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Marinas reicher Onkel
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eBook224 Seiten3 Stunden

Marinas reicher Onkel

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Über dieses E-Book

Die Generalstochter Baronesse Marina von Uhde und ihre beste Freundin Kora von Notteck leben im besten Einvernehmen. Der Dritte im Bunde ist Baron Igor von Notteck: Koras Bruder ist ein erfolgreicher Rechtsanwalt. Für Kora ist klar, dass ihr Bruder einmal Marina heiraten wird. Marina hat eine bittere Enttäuschung mit ihrer ersten Verlobung hinter sich. Eines Tages kommt die Nachricht, dass Horst von Bergh wieder im Land ist. Er war es, der damals seine Verlobte Marina so böswillig verließ. Von Bergh, inzwischen verheiratet, lebt von seiner Frau getrennt und befindet sich in dauernden finanziellen Schwierigkeiten. Natürlich wird er versuchen, Marina wieder für sich zu gewinnen, denn sie erwartet ein großes Erbe. Ihr Onkel, der superreiche Kalibaron, zählt zu den Millionären des Landes. Wird es Horst von Bergh gelingen, das Vertrauen Marinas erneut zu erobern? Ein außergewöhnlich spannender und dramatischer Schicksalsroman.
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2017
ISBN9788711507483
Marinas reicher Onkel

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    Buchvorschau

    Marinas reicher Onkel - Alrun von Berneck

    www.egmont.com

    I.

    „Haben Sie auch schon den Schriftsatz in der Mappe, den ich Ihnen in der Ehescheidungssache des Grafen Retberg diktiert habe, Fräulein Hilde?" fragte der Anwalt, als er die Unterschriftenmappe von seiner Sekretärin entgegennahm.

    „Nein, Herr Doktor, den habe ich noch in der Maschine! Im Manuskript war noch eine Unklarheit, ich wollte Sie lieber erst fragen."

    „Schön, dann holen Sie Ihr Manuskript herein! Sie wissen, der Schriftsatz muß heute noch hinaus, unser Mandant wartet drauf!"

    Die Sekretärin nickte zur Bestätigung, sie hatte verstanden. Dann ging sie in ihr Büro zurück. Doktor von Notteck blieb für eine Weile allein. Er überflog die Briefe in der Unterschriftenmappe, und dann setzte er seinen Namen darunter. Das ging ihm sehr flott von der Hand, denn er brauchte die Briefe und Schriftsätze nicht mehr durchzulesen, weil er sich auf seine Sekretärin verlassen konnte. Und Notariatssachen, bei denen es auf eine gewissenhafte Ueberprüfung ankam, waren heute nicht dabei.

    Er hatte die Mappe kaum zugeschlagen, als Fräulein Herberg wieder hereinkam. Er schob ihr die Mappe mit der Post zu, dann lehnte er sich in den Sessel zurück und wartete auf die Frage. Die Sekretärin begann auch ohne Umschweife, aus dem Stenogramm vorzulesen. Als sie geendet hatte, fragte er:

    „Und was ist Ihnen unklar, Fräulein Hilde?"

    „Nur der Satz, den ich Ihnen vorgelesen habe, Herr Doktor! Soll es wirklich heißen, Graf Retberg beantrage die Scheidung von seiner Frau wegen seelischer Grausamkeit?"

    „Ganz recht, das ist auch einer der Scheidungsgründe! Bei dieser Person können wir nicht robust genug auftreten. Die bringt es sonst glatt fertig, ihren Mann abermals einzuwickeln!"

    „Aber doch jetzt nicht mehr, Herr Doktor, wo Sie den Grafen vertreten!" wandte Fräulein Hilde ein.

    „Ihre gute Meinung in Ehren, lachte Dr. von Notteck, „aber gerade in Scheidungssachen hat es schon die tollsten Dinge gegeben! Ich habe schon einmal erlebt, daß eine Ehefrau ihrem gerade von ihr geschiedenen Mann um den Hals fiel.

    „Das ist doch kaum zu verstehen, Herr Doktor!" sagte Fräulein Hilde, die sich bei ihrem Chef ein Wort erlauben durfte, denn er schätzte die Meinung dieser unkomplizierten und unverbildeten jungen Dame.

    „Die weibliche Psyche ist voller Geheimnisse, Fräulein Hilde, erwiderte er mit einem wissenden Lächeln. „Die Frau hatte die Scheidung gar nicht ernst gemeint, sie wollte nur, daß Richter und Anwalt ihrem Mann einmal gründlich die Meinung sagten. Als sie dann sah, daß er ernst wurde und sie schon geschieden war, kamen ihr die Tränen.

    „Und was gab es dann?"

    „Der Richter beschrieb dem gerade geschiedenen Paar den nächsten Weg zum Standesamt! Etwas anderes konnte er nicht mehr tun, sein Urteil hatte er bereits gesprochen."

    Die Sekretärin lächelte ob dieser Erklärung, nahm die Mappe vom Schreibtisch und wollte sich zurückziehen, als der Anwalt sie noch einmal zurückhielt.

    „Einen Moment, Fräulein Hilde! Schauen Sie doch mal nach, ob meine Schwester in der Wohnung ist. Sagen Sie ihr, ich möchte sie sprechen!"

    Jetzt erst ging Fräulein Herberg wieder hinaus. Dr. von Notteck blätterte ein wenig geistesabwesend in bunten Prospekten, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Wahrscheinlich dachte er schon an das, was er seiner Schwester sagen wollte.

    Doktor Igor Freiherr von Notteck, Sproß einer baltischen Adelsfamilie, groß und wuchtig von Gestalt, aber die Gutmütigkeit in Person, hatte sich gleich nach dem Staatsexamen in Wildungen als Rechtsanwalt niedergelassen. Trotz seiner jungen Jahre — er hatte gerade seinen dreißigsten Geburtstag hinter sich gebracht — erfreute er sich einer ständig wachsenden Beliebtheit und war vor allem in Adelskreisen bereits ein gesuchter Anwalt. Seine Klientel wuchs von Monat zu Monat, und so brauchte er sich in beruflicher Hinsicht keinerlei Zukunftssorgen zu machen. Ihm, dem Junggesellen, führte seine um sechs Jahre jüngere Schwester den Haushalt, und da er von Baronesse Kora aufs beste betreut wurde, hatte er noch nicht den Drang verspürt, eine eigene Familie zu gründen, wenn er auch, wie zum Beispiel gerade jetzt, oft mit einem Gedanken spielte, den er vor seiner Schwester bisher sorgfältig geheimgehalten hatte.

    Als sich jetzt die Tür öffnete und Baronesse Kora des Privatkontor betrat, fühlte er sich ertappt und wurde rot wie ein Schuljunge. Kora musterte den Bruder eingehend, als sie nähertrat und sich in ihrer ganzen Größe vor ihm aufbaute. Auch sie war groß, aber dabei schlank und wohlproportioniert, und ihr Gesicht mit der geraden, doch etwas zu kurz geratenen Nase und den stahlgrauen Augen mußte hübsch genannt werden.

    „Du wolltest mich sprechen, Igor?"

    „Das hatte ich vor, sagte er und war um einen forschen Ton bemüht. „Bitte, setz dich einen Augenblick!

    „Nanu, so feierlich? Das hat doch etwas zu bedeuten!"

    Sie lächelte ironisch, um ihm zu zeigen, daß sie ihn durchschaut hatte. Sie glaubte immer, ihm gegenüber um ihre Position kämpfen zu müssen, obwohl er noch nie den Versuch gemacht hatte, sie zu bevormunden. Seiner selbstsicheren Männlichkeit gegenüber fühlte sie sich stets ein bißchen zurückgesetzt. Zu Unrecht allerdings, doch das hatte sie noch nicht erkannt. Und so herrschte zwischen ihnen, trotz des aus geschwisterlicher Liebe erwachsenen Vertrauens, immer ein latenter Spannungszustand, der niemals Gleichgültigkeit oder Langeweile aufkommen ließ.

    „Ich wollte dich bitten, dir einmal diese Prospekte durchzusehen!" sagte er möglichst gleichgültig und schob ihr die Papiere zu, in denen er bei ihrem Eintritt gedankenlos geblättert hatte.

    Sie griff zu und warf einen Blick darauf.

    „Das sind ja Prospekte von Autofirmen!" Erstaunen und Ueberraschung lagen in ihrem Blick, den sie ihm blitzschnell zuwarf, um ihm seine Gedanken vom Gesicht abzulesen. Sie glaubte, wenigstens ihrem Bruder gegenüber diese Fähigkeit zu besitzen.

    „Ganz recht! sagte der Baron leichthin. „Schau sie dir mal genau an! Ich möchte deine Meinung darüber hören.

    Aber die Schwester dachte nicht daran, sich die schönen Wagen anzuschauen, die in eleganter Linienführung und in bestechenden Farben auf den Reklamebildern prangten. Kora wollte zunächst einmal die Lage klären, der Wunsch ihres Bruders mußte schließlich einen Grund haben.

    „Ich weiß ja noch nicht, unter welchen Gesichtspunkten ich mir die Wagen anschauen soll, meinte sie mit einem kleinen Vorwurf in der Stimme, weil er sie noch nicht aufgeklärt hatte. „Willst du etwa einen neuen Wagen anschaffen?

    „Und wenn es so wäre?"

    Nun war die Baronesse ehrlich verblüfft.

    „Aber wir haben doch einen Wagen, Igor! Zugegeben, er ist nicht das neueste Modell, und gut im Lack ist er auch nicht mehr, aber er tut es doch noch eine ganze Weile!"

    „Man behält einen Wagen aber nicht, bis er auseinanderfällt! widersprach er lebhaft. „Jetzt kann ich ihn noch günstig in Zahlung geben. Das wird mir in einem Jahr nicht mehr möglich sein.

    Sie betrachtete ihn skeptisch. Warum ereiferte er sich nur so? Bisher hatte ihm der Wagen noch genügt. Doch da fuhr er schon fort:

    „Du mußt auch an eins denken, Kora: in meinem Beruf ist der Wagen, den ich fahre, meine Visitenkarte! Ich kann es mir einfach als Anwalt nicht leisten, einen so alten Schlitten zu fahren!"

    „Komisch, meinte sie zögernd, „du hast jetzt plötzlich Repräsentationspflichten?

    „Warum soll ich mir nicht das gleiche Argument zu eigen machen, das heute jeder kleine Bürgermeister für sich beansprucht, wenn er glaubt, die Steuergelder müßten sinnvoller angewandt werden?"

    Seine Worte waren für Kora aber nur eine Ausflucht. Resolut fragte sie:

    „Das ist doch nicht der einzige Grund, Igor? Du hast doch diese Repräsentation gar nicht nötig. Bei deiner Praxis!"

    „Gerade wegen meiner Praxis! widersprach er lebhaft. „Wie oft ist es schon vorgekommen, daß ich einen Klienten mitnehmen mußte zum Landgericht oder zu einem Ortstermin. Ich habe mich immer geschämt, wenn ich dann mit meiner alten Mühle vorfuhr!

    „Ach! sagte sie und suchte seinen Blick. Als ihr das gelungen war, vertiefte sich das Lächeln in ihren Mundwinkeln. Ihr war plötzlich ein Gedanke gekommen, der ihr gar nicht so abwegig erschien. „Du genierst dich also, wenn du mal jemand mitnehmen mußt?

    „Na klar! Und darum habe ich mich entschlossen, den alten Wagen so schnell wie möglich abzustoßen. Ich bin mir nur nicht klar darüber, welchen ich jetzt nehme. Vielleicht bist du so freundlich, mir deine Meinung zu sagen. Schließlich willst du den Wagen ja auch hin und wieder fahren. Da ist es nicht mehr als recht und billig, daß auch deine Wünsche berücksichtigt werden."

    Sie wußte sofort, daß er ihren Argwohn erkannt hatte, sonst würde er nicht ins Dozieren geraten sein. Er wollte vermutlich nur darüber hinwegsprechen und sie ablenken.

    Obwohl sie sein Eifer belustigte, zwang sie sich zu einer ernsten Miene. Dann fuhr sie sich mit der Hand ans Kinn, als ob ihr diese Geste das Nachdenken erleichtern könnte. Schließlich sagte sie:

    „Ganz kann ich mich deinen Argumenten natürlich nicht verschließen, Igor. Es ist wirklich schon ein alter Schlitten. Und wenn du einmal jemand mitnehmen mußt ...!"

    „Nicht wahr, das siehst du also ein?"

    „Bestimmt! Und wenn du meinst, wir könnten es uns leisten, einen neuen Wagen anzuschaffen, ich will die letzte sein, die dir ein Hindernis in den Weg legt!"

    „Bravo, ich habe es doch gewußt! Mein Schwesterchen hat Verständnis für alles!" erwiderte er erfreut und mit einem Seufzer der Erleichterung.

    „Ja, für alles!" sagte die Baronesse, und in ihren Augen lag ein unergründliches Lächeln, das ihm sogleich wieder zu denken gab. Um sie diesmal abzulenken, deutete er nochmals auf die Prospekte. Und nun zögerte sie nicht länger und blätterte in den bunten Bildern.

    Nach einer Weile trat er hinter sie und sah ihr über die Schulter. Kora hatte bereits zwei Prospekte an die Seite gelegt, sie zeigten die Wagen, die ihr besonders gut gefielen. Es waren ein Kabriolett und ein geschlossener Wagen.

    „Was meinst du, Igor, sollte es dieser sein? sie zeigte auf das Kabriolett. „Einen geschlossenen Wagen haben wir nun lange genug gefahren.

    „Ich habe auch schon daran gedacht! Die Maschine ist ausgezeichnet!"

    „An die Maschine dachte ich weniger, warf Kora sofort ein. „Das sind männliche Ueberlegungen. Aber ich denke, in einem Kabriolett kommt ein junges Mädchen besser zur Geltung!

    Igor warf ihr einen prüfenden Blick zu. Aber sie ließ sich nichts anmerken, und vorsichtigerweise verzichtete er auch darauf, ihre Gedanken ergründen zu wollen.

    Noch am Abend des gleichen Tages beschlossen sie, den neuen Wagen zu bestellen.

    Dann aber gingen noch einige Wochen ins Land, denn das von ihnen ausgesuche Kabriolett sollte ja kein beliebiges sein, sondern Baronesse Kora hatte darauf bestanden, daß es burgunderrot lackiert und mit schwarzem Lederpolster versehen sein mußte. Wenn sie schon von ihrem Bruder aufgefordert worden war, nach ihrem Geschmack zu wählen, dann war es wohl auch recht und billig, wenn sie sich den Wagen so wünschte, wie sie ihn sich immer erträumt hatte.

    Eines Tages um die Mittagsstunde erhielt Dr. von Notteck den Anruf des Autohändlers, der ihm mitteilte, daß der Wagen angekomemn sei. Diese Mitteilung versetzte den sonst so kühlen Anwalt in besondere Erregung, und er benahm sich nicht anders als ein Schuljunge, dem ein Wunsch überraschend in Erfüllung gegangen ist. Zunächst rief er seine Sekretärin zu sich.

    „Fräulein Hilde, welche Sachen stehen für heute nachmittag noch auf dem Terminkalender?"

    Sie nannte ihm zwei Besprechungen, die für diesen Tag angesetzt worden waren.

    „Dann rufen sie die beiden Klienten an und vereinbaren Sie mit ihnen einen neuen Termin! Meinetwegen bestellen Sie sie für morgen früh."

    „Aber die Sache Kulenberg ist besonders wichtig, Herr Doktor!" wagte Fräulein Herberg einzuwenden.

    „Bis morgen läßt sie sich verschieben, Fräulein Hilde! Das werde ich schon verantworten. Ich muß heute nachmittag fort und bin auch erst am Abend wieder zurück. Sagen Sie Herrn Kulenberg, daß ich plötzlich abgerufen worden sei."

    „Gut, Herr Doktor! Und was soll ich heute nachmittag erledigen, wenn Sie nicht da sind?"

    „Meinetwegen arbeiten Sie alte Akten auf oder heften Sie die Post ab, erwiderte ihr Chef ungeduldig. „Sie sind doch schon über zwei Jahre bei mir, Fräulein Hilde, und müßten eigentlich selbst wissen, was wichtig ist!

    Fräulein Herberg sah ihn verdutzt an. War das nun ein Anpfiff oder war der Chef nur so nervös? Sie zuckte mit den Schultern und ging hinaus. Im stillen freute sie sich schon auf den geruhsamen Nachmittag, denn sie würde ganz allein im Büro sein, weil das Lehrmädchen Schule hatte.

    Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, als sich Dr. von Notteck hastig erhob und hinausging, um seine Schwester aufzusuchen. Er fand sie in ihrem Boudior.

    „Nanu, Igor, wo brennt es denn?" fragte sie überrascht, denn er pflegte sonst die Privaträume während der Vormittagsstunden kaum zu betreten.

    „Ich wollte nur nachsehen, ob du zu Hause bist", erwiderte er in möglichst gleichgültigem Ton.

    „Aber das weißt du doch, Igor! sagte sie lächelnd. „Schließlich willst du etwas zu Mittag essen, und das muß ich wohl um diese Zeit vorbereiten.

    „Ich will dich auch nicht darin stören, Kora. Er sagte es lächelnd, denn nun hatte er sich wieder völlig in der Gewalt. „Ich wollte nur wissen, ob du heute nachmittag etwas vorhast.

    „Nein, das habe ich nicht! Wieso?"

    „Dann könntest du mich auf einer Fahrt begleiten."

    „Ach! Und wohin soll es gehen?"

    „Damit werde ich dich überraschen, sagte er geheimnisvoll. „Du kannst dir ja nach Tisch etwas Nettes anziehen!

    Kora schüttelte verwundert den Kopf. Bevor sie aber eine Frage an ihn richten konnte, war er schon wieder hinaus. Warum tat er nur so geheimnisvoll? So kannte sie den Bruder ja gar nicht. Und das lustigste war, daß er sie aufgefordert hatte, sich nett anzuziehen. So etwas hatte er noch nie gesagt. Sie hatte ihn sogar im Verdacht, daß er es überhaupt nicht merkte, wenn sie sich über Tag einmal umzog. Auf Äußerlichkeiten hatte er noch nie gesehen, denn er stand auf dem sehr vernünftigen Standpunkt, daß alle menschlichen Eitelkeiten nur vom Übel seien. Man müsse zwar auf sich halten, aber diese Selbstverständlichkeit war ihm dank seiner guten Erziehung in Fleisch und Blut übergegangen, was jedoch darüber war, lehnte er ab und nannte es eine Schwäche des Charakters.

    Warum also seine plötzliche Bemerkung? Sie rätselte vergebens darüber nach. Bis sie es aufgab und sich entschloß, sich überraschen zu lassen.

    Bei Tisch war er nervös, aber sie fühlte sehr genau, daß diese Unruhe keinem gehabten Ärger entsprang, sondern eher eine freudige, mühsam unterdrückte Erregung war. Und doch kam sie nicht darauf, was deren Ursache war.

    So zog sie sich also ihr bestes Frühjahrskostüm an und stieg mit ihm die Treppe hinunter. Draußen stand ihr unscheinbarer Wagen abfahrbereit. Der Anwalt öffnete den Schlag und ließ seine Schwester einsteigen. Erst als beide Platz genommen hatten, konnte sie ihre Neugierde nicht mehr unterdrücken.

    „Nun bin ich doch gespannt, wohin du mich fahren wirst, sagte sie. „Hoffentlich über Land, denn jetzt, wo die Bäume blühen, ist es herrlich draußen!

    „Das habe ich mir auch gedacht, meinte er, und nach einer kleinen Weile fuhr er fort: „Ob Marina wohl zu Hause ist?

    „Aber Igor!" antwortete Kora und sah ihn freudig überrascht an. Marina war ihre beste Freundin, und sie hatte immer schon im stillen darauf gehofft, daß sich zwischen den beiden etwas anspinnen würde. Bisher hatte sie vergebens darauf gewartet. Wenn aber Igor jetzt nach ihr fragte, dann hatte das sicher etwas zu bedeuten. Doch er sagte kühl und gelassen:

    „Na ja, warum sollen wir sie nicht mitnehmen, sie hat doch kaum Abwechslung, wenn sie immer in ihrer stillen Klause sitzt."

    „Ich finde es nett, daß du daran gedacht hast, Igor! lobte sie ihn. „Marina wird bestimmt gern mitfahren. Also holen wir sie ab!

    Er nickte und fuhr schneller. Da fiel ihr auf, daß er eine ganz andere Richtung einschlug.

    „Aber wohin fährst du denn?" fragte sie ein wenig ungehalten.

    „Wir sind schon da! meinte er lachend und bog auf den Hof einer Tankstelle ein. „Bitte, auch du mußt hier aussteigen!

    Kopfschüttelnd kam sie dieser Aufforderung nach, und kaum hatte sie ihre Füße auf die Erde gesetzt, fiel ihr ein Wagen ins Auge, der direkt vor ihr stand. Begeistert deutete sie mit der Hand auf das Fahrzeug.

    „Ist der schön!"

    „Nicht wahr? meinte Igor lakonisch. „Darum sollst du ihn auch sogleich ausprobieren!

    Da blieb der Baronesse vor Staunen der Mund halb offen stehen.

    „Ist das etwa unser Wagen?" fragte sie verblüfft.

    „Natürlich! Also bitte, steig ein!" Er deutete mit der Hand auf das Kabriolett, und Baronesse Kora ging voller Ehrfurcht um das Fahrzeug herum und betrachtete es zunächst einmal von allen Seiten. Inzwischen sprach ihr Bruder mit dem Autovertreter, um die Papiere zu übernehmen. Als er sich endlich seiner Schwester wieder zuwandte, wurde sein alter Wagen bereits von einem Monteur in die Werkstatt

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