Dan Shocker's Macabros 6: Horror-Trip
Von Dan Shocker
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Buchvorschau
Dan Shocker's Macabros 6 - Dan Shocker
Biografie
»Kann man seinen Tod ahnen?« fragte der Mann, drehte seinen Kopf und blickte die gutaussehende, etwa dreißigjährige Frau nachdenklich an.
Er stand vor einem Spiegel.
Die Dunkelhaarige erwiderte den Blick. »Wie kommst du darauf? Jetzt? Ausgerechnet jetzt?«
»Nur so. Ich muss gerade daran denken.«
»Ein komischer Zeitpunkt, George. Wir machen uns fürs Theater fertig und du redest vom Tod! Du bist fünfunddreißig. Da stirbt sich’s nicht so schnell. Du bist kerngesund.« Raquel Beard kam auf ihn zu. Sie war eine hochgewachsene, reizvolle Frau mit schönen Gliedern, einem wohlproportionierten Körper und großen, schwarzen Kirschenaugen, die hinter seidigen Wimpern schimmerten. »Ich habe mal gelesen, dass ein Mann um die Dreißig sehr viel an den Tod denkt«, fuhr sie fort.
»Das tue ich nicht«, entgegnete George Beard. Er war schmal und wirkte erschreckend blass. Das war ungewöhnlich. Beard hatte sonst eine sehr frische und gebräunte Haut. Sein Aufenthalt hier in Kalkutta hatte ihn braun werden lassen. George hielt sich viel in der frischen Luft auf. Er war Ingenieur bei einer englischen Firma, die drei Produktionswerkstätten errichtete. George Beard pendelte zwischen den einzelnen Baustellen hin und her, überprüfte die Pläne, gab hier und da Anweisungen und führte Kontrollen durch.
Es war ein guter und kein beschwerlicher Job, den er auszufüllen hatte. Er trug viel Verantwortung, aber Raquel Beard hatte nie den Eindruck gehabt, dass George unter besonderem Druck stand.
Was war nur los mit ihm? Was veränderte ihn so? Warum auf einmal diese unerklärlichen Depressionen?
Er redete vom Tod! Das hatte er vorher nie getan.
Raquel legte ihre schmalen, mit kostbaren Brillantringen geschmückten Hände auf die Schultern ihres ein wenig gebeugt stehenden Mannes und fuhr dann langsam das Revers herab.
Sie näherte ihre feuchtschimmernden roten Lappen seinem Mund und hauchte einen Kuss darauf.
»Warum so schlimme Gedanken?« fragte sie.
»Ich weiß es nicht. Sie waren mit einem Mal da. Und sie werden immer stärker. Ich glaube, ich kann nicht mitgehen.« Er seufzte.
Raquel Beard schluckte. Sie sagte nichts.
»Ich weiß, du hast dich sehr auf diesen Abend gefreut«, kam es schwer über seine Lippen.
»Wenn es dir nicht gut ist, werden wir hierbleiben, George. Deine Gesundheit geht vor. Vielleicht bist du überarbeitet.«
»Vielleicht«, wich er aus, und als er das sagte, begriff sie, dass er mehr wusste, aber nicht darüber sprechen wollte. Sie erschauerte plötzlich, als sie sein Gesicht sah.
Es war vor Angst verzerrt. George Beard sah aus, als würde er jeden Augenblick den Verstand verlieren.
Doch noch während sie ihn musterte, glätteten sich seine Züge.
Ein verunglücktes Lächeln stahl sich auf seine Miene. Er schien die Veränderung seiner Gesichtszüge selbst nicht wahrgenommen zu haben, und auch im Spiegel hatte er sich nicht sehen können, da er ihm im Moment den Rücken zudrehte.
George wirkte noch bleich, aber die Spuren des Wahnsinns und einer unerklärlichen Furcht waren verschwunden.
»Du solltest dich etwas ausruhen. Wir haben noch Zeit«, murmelte sie, während er sich sanft von ihr löste, mit dem Kopf nickte und den Flur durchquerte. Er ging direkt auf das große Fenster des Wohnzimmers zu. Die Tür zum Balkon war nur angelehnt. George Beard öffnete sie vollends und trat hinaus.
Tief atmete er die Abendluft ein. Sie war warm und wenig erfrischend.
Lautlos wie ein Schatten tauchte Raquel Beard hinter ihrem Mann auf.
»Ich muss mit dir reden, Raquel. Ganz sachlich«, sagte er, ohne sich umzudrehen. Sein Blick ging über die Dächer der pulsierenden, von prallem Leben erfüllten Stadt. Hier oben, vom zehnten Stock eines neuerbauten Appartementhauses aus, hatte man einen prachtvollen Blick. »Ich glaube, ich lebe nicht mehr lange. Ich kann es dir nicht begründen. Es ist nur so ein Gefühl. Es ist so, wie wenn jemand spürt, dass etwas Unangenehmes ihn erwartet, verstehst du?«
Sie nickte.
»So ergeht es mir. Ich kann mir den Sonnenaufgang morgen nicht mehr vorstellen, nicht mehr, wie es mit dir weitergehen soll. Plötzlich ist eine Mauer da, hoch und unüberwindlich. Und ich merke, dass es heute passieren wird. Dies ist mein letzter Lebenstag!«
Es war eine unbeschreiblich beklemmende Atmosphäre, die sich nach seinem Monolog ausbreitete.
Raquel standen die Tränen in den Augen. Sie fing an, sich langsam auszukleiden.
»Nicht«, sagte er plötzlich, als hätte er sich eines Besseren besonnen. Er sah mit einem Mal wieder ruhig und ausgeglichen aus, und seine Augen blickten freundlich wie immer. Der wahnsinnige Ausdruck darin war verschwunden. »Wir gehen. Es soll trotz allem ein netter Abend werden. Es tut mir leid, dass ich dich so belaste, dass ich über diese Dinge spreche. Ich bin völlig normal, das musst du mir glauben. Ich bin nicht verrückt, und du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich wollte nur, dass es dich nicht unerwartet trifft. Wenn es passiert, musst du wissen, was du zu tun hast. Darüber muss ich mit dir sprechen. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Gehen wir von der Überlegung aus, dass dieser Tag der letzte in meinem Leben ist, dass meine Todesahnung sich erfüllt. Du wirst allein sein in diesem riesigen Land. Wir haben Freunde, aber alle sind mit sich selbst beschäftigt. Die erste Zeit hättest du Hilfe, aber damit ist dir nicht gedient. Du musst zurück nach England, nur dort bist du sicher.«
»Sicher?« echote sie. »Was willst du damit sagen? Droht mir denn irgendwie auch eine Gefahr?«
Sie begriff überhaupt nichts mehr.
»Vielleicht, ich weiß es nicht. Du bist meine Frau, Raquel. Ich habe dich nie in meinem Leben belogen, nie betrogen. Aber in einem Fall war es notwendig, dir nicht die volle Wahrheit zu sagen. Ich wollte dich nicht in etwas hineinziehen, von dem ich selbst nicht wusste, wie es ausging. Nun wird sich zeigen, ob diese Vorsichtsmaßnahme begründet war, oder ob man sie verkennt.«
»Verkennt? Wer sollte sie verkennen?« Was redete George für einen Unsinn daher? Er redete vollkommen wirres Zeug.
Er wich aus, er antwortete nicht darauf, als hätte er es nicht gehört. »Wenn ich sterbe…«
»Du wirst nicht sterben!« fiel sie ihm ins Wort.
»Verlass Kalkutta«, fuhr er unbeirrt fort. »Führe dein Leben in London weiter, wie wir es fortgesetzt hätten, wenn wir gemeinsam in drei Jahren dort wieder eingetroffen wären.«
»Warum sprichst du dich nicht aus? Was bedrückt dich, George? Diese merkwürdige Todesahnung, die du hast, kommt doch nicht von ungefähr. Was hat sie ausgelöst? Sprich mit mir darüber, lass mich nicht im Ungewissen! Vielleicht kann ich dir helfen?«
Er schüttelte den Kopf. »Niemand kann mir helfen, Raquel.« Er wandte ihr jetzt wieder sein Gesicht zu. »Ich fühle mich besser, jetzt, wo ich mit dir gesprochen habe.«
Sie musterte ihn eingehend, als müsse sie sich jede Reaktion seines Gesichtes einprägen. »Hängt es mit den Dingen zusammen, mit denen du dich ein ganzes Leben lang beschäftigt hast, George? Es hat mir nie gefallen, dass du dich mit metaphysischen Problemen befasst hast. Du wolltest immer tiefer blicken als andere Menschen. Dir war die Wirklichkeit nie gut genug. Du wolltest immer einen Blick jenseits aller Dinge werfen. Als wir London verließen, hatte ich die Hoffnung, dass du endgültig loskommen würdest von spiritistischen Versammlungen, von Magie und Okkultismus. Aber auch hier in Kalkutta hast du deine Fühler ausgestreckt. Dich interessieren ungewöhnliche und geheime religiöse Riten, und du wolltest unbedingt die Bekanntschaft eines Yogi machen. Das alles ist dir gelungen. Du hast dich mit Dr. Lekarim sogar angefreundet. Wenn man sich zu sehr mit diesen Dingen befasst, vergisst man darüber die Wirklichkeit, und die Gefahr, geistig eines Tages völlig umzukippen, ist sehr groß. Ich habe dich immer gewarnt, George, ich habe dich immer darum gebeten, abzulassen von diesen Dingen. Sie bringen kein Glück, sie verwirren nur den Verstand. Und deshalb habe ich die Hoffnung, dass alles, was du heute, was du in diesen Minuten zu mir gesagt hast, auf eine geistige Störung zurückgeht. dass du nicht sterben wirst, George, sondern dass dies nur in deiner Einbildung existiert. Du bist jung, es gibt keinen Grund zum Sterben. Aber du brauchst einen Arzt. Vertrau’ dich einem Psychiater an. Ich werde einen anrufen und…«
Er lächelte. »Einverstanden«, sagte er plötzlich. »Vielleicht hast du recht. Vielleicht bin ich wirklich ein bisschen verwirrt, und ein Psychiater kann mir helfen. Wir wollen nicht länger davon sprechen.« Er legte seinen Arm um ihre Schultern, und sie schmiegte sich an ihn. »Eine seelische Krise, meinst du also? Gut, nehmen wir an, es ist so. Dann droht mir keine Gefahr?«
»Nein, nicht die geringste! Es sei denn, du quälst dich selbst mit deinen Gedanken zu Tod.«
»Ich werde morgen einen Arzt aufsuchen, das verspreche ich dir.«
»O George!« Obwohl eigentlich nichts verändert war, fühlte sie sich befreit und erleichtert.
»Du allerdings musst mir auch ein Versprechen geben?«
»Und das wäre, George?«
»Wenn meine Ahnungen zutreffen, dich an das zu halten, worum ich dich gebeten habe. Dazu gehört auch Ajit Lekarim, mein Freund. Gehe nicht zu ihm! Gehe nicht dorthin!«
*
Eine halbe Stunde später verließen sie die Wohnung.
Ein Taxi brachte sie zum Theater.
Raquel Beard war eine treusorgende, gutmütige Frau und bemühte sich, George bei Laune zu halten und ihm über diese seelische Krise hinwegzuhelfen.
Während der Fahrt zum Theater wechselten sie nur wenige Worte. George bemühte sich, nicht wieder in dumpfes Brüten zu versinken, und eine Zeitlang schien ihm dies auch zu gelingen.
Im Theater trafen sie die Freunde, mit denen sie verabredet waren. Allgemein fiel auf, dass George Beard etwas mitgenommen aussah, doch keiner ließ sich näher darauf ein, und niemand merkte, wie schlimm Georges Zustand wirklich war.
Raquel Beard beobachtete ihren Mann genau. Sein Blick war unstet und er konnte sich auch nicht auf das Stück konzentrieren das in bengalischer Sprache aufgeführt wurde, eine der zahlreichen indischen Sprachen, die sie beide gut beherrschten.
Sie bekamen ein modernes Stück zu sehen.