen«, begann Claudia zu berichten. »Von Nachbarn haben wir allerdings erfahren, dass Mutter und Sohn sich am gestrigen Abend heftig gestritten haben. Sven hatte die Küchentür geöffnet, die zum Nachbarhaus zeigt, weshalb die Nachbarn den Streit deutlich hören konnten.«

    »Haben die Nachbarn verstehen können, worüber die beiden sich gestritten haben?«

    »Sie haben nur verstanden, dass die Mutter gegen den Willen ihres Sohnes noch am gleichen Abend wegfahren wollte«, antwortete Claudia.

    »Wohin?«

    »Das haben die Nachbarn nicht verstanden.«

    »Wie könnte dieser Streit im Zusammenhang mit dem Unfall stehen?«, überlegte Forseti laut.

    »Vielleicht hat er sich erboten, seine Mutter selbst zu fahren. Während der Fahrt gerieten sie erneut in Streit und kamen von der Straße ab«, mutmaßte Erik.

    »Sicher! Nur leider ist das alles viel zu hypothetisch. Sie beide müssen unbedingt Sven Koch finden. Nur er selbst kann uns darauf die Antwort geben. Frau Deister bleibt heute im Büro für den Fall, dass jemand sich hier meldet.«

    Damit waren die Aufgaben verteilt.

    Erleichtert verließ Anke hinter Erik und Claudia das Büro. Sie freute sich, endlich wieder in ihrem eigenen Zimmer allein sein zu können. Von dort aus rief sie Theo Barthels an und teilte ihm mit, welche Aufgaben Forseti für ihn und sein Team vorgesehen hatte. Theo war verständlicherweise nicht gerade glücklich darüber, den ganzen Sonntag arbeiten zu müssen.

    Entspannt lehnte sie sich in ihrem Bürostuhl zurück. Morgen hatte sie einen weiteren Termin bei ihrer Hebamme. Sie wollten ihre Schwangerschaftsgymnastik und Bewegungstherapie durchsprechen. Bei dem Gedanken an die quirlige, kleine Susi Holzer musste Anke lächeln. Ihr Gynäkologe hatte ihr Susi wärmstens empfohlen. Anke war glücklich über diesen Tipp. Sie konnte sich von nun an auf die Geburt vorbereiten, was sie mit jeder Woche, die sie näher darauf zukam, mit mehr Lampenfieber erfüllte. Zufrieden legte sie ihre Hände auf den Bauch. Sie hoffte, wieder eine Bewegung ihres Kindes zu spüren. Geduldig wartete sie; das war eine Geduld, die sie ganz neu an sich selbst entdeckte.

    Es sollte noch ein ruhiger Tag werden. Sie begann, eine Akte über den neuen Fall anzulegen, als das Telefon klingelte. Es war ihr langjähriger Kollege und guter Freund bei der Verkehrspolizei, Bernhard Diez: »Hallo Anke! Ich war heute Nacht an der Unfallstelle. Jetzt habe ich ein Problem.«

    »Was für ein Problem?«, fragte Anke.

    »Ich soll einen Bericht schreiben, wer von der Kripo am Unfallort eingetroffen ist. Ich weiß, dass du dich mit Erik Tenes abgesprochen hast und will euch nicht in Schwierigkeiten bringen. Aber ich habe große Pläne für meine Zukunft. Da wäre es nicht gerade förderlich, mit einem Lügenmärchen aufzufallen.«

    »Was für Pläne hast du denn?« Anke wurde neugierig, obwohl ihr der Gedanke zusetzte, dass ihre Unaufrichtigkeit, was den Einsatz in der Unfallnacht betraf, auffallen könnte.

    »Ich habe mich auf eine Übernahmeausschreibung zum Kriminaldienst beworben. Die Personalabteilung hat mir zugesichert, so bald wie möglich mit meinem Durchlauf bei den verschiedenen Abteilungen beginnen zu können. Mein Ziel ist es natürlich, in deine Abteilung zu kommen.«

    »Das hört sich richtig gut an.« Anke würde sich tatsächlich freuen, Bernhard Diez als Arbeitskollegen zu bekommen. Seit Jahren kannten sie sich schon und ihre Zusammenarbeit war immer effektiv. Aber einen gefälschten Bericht konnte Bernhard sich in dieser Situation wirklich nicht leisten. Deshalb sprach sie das Einzige aus, was in dieser Situation zu sagen war: »Schreib den Bericht wahrheitsgemäß. Den Rest werden Erik und ich schon regeln.« Dabei klang sie zuversichtlicher, als sie in Wirklichkeit war.

    Bernhard bedankte sich bei ihr und legte auf.

    Gegen Abend kehrte Erik als Erster zum Landeskriminalamt zurück. Das war die beste Gelegenheit, ihm von ihrem Telefonat mit Bernhard zu berichten. Als Erik sich alles angehört hatte, beschloss er: »Ich gehe zum Chef bevor der Bericht auftaucht. Damit ist das Missgeschick aus der Welt!«

    »Gar nichts wirst du tun«, bestimmte Anke so entschlossen, dass Erik staunte. »Dieser Bericht ist für die Abteilung der Verkehrspolizei. Es ist unwahrscheinlich, dass Forseti ihn überhaupt zu Gesicht bekommt. Also warum die Pferde unnötig scheu machen.«

    »Ja, ja, die Pferde?«, lachte Erik über den Vergleich. »So ganz vergessen kannst du sie wohl nicht.«

    Mit dieser Bemerkung versetzte er Anke einen wehmütigen Stich ins Herz. Bis

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1