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Die Mentalistinnen: Anderwelten, #1
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Die Mentalistinnen: Anderwelten, #1
eBook449 Seiten6 Stunden

Die Mentalistinnen: Anderwelten, #1

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Über dieses E-Book

Dies ist die fantastische Reise von Hans Wolff, einem jungen Anthropologen, der an einem archäologischen Institut in Wien arbeitet.

Der plötzliche Tod seines Vaters verwickelt ihn wegen einer mysteriösen Erbschaft in ernste Schwierigkeiten: Er wird von Fremden überfallen, von seinem Job suspendiert, von der Polizei untersucht und verliert seine Freundin. Mit Hilfe eines Freundes versucht er, das Rätsel zu lösen und sich aus seinem unglaublichen Unglück zu befreien.

Seine Nachforschungen führen ihn in eine neue Welt, in der eine zweite Menschheit lebt. Es ist eine Welt voller Wunder und übernatürlicher Kräfte. Dort lernt er neue Freunde kennen. Doch tödliche Gefahren lauern und er sitzt in der Falle. Wird er entkommen? Wird er überleben und ein neues Leben beginnen? Wird er die Liebe seines Lebens finden?

SpracheDeutsch
HerausgeberJohann F. Radax
Erscheinungsdatum7. Aug. 2022
ISBN9798201239329
Die Mentalistinnen: Anderwelten, #1
Autor

Johann Franz Radax

Johann Franz Radax nació en 1957 en Wiener Neustadt, Austria Baja. Después del estudio de la medicina veterinaria en Viena trabajó como profesor asistente en el Instituto de Nutrición de esta universidad y a continuación se dedicó durante diez años a la práctica de animales grandes en el sur de Austria Baja. En aquel tiempo escribió su tesis doctoral y se graduó de «Dr. Med. Vet.» Después de un interludio de cuatro años en la industria farmacéutica emigró a América del Sur, a Ecuador. Allá estudió medicina y bioética. Durante diez años trabajó como profesor de Anatomía e instructor de Medicina Comunitaria en una universidad ecuatoriana. En todo ese tiempo además fungió como docente de cursos de Anatomía y Fisiología y como instructor de un programa de Salud Pública de una universidad estadounidense que mandaba a estudiantes voluntarios a Ecuador para asistir a cursos y prácticas de un semestre de extensión. Aparte del trabajo docente, el doctor Radax se dedicaba y se sigue dedicando a la investigación científica. En la actualidad dedica su tiempo a la escritura de libros de varias índoles: desde la no ficción hasta las novelas de fantasía. Luego de vivir más de un cuarto de siglo en el Ecuador, dispone de profundos conocimientos tanto del país como de sus habitantes en toda su diversidad, de la profesión médica y de la complejidad de la situación política.

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    Buchvorschau

    Die Mentalistinnen - Johann Franz Radax

    PROLOG

    Montag, 15. Dezember 2003

    Die Luft strömte pfeifend durch die Bronchien. Es brodelte in seiner Brust. Ein qualvolles Keuchen begleitete jeden Atemzug. Der alte Mann beugte sich durch das offene Fenster hinaus in den Garten, klammerte sich an das Fensterbrett und sog gierig die Luft ein. Verzweiflung stand in seinem Gesicht geschrieben.

    Der Gendarm stand an seiner Seite und blickte ihn besorgt an. Seine Uniform war grau, der Gürtel mit der Pistolentasche aus hellbraunem Leder. Er hielt seine Mütze unter den Arm geklemmt.

    »Du solltest vorsichtig sein, Vater, dich so in Hemdsärmeln in den kalten Winter hinauszulehnen. Du wirst dir noch eine Lungenentzündung holen!«, sagte der Uniformierte.

    Ein Hustenanfall schüttelte den Alten. Er spuckte gelben Schleim in den Schnee, streckte sich und zog dann seinen Kopf zurück in das Wohnzimmer. Schaudernd schloss er das Fenster. Dann ließ er sich erschöpft auf die Bank fallen.

    »Setz dich, Sepp«, sagte er und wies auf einen freien Stuhl am Tisch. »Lungenentzündung? Das wäre vielleicht die beste Lösung! Schneller als hier langsam dahinzusiechen.«

    Er zog den Korken aus der Flasche Rotwein und schenkte zwei Gläser voll.

    »Komm, trink!« Er nahm sein Glas und kippte den Inhalt in einem Zug in die Kehle. Er atmete erleichtert durch und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

    »Du siehst besorgt aus. Aber du kannst beruhigt sein. Wir sind allein. Meine Frau ist auf Verwandtenbesuch. Die kommt vor dem Abend nicht zurück. Alfred ist in der Arbeit. Du bist genauso mein Sohn, wie er es ist, auch wenn ich nicht dein leiblicher Vater bin. Aber ich habe dich aufgenommen und ich habe dich großgezogen. Es zerreißt mir immer noch das Herz, wenn ich daran denke, wie dies alles zu Ende gegangen ist.«

    Er seufzte schwer. Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen.

    »Und nun scheint es, dass es mit mir zu Ende geht. Ich habe den Krieg überlebt, ich habe keinen einzigen Kratzer abgekriegt, was an sich schon an ein Wunder grenzt. Ich bin aus dem Gemetzel stark wie ein Bär hervorgekommen. Aber der Krieg hat mich jetzt eingeholt. Damals, im Schützengraben, habe ich angefangen zu rauchen. Es hat die Lungen gewärmt, es hat das Zittern von den Händen genommen und es hat die eisige Furcht in meinem Inneren zerschmolzen. Eine Zigarette nach der anderen, und das ging auch nach dem Krieg so weiter. Und jetzt wird mir die Rechnung präsentiert: Emphysem, Herzversagen, Wasser in den Lungen, Atemnot. Wäre nicht eine Lungenentzündung eine angemessene Krankheit, um dieses miserable Dahinsiechen zu krönen und endlich zu einem Abschluss zu bringen?«

    Er lachte kurz auf. Der Uniformierte schwieg.

    »Aber das ist nicht der Grund, warum ich dich hierhergebeten habe. Es ist sinnlos, über meine Krankheit zu sprechen. Die hat ihren Lauf bereits genommen und ich fühle, dass es zur Neige geht. Aber ich kann nicht einfach so aus diesem Leben verschwinden, denn es gibt eine Angelegenheit, die mir unter den Nägeln brennt. Es wäre eigentlich richtiger zu sagen, dass sie mir schon seit Jahrzehnten unter den Nägeln brennt, seit dem Krieg, genauer gesagt.

    Du weißt, dass ich nie mit dir über den Krieg gesprochen habe, genauso wenig mit Alfred. Mit ihm hatte ich nie ein gutes Verhältnis. Er ist zwar mein biologischer Sohn, aber er ist so verschieden von mir, dass unsere Beziehung nie auf einen grünen Zweig gekommen ist. Mit dir liegen die Verhältnisse anders. Ich sehe mich in dir wieder, du bist wie ich und ich glaube, dass du mich verstehst. Ich denke auch, dass du mich nicht für einen verrückten Alten hältst, der einfach nur Unsinn daherredet, sondern dass du meine Worte ernst nehmen wirst.

    Am Ende des Krieges ist etwas passiert, was mir in gewisser Weise die Augen geöffnet hat. Ich hatte damals zwar die Augen offen, konnte aber nicht klar sehen. Es war mir jedoch möglich zu erkennen, dass ich etwas Unglaubliches entdeckt hatte, aber dass mir das Wissen und die Mittel fehlten, der Angelegenheit nachzugehen und tiefer vorzudringen.«

    Der Gendarm konnte seine Überraschung kaum verbergen. Was erzählt er mir da?, dachte er. Als Kind hatte ich ihn so oft über den Krieg befragt und hatte immer nur Schweigen oder ausweichende Antworten erhalten. Und jetzt redet er plötzlich von einem großen Mysterium, von einem Geheimnis ... Was soll das?

    Der Alte lachte auf. »Ich sehe es in deinen Augen, dass du mich nun wirklich für verrückt hältst. Aber ich kann dir versichern, dass ich jetzt genauso klar denke wie zuvor. Ich werde dich auch nicht in diese mysteriöse Angelegenheit hineinziehen. Ich möchte dich aber bitten, einen Auftrag anzunehmen, den ich dir erteile und den du leicht ausführen kannst. Er wird dir keine Unannehmlichkeiten bereiten.«

    Der Gendarm lächelte. »Sei beruhigt, ich halte dich nicht für verrückt. Ich muss zugeben, ich bin überrascht, weil du den Kriegsfragen immer ausgewichen bist und jetzt plötzlich selbst damit anfängst.«

    Der alte Mann zuckte die Achseln. »Vielleicht ist das, wovon ich rede, keine Frage des Krieges. Vielleicht war der Krieg bloß ein Umstand und hat mit der Angelegenheit an sich gar nichts zu tun. Ich weiß das nicht. Aber eines weiß ich ganz sicher: Ich kann mit Alfred nicht über die Angelegenheit sprechen. Er ist ein guter Familienvater, aber ist fantasielos, er ist trocken, und er hält mich nicht gerade in hohem Ansehen. Wenn ich mit ihm jetzt so sprechen würde, wie ich das jetzt mit dir tue, würde er einfach aufstehen und weggehen. Da gibt es nichts daran zu rütteln. Deswegen frage ich noch einmal: Wirst du diesen Auftrag übernehmen?«

    Der Uniformierte nickte. »Ja, Vater. Du weißt, dass ich für dich alles tun würde. Und das nicht nur aus Dankbarkeit. Ich liebe dich.«

    Dem Alten stiegen Tränen in die Augen. »Ich weiß das und ich habe das nicht vergessen. Und es gibt noch eine Person, von der ich weiß, dass sie mich liebt. Das ist mein Enkel. Er trägt meinen Namen. Vielleicht ist das ein Omen. Mir jedenfalls kommt vor, dass er mir sehr ähnlich ist. Er könnte viel eher dein Sohn sein als der Alfreds.

    Ich werde mein großes Geheimnis ihm vermachen, muss das allerdings so tun, dass sein Vater davon nichts erfährt. Und darin besteht dein Auftrag.«

    Der Alte kramte in seinen Hosentaschen herum und zog schließlich einen Schlüssel heraus. Der Gendarm erkannte sofort, dass es sich nicht um einen normalen Schlüssel handelte. Er hatte einen doppelten Bart und war nummeriert.

    »Dieser Schlüssel«, fuhr der Alte fort, »gehört zu einem Bankschließfach. Ich habe mit dem Direktor der Bank bereits gesprochen und schriftlich festgelegt, dass mit meinem Tod mein Enkel Zugang zum Inhalt des Schließfaches erhält. Ich übergebe dir den Schlüssel und möchte mit dir zur Bank fahren, damit deine Unterschrift registriert wird. Auch du sollst Zugang zum Inhalt erhalten.«

    »Du könntest dem Inhalt des Schließfaches in deinem Testament direkt an deinen Enkel vermachen«, warf der Uniformierte ein.

    »Das ist schon richtig, was du mir da sagst. Aber bedenke, dass mein Enkel noch sehr jung ist. Er ist Student und von seinem Vater abhängig. Glaubst du nicht, dass Alfred Druck auf ihn ausüben würde, um den Inhalt des Schließfaches kennenzulernen?«

    Der Gendarm öffnete seine Hände. »Das könnte durchaus sein!«

    »Und das möchte ich unter allen Umständen vermeiden. Der Junge soll erst dann Zugang zum Schließfach erhalten, wenn er unabhängig ist. Deswegen übergebe ich dir den Schlüssel. Du wirst darüber entscheiden, ob der Moment gekommen ist oder nicht. Das wird deine Verantwortung sein. Bist du bereit, sie zu tragen?«

    »Ich bin bereit!«, sagte der Gendarm.

    »Und dann ist da noch etwas«, sagte der Alte. Er erhob sich mühsam und schlurfte zum Wohnzimmerschrank. Er entnahm einen Brief und überreichte ihn an den Uniformierten.

    »Hier, Sepp«, sagte der Alte. »Dieser Brief ist an meinen Enkel adressiert. Er geht von Hans Wolff an Hans Wolff.« Sein kurzes Auflachen wurde von einem quälenden Hustenanfall unterbrochen. Er wischte sich mit einem Taschentuch über den Mund. »Hier, nimm den Brief. Er enthält den Vertrag mit dem Bankdirektor, der meinem Enkel Zugang zum Inhalt des Schließfaches gewährt. Ich habe auch ein paar Zeilen geschrieben, wo ich das wenige, das ich von diesem Geheimnis kennengelernt habe, bekannt gebe. Wenn die Zeit gekommen ist, übergibst du ihn zusammen mit dem Schlüssel an meinen Enkel. Das ist dein ganzer Auftrag.«

    »Ich werde ihn so ausführen, wie du das bestimmt hast!«, erklärte der Gendarm feierlich.

    »Du kennst meinen Enkel nicht, obgleich du praktisch sein Onkel bist. Wenn er beschließen sollte, diesem Geheimnis nachzugehen, was ich ihm in meinem Brief nahelege, dann könntest du ihm vielleicht dabei behilflich sein. Würdest du das tun?«

    »Was immer in meiner Macht steht!«

    »Im Falle, dass irgendetwas Unvorhergesehenes passieren sollte, das dir die Durchführung meines Auftrages unmöglich macht, überlasse ich das weitere Vorgehen deinem Gutdünken.«

    »Ich werde mich danach richten!«, erwiderte der Gendarm ernst.

    »Gut!«, seufzte der Alte. »Dann glaube ich, dass ich meine Angelegenheiten in dieser Welt geregelt habe.« Er lächelte. »Hast du jetzt Zeit, mit mir zur Bank zu fahren und deine Unterschrift zu registrieren?«

    »Natürlich, sofort. Mein Wagen wartet draußen!«

    Elf Tage später verkündeten das Geläute des Kirchturms und der Partezettel am Kirchentor das Ableben des Alten.

    1 - VATER IST TOT

    Mittwoch, 20. November 2019

    Der Tod kommt immer unerwartet. Selbst wenn ein Mensch schon lange krank ist und seine Prognose den Tod ankündigt, kommt er dann doch immer noch überraschend: Ist die Zeit wirklich schon um? Ist das Leben wirklich zu Ende? Der Tod ist endgültig, so unwiderruflich wie nichts anderes auf der Welt.

    Hans Wolff grübelte. So sollte es auch sein. Aber es fiel ihm auf, dass der Tod seines Vaters ihn nicht so sehr berührte. Es war nur irgendein Ereignis, ein weiterer Stein auf seinem Weg, scheinbar ohne besondere Bedeutung.

    Hans war bestürzt über seinen Mangel an Gefühlen. Andererseits war ihm klar, dass diese Gefühlsarmut auf seine besondere Beziehung zu seinem Vater zurückzuführen war oder vielmehr auf das Fehlen einer solchen Beziehung.

    Etwa fünfzehn Jahre waren seit dem Tod seines Großvaters vergangen, der wie er Hans Wolff hieß. Natürlich war Hans damals viel jünger, viel zarter und empfindlicher gewesen. Aber er erinnerte sich noch gut daran, wie er in diesem Moment seine Tränen nicht unterdrücken konnte und bitterlich geweint hatte. Er hatte seinen Großvater geliebt, er hatte in ihm Halt gefunden, und Großvater hatte ihn geleitet und ermutigt.

    Auch als seine Mutter vor einigen Jahren starb, war Hans nicht unberührt geblieben. Er hatte eine sehr liebevolle Beziehung zu ihr gehabt.

    Aber bei seinem Vater war das anders.

    Und jetzt war er tot.

    Hans stand von seinem Stuhl auf und ging zum Fenster. Draußen heulte ein eisiger Wind durch den grauen Nachmittag. Es war ein typischer Novembertag, der von Natur aus von Melancholie geprägt war.

    Er erinnerte sich lebhaft daran, dass er vor anderthalb Jahrzehnten im Januar hier an dieser Stelle gesessen hatte, als sein Großvater gestorben war. Mein Vater hat ihn nicht lange überlebt, meditierte er. Nur fünfzehn Jahre. Nach dem Tod seiner Frau hatte er jedes Interesse am Leben verloren. Und dann kam jene unheilvolle Diagnose: Prostatakrebs! Da nützte es nichts, dass die Ärzte ihm erklärten, dass dieser Krebs gute Heilungschancen habe, dass sich dieser Krebs nur langsam entwickle und viel Zeit lasse, um das Problem durch eine einfache Operation aus der Welt zu schaffen.

    Vater wollte nichts davon hören. Er vergrub sich in seinem Inneren, kapselte sich ab und nie wieder sollte sich ein Lächeln auf seinen Lippen formen.

    Während der ersten Studienzeit hatte Hans noch jedes Wochenende das heimatliche Haus besucht, dann wurden die Besuche immer seltener. Es blieb die Ausrede des anstrengenden Studiums, dann der Beruf, der die ganze Zeit in Anspruch nahm und dann die Verlobung ... Hans und sein Vater sahen einander immer seltener.

    Und dann erreichte Hans die Nachricht: Vater war tot, Herzinfarkt! Der Krebs hatte ihn so fertig gemacht, dass sein Herz einfach nicht mehr mithalten konnte. Aus!

    Am Sonntag war das Begräbnis gewesen. Eine ganze Menge Leute waren da, viele Kondolenzbezeichnungen, zahlreiche Unbekannte, deren Gesichter Hans nichts sagten. Seine Verlobte, Ulli, hatte ihn begleitet, aber in derselben Nacht war sie nach Wien zurückgekehrt. Die Arbeit am Institut rief. Ja, sicher!

    Hans hatte sich ein paar Tage freigenommen, um den Nachlass zu regeln. Das war ihm ohne Probleme bewilligt worden. Viel war allerdings nicht zu regeln gewesen. Gestern hatte der Notar das Testament vollstreckt. Als einziger Sohn war Hans der Alleinerbe im kurzen Testament gewesen: Das Haus mit allem, was drin war; auf der Bank ein bisschen Geld, einige Anleihen; in der Garage ein alter Fiat, der schon fast auseinanderfiel.

    Er setzte sich wieder hin. Er schloss die Augen und ließ seinen Gedanken freien Lauf in der Hoffnung, für eine Weile einzuschlafen. Die Anspannung der letzten Tage hatte ihm Kopfschmerzen und Unbehagen im Nacken bereitet.

    Plötzlich ließ ihn ein ohrenbetäubender Krach in die Höhe schnellen. Die Tür zersplitterte in tausend Späne unter heftigen Hieben von Vorschlaghämmern und eine Horde bärtiger, kleinwüchsiger, stämmiger Kerle stürzte herein. Sie prügelten Hans nieder. Blut strömte aus seiner Nase, und er hatte Schwierigkeiten, Atem zu holen. Und wieder sauste ein Schlag gegen seinen Nacken und warf ihn flach auf den Boden.

    »Wo ist er?«, schrie einer der Kerle und schüttelte Hans an den Schultern. »Wo ist er? Verdammt noch mal!« Der Kerl hatte einen sehr dünnen Geduldsfaden. Drohend kreiste seine Pranke, um Hans ins Gesicht zu schlagen.

    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden!«, stammelte Hans, und noch einmal knallte die Faust gegen seine Nase. Ein stechender Schmerz zuckte ihm bis ins Gehirn. Er krümmte sich am Boden wie ein Wurm.

    »Du weißt ganz genau, wovon ich rede. Wo ist der verdammte Teller?«, schrie der Bärtige ungeduldig.

    »Teller? Ich habe keine Ahnung!«

    Und wieder zuckte die Faust nieder und krachte gegen seinen Kiefer.

    »Erzähl mir keine Märchen!«, kreischte der Schläger. »Wenn du nicht bald damit rausrückst, zerhaue ich deine Visage zu Brei!«

    Es herrschte ein fürchterliches Getöse im Haus. Überall krachten Schubladen und Gegenstände auf den Boden, überall schrien die Angreifer, überall klapperte und schepperte es.

    Der Folterknecht, der Hans in die Mangel genommen hatte, war dermaßen in Rage, dass ihm der Geifer über den Bart rann.

    Plötzlich zerriss ein schriller Pfiff das Getümmel. Ein letztes Mal dröhnte der Kopf von Hans unter einem harten Hieb, dann wurde es jäh Nacht um ihn.

    So endete für ihn einer dieser friedlichen Spätherbstnachmittage, an denen sich die Welt bereits auf Weihnachten vorbereitete und der süße Duft von frisch gebackenen Plätzchen aus den Häusern auf die Bürgersteige wehte.

    Donnerstag, 21. November 2019

    Als Hans zu sich kam, war ihm sofort klar, dass er sich in einem Krankenhaus befand. Das Zimmer war weiß und beige getüncht und hatte alle möglichen Apparate und Monitore an den Wänden. Er war unter Beobachtung, denn kaum hatte er die Augen aufgeschlagen, kam auch schon das Krankenpersonal, um ihn zu befragen. Körperlich war er zwar angeschlagen, hatte aber keine Knochenbrüche – außer einer gebrochenen Nase, aber das war eine Kleinigkeit, die den Unfallchirurgen nicht der Rede wert war – oder innere Verletzungen zu verzeichnen, so beruhigte man ihn. Er klagte über fürchterliche Kopfschmerzen, und natürlich fühlte sich sein ganzer Körper zerschlagen an. Die neurologische Untersuchung ergab, dass er zumindest in dieser Hinsicht keinerlei negative Nachwirkungen hatte.

    Kaum war die Untersuchung vorbei, kam auch schon ein großer, schlanker Mann mit Glatze und dickem Schnurrbart, bekleidet mit einem beigen Trenchcoat über einem grauen Anzug, in den Raum. Er zog einen Stuhl ans Bett heran und setzte sich. »Dr. Wolff, es tut mir leid, dass ich Sie in diesem unpassenden Moment stören muss. Mein Name ist Fritz Trauner und ich bin Inspektor bei der Kriminalpolizei in Wiener Neustadt. Ich muss Sie um Ihre Aussagen über die gestrigen Ereignisse bitten, bei denen Sie von mehreren Personen angegriffen wurden, wie uns ein Augenzeuge berichtete. Wir haben einen Polizeibeamten als Wache vor der Tür postiert, um Ihre Sicherheit zu gewährleisten. Er wies uns darauf hin, dass Sie bereits in der Lage seien, unsere Fragen zu beantworten, um die Ermittlungen durch Ihre Aussagen auf eine solidere Grundlage zu stellen.«

    Hans nickte. Er erzählte ihm so viel, wie er sich erinnern konnte, aber er war selbst überrascht von den großen Lücken in seinem Gedächtnis, die das Trauma hinterlassen hatte.

    Der Kriminalbeamte war unzufrieden mit dem Gespräch. Die Informationen, die er erhalten hatte, waren mehr als dürftig. Seine unruhigen Hände fummelten an seiner Krawatte herum. »Sie müssen sich doch an mehr erinnern können«, stöhnte der Beamte.

    Hans zuckte die Achseln. »Aber verstehen Sie doch: Aus dem Blau heraus zersplittert die Tür, eine Gruppe Männer stürzt sich auf mich und beginnt sofort drauflos zu prügeln. Ich kann Ihnen nur sagen, dass es etwa vier oder vielleicht auch fünf Männer waren. Nicht einmal in der Hinsicht bin ich mir sicher. Alle waren kräftig, stämmig, bärtig – wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist das schon eigenartig. Sie hatten alle dichte Vollbärte, dunkle Vollbärte, vielleicht ins Rötliche spielend, na ja, irgendwie so, wie man das von den Hillbillys aus dem Fernsehen kennt. Und sie waren klein, glaube ich, aber vielleicht auch nicht. Zumindest hat das sofort meine Aufmerksamkeit erregt, aber wie ich sagte, sie fielen gleich über mich her und prügelten los. Mensch, die waren bärenstark oder jedenfalls der, der ständig auf mich einprügelte. Ich schloss natürlich meine Augen, um sie zu schützen. Und sie schrien ständig auf mich ein: „Wo ist der Teller! „Was für ein Teller?, fragte ich. Ich sage Ihnen ganz offen, ich habe keine blasse Ahnung, worum es sich handelt.«

    Der Kriminalbeamte seufzte schwer und verzweifelt. »Sie sind sich doch im Klaren darüber, dass Sie sich selber schaden, wenn Sie uns nicht alles erzählen. Unsere Ermittlungen hängen von Ihrer Mitarbeit ab.«

    »Ja, ist mir schon klar. Aber wie ich schon sagte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Ich weiß wirklich nicht, was genau passiert ist oder warum es passiert ist. Ich wohne nicht einmal in diesem Haus, ich lebe seit Jahren in Wien. Vielleicht hatten die Angreifer das falsche Opfer, vielleicht handelte es sich um eine Verwechslung. Ich weiß nur, dass mir der Kopf gehörig dröhnt und ich wie benommen bin.«

    Der Polizist holte tief Luft, erhob sich und zuckte mit den Schultern. »Wenn wir mehr ermittelt haben, werden wir es Sie wissen lassen. Und ich hoffe, Sie werden uns auch informieren, wenn Sie sich an weitere Details erinnern. Ich weiß, dass Sie jetzt unter Schock stehen und dass dies Ihr Gedächtnis beeinträchtigt. Aber nach und nach werden weitere Einzelheiten bekannt werden. Und dann bitte ich Sie, uns sofort zu informieren. Ich wünsche Ihnen eine rasche Genesung.« Mit diesen Worten verließ der Beamte den Raum, ohne dass ihm ein einziges Mal ein Lächeln entkommen war.

    »Ihre Verlobte ist hier, sie hat die ganze Nacht hier gewartet, dass Sie aufwachen«, flüsterte eine Krankenschwester Hans lächelnd zu.

    »Sie soll hereinkommen, bitte«, antwortete Hans. »Wie lange bin ich übrigens schon hier?«

    »Man hat sie gestern nachmittags eingeliefert. Jetzt ist es fast Mittag.«

    »Ach, du meine Güte! Fast einen Tag bewusstlos!«

    Ulrike Bär bahnte sich den Weg zum Bett und umarmte Hans. Dieser stöhnte auf, da ihm jede Berührung heftige Schmerzen verursachte.

    »Verzeih mir!«, rief Ulli erschrocken. »Ich wollte dir nicht wehtun!«

    »Nein, nein, mach dir keine Sorgen, das ist halb so schlimm. Ich bin nur ein bisschen weichgeschlagen worden!«, stieß Hans hervor, der sich nach und nach wieder an das Geschehene zu erinnern begann. »Du hättest nicht hierherkommen sollen. Warum ...?«

    »Die Polizei rief mich an und erzählte mir, was dir passiert ist. Wie hätte ich denn da in Wien bleiben können? Ich bin sofort ins Auto und wie eine Verrückte hierher gerast!«

    Ulli sah kurz um sich. An einen Arzt gewandt fragte sie: »Wie geht es ihm übrigens?«

    »Soweit ganz gut. Er ist zwar heftig zusammengeschlagen worden, aber wir haben keine Knochenbrüche und keine inneren Verletzungen gefunden. Aber er muss noch ein Weilchen bei uns bleiben, bis wir sicher sind, dass alles in Ordnung ist.«

    »Klar, ich verstehe«, sagte Ulli und wandte sich an Hans. »Es bricht mir das Herz, aber du weißt, dass ich wieder nach Wien zurückmuss ans Institut. Die Arbeit ruft.«

    »Ja, du hast recht«, erwiderte Hans, der sich nach und nach daran erinnerte, dass es nicht gut war, Ulrike zu widersprechen. »Aber vielleicht solltest du dich ausschlafen, bevor du ...«

    »Nein, ich schaffe das schon. Du weißt, dass man mich braucht: Klassifizierung der Funde! Du kennst ja schon, wie das ist.«

    »Gewiss.« Hans schloss die Augen und seufzte. »Entschuldige, aber mein Kopf dröhnt fürchterlich, als wäre ich ein Klöppel in einer schaukelnden Glocke!«

    »Sobald du aus dem Krankenhaus entlassen wirst, komm sofort nach Wien – oder besser gesagt, ruf mich an! Ich werde zu dir kommen und wir werden gemeinsam nach Wien zurückkehren. Dort bist du sicherer. Lass das blöde Haus allein!«

    »Sicher.«

    Ulli drückte ihm einen flüchtigen Schmatz auf die Lippen und fort war sie.

    Es waren kaum ein paar Minuten vergangen, als es schon wieder an der Tür klopfte. Ein alter Mann trat ein. Er war schlank, hochgewachsen, trug stolz eine polierte Glatze und seine buschigen Augenbrauen verliehen seinem Blick den Eindruck zusätzlicher Schärfe.

    »Entschuldigen Sie, dass ich einfach so eindringe, wo Sie mich doch nicht einmal kennen.« Der Mann lächelte verlegen. Er zuckte die Schultern. »Mein Name ist Sepp Karner. Ich war ein guter Freund Ihres Großvaters und habe auch Ihren Vater gut gekannt. Ich sage Ihnen das nur, weil ich etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen habe, nicht hier, nicht jetzt, sondern wenn Sie sich besser fühlen und wieder zu Hause sind, das heißt im Haus Ihres verstorbenen Vaters. Dann werde ich Sie aufsuchen und Ihnen einiges mitteilen, was Sie sicherlich interessieren wird.

    Aber jetzt werde ich Sie in Ruhe lassen. Wir sehen uns also in einigen Tagen.«

    Mit diesen Worten winkte der Alte Hans noch einmal zu, wandte sich um und verließ das Zimmer.

    Der Kopf von Hans brummte. Er war verwirrt und verwirrt schlief er zu guter Letzt ein. So entkam er endlich den peinigenden Schmerzen.

    Der Raum war klein und in Dämmerlicht gehüllt. Nur von ein paar kleinen Kristallen, die in die Decke eingelassen waren, strömte ein wenig bläuliches Licht aus. Der Geruch von feuchter Erde und Moder hing schwer in der Luft. Angir, die alte Frau, saß steif auf dem Boden in einer Ecke. Ihre grobe braune Kleidung ähnelte einer Mönchskutte mit einer Kapuze und weiten Ärmeln. Ihre Beine waren gekreuzt und sie atmete schwer. Langsam begann sie sich zu regen und schüttelte die eigentümliche Starre ab. Ihre Lider öffneten sich und enthüllten den verlorenen Blick ihrer Augen. Nach und nach kehrte Klarheit in ihr Gesicht zurück.

    Gimbor seufzte. Endlich war sie wieder bei sich. »Was hast du gesehen?«, fragte er, nachdem er ihr eine Weile gegeben hatte, sich wieder in der Wirklichkeit zurechtzufinden.

    Sie starrte Gimbor an. Er war ein stattlicher Mann mit dichtem braunem Haar und einem wallenden Vollbart. Seine breiten Schultern und seine nackten, schenkelstarken Unterarme verrieten die ungeheure Kraft, die in ihm steckte.

    Er wartete geduldig auf ihre Antwort.

    »Fehlgeschlagen!«, sagte sie. »Wieder einmal fehlgeschlagen! Es sind 75 Jahre vergangen und wir haben nichts erreicht. Ich kann das einfach nicht fassen!«

    »Wir müssen andere Methoden anwenden«, erwiderte Gimbor, der die ganze Zeit lang geduldig ihr gegenüber gesessen hatte. »Wir müssen gewalttätiger werden. Wir müssen zu allen Mitteln greifen. Es ist aus mit unserer Sanftheit!«

    Die Alte runzelte die Stirn. »Sie waren gewalttätig, sie haben ihn zusammengeschlagen, aber er hat nichts verraten. Mir war, als hätte er wirklich nichts gewusst. Sie haben auch das Haus durchsucht, aber gefunden haben sie nichts, rein gar nichts.«

    Der Bärtige schüttelte den Kopf. »Nein!«, rief er. »Sie waren nicht gewalttätig genug. Wir müssen härter vorgehen. Wir werden andere Saiten aufziehen!«

    Die Alte lachte kurz auf und zuckte resignierend die Schultern. »Du glaubst also, wenn wir ihn erschlagen, dann werden wir erfolgreicher sein? Du hast nur Gewalt im Kopf. Aber die Gewalt ist nicht der Schlüssel zu unserem Problem. Er besitzt den Teller nicht, er weiß nichts davon. Wir müssen anders vorgehen.«

    »Und wie stellst du dir das vor?«, fragte Gimbor spöttisch. »Sollen wir noch einmal 75 Jahre lang warten? Bis jetzt haben wir Glück gehabt, dass nichts rausgekommen ist. Wenn die Menschen dahinterkommen, was tatsächlich in diesem Teller steckt, dann haben wir wirklich ein Problem, ein echtes Problem. Dann kann es sein, dass es mit dem Leben, wie wir es kennen, endgültig vorbei ist!«

    »Das kann nicht nur so sein. Das wird so sein, das ist hundertprozentig sicher!«, schnitt die Alte ihm die Rede ab. »Wir werden nicht warten und schon gar nicht 75 Jahre lang. Wir werden den jungen Mann beobachten, Tag und Nacht, wenn es notwendig sein sollte. Du selbst wirst die Angelegenheit in deine Hände nehmen. Ich mache dich persönlich für den Erfolg verantwortlich. Du musst intelligent vorgehen. Du musst deinen Hang zur Gewalttätigkeit zurückdrängen. Denke zuerst. Wenn es notwendig ist, hau drein! Aber denke zuerst! Irgendwann wird er auf den Teller stoßen, und dann schlagen wir zu!«

    Gimbor musterte die Alte mit engen Augen. Angir war gerissen, eine Intrigantin und gefährlich, aber sehr weise. Er würde gut daran tun, ihrem Ratschlag zu folgen.

    »Geh jetzt!«, krächzte die Alte und fuchtelte mit ihren Händen, als wollte sie eine Schar Hühner verscheuchen. »Geh und vergiss nicht, was ich dir gesagt habe!«

    Gimbor stand wortlos auf und verließ, ohne sich zu verabschieden, den Raum. Er schritt einen dürftig beleuchteten Korridor entlang, vorbei an einigen schweren Holztüren auf beiden Seiten, bis er schließlich zu seinem Zimmer gelangte.

    Er trat ein und wandte sich sofort zu einem weiten Holzschrank. Dort legte er seine Lederkleider ab und entnahm dem Schrank eine Bluejeans Hose, ein unauffälliges Hemd und eine saloppe beige Jacke. Als er sich umgezogen und ein paar sportlicher Mokassins angelegt hatte, musterte er sich prüfend in einem großen Spiegel. Nicht schlecht!, dachte er. Es kann losgehen! Er packte ein paar weitere Kleidungsstücke in einen Leinensack, knüpfte die Schnur zu, die den Stoff wie einen riesigen Tabaksbeutel verschloss, schwang sich das Bündel über die Schultern und machte sich auf den Weg.

    Freitag, 22. November 2019

    Armer Kerl, er sieht verdammt mitgenommen aus, dachte Sepp, als er Hans voller Schrunden, Schwellungen und blauer Flecken aus dem Krankenhaus humpeln sah. Bevor dieser sich zum Taxistand begab, eilte Sepp auf ihn zu und rief: »Hallo, wollen Sie nicht mit mir fahren?«

    Hans fuhr überrascht herum und starrte ihn mit weiten Augen an.

    Sepp lachte. »Das ist kein Mysterium«, sagte er. »Ich habe Bekannte, die im Krankenhaus arbeiten. Ich habe sie gebeten, mich zu benachrichtigen, wenn Sie entlassen werden. Und da bin ich! Zu Ihren Diensten! Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, dass ich mit Ihnen reden muss. Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich Sie nach Hause fahren oder, besser gesagt, zum Haus Ihres Vaters, und wenn Sie sich so weit wohlfühlen, mir zuhören zu können, dann möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die wahrscheinlich mit dem zu tun hat, was Ihnen widerfahren ist.«

    Hans hob neugierig die Augenbrauen. »Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet. Ich habe nicht einmal das Geld für ein Taxi bei mir. Warum kümmern Sie sich so sehr um mich?«

    »Ihr Großvater war mein bester Freund, viel älter als ich, eine andere Generation, trotzdem war er ein Kumpel, wie man keinen zweiten findet. Und seine Familie ist meine Familie. Deswegen betrachte ich es als meine Pflicht, ihnen unter die Arme zu greifen. Außerdem muss ich gestehen, dass ich selbst Interesse habe, diesen ungewöhnlichen Fall aufzuklären, denn ich bin von Natur aus neugierig.«

    Bei Sepps Auto angekommen, einem funkelnagelneuen Renault Kadjar Life TCe 140 PF, wie Hans bewundern feststellte, stiegen sie ein und fuhren los.

    Während der Fahrt fiel Hans in dumpfes Grübeln. Sepp unterbrach ihn nicht.

    Die Reise dauerte nicht lange. Es waren bloß sieben Kilometer. Leise rollte der Wagen auf dem Kiesweg zum Haus und kam knirschend zum Stillstand.

    »Hoffentlich sind sie nicht zurückgekommen und haben das ganze Haus ausgeräumt!«, meinte Hans niedergeschlagen.

    »Nein, nein«, beruhigte in Sepp. »Die Polizei hat das Haus unter Beobachtung gestellt. Niemand hat sich dem Gebäude genähert, ohne dass es bemerkt worden wäre.«

    »Woher wissen Sie das alles?«, fragte Hans verwundert, als er die Tür aufstieß, oder vielmehr das, was von der Tür übrig geblieben war.

    »Ich war Gendarm von Beruf und habe mich gerade noch rechtzeitig in den Ruhestand begeben, bevor unsere Einheit mit der Polizei verschmolzen wurde. Mir hat das nicht gefallen. Wir hatten unsere eigene Identität. Aber was solls. Das ist Schnee von gestern.«

    »Gendarm also«, meinte Hans und blickte traurig über das Trümmerfeld, das die Verbrecher vom Wohnzimmer übrig gelassen hatten.

    »Das sieht nicht gut aus«, sagte Sepp. »Aber jetzt ist nicht der Moment, hier aufzuräumen, und Sie sind auch nicht in der Verfassung dazu. Ich kenne eine Firma, die hier Ordnung schaffen und die zertrümmerte Tür auswechseln kann. Wollen Sie, dass ich sie anrufe?«

    Hans nickte dankbar.

    Sepp blätterte kurz im Telefonbuch, wählte eine Nummer und nach einem kurzen Gespräch legte er den Hörer auf. »Die kommen heute Nachmittag noch und werden hier wieder alles in Schuss bringen. Keine Sorge, ich kenne die Firma gut. Es ist ein kleiner Familienbetrieb und ich habe schon einige Male ihre Dienste in Anspruch genommen. Überlassen Sie ruhig alles ihnen.«

    »Sie sind wirklich ein Engel«, bemerkte Hans dankbar. »Ich wüsste nicht, was ich ohne Sie täte.«

    »Ich mache das aus purem Eigennutz. Ich bin verwitwet, aber ich bin kein häuslicher Typ. Mein ganzes Berufsleben habe ich auf der Straße zugebracht. Meine Kinder sind bereits erwachsen, meine Enkel besuchen mich manchmal am Wochenende. Aber im Großen und Ganzen ist mein Leben langweilig. Was für Sie ein großes Unglück ist, ist für mich ein Abenteuer, bei dem ich Ihnen all meine Erfahrung zur Verfügung stellen kann. Ich bin es, der Ihnen danken muss, nicht umgekehrt. Oder um es einfacher zu sagen, wir beide ziehen Nutzen.« Sepp lächelte Hans aufmunternd zu. »Sind Sie bereit, sich meine Geschichte anzuhören? Sind Sie bereit, eine große Überraschung zu erleben und das Mysterium noch mysteriöser zu machen? Wenn ja, suchen wir uns ein Plätzchen, wo wir uns hinsetzen können, und hören Sie mir zu.«

    »Ich bin ganz Ohr.«

    Sie bahnten sich den Weg durch das Trümmerfeld, richteten zwei umgestürzte Sessel auf und nahmen Platz.

    »Wenn sie nicht das Weinregal geplündert haben, müssten wir dort noch die eine oder andere Flasche finden, die wir uns zu Gemüte führen können«, erklärte Hans.

    Und wirklich, das Weinregal war intakt. Überall lagen Schubläden herum, Wäsche, Papiere, Schreibutensilien, Essbesteck, alles in einem unübersichtlichen Chaos. Aber soweit man es auf den ersten Blick sagen konnte, fehlte nichts. Die Verbrecher hatten einen Teller gesucht und nichts mehr. Was für ein Irrsinn!

    Der Korken knallte, zwei Gläser klirrten und im Rotwein tanzte der Widerschein der Flammen, die Sepp mit geübten Griffen im Kamin anfachte.

    Sepp ließ sich ächzend in einen Stuhl fallen, nahm ein Glas, betrachtete verträumt den funkelnden Rotwein und blickte dann zu Hans.

    »Was Ihnen hier vor

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