Gregors Pläne: Eine Anleitung zum gelingenden Scheitern
Von Hans Durrer
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Buchvorschau
Gregors Pläne - Hans Durrer
Der Mensch ist, was sein Plan ist
„Du hast unrecht, Deine Phantasien in eine gewisse
Form, in einen regelrechten Plan bringen zu wollen", sagte
ich; „siehst Du denn nicht, dass Du ihnen Gewalt antust ..."
George Sand: Geschichte meines Lebens
„Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?"
Der Mann ist ein Trottel, denkt es automatisch in mir. Und genau so automatisch gehen meine Gedanken zu einem anderen Mann, einem cleveren englischen Journalisten, der einst in Hongkong wohnte und ein gescheites Buch über den wirtschaftlichen Aufstieg Asiens geschrieben hatte, in dem er überzeugend darlegte, dass er im Jahr 2030 in Shanghai, dass dannzumal der Mittelpunkt der Welt sein würde, eine Attika-Wohnung besitzen und ... Der Mann starb zwei Jahre später beim Wasserskifahren in Südfrankreich.
„Keine Ahnung, antworte ich. „Ich finde die Zukunft vorherzusagen etwas schwierig.
„Darum geht es nicht, sagt der Personalsachbearbeiter. „Es geht um ihre Pläne, Darum, ob Sie eine Vision für sich haben.
„War denn Ihre Vision, Personalsachbearbeiter zu werden und Bewerbern solche Fragen zu stellen?, höre ich mich sagen. „Und Bewerberinnen
, füge ich noch hinzu, bevor ich mich erhebe und zum Ausgang gehe.
Elitär komme ich ihm vor, hatte ein Psychologe beim letzten Bewerbungsgespräch gesagt. Ein paar Tage zuvor hatte ein anderer mich als stark individualistisch eingestuft und eine Personalchefin hatte kurz darauf gemeint, ich käme für die Stelle nicht in Frage, da ich viel zu visionär und unorthodox sei.
Es war offensichtlich: Ich passte nirgendwo dazu. Und obwohl ich fand, dass mich das geradezu auszeichnete, blieb da immer noch die Frage des Geldverdienens.
„Du musst selber was machen", ermuntert mich meine Bekannte S, die seit über zwanzig Jahren das macht, was ihre Vorgesetzten von ihr erwarten.
„Schon, aber was denn?"
„Du bist doch so vielseitig, da wird sich bestimmt was finden lassen."
„Vielseitigkeit ist eher ein Problem und nicht unbedingt die Lösung."
„Ach komm, jetzt sei doch nicht so negativ."
S war offenbar der Auffassung, ich hätte mich entschieden, 'negativ' zu sein.
Zum Ausgleich fand ich sie entschieden zu 'positiv'. Bei 'positiv' kommt mir regelmässig die Geschichte eines Orchideendiebs in Florida in den Sinn, dem auf einem seiner Beutezüge ein Pflanzengift in eine offene Wunde geriet, sodass sein rechter Unterarm amputiert werden musste. Was ihn jedoch nicht daran hinderte, das Ganze 'positiv' zu sehen, wurde er doch dadurch in die Lage versetzt, einen Artikel über den Vorfall zu schreiben, der dann in einer Gartenzeitung veröffentlicht wurde.
Ich gehe Brot kaufen. Die junge Frau in der Bäckerei gibt mir falsch heraus. Als ich sie darauf aufmerksam mache, gibt sie sich eine Kopfnuss.
„Bringt das die Dinge in Ihrem Kopf wieder in die rechte Ordnung?", erkundige ich mich.
„Genau!", lacht sie.
Kaum dass du anfängst Pläne zu machen, übernimmt das Leben das Ruder. Das habe ich in einem Thriller gelesen. Und es stimmt. Jedenfalls gemäss meiner Erfahrung. Nicht dass mich das hindern würde, weiterhin Pläne zu machen. Schliesslich geht es nicht um Entweder/Oder, sondern um Und/Und/Und. Wobei: So ist das natürlich nicht richtig. Auf jeden Fall nicht immer, denn es kommt vor, dass Entweder/Oder nötig ist. Für mich gilt es herauszufinden, was ich ändern kann. So ziemlich gar nichts, scheint mir.
***
Als ich heute um zwanzig Minuten vor sechs aufwache, steht bereits die Sonne über der nahen Bergspitze. Wenn das nicht ein Zeichen ist!, durchfährt es mich. Ein Zeichen wofür? Zugegeben, das weiss ich auch nicht. Ein Zeichen eben, Zeichen stehen doch so recht eigentlich immer für etwas Verheissungsvolles. Nicht immer? Stimmt, aber meistens. Okay, manchmal auch nicht. Gott, ist das schwierig!
Jedenfalls: Ich stehe ganz beschwingt auf und greife, mein Morgenritual, zu meinen beiden, eins genügt nicht, Bändchen mit weisen Sprüchen, in der Erwartung (mein Leben, so denkt es manchmal in mir, ist nichts weiter als eine endlose Folge von Erwartungen), die Einträge für den heutigen Tag müssten irgendwie bedeutsam sein. Sind sie nicht, beide nicht. Nichts als die üblichen Aufmunterungen, die man in Null-Komma-Nichts vergessen hat. Ich erspare sie Ihnen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen Plattitüden, aber nicht, wenn ich etwas anderes erwarte, etwas in der Art philosophische Erleuchtung, und das tue ich meistens. Unbewusst natürlich. Auch Klischees mag ich, die treffen meist den Kern einer Sache. Klar, man darf sie nicht allzu ernst nehmen. Doch nimmt man sie leicht, erfüllen sie ihren Zweck – uns über unsere Simplifizierungen lachen zu lassen. Andererseits: In der Einfachheit liegt der Schlüssel, das weiss doch nun wirklich jeder, sogar die sogenannten Experten für Krisenkommunikation, die ihren Klienten (erwarten Sie jetzt bitte nicht, dass ich auch noch Klientinnen hinzufüge! Nur schon, dass ich das in Betracht ziehen, geht mir auf die Nerven) jeweils raten, die Wahrheit zu sagen. Schon erstaunlich, wofür man heutzutage alles Berater braucht.
***
Wer sich nicht klar ausdrücken kann, hat nicht klar gedacht, pflegte einer meiner Juraprofessoren zu sagen. Ich mag diesen Satz, schätze die Haltung dahinter. Auch die Strenge sagt mir zu. Juristisches hingegen weniger.
Jura habe ich studiert, weil ich mir Medizin nicht zutraute, da ich weder Physik noch Chemie begriff. Heute bedauere ich das und wünsche mir, ich hätte mir damals einen Tritt in den Hintern gegeben, mich angestrengt und meinen Blick auf die Zukunft gerichtet, die berufliche, denn dann hätte ich bestimmt nicht Jura studiert. Streithähne verachte ich.
Juristen sind häufig ziemlich eingebildet. In dieser Hinsicht kann ich mich mit ihnen bestens identifizieren, nur schaffe ich es nicht, das Fabrizieren von Problemen, die nur von denen gelöst werden können, die sie erschaffen haben, wirklich ernst zu nehmen. Ich weiss, ich weiss, die Juristerei hat reale Konsequenzen. Ich schaffe es trotzdem nicht, finde sie theatralisch, aufgeblasen und essentiell hohl.
Doch Jurist klingt in meinen Ohren einfach besser als Historiker, denen meist nur gerade ein Lehrerdasein blüht. Furchtbar! Wer um Himmels Willen will sich schon mit Teenagern auseinandersetzen, die so ziemlich Null-Interesse am Schulstoff haben. Und überhaupt: Lehrer nimmt doch nun wirklich niemand ernst.
Am Rande: Ich habe viele Jahre später brasilianische Teenager in Englisch unterrichtet – sie waren neugierig, interessiert und lernbegierig.
Juristen wird nachgesagt, sie könnten gut reden. Ich sehe mich gerne als guten Redner. Rechthaberische Neigungen habe ich auch. Als Jurist zu arbeiten kann ich mir trotzdem nicht vorstellen. Und so habe ich nach meinem Abschluss ein Medienstudium angefangen. An einer renommierten Uni in Grossbritannien, „Oxbridge für Journalisten", laut Wikipedia. Nächstens werde ich meinen Magister machen.
34 Studenten sind wir, die Hälfte Frauen, aus 24 Ländern, von China bis zur Karibik. Im Alter von Mitte zwanzig bis Ende vierzig. Der Fernsehsender, bei dem sie angestellt sind, habe fast die ganze Studioausrüstung von einer englischen Firma bezogen, erzählt F aus Ghana. Im Gegenzug habe sich die englische Regierung mit drei Stipendien erkenntlich gezeigt. Südkoreaner berichten, dass sie nur unter der Bedingung aufgenommen worden seien, dass sie vorgängig einige Monate einen teuren Intensiv-Englisch-Kurs in Grossbritannien belegten. Die Briten verstehen sich aufs Abzocken.
Als ein Studenten-Rekrutierer in Tokio mit zwei Kandidatinnen ein höchst anregendes Gespräch über Shakespeare, Dekonstruktivismus und japanisches Essen geführt hatte, sie dann aber bedauernd wegschickte, da sie kein Englisch sprachen, hörte er seinen Supervisor rufen:
„Weshalb schickst die beiden weg?"
„Sie sprechen kein Englisch!"
„Schick sie doch einfach zu mir, bitte!"
Bei den Gebühren, die internationale Studenten zahlen, musste doch da was zu machen sein. Und in der Tat gibt es im Vereinigten Königreich den personal tutor, der jedem Studenten beigegeben ist und dazu schauen soll, dass der Student nicht totalen Schrott abliefert. Meiner, der auch noch für andere Studenten zuständig ist, meinte einmal, er könne gar nicht mehr zählen, wie viele Magisterarbeiten er schon geschrieben habe. Und meine Kollegin S, die von ihrem Klassenlehrer aufgefordert wurde, die eingereichte Arbeit noch einmal mit dem Tutor durchzugehen, erzählte mir, der Klassenlehrer hätte ihre revidierte Version enthusiastisch mit „Super, ich habe sie gar nicht wieder erkannt kommentiert. „Als Kompliment kam mir das nicht gerade vor
, lachte sie.
Meine Kollegin M, Inderin aus der Südsee, offenbart mir, während wir im Regen vor dem Eingang des Hauptgebäudes uns die Beine vertreten, ihre Schwierigkeiten, sich anzupassen. Sie habe vor zwei Jahren in den USA das Studium abgebrochen, da es mit ihren Bedürfnissen absolut gar nichts zu tun gehabt habe. Und jetzt fürchte sie sich davor, es auch dieses Mal nicht zu schaffen. Unverzüglich rate ich ihr, wie es so meine Art ist, was zu tun sei: Sich keine Gedanken über Sinn oder Unsinn von Regeln zu machen, sondern diese einfach befolgen. Was M in der Folge auch tut (und gut damit fährt), ich selber hingegen nicht. Wer hält sich schon an seine eigenen Ratschläge?
„Development Journalism" heisst eines der Module, die ich belegt habe. Der Dozent hält einen etwa zehnminütigen Vortrag, in dem er ausführt, dass dieser für Entwicklungsländer propagiert werde, denn dort sei nicht das kritische Hinterfragen (die Essenz des Journalismus, zumindest gemäss einiger Theoretiker) vorrangig, sondern die Unterstützung der Regierung. PR und Propaganda also, werfe ich ein. So würde er das nicht sagen, meint der Dozent, der wie Dozenten generell, alles sehr komplex findet. Schon klar, sonst könnte ja jeder mitreden.
Wir sollen Vierer-Gruppen bilden und ein Projekt definieren, wird uns aufgetragen. Alles klar?, fragt der Dozent. Die Gruppenbildung schon, doch was für ein Projekt? Niemand traut sich zu fragen, schliesslich wage ich mich vor. Ob er das mit dem Projekt bitte erläutern könne? Mal angenommen, „Development Journalism" sei in einem Entwicklungsland sinnvoll, dann müsste er doch auch hier in Wales sinnvoll sein. Es gehe darum, ein entsprechendes Projekt zu identifizieren und dann umzusetzen.
Meine drei Mitstreiter, zwei aus Ghana, einer aus Südkorea, schauen erwartungsvoll zu mir. Seid ihr Muslime?, frage ich die beiden Ghanaer. Sie nicken. Und besucht ihr hier die Moschee? Wiederum nicken sie. Wie wäre es, wenn wir beim Vorsteher der Moschee vorstellig werden, ihm anbieten, die gegenwärtige Kommunikationsstrategie zu prüfen und gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge zu machen? Jetzt nicken alle drei.
Er habe den Vorsteher gefragt, sagt J zwei Tage später, und er sei einverstanden. Wir werden freundlich empfangen, finden schnell heraus, dass die Gemeinde an so ziemlich alles bereits gedacht hat, machen den Vorsteher auf zwei, drei Details aufmerksam, die man besser machen könnte und lernen vor allem, dass Kommunikationsexperten so recht eigentlich überflüssig sind.
„Understanding Pictures" ist mein Lieblingsmodul. Das hat vor allem mit dem Dozenten zu tun, der auch nach mehr als zwanzig Jahren Unterrichten einen Enthusiasmus versprüht, der ansteckend ist. Eine mir unbekannte Welt tut sich auf – ich fühle mich gepackt, ergriffen, kann nicht genug kriegen von Fotografien und von Texten, die sich mit Bildern beschäftigen. Selbst den langweiligsten kann ich noch etwas abgewinnen. Mir schwebe eine Magisterarbeit über Dokumentarfotografie vor, ob er eine solche betreuen würde? Als ich sie nach intensiven Monaten abschliesse, sagt er: Wenn mich jemand fragen würde, wie man heutzutage eigentlich noch über Fotografie schreiben können, würde ich sagen: So! Zugegeben, ich habe mir hin und her überlegt, ob ich das jetzt wirklich hinschreiben soll, doch ich habe nur kurz gezögert.
Von mir selber begeistert schreibe ich fortan Artikel, häufig über Gemeinplätze, die kaum jemand zu hinterfragen scheint. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte? Eher braucht man tausend Worte, um ein Bild zu verstehen. Seeing is believing? Möglich, doch wahrscheinlicher ist, dass ich sehe, was ich glaube. Die Texte werden hier und da veröffentlicht, meinen Lebensunterhalt kann ich damit nicht bestreiten, bei Weitem nicht.
***
Als ich nach meinem Magisterabschluss ein halbes Jahr um die Welt reise, komme ich auf der Überfahrt von Surat Thani nach Ko Samui mit einem Briten ins Gespräch, der sich für mein Dafürhalten etwas gar stark für mich interessiert (klar, ich habe so Momente, in denen ich mich selber toll finde – aber so toll wie der Brite mich findet, dann doch wieder nicht), sodass ich die Initiative ergreife: „Übrigens, ich bin ganz klar hetero." Er selber sei noch unentschieden, grinst er.
Gebildet zu sein, ist für