Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Schlächterin - Vergeltung
Die Schlächterin - Vergeltung
Die Schlächterin - Vergeltung
eBook331 Seiten4 Stunden

Die Schlächterin - Vergeltung

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

"Töten ist wie Bungee-Jumping", stellte die kleine Killerin mit einem Augenzwinkern fest. Dann schwenkte sie demonstrativ ihre riesige Neunmillimeter. "Wenn man einmal damit angefangen hat, kann man einfach nicht mehr aufhören."

Die Selbstverständlichkeit, mit der die junge Frau diese Bemerkung von sich gab, ließ Erik Wagners Nackenhaare zu Berge stehen. Aus reiner Neugier hatte sich der brillante Analyst und Ex-Soldat bereiterklärt, mehr über Hintergründe eines äußerst brutalen Mordfalles im Freundeskreis seines Chefs herauszufinden. Doch bereits am ersten Tag seiner Nachforschungen muss er feststellen, dass das Opfer keineswegs so unbescholten war, wie er anfangs gedacht hatte. Denn plötzlich steht er selbst auf der Abschussliste und schlittert in ein blutiges Abenteuer, bei dem die Grenzen zwischen Gut und Böse immer mehr verwischen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum9. Juli 2018
ISBN9783742730589
Die Schlächterin - Vergeltung
Autor

J.S. Ranket

J.S. Ranket ist begeisterter Sporttaucher und kam eher zufällig zur Schriftstellerei. Was ursprünglich als spannende Geburtstagsüberraschung für seine Frau geplant war, entwickelte sich schnell zum nervenzerfetzenden Thriller. In seinen Romanen verbindet er äußerst geschickt bizarre Storys mit exotischen Schauplätzen, die er auf seinen zahlreichen Reisen selbst besucht hat.

Mehr von J.S. Ranket lesen

Ähnlich wie Die Schlächterin - Vergeltung

Titel in dieser Serie (100)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Die Schlächterin - Vergeltung

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Schlächterin - Vergeltung - J.S. Ranket

    Prolog

    Verwirrt starrte Pieter Dollenberg auf seine rechte Wade. Dorthin, wo ihn beim Joggen durch die Dünen einer dieser fiesen Moskitos gestochen hatte. Doch statt eines saugenden Insekts, steckte da ein kleiner, glänzender Pfeil in seinem Fleisch.

    Vorsichtig versuchte er sein Bein zu bewegen. Es lag im feuchten Sand und die ersten, seichten Wellen der herannahenden Flut leckten an seinem Schuh. Er wusste auch nicht so recht, wie er hier her gekommen war. Nur dass ihn auf seiner täglichen Runde plötzlich dieses dämliche Vieh gepiesackt hatte und er danach mit brummenden Schädel in die schmale Bucht gestolpert war.

    Natürlich war so ein kleiner Stich an Südafrikas Dolphin Coast nicht ungewöhnlich, doch Dollenberg hasste Mücken und badete deshalb vorsichtshalber vor dem Laufen geradezu in Insektenschutzmittel. Denn er lief nördlich von Shakas Rock auch an einer seichten Lagune vorbei, in der sich die kleinen Blutsauger äußerst wohl fühlten.

    Zum Glück lichtete sich langsam der Nebel in seinem Kopf, denn es war höchste Zeit, von hier zu verschwinden. Doch zuerst musste er diesen blöden Pfeil loswerden. Wenn er die dämlichen Zulu-Jungs erwischte, die hier ständig mit ihren Luftdruckgewehren herumballerten, dann würde er ihnen ordentlich die Hammelbeine langziehen.

    Entschlossen beugte er sich nach vorn, doch irgendetwas riss ihn sofort zurück. Reflexartig schossen seine Hände nach oben. Und als er an den Draht stieß, der seinen Hals umschloss, gefror ihm das Blut in den Adern.

    Nur mit Mühe gelang es Dollenberg, sich ein wenig umzudrehen. Seine Finger fuhren hektisch an dem Seil entlang, bis er den Kopf einer Schraube und ein kleines Schloss ertaste. Aber die Ecken des Sechskants waren so glatt gefeilt, dass es ihm auch mit einem Werkzeug nicht gelingen würde, sie herauszudrehen.

    Innerhalb eines Augenblickes überrollte ihn die tödliche Erkenntnis:

    „Ich bin an einen Felsen gekettet!"

    Panisch zerrte er an der Fessel. Wenn die Flut ihren Höchststand erreicht haben würde, wäre er längst ertrunken. Bereits jetzt umspülte das schaumige Wasser seine Beine und die warmen Böen schickten immer höhere Wellen heran. Denn die See plätscherte an diesem Teil der Küste nicht gemächlich an das Ufer, sondern überrannte den Strand wie eine Herde Wildpferde.

    „Hilfe!" Dollenbergs erster Schrei klang noch zaghaft und er räusperte sich. Auch ohne das Drahtseil war seine Kehle wie zugeschnürt.

    „Hiiilfe!" Das Schreien wurde lauter.

    Wenn nicht zufällig jemand über die Felsen in die schmale Bucht blicken würde, dann wäre er geliefert. Der Weg führte zwar unmittelbar an der Abbruchkante entlang, doch das Dröhnen der Brandung löschte alle anderen Geräusche aus.

    „Hiiilfeee!", schrie er in nackter Todesangst, während er sich seine Hände an den rauen Felsen blutig schürfte.

    Die Adern an Dollenbergs Hals traten dabei so unnatürlich stark hervor, als wären es prall gefüllte Wasserschläuche. Und beim Einatmen wirbelten bereits die feinen Wassertröpfchen der aufpeitschenden Gischt in seinen Mund.

    Verzweifelt versuchte sein Gehirn zu ergründen, warum das gerade mit ihm geschah und wer ihm das angetan haben könnte. Doch letzten Endes war das auch egal, denn das stürmische Meer hatte jetzt fast seine Brust erreicht. Mit unwiderstehlicher Gewalt wurde sein Körper in den Rhythmus der See gezogen, die ihn immer wieder gegen die Klippen schleuderte.

    Das Knacken der eigenen Knochen klang unnatürlich laut in seinen Ohren und das Atmen war nur noch in den Wellentälern möglich. Wenn jetzt keine Hilfe kam, dann würde der Ozean seinen Leib zu Staub zermahlen.

    „Hi … Hilfeee!", röchelte er.

    Die schäumenden Kämme der Wellen leckten an seinen Lippen und zwangen ihn zu einem Dauerhusten. Immer tiefer drang das Wasser in seine Lungen und machte so das Atmen fast unmöglich. Mit einem letzten Aufbäumen warf er seinen Kopf in den Nacken und blickte nach oben.

    Und das, was Dollenberg dort sah, überschwemmte seinen Körper mit einer nie gekannten Euphorie. Er wischte sich mit seinen zerschundenen Händen die Augen, um sicherzugehen, dass ihn kein Trugbild an der Nase herumführte.

    Doch über ihm kletterte tatsächlich eine junge Frau den Abhang herab. Ihr langes, braunes Haar wehte im Wind, wie das einer mythischen Sagengestalt, und in wenigen Sekunden würde sie ihn erreicht haben.

    Aber statt ihm zu helfen, setzte sie sich ein wenig oberhalb auf den rauen Fels, schlang ihre Arme um die nackten Beine und hielt ihr Gesicht in die warmen Böen. Gedankenversunken strich sie ihre Mähne immer wieder in den Nacken, bis sie schließlich zu ihm herabsah.

    In ihren Augen lag ein Ausdruck, als würde sie gerade eine lästige Küchenschabe zertreten.

    -1-

    Knapp unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit jagte Taylor Edwards mit ihrem Nissan X-Trail auf der N3 Richtung Norden. Denn dass sie die blitzefreudigen Südafrikaner aus dem Verkehr zogen, konnte sie sich nicht leisten. Sobald Dollenbergs Leiche entdeckt werden würde, brach mit Sicherheit die Hölle los. Und dann wollte sie schon einen gehörigen Abstand zwischen sich und dem wütenden Clan gebracht haben.

    Der Familie gehörte ein weitverzweigtes Konglomerat aus Einkaufszentren, Restaurants und Weingütern und sie ging mit denen, die ihnen im Weg standen, nicht gerade zimperlich um. Genau deshalb nahm Taylor auch die über fünfhundert Kilometer bis Johannesburg in Kauf, anstatt einfach über den King Shaka Airport in Durban zu verschwinden. Es war zwar ziemlich unwahrscheinlich, dass jemand ihre Spur aufnahm, doch im Fall der Fälle konnte sie viel leichter auf einem Flughafen untertauchen, der fast fünfmal so viele Passagiere durch seine Terminals schleuste.

    Ohne auf die beeindruckende Silhouette der Drakensberge zu achten, die sich am Horizont wie ein urzeitliches Reptil schlängelten, erreichte sie Harrismith und damit den Free State. Wahrscheinlich hatten sich die ersten Buren hier so wohl gefühlt, weil es sie an das flache Land ihrer holländischen Heimat erinnerte. Doch für Taylor war es einfach nur einschläfernd.

    Zum Glück meldete sich die Tankanzeige mit einem nervigen Gong und bewahrte sie so vor einem Flug in den Straßengraben. Kurz vor Kafferstad entdeckte sie eine kleine Tankstelle, in der sie ihre Benzin- und vor allem ihre Koffeinvorräte auffüllen konnte. Keine zehn Minuten später war Taylor wieder auf der Nationaltrasse.

    Sie klemmte sich das Lenkrad zwischen die Knie und stopfte sich die Reste eines Hot Dogs in den Mund, während im Getränkehalter der Mittelkonsole frisch gebrühter Kaffee dampfte. Mit der Zeit hatte sie sich sogar an das Fahren auf der linken Spur gewöhnt und konnte herzlich darüber lachen, wenn ein Tourist beim Abbiegen statt zu blinken, den Scheibenwischer betätigte.

    Hätte ihr Rachel vor über einem Jahr prophezeit, in welche Richtung sich der kleine Freundschaftsdienst entwickeln würde, dann hätte sie ihre Freundin glatt für verrückt erklärt.

    Damals hatte Taylors alte Schulkameradin mit jugendlicher Naivität in Las Vegas einen gutaussehenden Herzensbrecher geheiratet und war böse auf die Nase gefallen. Denn anstatt in die gemeinsame Zukunft zu investieren, entwickelte Rachels Noch-Ehemann eine unheimliche kriminelle Energie, die sie fast an den Rand des finanziellen Ruins gebracht hatte. Zwar erhielt sie als Abteilungsleiterin einer IT-Firma ein sehr üppiges Gehalt, doch das wurde vom luxuriösen Lebensstil des Heiratsschwindlers fast aufgefressen.

    Wenn nicht bald ein Wunder geschah, oder Joshua Williams von den Trümmern eines abstürzenden Satelliten erschlagen werden würde, dann sehe es für ihre weitere Zukunft sehr schlecht aus. Von einer neuen Beziehung und dem Wunsch nach Kindern ganz zu schweigen.

    Mehr aus Verzweiflung hatte Rachel ihr die Scheidungspapiere und eine Verzichtserklärung anvertraut.

    Taylor besaß ein Diplom in Kommunikationsmanagement und arbeitete als freie Mitarbeiterin in derselben Firma. Ihre schrägen Aktionen und ihre höllisch guten Einfälle, die sie meist sehr innovativ in die Tat umsetzte, qualifizierten sie offenbar in Rachels Augen als ultimatives Werkzeug. Auch, weil sie sich selbst für einen halbnackten Lapdance nicht zu schade war. Denn zum einen musste sie sich mit ihrer sportlichen Figur und dem fein geschnittenen Gesicht nicht verstecken. Und zum anderen heiligte ihrer Meinung nach allein der Zweck die Mittel.

    Also hatte Taylor sich ein paar Tage später mit Rachel in einem kleinen Café an San Diegos Mission Beach verabredet. Allerdings wollte sie ihre Freundin noch etwas auf die Folter spannen. Deshalb ließ sie es vorerst offen, ob sie es geschafft hatte, Joshuas Unterschrift zu ergaunern.

    Gerade als zwei Skateboarder auf dem warmen Asphalt vorbeirauschten, klatschte Taylor den braunen Umschlag auf den Tisch.

    „Erledigt!", stellte sie nüchtern fest.

    Überrascht starrte Rachel auf das Päckchen. Dann hob sie den Kopf und blickte ungläubig mit offenem Mund auf ihre Freundin.

    Taylor hatte sich ihre braune Mähne zu einem straffen Zopf gebunden und grinste über das ganze Gesicht. Lässig schob sie mit ihrem Fuß einen Stuhl zurück und setzte sich langsam Rachel gegenüber.

    „Du kannst den Mund ruhig wieder zumachen und mir ein Bier spendieren, lachte sie. Dann stippte sie mit dem Finger in den Schaum von Rachels Cappuccino und leckte ihn genüsslich ab. „Selbstverständlich darfst du dich vorher davon überzeugen, dass die Unterschriften auf den Papieren echt sind.

    Immer noch skeptisch öffnete Rachel den Umschlag. Natürlich hatte sie nichts unversucht gelassen, um die Sache gütlich zu regeln, und Joshua sogar eine unverschämt hohe Summe in Aussicht gestellt, sollte er in die Scheidung einwilligen. Doch der gab sich verständlicherweise nicht mit der Milch zufrieden, wenn er die ganze Kuh haben konnte. Sein durchtriebener Anwalt unterstützte das betrügerische Treiben auch noch und begab sich damit auf dasselbe Niveau wie ihr Ehemann. Er hatte ihr auch schon mit einer einstweiligen Verfügung gedroht, sollte sie ihn oder seinen Mandanten weiterhin belästigen. Wie es ihre Freundin geschafft haben könnte, dass Joshua in die Beendigung der sehr lukrativen Beziehung eingewilligt hatte, war ihr rätselhaft.

    Natürlich stellte sich Rachel in ihren Tagträumen seit Längerem die verschiedensten Szenarien vor. Meist war sie selbst dabei in schwarze Lederklamotten gekleidet und hielt ihrem Verflossenen eine Kanone an den Schädel. Doch im realen Leben hasste sie Gewalt, auch wenn Joshua wirklich einen Denkzettel verdient hatte.

    Bereits zwei Wochen nach der verhängnisvollen Fahrt in die Spielermetropole erhielt Rachel einen Anruf von ihrem Bankberater, der sie über ungewöhnlich hohe Abbuchungen von ihrem Konto informierte. Und eine Stunde später stand fest, dass sie nicht mehr die alleinige Kontrolle über ihre Finanzen hatte. Im Gegenteil. Sie haftete auch mit ihrem zukünftigen Gehalt für die windigen Geschäfte ihres Ehemannes, einschließlich üppiger Unterhaltszahlungen.

    Logisch, dass man da nach mehreren Tagen an eine eher blutige Lösung dachte.

    Mit spitzen Fingern fischte Rachel die Unterlagen aus dem Umschlag, der vor ihr auf dem Tisch lag, und unterzog sie einer eingehenden Prüfung. Sie erkannte den schwungvollen Krakel sogar im Schlaf, denn sie wäre schon mehr als einmal fast der Versuchung erlegen, die Unterschriften einfach zu fälschen. Aber natürlich würde eine so dilettantische Aktion sofort auffliegen.

    Skeptisch hielt Rachel die Scheidungsunterlagen gegen das Licht. Doch der leichte Abdruck auf dem Papier stammte eindeutig von einem Kugelschreiber und nicht von einem Laserdrucker. Außerdem schien er mit einer einzigen fließenden Bewegung ausgeführt worden zu sein.

    „Und, Miss Marple, lachte Taylor, „wie lautet Ihr fachmännisches Urteil?

    Die Gesichtsfarbe ihrer Freundin wechselte innerhalb einer Sekunde in schlaganfallrot.

    „Sorry!, presste Rachel ertappt hervor. „Ich … also … Sie schluckte. „Wie hast du das nur geschafft?"

    „Tja …", wollte Taylor gerade zu einer Erklärung ansetzen, als die Kellnerin auftauchte.

    „Bringen Sie ihr, was immer sie will!", forderte Rachel von der jungen Frau.

    „Ein Bier wäre echt toll, präzisierte Taylor die Bestellung und wartete einen Augenblick bis die Bedienung außer Hörweite war. „Du glaubst gar nicht, was manche Leute alles machen, wenn sie in den Lauf einer Neunmillimeter schauen, fuhr Taylor an ihre Freundin gewandt fort. Dann presste sie krampfhaft ihre Lippen zusammen, als müsse sie einen Lachanfall unterdrücken.

    „Ist schon klar, prustete stattdessen Rachel los. Sie stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und schüttelte demonstrativ ihre dunkle Lockenpracht in den Nacken. „Verarschen kann ich mich selbst. Na sag schon, wie hast du das angestellt?!

    Taylor lehnte sich zurück und verschränkte langsam die Arme. „Neunmillimeter", antwortete sie trocken.

    Rachel wusste nicht so recht, ob sie loslachen oder davonrennen sollte. Doch zum Glück tauchte gerade die junge Kellnerin mit dem eiskalten Miller auf und verschaffte ihr so ein bisschen Zeit zum Nachdenken.

    „Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, warum du dich überhaupt nicht verändert hast, nachdem du dieser perversen Darknet-Community entkommen bist, begann Rachel mit großen Augen. „Und jetzt wird mir einiges klar.

    „Ach so?, entgegnete Taylor mit großen Augen. „Was denn?

    „Du bist auf die dunkle Seite der Macht gewechselt, mutmaßte Rachel scherzhaft und schwang ein imaginäres Laserschwert über ihrem Kopf. „So wie der junge Darth Vader, fügte sie grinsend hinzu, weil sie nicht im Entferntesten ahnte wie nah sie der Wahrheit damit kam. „Jetzt solltest du nur noch diese komischen Geräusche beim Atmen machen!"

    „Du hast wie immer den Nagel auf den Kopf getroffen, musste Taylor zugeben. Dann lachte sie lauthals los, griff sich das Bier und prostete ihrer Freundin zu. „Was weißt du eigentlich über Opfer von Entführungen?, schob sie möglichst unverfänglich nach. „Also was so in ihnen vorgeht, während sie sich in der Gewalt der Kidnapper befinden? Und ob und wie sie es zurück ins normale Leben schaffen?"

    Rachel verhielt sich zum Glück erfrischend normal und steckte sie nicht in die Schublade der traumatisierten Suizidgefährdeten. Denn in die gehörte sie weiß Gott nicht.

    „Das was so allgemein bekannt ist, begann Rachel sachlich. „Am Anfang wehren sie sich logischerweise und versuchen vielleicht auch zu fliehen. Aber spätestens wenn die eigene Hilflosigkeit übermächtig wird, buhlen die meisten um die Gunst des Entführers, weil sie ja überleben wollen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass manche ihrem Kidnapper vor Dankbarkeit die Füße küssen, wenn er sie nach einem halben Tag endlich mal aufs Klo lässt. Dann nippte sie an dem Rest ihres Cappuccinos und verdrehte nachdenklich die Augen. „Schließlich kommt es dann irgendwann zu einer Wahrnehmungsverzerrung und die Geisel entwickelt eine Art Wir-Gefühl, weil sie sich von der Polizei und der übrigen Welt im Stich gelassen fühlt, fuhr sie fort. „Das Ganze gipfelt dann in einer krankhaften Sympathie für den Geiselnehmer. Ich habe da Sachen gelesen … Rachel schüttelte verständnislos den Kopf. „Einige sollen die Arschlöcher später wirklich geheiratet haben. Und das alles hat sogar einen wissenschaftlichen Namen, nämlich Helsinki-Syndrom."

    „Das heißt Stockholm-Syndrom, berichtigte Taylor mit ernster Miene und tippte sich bedeutungsvoll mit dem Finger an die Lippen. „Du scheinst dich damit ja richtig gut auszukennen, stellte sie kurz darauf fest.

    „Hmmm … es war jedenfalls irgendwas mit Skandinavien. Rachel beobachtete die flachen Wellen des Pazifiks, die sich auf den weißen Strand schoben und schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Als ich das mit dir erfahren habe, wollte ich natürlich Genaueres wissen und habe mich ein bisschen kundig gemacht. Schließlich sind wir doch Freundinnen und ich wusste nicht so recht, wie ich mich jetzt verhalten sollte. Denn die meisten Entführungsopfer brauchen Jahre und unzählige Sitzungen bei einem Trauma-Therapeuten, um darüber hinwegzukommen. Aber bei dir scheint das irgendwie anders zu laufen. In Rachels Gesicht spiegelte sich echte Besorgnis. „Oder kommt der große Hammer vielleicht noch?"

    „Ach Süße … Taylor beugte sich nach vorn und legte sanft ihre Hand auf den Arm ihrer Freundin. „Das ist ja richtig lieb von dir, aber deine Befürchtungen sind unbegründet.

    Jetzt war sie es, die nach den richtigen Worten suchte.

    Wie auf ein geheimes Kommando schob sich eine dünne Wolke vor die tiefstehende Sonne und tauchte den Strand in ein gespenstiges Rot. Die Veränderung, die in der jungen Frau vor sich ging, jagte Rachel eine Gänsehaut über den Rücken. Und die Stelle an der sie ihren Arm berührte brannte plötzlich, als würde glühendes Metall darüber fließen.

    „Möchtet ihr noch etwas?", unterbrach die junge Kellnerin die stumme Unterhaltung der beiden.

    Taylor blickte auffordernd zu ihrer Freundin.

    „Tequila!", krächzte sie. Doch die Bestellung klang eher wie eine Frage.

    „Zwei Corralejo, bestätigte Taylor. „Am besten doppelte.

    „Scheiße …, was hast du angestellt? flüsterte Rachel, nachdem die Kellnerin außer Hörweite war und ihre Augen wurden groß. „Du nimmst doch nicht irgendwelche Drogen oder so? Du weißt sicher, dass das Zeug nur die natürlichen Verarbeitungsmechanismen unterdrückt und es dich dann umso stärker auf die Bretter haut.

    Taylor holte tief Luft. Rachels rührende Besorgnis war wirklich herzerweichend. Doch jetzt musste sie ihr reinen Wein einschenken, wenn sie ihre Freundschaft nicht gefährden wollte.

    „Etwas anderes als Drogen fällt dir wohl nicht ein?", raunte sie geheimnisvoll.

    „Aber natürlich …, antwortete Rachel aufbrausend und hob theatralisch die Hände. „Da fallen mir sogar sehr viele Sachen ein. Dann atmete sie geräuschvoll aus. „Du könntest zum Beispiel auf so einem irren Rachetrip sein und scharenweise Perverse umlegen. Das Ganze verschafft dir dann so einen Kick, dass du gar nicht auf die Idee kommst, dass du eigentlich auf eine Couch beim Psychiater gehörst."

    Taylor verkniff sich eine deftige Bemerkung, weil gerade der Tequila serviert wurde, und klatschte stattdessen applaudierend in die Hände.

    „Nein …, das kann unmöglich dein Ernst sein! Rachels Augen drohten aus dem Kopf zu fallen. „Du willst mir, deiner aller allerbesten Freundin, weismachen, dass du glaubst, nur weil du genug Rache-Thriller gesehen hast, kannst du jetzt selbst eine Hauptrolle übernehmen?

    „Neunmillimeter", antwortete Taylor lakonisch und grinste.

    „Du hast sie echt nicht mehr alle." Rachel schüttelte entgeistert den Kopf.

    „Ich möchte weiß Gott nicht, dass du vor mir auf die Knie fällst, aber ein einfaches Danke wäre wirklich nicht schlecht", stellte Taylor gespielt beleidigt fest.

    Die Erwiderung blieb Rachel im Hals stecken. Vor nicht einmal zehn Minuten hatte sie sich eine blutige Lösung ihres Problems gewünscht und jetzt benahm sie sich ihrer Freundin gegenüber wie eine undankbare Zicke. Auch wenn die offensichtlich nicht auf ganz legalem Wege an Joshuas Unterschrift gelangt war.

    „Du bist die Beste, raunte Rachel deshalb im Brustton der Überzeugung. „Du hast mir im wahrsten Sinne des Wortes mein altes Leben zurückgegeben. Sie zog einen Tequila zu sich und schob den anderen in Taylors Richtung über den Tisch. Dann stupste sie einen Limettenschnitz in das kleine Salznäpfchen, das zusammen mit der Bestellung serviert wurde, und hob ihr Glas. „Cheers …!"

    Bereits nach wenigen Sekunden breitete sich in Rachel eine angenehme Ruhe aus. Doch als sie Taylors Gesicht sah, musste sie sofort loslachen. Ihre Freundin mochte Tequila, genau wie sie selbst, aber mit den Limetten schien sie ein echtes Problem zu haben.

    „Puhhh, … ist der gut." Taylor sog hörbar die Luft ein und spülte die Säure sofort mit dem kalten Bier hinunter.

    „Jetzt bin ich auf alles vorbereitet, stellte Rachel fest, „und will die ganze Geschichte hören! „Aber wenn du noch einmal Neunmillimeter sagst, dann renne ich schreiend davon.

    „Na dann … Taylor zog ihr Smartphone aus der Tasche, öffnete eine Videodatei und schob es zu Rachel. „Da du ja gewissermaßen meine Auftraggeberin bist, hast du schließlich ein Recht auf sämtliche Informationen, grinste sie und beobachtete gespannt die Reaktion im Gesicht ihrer Freundin.

    „Wo zum Teufel ist denn das?" Rachel ließ sich keine Sekunde der makaberen Vorführung entgehen.

    „In einer alten Industrieruine, antwortete Taylor wahrheitsgemäß. „Ich habe eine Kopie des Videos bereits bearbeitet und werde das Original löschen, wenn du fertig bist. „Da sieht man dann nur noch wie dein Ex die Papiere unterschreibt, grinste sie hintergründig. „Okay, er ist ein bisschen aufgeregt, aber das ist halb so schlimm.

    „Du bist tatsächlich auf die dunkle Seite gewechselt, stellte Rachel ungläubig fest, als sie die ganze Datei gesehen hatte. „Was ist nur aus meiner lieben, netten Freundin geworden? In ihrem Gesicht spiegelte sich echte Sorge.

    „Die sitzt genau vor dir. Taylor nahm Rachels Hand und drückte sie beruhigend. „Aber es gibt Situationen im Leben, in denen du dich entscheiden musst, ob du Jäger oder Gejagter sein willst. Sie machte eine kurze Pause. „Und glaube mir, dieses eine Mal auf der falschen Seite hat mir gereicht."

    „Das ist echt heftig, presste Rachel hervor. „Also ich brauche jetzt definitiv noch einen kleinen Mexikaner. Sie wedelte auffordernd mit ihrem leeren Glas der Kellnerin zu, die gerade vorbeieilte.

    „Zwei!, ergänzte Taylor und knuffte ihre Freundin. „Na komm schon, eigentlich bist du doch nur ein bisschen sauer, weil du es diesem Idioten nicht selbst heimzahlen konntest. „Außerdem steht mir das böse Mädchen eindeutig besser als dir", fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.

    „Wie bitte …?" Rachel musste sich ein Lachen verkneifen. Offensichtlich war die junge Frau, die ihr gegenübersaß, doch ihre alte Freundin.

    „Ja klar … am Ende ruinierst du dir noch deine Frisur oder brichst dir einen Fingernagel ab." Taylor blies theatralisch ihre Wangen auf.

    „Du bist dämlich, prustete Rachel los. „Wo lernt man eigentlich solche Sachen?, wollte sie wissen, als sie wieder normal atmen konnte. „Ich meine gibt es da eine Killer-Akademie oder so?"

    „Na ja …" Taylor verdrehte ihre Augen.

    „Halt … ich weiß, beantwortete sich Rachel selbst die Frage und schnippte mit den Fingern. „Das war diese komische Freundin von deiner Tante, fügte sie hinzu, während sie die Stirn in Falten zog. „Die kam mir schon früher äußerst verdächtig vor."

    „Zum Wohl, flötete die junge Kellnerin, als sie erneut die großzügig gefüllten Gläser auf den Tisch stellte. „Möchtet ihr vielleicht auch eine Kleinigkeit essen?, erkundigte sie sich anschließend besorgt. In der Hitze des späten Nachmittags konnten zwei doppelte Tequila leicht ins Auge gehen.

    Taylor drehte sich langsam zu der schlanken Blondine und musterte sie übertrieben von oben bis unten.

    „Im Moment nicht, hauchte sie mit einem verheißungsvollen Augenaufschlag, „aber vielleicht bekommen wir ja später Appetit.

    Der jungen Kellnerin wich schlagartig die Farbe aus dem Gesicht. Schützend drückte sie sich die Speisekarte an die Brust, bevor sie in Richtung Küche davoneilte.

    „Eins zu null für dich, kicherte Rachel und hob ihr Glas. „Na dann Cheers, du kleines Miststück!

    „Selber Miststück", gab Taylor zurück und kippte den Tequila hinunter.

    Auch diesmal kam

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1