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Jaguar: Ein Fantasy Roman: Anderwelten, #2
Jaguar: Ein Fantasy Roman: Anderwelten, #2
Jaguar: Ein Fantasy Roman: Anderwelten, #2
eBook634 Seiten8 Stunden

Jaguar: Ein Fantasy Roman: Anderwelten, #2

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Über dieses E-Book

Die Shuar, heute ein friedliches Volk, leben im Regenwald des ecuadorianischen Amazonas. Ihre Geschichte jedoch ist voller heldenhafter Kriege.

 

Ihr idyllisches Leben findet ein jähes Ende, als Prospektoren einer Ölgesellschaft in ihr Territorium eindringen und beginnen, den Regenwald abzuholzen. Die Empörung der Indios und ihre Proteste zeitigen Spannungen, die sich immer höher aufschaukeln und schließlich zu gewalttätigen Maßnahmen gegen die Ureinwohner führen – mit tödlichen Folgen. Die Shuar erinnern sich an ihre Vergangenheit: Sie waren einst die gefürchteten Kopfjäger des Amazonas-Urwaldes! Aber ihre Pfeile und Blasrohre stünden modernen Waffen gegenüber.

 

In ihrer Not wenden sie sich an ihre väterlichen Freunde: die Mukikuna, ein mysteriöses Zwergenvolk, das in der nahe gelegenen Cordillera del Cóndor lebt. Diese haben besondere geistige Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, andere Menschen zu kontrollieren. Was zunächst wie eine einfache Aufgabe erscheint, nämlich den Streit friedlich zu lösen, wird zu einer schrecklichen Überraschung. Sie stehen einem mysteriösen Feind gegenüber, der sich durch drei Eigenschaften auszeichnet: Er ist gewaltig, zügellos und niederträchtig!

SpracheDeutsch
HerausgeberJohann F. Radax
Erscheinungsdatum3. März 2023
ISBN9798215101377
Jaguar: Ein Fantasy Roman: Anderwelten, #2
Autor

Johann Franz Radax

Johann Franz Radax nació en 1957 en Wiener Neustadt, Austria Baja. Después del estudio de la medicina veterinaria en Viena trabajó como profesor asistente en el Instituto de Nutrición de esta universidad y a continuación se dedicó durante diez años a la práctica de animales grandes en el sur de Austria Baja. En aquel tiempo escribió su tesis doctoral y se graduó de «Dr. Med. Vet.» Después de un interludio de cuatro años en la industria farmacéutica emigró a América del Sur, a Ecuador. Allá estudió medicina y bioética. Durante diez años trabajó como profesor de Anatomía e instructor de Medicina Comunitaria en una universidad ecuatoriana. En todo ese tiempo además fungió como docente de cursos de Anatomía y Fisiología y como instructor de un programa de Salud Pública de una universidad estadounidense que mandaba a estudiantes voluntarios a Ecuador para asistir a cursos y prácticas de un semestre de extensión. Aparte del trabajo docente, el doctor Radax se dedicaba y se sigue dedicando a la investigación científica. En la actualidad dedica su tiempo a la escritura de libros de varias índoles: desde la no ficción hasta las novelas de fantasía. Luego de vivir más de un cuarto de siglo en el Ecuador, dispone de profundos conocimientos tanto del país como de sus habitantes en toda su diversidad, de la profesión médica y de la complejidad de la situación política.

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    Buchvorschau

    Jaguar - Johann Franz Radax

    Prolog

    Dichte Dampfschwaden stiegen aus dem tropischen Regenwald und riefen die Illusion einer verzauberten Welt ins Leben. Es hatte den ganzen Vormittag über geregnet, aber nun verflüchtigten sich die Wolken und die Sonne brach durch. Ihre fast senkrechten Strahlen brannten regelrecht herunter. Die Schatten waren kurz. Es war wenige Minuten vor Mittag.

    Hans saß auf der Terrasse des Verwaltungsgebäudes der Goldmine. Er hielt ein Glas Eistee in der Hand und blickte verträumt in das funkelnde Spiel der Lichtstrahlen, die das Glas und das Eis durchdrangen und von dutzenden kleinen Prismen in der Wand des Trinkgefäßes in ihre farbigen Bestandteile zerlegt wurden – Mini-Regenbögen menschliche Schöpfung.

    Etwa eine halbe Stunde fehlte noch, dann würde er in das Büro Piti Kusis eilen zu einer kurzen Besprechung mit ihr. Er wusste nicht, worum es sich handelte.

    Piti Kusi! Der Regenwald! Die Goldmine! Die Cordillera del Condor im Grenzgebiet zwischen Ecuador und Peru, eines der Gebiete der größten Biodiversität auf der Erde, wo ein Quadratkilometer Land mehr Pflanzenarten beherbergte als die ganzen britischen Inseln zusammen. Ein wahres Paradies, obgleich den meisten Menschen unbekannt.

    Er musste kurz auflachen. Vor ein paar Jahren noch hatte er seine Zeit in einem Büro und einem Laboratorium in Wien verbracht, zumindest im Winter, wo er die archäologischen Funde aufarbeitete, die sie während der sommerlichen Ausgrabungen in der Oststeiermark aus der Erde gehoben hatten. Er führte das normale Leben eines aufstrebenden Akademikers. Er hatte seine Verlobte, er hatte ein Zuhause, er hatte Zukunft.

    Aber dann kam der Tag, der alles in sich zusammenstürzen ließ wie ein Kartenhaus. Als er nach dem Tod seines Vaters in dessen Haus alleine saß und grübelte, wurde er von geheimnisvollen Männern überfallen und krankenhausreif geprügelt. Ein alter Ex-Gendarm besuchte ihn und händigte ihm einen Schlüssel und einen Brief seines Großvaters aus. Der Schlüssel führte zu einem Bankschließfach, das einen goldenen Teller mit rätselhafter Inschrift barg. Der Brief gab einige Hinweise darauf, wo der Großvater diesen Gegenstand am Ende des Zweiten Weltkrieges erhalten hatte.

    Der alte Gendarm erwies sich als wahrer Freund. Er half Hans bei seinen Recherchen, aber genau diese Nachforschungen erweckten die Aufmerksamkeit der Behörden. Hans wurde des Antiquitätenschmuggels verdächtigt und Untersuchungen wurden eingeleitet. Man suspendierte ihn von der Arbeit. Die Beziehung zu seiner Verlobten ging in Brüche – wobei er sein Scherflein dazu beitrug, aber das spielte nun keine Rolle mehr. Seine Freunde kehrten ihm den Rücken – außer Sepp, der alte Gendarm. Er half ihm, den rätselhaften Text des Großvaters zu entschlüsseln.

    In den Bergen des Alpenostrandes fand Hans anhand der Beschreibungen des Großvaters den Zugang zu einem geheimnisvollen Reich der Zwerge, die sich Norge nannten. Es waren keine Zwerge, so wie man sich gemeinhin Gartenzwerge vorstellt. Sie waren etwas kleiner als normale Menschen der Oberwelt, aber sie fielen dadurch nicht auf. Der Unterschied war nicht allzu ausgeprägt. Sie bewohnten ein verzaubertes Reich und besaßen geheimnisvolle, geistige Fähigkeiten, zumindest die Zwergenfrauen: Sie konnten die Gedanken lesen, sie konnten sogar Menschen beeinflussen, sie Dinge sehen lassen oder sie vor ihnen verbergen.

    Es gab zwei verfeindete Gruppen im Zwergenreich. Eine Gruppe wollte nach und nach Verbindung zu den Menschen der Außenwelt aufnehmen, die andere wollte dies unter allen Umständen verhindern. Es war jene letztere Gruppe, die Hans nach dem Leben trachtete. Der Grund war hauptsächlich das Gold des Tellers: Dieses Material konnte das Leben um ein Vielfaches verlängern und die Gesundheit bewahren. Mit Hilfe dieses Materiales lebten die Zwerge hunderte von Jahren bei bester Gesundheit. Sollte die Menschheit von dieser Substanz erfahren, wäre es gewiss, dass sie die Zwerge angreifen würde und auszurotten trachtete, um sich einer Art ewigen Lebens zu bemächtigen. So zumindest glaubten sie. Und in gewisser Weise hatten sie recht in ihrem Befürchtungen. Aber ihre vermeintliche Lösung war radikal: Mord und Totschlag an allen Außenstehenden, die auch nur den Funken einer Idee über die Bedeutung dieser Goldlegierung hatten.

    Eine der Zwerginnen, Dis, verliebte sich in Hans, ein Gefühl, das er völlig teilte. Sie half ihm, aus der Falle der Zwergenwelt zu entkommen und begleitete ihn auf seiner Flucht. Mit den feindlichen Zwergen auf ihrer Spur und der Polizei, die ihnen auf den Fersen war, flüchteten sie über Norwegen nach Südamerika, genauer gesagt nach Ecuador. Mehrere Male entkamen sie Anschlägen gegen ihr Leben.

    Die Schwester von Dis, Eira, nahm sich des Schutzes von Hans’ Freund Sepp an und verliebte sich in ihn. Die beiden folgten den Flüchtenden nach Südamerika in Begleitung eines treuen Soldaten der Norge namens Nyrad.

    Die Feinde schliefen nicht. Sie nahmen die Spur Hans’ auf und erreichten Ecuador mit finsteren Absichten.

    Die Herrscherin der Norge, die Hans und Dis wohlgesinnt war, hatte Verbindung zu einem anderen Zwergenvolk in Ecuador aufgenommen, zu den Mukikuna. Die Hohepriesterin dieses Volkes, Piti Kusi, nahm sich der Flüchtenden an und beherbergte sie in einem Haus mitten in den Anden.

    Aber sie wurden aufgespürt. Sie wurden zu Opfern eines Mordanschlages, bei dem Dis schwer verletzt wurde und Hans beinahe verstarb.

    Die beiden Attentäter lauerten auch Sepp, Eira und Nyrad am Flughafen in Cuenca auf, aber hier ging ihr Anschlag fehl und sie selbst verloren ihr Leben. Piti Kusi hatte von ihren Plänen erfahren und mit Dis’ Hilfe vermochte sie, die Mörder zu stoppen und zu neutralisieren, wie man so beschönigend auf Neudeutsch sagt.

    Piti Kusi hatte beschlossen, mit den Neuankömmlingen eine Einsatzgruppe zu formen, um den Gefahren zu begegnen, die von der Oberwelt aus den Zwergen drohen konnten. Die Einsatzgruppe unterzog sich einem strengen Training und auch die beiden Menschen unter ihnen, Hans und Sepp, entdeckten ihre mentalen Talente und entwickelten sie. Offiziell und als Tarnung arbeiteten sie unter anderen Namen in einer Goldmine der Cordillera del Condor.

    Eine Seuche durchzog die ganze Welt, die Covid-19 Pandemie. Das öffentliche Leben brach zusammen, Reisen wurden beschränkt oder einfach unmöglich gemacht, ein normales Dasein war nicht mehr denkbar.

    Piti Kusi nutzte diese Zeit, um die Einsatzgruppe, das heißt sich selbst, Eira, Dis, Nyrad, Sepp und Hans mittels des rigorosen Trainings in ihren körperlichen und mentalen Fähigkeiten zu schmieden. Eine lange Zeit war das nun schon gegangen. Die vier Zwerge und zwei Menschen hatten eine von ihnen nie zuvor erreichte physische Form erlangt und geistige Fähigkeiten entwickelt, die selbst Piti Kusi erstaunten, obgleich sie die unumstrittene Meisterin der mentalen Künste war.

    Hans schrak aus seinen Gedanken auf. Er blickte auf die Uhr: Es war zwölf Uhr dreißig. Zeit zu Piti Kusi zu gehen! Sie bestand auf Pünktlichkeit!

    1 - Padre Crespi

    Dienstag, 16. August 2022

    Hans konnte das alte Foto einfach nicht aus den Augen lassen. Es hatte ihn ganz in seinen Bann gezogen. Sein Blick bohrte sich regelrecht in die alte Aufnahme in Schwarz-Weiß und musterte alles bis ins letzte Detail. Es zeigte einen greisen Mann mit Stirnglatze, langem weißen Haar, einer großen Nase mit der Tendenz, kartoffelartig auszuwuchern, und einen langen Bart, der nicht wallte, sondern faserig herunterhing und eher schütter und ungepflegt wirkte. Der Mann lächelte. In seinen Händen hielt er eine Figur, die wie eine Holzschnitzerei aussah. War das ein Kruzifix? Es mochte sein, dass die Figur auch einen Prediger darstellte, der mit ausgebreiteten Armen seinen Zuhörern den Segen erteilte. Es war auch möglich, dass es sich um einen König handelte, der sich an sein Gefolge wandte. Hans konnte das kaum ausnehmen. Die Skulptur hatte die Arme ausgebreitet wie der Gekreuzigte, aber die Gesichtszüge und das ganze Wirken der Statue waren nicht europäisch.

    Im Hintergrund der Fotografie konnte Hans eine Reihe von Tafeln ausnehmen, die an einer Wand aufgereiht hingen. Weiter hinten befanden sich andere Figuren, die aber zu unscharf waren, um sie näher identifizieren zu können.

    Hans wunderte sich. Was hatte diese Fotografie so Besonderes an sich, dass sie ihn nicht loslassen wollte? Er verfiel ins Grübeln. Erst als sein Name immer lauter in seinem Kopf dröhnte – Hans! Hans!! Hans!!! – schrak er auf und kam langsam aus seiner Trance.

    »Ja, ja!«, sagte er. »Was ist los?«

    Vor ihm saß Piti Kusi und sah ihn mit weit offenen Augen an und runzelte die Stirn. »Ja, was ist los?«, fragte sie. »Ich habe das nicht gleich bemerkt, aber ich glaube, ich habe die letzten fünfzehn Minuten gegen eine Wand gesprochen. Du warst wie weggetreten, völlig entrückt. Ich mache mir Sorgen um dich. Was ist passiert?«

    Hans zuckte die Achseln. »Ehrlich gesagt, ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich bin wohl einfach abgelenkt worden.«

    »Abgelenkt?« Piti Kusi runzelte die Stirn stärker. »Wovon?«

    »Von dem Mann«, antwortete Hans.

    »Von welchem Mann?«, bohrte Piti Kusi nach.

    »Na, von dem Mann im Foto hinter dir!«

    »Hinter mir?« Piti Kusi blickte sich um.

    Plötzlich drängten sich Bilder in die Gedankenwelt von Hans. Ein Großbrand in einem Gebäude! Flammen leckten die Wände empor, züngelten aus den Fenstern. Gespenstische Schatten tanzten in der Nacht. Geschrei schallte aus einer umstehenden Menschenmenge, die Sirenen der Feuerwehr heulten. Piti Kusis Gesicht tauchte verzerrt in den Flammen auf.

    »Was ist denn das?«, stieß Hans erschrocken hervor. »Ein Flammenmeer! Irgendwo in einer Stadt, irgendwann in der Nacht. Ich sehe die Bilder ganz klar in meinem Kopf!«

    Piti Kusi starrte ihn mit offenem Mund an. »Was sagst du da? Du hast einen Brand in der Nacht gesehen?«

    »Ja, es geschah in einem großen Gebäude mit vielen Fenstern.«

    Piti Kusi schüttelte den Kopf. Sie breitete ihre Arme hilflos aus und seufzte. »Du hast meine Gedanken gesehen. Ich muss wohl auf meine Abschirmung vergessen haben. Das ist mir noch nie passiert!«

    »Entschuldige!«, stotterte Hans. »Ich schwöre, ich habe wirklich nicht in deinen Gedanken spioniert. Ich gebe zu, ich versuche oft, in den Gedanken meiner Freunde zu spionieren, auch in deinen. Aber das habe ich jetzt nicht getan. Du hast doch selbst gesagt, dass wir versuchen sollten, uns gegenseitig auszuforschen, um unsere neuen geistigen Fähigkeiten zu trainieren. Aber jetzt, in diesem Augenblick habe ich das nicht getan. Das ist mir unerklärlich!«

    Piti Kusi lächelte sauer. »Mach dir keine Sorgen. Ich habe euch ja gesagt, dass ihr das tun solltet, um in Übung zu bleiben. Und ich muss zugeben, ich kann die enormen Fortschritte, die ihr alle gemacht habt, einfach nicht fassen. Ich hätte nie geglaubt, dass Männer, auch Zwergenmänner, so weit in den telepathischen Fähigkeiten fortschreiten könnten. Ihr alle wart eine großartige Überraschung für mich.«

    »Was hat es mit diesem Brand auf sich, Piti Kusi?«, warf Hans ein.

    »Es ist ein Brand, der sich vor vielen Jahren zugetragen hatte. Ich wollte eigentlich nicht darüber sprechen, aber wenn ich die jetzigen Umstände in Betracht ziehe, werde ich es wohl tun müssen. Wir wollen ja keine Geheimnisse vor einander haben.

    Die schwarze Kleidung des Mannes im Foto ist eine Soutane. Das weiße Kollar sieht man nicht, es ist von seinem Bart verdeckt. Er ist ein katholischer Priester oder besser gesagt, er war es. Er starb bereits vor vielen Jahrzehnten. Er war Italiener und gehörte dem Orden der Salesianer an. Man schickte ihn als Missionar nach Ecuador, und er arbeitete lange Jahre unter den Shuar. Bis heute steht er unter ihnen in höchstem Ansehen. Sie verehren ihn. Er hat viel Gutes unter ihnen verrichtet.«

    Es pochte an der Tür. Einer der Ingenieure der Mine trat ein. »Piti Kusi«, sagte er. »Wir sind alle versammelt, um über den neuen Stollen zu sprechen. Wirst du kommen?«

    Piti Kusi blickte auf. »Oh ja, natürlich«, sagte sie. »Ich komme gleich, nur ein paar Minuten und ich bin fertig hier.«

    Der Mann nickte und verließ das Büro.

    »Ich fürchte, wir müssen unser Gespräch verschieben!«, sagte Piti Kusi mit vorgetäuschtem Bedauern, aber offensichtlicher Erleichterung zu Hans. »Wir werden ein anderes Mal weitermachen. Ich glaube, es wird das Beste sein, wenn ich eine Versammlung von uns allen einberufe und die Geschichte dieses Priesters erzähle und wie ich in diese Geschichte verwickelt bin. Es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen. Aber irgendwie hat es mit unserer Mission zu tun und vielleicht können wir daraus lernen!«

    »Einverstanden!«, sagte Hans. »Wir sehen uns also später noch einmal.«

    Er verließ das Zimmer und grübelte über die Bilder des nächtlichen Brandes, die sich immer noch in sein Bewusstsein drängten. Und noch immer schimmerte das Gesicht Piti Kusis durch die Flammen und verzerrte sich in deren Tanz. Wie war er wohl zu ihnen gekommen? Er schüttelte den Kopf. Es war ein Rätsel. In Gedanken versunken schlenderte er zur Terrasse des Wohnhauses.

    Dienstag, 16. August 2022

    DIE NACHT WAR PECHSCHWARZ, aber das Lagerfeuer warf sein Licht einige Meter in die Runde. Mehrere Männer der Shuar hatten um das Feuer Platz genommen und warteten schweigend. Sie alle trugen die altüberlieferten Kronen aus roten und gelben Tukanfedern und den traditionellen Rock namens Itip, der bis zum halben Unterschenkel reichte. Ihre Oberkörper waren nackt.

    »Shiáshia bringt schlimme Nachrichten!«, meinte einer von ihnen, der sich Etsa nannte. Er war ein Mann von 25 Jahren, im besten Alter nach der Tradition seines Volkes.

    »Woher willst du denn das wissen?«, fragte sein Nachbar, Nupis, der einige Jahre mehr zählte. »Hat man dir etwa auch Informationen zukommen lassen?«

    »Nein, natürlich nicht. Aber immer wenn wir zu einer großen Versammlung gerufen werden, liegt etwas im Argen.«

    Nupis nickte wortlos und starrte wie hypnotisiert in die Flammen.

    Endlich regte sich etwas im Hintergrund. Man konnte es eher erahnen oder hören als sehen, so undurchdringlich war die Nacht. Schritte näherten sich dem Feuer. Es waren Shiáshia, der Gehilfe des Schamanen, und Uwishín, sein Meister. Uwishín musste sich auf Shiáshia stützen, so wackelig hielt er sich auf den Beinen. Er war alt, aber es war nicht das Alter, das ihn wanken ließ. Er stand unter Einfluss starker Drogen.

    Schon am frühen Morgen war Shiáshia ausgegangen, um die Zutaten für die Droge zu suchen. Im Hochland nannte man sie Ayahuasca, „das Seil, mit dem man an den Ort der Toten gelangt". Aber die Shuar hatten ihren eigenen Namen dafür. Sie nannten sie Natém. Dieser Begriff bezog sich eigentlich auf zwei Dinge: Er bezeichnete einerseits die Liane, die einen essenziellen Bestandteil für die Herstellung der Droge darstellte und sie bezeichnete andererseits die Droge selbst. Eine weitere wichtige Zutat war eine Pflanze, Yagi, die die halluzinogene Wirkung entfaltete. Der Wirkstoff DMT oder Dimethyltryptamin der Yagi ist nicht auf diese allein beschränkt und wurde von zahlreichen Völkern als Psychedelikum eingenommen.

    Shiáshia hatte ein etwa zwei Meter langes Stück der Liane aus dem Wald mitgebracht. Er wusch es, reinigte peinlich genau die Rinde und schnitt das Schlinggewächs zuerst in kleine Streifen und diese dann in kleinere Stücke. Danach setzte er einen Metallkessel auf das Feuer in der Hütte des Schamanen, goss mehrere Liter Wasser ein und warf dann die Lianen-Stücke dazu. Darunter mengte er sorgfältig die Yagi-Blätter und ließ den Kessel stundenlang köcheln. Als der Großteil des Wassers verdampft war, blieb eine dicke, dunkelbraune Flüssigkeit zurück, die wie ein Sirup aussah und die die eigentliche Droge darstellte. Ihr Geschmack war bitter, etwa wie der von schwarzem Kaffee oder Mate.

    Als die Nacht angebrochen war und ihren tiefschwarzen Mantel über den Urwald gelegt hatte, zog sich der Schamane mit seinem Helfer in eine Hütte zurück. Die Ayahuasca-Zeremonie konnte beginnen. Shiáshia war der Einzige, der seinen Meister dabei begleitete. Er reichte ihm zuerst eine Schale mit Tabakwasser, das der Schamane mit einem Röhrchen durch die Nase einsog. Dann gab Shiáshia ihm ein Gläschen mit der bitteren Droge und eine Flasche mit Zuckerrohrschnaps. Der Schamane kippte den Inhalt des Gläschens in die Kehle und spülte mit dem Schnaps nach.

    Um die Stirn trug er ein buntes Band, mit dem er versuchte, die Dämonen anzulocken. Sein Oberkörper war nackt. Auch er trug den herkömmlichen Itip. Er begann leise zu summen, aber schon nach wenigen Minuten verließ er rasch die Hütte und erbrach sich lautstark im Freien. Jahrzehntelang hatte er Ayahuasca konsumiert und immer noch überkam ihn diese fürchterliche Übelkeit.

    Er kehrte in die Hütte zurück und fuhr mit seinem Singsang fort. Die Übelkeit und das Erbrechen waren die ersten Symptome, die die Droge bewirkte. Dann folgten Zittern und Schwindel. Sein Puls wurde langsamer und schwächer. Kalter Schweiß brach aus. Seine Pupillen weiteten sich und seine Augen ertrugen das Licht nicht mehr. Nach und nach beruhigte er sich und lebte wie in einer Traumwelt.

    »Es ist soweit, Meister«, sagte Shiáshia. »Unsere Männer sind um das Feuer versammelt.«

    »Nehmt einige Scheiter aus dem Feuer, macht es kleiner!«, rief Shiáshia der Männerrunde zu. Er war besorgt um die Augen seines Meisters. Dann geleitete er ihn zu den Kriegern, half ihm, sich zu setzen und nahm selbst an seiner Seite Platz.

    Uwishín nahm seinen Gesang wieder auf und hielt dann inne. Seine Augen waren weit geöffnet und zuckten unruhig hin und her, die Nasenflügel gebläht und der Mund stand weit offen. Es war, als ob sich all seine Sinne auf das Auffangen selbst der geringsten Eindrücke vorbereiteten. »Erzähl es ihnen!«, befahl er Shiáshia.

    Shiáshia erhob seine Stimme. »Wir haben schlechte Nachrichten aus der Hauptstadt erfahren. Wir müssen beraten, wie wir vorgehen werden.«

    Etsa stieß Nupis mit dem Ellbogen in die Rippen. »Siehst du?«, flüsterte er. »Ich hatte recht!«

    Nupis brummte missmutig.

    »Wie uns allen bekannt ist«, sagte Shiáshia, »hat die Regierung in Quito beschlossen, die Erdölsuche und die Bohrungen im Amazonasgebiet wieder aufzunehmen.«

    »Aber das ist doch keine Neuigkeit!«, warf Nupis ein. »Das hat schon eine andere Regierung zuvor, vor einigen Jahren, beschlossen.«

    »Ja«, sagte Shiáshia irritiert. »Das ist mir bekannt. Aber jetzt wird es ernst. Die vorhergehenden Regierungen haben die Schürfrechte vergeben. Jetzt aber sind die Arbeiter bereits unterwegs. Es wird nicht lange dauern, dann werden sie hier eintreffen. Das wird Probleme mit sich bringen.«

    »Ja, aber solche Dinge haben wir doch schon erlebt!«, widersprach Nupis. »Im Norden, bei den Waorani, hat es Zwischenfälle gegeben. Man könnte sogar von einem regelrechten Krieg sprechen. Und die Ölfirmen mussten schließlich abziehen. Sie wurden sogar verurteilt, saftige Entschädigungen zu zahlen.«

    Shiáshia schüttelte den Kopf. »Das ist nur die halbe Wahrheit. Es hat damals viele Tote gegeben, aber die meisten waren unsere Brüder vom Volk der Waorani. Die Ölfirmen mussten abziehen, aber sie hatten bereits die Umwelt schwer verschmutzt. Im Trinkwasser trieb ein Ölfilm, der Urwald stank nach Öl, Tiere und Fische verendeten, unsere Brüder mussten ihre Dörfer aufgeben. Und das Gerichtsurteil wurde von den Vereinigten Staaten bis heute nicht anerkannt. Unsere Brüder haben keinen Cent erhalten, nichts! Das ist mehr als beunruhigend. Ich fürchte, uns stehen ähnliche schwierige Zeiten bevor und wir müssen uns vorbereiten. Wenn es unbedingt nötig ist, müssen wir in den Krieg ziehen, wie wir das schon jahrzehntelang nicht mehr getan haben. Das stolze Volk der Shuar ist niemals besiegt worden. Als die Spanier kamen, konnten sie uns nicht unterwerfen. Aber damals standen Lanze gegen Lanze, Pfeil gegen Pfeil, Machete gegen Machete. Heute bedeutet das Maschinengewehre gegen Blasrohre, Mörser gegen Lanzen. Das wäre ein ungleicher Kampf, den wir nicht gewinnen können. Außerdem haben diese Erdölfirmen ausgezeichnete Beziehungen zu den höchsten Regierungskreisen. Sie können also auf jegliche Unterstützung der ecuadorianischen Behörden zählen. Wir haben nie dieses Privileg genossen. Nehmt dies bitte zur Kenntnis.«

    Yawá, der alte Krieger, lachte auf. »Ich bin bereit, wenn es zu Kämpfen kommen sollte. Ich habe den Krieg vermisst. Ihr könnt auf mich zählen!«

    Uwishín, der Schamane, erhob sich und stand schwankend auf unsicheren Beinen. Shiáshia stellte sich sicherheitshalber schräg hinter ihn, um ihn bei einem Fall auffangen zu können. Die Augen des Schamanen waren gläsern. Er sprach langsam und mit schwerer Stimme.

    »Yawá spricht mit dem Herzen eines alten Kriegers. Er ist allerdings der Einzige unter uns, der Kriegserfahrung hat. Ich kann mich noch erinnern, als ob es gestern gewesen wäre, wie er als junger Kämpfer von den Kriegszügen zu den Achuar zurückgekehrt war und mir die Schrumpfköpfe zur Begutachtung vorlegte. Viele Fischfresser hat er getötet. Aber nun ist er alt. Und unsere jungen Männer, die sich Krieger nennen, haben noch nie einen wirklichen Kampf gesehen. Wir haben sie unterrichtet im Gebrauch der Waffen. Sie wissen zu kämpfen, aber sie haben keine Erfahrung.

    Die Situation ist ernst. Mein Geist hat diesen Körper verlassen und hat die Harpyie begleitet auf ihrem Flug über den Urwald bis ins Gebirge. Die Ölarbeiter sind bereits in Land, ich habe sie gesehen. Sie sind nicht allein gekommen. Es sind bewaffnete Männer bei ihnen. Sie haben Gewehre. Sie sehen aus wie Soldaten. Sie kommen nicht unvorbereitet. Für uns kündigt das schwere Zeiten an. Ich glaube nicht, dass wir es alleine schaffen werden, der Situation Herr zu werden. Wir brauchen Hilfe. Wir brauchen Verbündete. So wie wir jetzt um das Feuer versammelt sind, um Kriegsrat zu halten, so sind jetzt die Menschen in allen Dörfern der Shuar versammelt, weil wir alle verständigt haben und weil alle wissen, dass wir nur gemeinsam stark sind.

    Wen können wir um Hilfe bitten? Die Regierungen waren noch nie auf unserer Seite. Aber es gibt eine Gruppe, die uns noch nie im Stich gelassen hat. Wir werden uns an die Mukikuna wenden. Sie sind weise und mächtig. Sie sind unsere Freunde.«

    Er wandte sich unbeholfen zu Yawá und deutete mit dem Finger auf ihn: »Ich sehe Blut an deinen Händen! Aber ich glaube, es ist dein eigenes Blut.«

    Yawá lachte. »Wenn es fremdes Blut ist, dann ist es gut so. Wenn es mein eigenes ist, dann weiß ich, dass ich nicht kampflos aufgegeben habe!«

    Uwishín nickte. »Du warst immer ein Krieger und wirst es immer bleiben bis an dein Lebensende.« Dann legte er seine Hand auf die Schultern Shiáshias. »Geh und schlage die Trommel Tuntuí. Kündige unseren Besuch bei den Zwergen an. Sie werden dich hören. Morgen bei Sonnenuntergang in der Cueva de los Tayos! Sage ihnen: „Blut!"«

    Mittwoch, 17. August 2022

    DAS PLÖTZLICHE, HELLE Auflachen Piti Kusis durchbrach die erwartungsvolle Stille, die in der Versammlung herrschte. Es dauerte eine Zeit, bis sie sich wieder fing und sprach: »Entschuldigt bitte, weil ich so außer Fassung geraten bin. Ich habe unsere Versammlung hier benutzt, um zu versuchen, eure Gedanken zu lesen. Ich tastete mit meinen geistigen Fingern in euren Köpfen und fand nichts, absolut nichts. Das ist fantastisch! Ihr habt gelernt, eure Gedanken perfekt abzuschirmen. Dis und Eira hatten diese Fähigkeiten ja schon vorher gehabt, hier also keine Überraschung für mich. Aber die anderen ... Das war für mich einfach ein umwerfendes Erlebnis. Es freut mich ungemein, dass unser Training so erfolgreich verlaufen ist. Aber als meine Fühler schließlich in die Gedankenwelt von Sepp eindrangen, fand ich keine Leere vor, sondern empfing glasklare Bilder von Donald Duck, wie er mit seinem Onkel Dagobert feilschte und versuchte, sich mit seiner schrillen Heliumstimme aus der Affäre zu ziehen, als der geizige Onkel wieder einmal versuchte, den armen Donald auszunutzen. Das war einfach überraschend, köstlich und erquickend.«

    Die Augen aller wandten sich zu Sepp. Dieser schmunzelte und zuckte die Achseln.

    »Wie machst du das eigentlich, Sepp?«, fragte Piti Kusi nach.

    »Ich muss zugeben, mir fehlt die Erklärung«, sagte Sepp. »Ich habe bei meinem geistigen Training herausgefunden, dass ich gewisse Szenen, die ich mir frei ausdenken kann, in einem Winkel meines Gehirns abzuspeichern vermag. Ihr könnt euch das so vorstellen, als ob ich einen kurzen Videoclip drehe und den dann auf Wunsch abspielen kann in einer Endlosschleife, das heißt, wenn er zum Ende kommt – der Clip – springt er wieder zum Anfang und wiederholt sich. Das kann stundenlang so vor sich gehen. Währenddessen kann ich mich auf ganz andere Tätigkeiten konzentrieren. Das Abspielen dieser Szene, zu der ich euch Zugang gewähren kann, läuft im Hintergrund ab. Dafür muss ich keinerlei Konzentration aufbringen. Ich nehme diese Szene wahr, wenn ich es will. Sie ist wie ein Hintergrundrauschen. Ihr müsst euch das so vorstellen, wie wenn ihr ein Buch lest und euch dabei ganz auf den Inhalt konzentriert, im Hintergrund aber Musik spielt. Ihr könnt dann die Musik vernehmen, ihr könnt aber auch ganz im Lesen versinken. So läuft das ab. Wie ich das mache, ist mir eigentlich unerklärlich. Ich bin ganz zufällig darauf gestoßen.«

    Eira nahm ihn bei der Hand. »Und er hat eine nette Art, das zu trainieren!«, sagte sie lächelnd. »Auch wenn er sich irgendeiner Tätigkeit widmet, kann ich ständig seine Liebesgrüße in den Gedanken vernehmen. Das ist so romantisch!«

    Alle lachten. Sepp presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Eira errötete.

    »Ich hätte das wohl nicht erzählen sollen!«, meinte sie und biss sich auf die Unterlippe. »Aber das ist nichts, wofür man sich schämen sollte. Ich finde das einfach süß!«

    »Meine Schwester hat hundertprozentig recht!«, warf Dis ein. »Das ist romantisch, und Eira ist ein Glückspilz, dass sie jemanden wie Sepp gefunden hat!«

    Hans kicherte und stieß Sepp mit dem Ellbogen in die Rippen. Dieser brummte verärgert.

    »Jetzt ist es aber genug!«, warf Piti Kusi ein. »Lasst den armen Sepp in Ruhe!« Sie blickte zu dem nun bärtigen Nyrad, der die Augen geschlossen hielt, die Lippen zusammenpresste und den Kopf schüttelte. »Ich finde das auch romantisch und süß«, sagte Piti Kusi. »Einigen der Anwesenden fehlt diese romantische Ader, aber vielleicht lernen sie das noch!«

    Nyrad hielt die Augen geschlossen und blieb ungerührt. »Und wozu soll diese Fähigkeit Sepps gut sein? Wir werden es in unseren Aufträgen mit Menschlingen zu tun haben. Die können keine Gedanken lesen. Es ist gut, Gedanken lesen zu können, aber die Abschirmung von Gedanken ist nur unter Zwergen nützlich.«

    Piti Kusi seufzte schwer. »Ja, ja, vielleicht hast du recht. Vielleicht ist diese Gabe wirklich ohne praktischen Nutzen. Aber zumindest hat sie für romantische Momente in einer Beziehung gesorgt. Und trotz aller Unkenrufe rate ich Sepp, diese Fähigkeit zu hegen und zu pflegen. Wer weiß denn schon, was uns die Zukunft bescheren wird.«

    Nyrad zuckte die Achseln und strich sich durch den Bart. »Von mir aus! Ich bin eher praktisch ausgerichtet.«

    Piti Kusi warf ihm einen giftigen Blick zu. »Aber es gibt noch einen Gegenstand, den ich mit euch besprechen möchte«, lenkte Piti Kusi das Gespräch auf ein anderes Thema. »Ich hatte gestern mit Hans eine Unterredung, als etwas ganz Seltsames geschah. Hans konnte mit seinen Gedanken meinen Schirm durchbrechen. Ehrlich gesagt, ich bin verwirrt und verunsichert. Ich weiß nicht, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. Nie zuvor ist es jemandem gelungen, den Abwehrschirm, der meine Gedanken für andere Personen unzugänglich macht, zu durchdringen.«

    »Ich möchte dazu etwas einwerfen!«, sagte Hans.

    Piti Kusi nickte. »Nur zu!«

    Hans überlegte einige Sekunden lang und sagte: »Ich glaube, es ist nicht richtig zu sagen, dass ich deinen Schirm durchbrochen habe. In Wirklichkeit habe ich das ja gar nicht versucht. Wie du dich erinnern wirst, war ich völlig in Gedanken versunken als ich das Foto hinter dir betrachtete. Und als du dich umwandtest, um dir das Foto anzusehen, drängten sich diese Gedanken, vermutlich deine Gedanken, in meinen Geist. Ich habe eigentlich in diesem Moment gar nicht versucht, deine Gedanken zu lesen, sondern deine Gedanken haben sich regelrecht den meinigen aufgedrängt. Ich glaube, das ist ein wichtiger Unterschied.«

    »Ich war von Erinnerungen und Emotionen überkommen«, fuhr Piti Kusi fort. »Es ist möglich, dass diese Aufregung, diese überraschenden Reminiszenzen dazu geführt haben, dass meine Gedanken den Schutzwall durchbrochen und den Weg zu dir gesucht haben. Ich weiß es nicht. Wenn das so ist, dann ist es auch für mich beunruhigend, weil das bedeuten würde, dass ich in gewissen Gemütszuständen meine Gedanken nicht kontrollieren kann, oder besser gesagt, meinen Schutzschirm nicht aufrechterhalten kann. Wie auch immer, die Umstände, die zu diesem Ereignis geführt haben, sind recht mysteriös und fordern eine Erklärung. Das ist der eigentliche Grund, warum ich diese Versammlung einberufen habe.«

    Sepp, Eira, Nyrad und Dis warfen sich überraschte Blicke zu. Dann herrschte gespanntes Schweigen.

    Piti Kusi räusperte sich, bevor sie fortfuhr.

    »Vor vielen Jahrzehnten lebte in dieser Gegend, und später in Cuenca, ein italienischer Priester, der als Missionar hierhergekommen war. Sein Name war Carlo Crespi. Er stammte aus einer armen und kinderreichen Familie im Norden Italiens. Seine Eltern waren Landarbeiter, was man hier „Campesinos" nennt. Als er sechzehn Jahre alt war, begann er seine Ausbildung zum Priester. Er war außerordentlich intelligent. Er widmete sich nicht nur der Theologie, sondern studierte auch Philosophie und später, nach seiner Priesterweihe, Naturwissenschaften und Botanik an der renommierten Universität Padua. Und er hatte eine künstlerische Ader. Er studierte auch Klavier und Komposition am Konservatorium in Padua. Aber in erster Linie war er ein Priester. Und in dieser Funktion, als Missionar, kam er nach Ecuador und lebte hier sechzig Jahre lang bis zu seinem Tod.«

    Piti Kusi stand auf und nahm ein gerahmtes Foto, das an der Wand lehnte, hielt es hoch und zeigte es allen Anwesenden.

    »Das ist das Foto des Priesters, das meine Gedanken entkommen ließ, wodurch das Bild eines Großbrandes im Gehirn von Hans entstand.«

    Sie lehnte das Bild zurück an die Wand und betrachtete es eine Weile nachdenklich.

    »Wie ich schon angedeutet habe: Sechzig Jahre lebte er in diesem Land und einen Großteil dieser Zeit verbrachte er bei den Shuar im Oriente, dem Amazonasgebiet Ecuadors. Er hat viel Gutes bei ihnen vollbracht und bis heute verehren die Shuar ihn wie einen Heiligen. Er drehte sogar einen Film über sie: „Die unbezwingbaren Shuar vom Oberen Amazonas". Wahrscheinlich war er der Gründungsvater der ecuadorianischen Filmproduktion. Und die Shuar erwiesen sich als dankbar und brachten ihm zahlreiche Geschenke.« Piti Kusi seufzte tief. »Und damit fing der ganze Jammer an!«

    Piti Kusi stand auf und fing an, hin und herzugehen. Es war allen klar, dass sie die richtigen Worte suchte.

    »Hast du ihn persönlich gekannt?«, fragte Hans.

    Piti Kusi fuhr aus ihren Gedanken hoch. »Ja, klar doch. Ich habe ihn hier in der Nähe zum ersten Mal getroffen. Er erkannte natürlich sofort, dass ich keine Shuar war. Er hielt mich für eine der „Colonos", jene Siedler, die aus dem Hochland in das Amazonasgebiet wanderten, um hier Ackerbau und Viehzucht zu betreiben und die sich im Allgemeinen recht gut mit den Shuar vertrugen. Ich habe ihn sogar sehr gut gekannt und habe später sein Leben in Cuenca beobachtet.

    Aber wie ich schon gesagt hatte: Das Problem fing mit der Dankbarkeit der Shuar an.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht richtig! Der ganze Schlamassel fing mit unserer Dummheit an. Wie konnten wir bloß so schwachköpfig sein!«

    »Warum erzählst du uns nicht, was damals passiert ist. Von Anfang an. Das wäre doch das einfachste!«, warf Sepp ein.

    »Du hast natürlich recht«, entgegnete Piti Kusi. »Ihr wisst alle, dass die Zwerge sehr begabt im Kunsthandwerk sind. Aber trotz aller Begabung muss man diese Fertigkeiten durch harte Arbeit erwerben: zehn Prozent Inspiration und neunzig Prozent Transpiration! Schon unsere Kinder, wenn sie Interesse an dieser Arbeit zeigen, üben sich tagtäglich in der Produktion von Statuetten. Und sie verwenden dabei schon das richtige Material, das heißt, in der großen Mehrzahl der Fälle Gold. Übung macht den Meister! Und es ist verständlich, dass die ersten Werke unserer Jungen nicht den größten Qualitätsanforderungen entsprechen. Aber in der Oberwelt würden diese Arbeiten durchaus als Meisterwerke angesehen werden. Um den Shuar zu helfen, haben wir ihnen diese nicht ganz geglückten Werke geschenkt. Das ist über Jahrhunderte hinweg geschehen. Die Idee dahinter war, ihnen das Edelmetall zu geben, damit sie sich Dinge damit kaufen konnten. Unsere Dummheit lag darin, ihnen das Edelmetall in Form etwas misslungener Statuetten zu geben. Das war anfangs kein Problem. Und zu unserer großen Schande muss ich auch gestehen, dass wir die Mentalität der Shuar nicht richtig verstanden hatten. Sie brauchten kein Gold. Es war für sie wertlos. Sie lebten vom Land, von der Jagd, vom Fischfang. Gold war für sie nutzloser Kram. Aber die Statuetten gefielen ihnen und es wurde ihnen bald klar, dass selbst die besten Handwerker unter ihnen nicht fähig waren, Gegenstände in derselben Qualität herzustellen. Sie bewahrten sie fast wie Kultobjekte auf. Als sie dann den italienischen Priester kennenlernten, den Padre Crespi, wie alle ihn nannten, schenkten sie ihm nach und nach diese Gegenstände als Zeichen ihrer Hochachtung und Ehrerbietung.

    Padre Crespi war nicht irgendein Mensch, sondern eine sehr gebildete Person. Und als er die Statuen betrachtete, die ihm die Shuar geschenkt hatten, wurde ihm sofort klar, dass sie eine frappierende Ähnlichkeit mit jenen Gegenständen hatten, die bei den Ausgrabungen in Mesopotamien gefunden worden waren. Die Statuetten unserer Lehrlinge schrien förmlich: „Wir sind aus Babylon!"«

    Piti Kusi lächelte resigniert. Sie zuckte die Achseln. »Und so nahm das Übel seinen Lauf!«

    »Ich nehme an«, sagte Hans, »dass Padre Crespi diese Werke fachkundigen Leuten zeigte und damit einen gehörigen Wirbel auslöste.«

    Piti Kusi zog die Brauen hoch. »Das liegt recht nahe an der Wahrheit«, sagte sie. »Was in Wirklichkeit geschah, war die Gründung eines Museums in Cuenca, das der Padre Orientalistisches Museum nannte. Es ist mir bis heute noch nicht ganz klar, ob er absichtlich diesen zweideutigen Namen wählte, denn Orientalistik bezieht sich normalerweise auf das Studium des Nahen Ostens, zum Beispiel auf die Ausgrabungen in Mesopotamien. Im Fall von Padre Crespi könnte man sich durchaus vorstellen, dass er diesen Namen gewählt hatte, weil er sich auf den Oriente, das Amazonasgebiet Ecuadors, bezog. Andererseits aber betonte er immer wieder, dass die Statuetten und andere Werke, wie Metallplatten im Relief, charakteristisch für die Kultur Babyloniens waren. Das rief Neugierde und Überraschung hervor.

    Nun, irgendein kauziges Museum in einer kleinen, verlorenen Stadt in den Anden sollte ja kein großes Problem darstellen. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Welt immer kleiner. Die Menschen begannen zu reisen und zu forschen, und es dauerte nicht lange, bis neugierige Besucher zur Stadt Cuenca kamen, als sie von der Existenz dieses kuriosen Museums in Kenntnis gesetzt worden waren.«

    »Erlaube mir bitte, mich dazu zu äußern!«, sagte Hans. »Ich verstehe ein wenig von Ausgrabungen. Jahrelang habe ich in der Archäologie gearbeitet. Somit weiß ich ganz genau, dass, wenn irgendwo ganz außerordentliche Funde gezeigt werden, die überhaupt nicht mit dem herkömmlichen, anerkannten Wissen übereinstimmen, diese Funde zuerst einmal bezweifelt werden. Das ist so sicher wie das Amen im Gebet. Insbesondere ist das der Fall, wenn die sogenannte Beweiskette nicht aufrechterhalten wird. Es muss eindeutig dokumentiert sein, wo diese Gegenstände herstammen, wie sie ausgegraben oder erhalten wurden, wie sie dann in das Museum gelangten und so weiter. Das heißt, wir müssen sichergehen, dass Manipulationen ausgeschlossen sind. Immer wieder taucht diese Art von Funden auf, und bei einer genauen Untersuchung stellen sie sich als Fälschungen heraus, die von geltungssüchtigen oder verbrecherischen Personen hergestellt wurden, um sich damit mit Ruhm zu bedecken oder Geld zu verdienen oder beides. Ich nehme an, dass im Fall vom Padre Crespi die Beweiskette nicht eindeutig belegt ist. Somit wäre diese Sammlung von der, sagen wir einmal, „wahren Wissenschaft" nicht anerkannt worden. Ich verstehe also nicht, wo das Problem liegt. Die großen Museen der Welt und die großen Archäologen hätten diese Sammlung einfach als Fälschung abgetan, und damit wäre das Problem beseitigt gewesen.«

    »Ich wünschte, das wäre alles so einfach!«, seufzte Piti Kusi. »Es kamen jedoch keine Wissenschaftler! Nein! Es kam viel ärger!«

    Piti Kusi blickte auf die Uhr. »Ach du meine Güte!«, rief sie aus. »Es ist Zeit fürs Mittagessen! Wir machen danach weiter!«

    DAS MITTAGESSEN UND die darauffolgende Siesta hatten allen gutgetan. Aber jetzt, als sie wieder versammelt waren, um das Gespräch erneut aufzunehmen, konnte man die knisternde Spannung unter ihnen spüren.

    »Ich weiß«, sagte Piti Kusi, »dass ihr alle ganz erpicht darauf seid, etwas über den Großbrand zu hören, den Hans, wie es scheint, in meinen Gedanken gelesen hat. Und ich denke, es ist das Beste, gleich zur Sache zu kommen. Wir haben gehört, dass der Padre Crespi ein Museum eingerichtet hatte, in dem er all diese Gegenstände ausstellte, die ihm die Shuar als Geschenk überreicht hatten. Es handelte sich um Hunderte, vielleicht sogar Tausende Exponate. Ich muss dazu sagen, das nicht all diese Objekte für uns kompromittierend waren. Viele der Gegenstände waren von den Shuar selbst hergestellt worden. Es handelte sich um Jagdtrophäen, wie zum Beispiel Federn und ausgestopfte Tiere, insbesondere Vögel. Auch Schrumpfköpfe hatten sie dem Padre als makabres Geschenk überreicht. Dann gab es Gebrauchsgegenstände wie Werkzeug, Kochtöpfe, Keramik, Geschirr, Messer und so weiter.

    Padre Crespi konnte nicht einfach ein Museum einrichten, denn als Ordensangehöriger benötigte er die Zustimmung der höhergestellten kirchlichen Behörden. Und wirklich, der Vatikan erteilte ihm die Erlaubnis.

    Nun gut, ihr habt gehört, dass es schlimmer kam, als wir es vorhergesehen hatten. Es waren keine Wissenschaftler, die zum Museum kamen, um die Exponate zu untersuchen. Die Universitäten und die seriösen Archäologen oder Völkerkundler hielten sich fern. Wir haben selbst erlebt, jetzt in der Corona-Zeit, wie sich eine beinharte Zensur niederschlägt. Gewisse Dinge dürfen einfach nicht ausgesprochen werden. Sie werden sofort vom Internet gelöscht und es gibt Repressalien. Es ist jetzt natürlich viel schlimmer, als das früher war. Aber auch schon früher hatte es diese Zensur gegeben. In gewisser Weise war es eine Autozensur, eine selbst auferlegte Zurückhaltung, wenn es sich um Grenzgebiete der Wissenschaft handelte. Allzu leicht war es möglich, den guten Ruf als Forscher zu verlieren und damit auch die Finanzierung seiner Projekte.

    Es kamen also andere Leute, die, wie es sich herausstellte, für uns viel gefährlicher waren. Es waren Abenteurer, Leute, die keine Wissenschaftler waren, sich aber den Grenzgebieten oder den Pseudowissenschaften widmeten. Sie schrieben Bücher. Sie hatten eine enorme Leserschaft, die ihre Literatur gierig verschlang.«

    Piti Kusi unterbrach sich. Sie blickte zu Nyrad, der mit ein paar Handschellen spielte, deren Geklapper die Hohepriesterin irritierte.

    »Nyrad! Muss das jetzt sein?«

    Der Norg blickte verlegen. »Entschuldige!«, stammelte er. »Das soll nicht wieder vorkommen!«

    Sepp lachte ihm zu. »Ist das dein neues Spielzeug? Spielst du jetzt Kriminalpolizist?«

    Nyrad zuckte die Schultern. »Man könnte das so sehen.«

    Alle lachten außer Piti Kusi. »Darf ich jetzt fortfahren oder interessiert euch das Thema nicht?«

    Die Gesichter blickten verlegen und wurden wieder ernst. Es kehrte Ruhe ein.

    »Also, wie gesagt, es kamen einige zwielichtige Gestalten. Der erste von ihnen war ein Ungar, der nach politischer Verfolgung in seinem Heimatland nach Argentinien ausgewandert war und sich dort angesiedelt und die Staatsbürgerschaft erworben hatte. Sein Name war Juan Móricz, oder János Móricz, wie sein wirklicher Geburtsname lautete.

    Móricz hatte sich einen zweifelhaften Ruf erworben, wenn man das sachte ausdrücken will. Er hatte einige unhaltbare Ideen vertreten, nämlich dass die Eingeborenenstämme in ganz Amerika Sprachen hatten, die mit dem Ungarischen verwandt waren, gemeinsame Wurzeln hatten, sozusagen urungarische Sprachen waren.

    Diese Ideen gaben ihn der Lächerlichkeit preis. Er wäre also für uns nicht gefährlich gewesen, hätte er nicht eine unglaubliche Entdeckung gemacht. In einer seiner Expeditionen in das ecuadorianische Amazonasgebiet erreichte er innerhalb der Provinz Morona Santiago das Siedlungsgebiet der Shuar. Er brachte es fertig, sich das Vertrauen der Indios zu erwerben und diese zeigten ihm ein Höhlensystem, das sie Cueva de los Tayos nannten. Die Cueva de los Tayos existiert wirklich. Sie ist jener Ort, an dem wir, die Mukikuna, uns regelmäßig mit den Shuar treffen. Es war dort, wo wir ihnen unsere Geschenke überreichten, und es war dort, wo die Shuar diese Gegenstände aufbewahrten. Aus irgendeinem Grund zeigten sie dem Forscher den Platz und die Gegenstände. Das war in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts.

    Als Móricz nach Guayaquil zurückkehrte, gab er eine eidesstattliche Erklärung ab, in der er seine Funde bestätigte, das Recht des ecuadorianischen Staates als Eigentümer der Funde anerkannte und den damaligen Präsidenten Velasco Ibarra um eine Audienz bat, in der er die genaue Lage des Ortes bekannt geben wollte. Er plante, eine Expedition zur Fundstelle zu führen, an der ecuadorianische Wissenschaftler und Vertreter der Regierung teilnehmen sollten, aber auch Personen, die er, Móricz, auswählen wollte. Er erhielt nie eine Antwort und zog sich frustriert zurück. Der damalige ecuadorianische Präsident war wie ein Stehaufmännchen: Mehrere Male fiel er einem Staatsstreich zum Opfer, aber immer wieder brachte er es fertig, sich aufzurappeln und erneut als Staatsoberhaupt gewählt zu werden. Vielleicht befand er sich damals wieder in einer dieser Krisen und hatte keine Zeit für „Firlefanz". Aber der ungarische Forscher blieb nicht untätig. Er schrieb über seine Entdeckung. Andere Forscher, die sich unerklärlichen Phänomenen widmeten und am Rande der Wissenschaft standen oder jenseits von ihr, besuchten Móricz. Ihr Interesse war enorm. Unter ihnen befand sich ein berühmter schweizerischer Autor, Erich von Däniken. Er unternahm eine Expedition zu der Cueva de los Tayos und publizierte die Ergebnisse samt Fotos in einem Buch, das zu einem Bestseller wurde.«

    »Den kenne ich!«, warf Sepp begeistert ein. »Ich habe seine Bücher regelrecht verschlungen!«

    Piti Kusi lächelte ihm zu und sprach weiter. »Wie ihr euch lebhaft vorstellen könnt, war diese Situation für uns katastrophal. Sie hatte das Potenzial, unser Geheimnis auffliegen zu lassen, was wir mit allen Mitteln verhindern wollten.«

    Sepp unterbrach Piti Kusi erneut. »Also dieses Höhlensystem, diese Cueva de los Tayos, gibt es wirklich?«

    Piti Kusi nickte. »Genau.«

    »Und niemand nahm Móricz ernst?«

    »Von den Wissenschaftlern niemand. Aber die Grenzwissenschaftler, diese Fringe Scientists, wie man so schön auf Englisch sagt, wurden angezogen wie die Motten vom Licht. Und plötzlich waren diese geheimnisvollen Höhlen in aller Munde. Es handelt sich nicht nur um eine Höhle, sondern um ein regelrechtes Labyrinth von Höhlen, deren Verbindungen oft schwer zugänglich sind, versteckt sind oder unter Wasser stehen.«

    »Können wir diese Höhlen besuchen?«, fragte Hans.

    »Früher als ihr denkt!«, sagte Piti Kusi und seufzte. »Ich komme gleich darauf zu sprechen.«

    Hans nickte zufrieden.

    »Es gab danach eine Reihe weiterer Expeditionen zum Höhlensystem«, fuhr Piti Kusi fort, »unter anderem eine, die von Großbritannien aus organisiert worden war und an der der Astronaut Neil Armstrong teilnahm.«

    »Der erste Mensch auf dem Mond!«, warf Hans ein.

    »Ganz genau!« Piti Kusi nickte ihm zu. »Man hatte auch Móricz dazu eingeladen, aber als dieser darauf bestand, dass die Fundstücke an Ort und Stelle bleiben müssten, wurde er stillschweigend wieder ausgeladen.

    In der Zwischenzeit hatten wir natürlich den Shuar klargemacht, dass sie unsere Geschenke nicht in dieser Form weitergeben durften und halfen ihnen, ihren Schatz an einem sicheren Ort unterzubringen.

    Aber es kam noch schlimmer. Der Leiter dieser Expedition, der Schotte Stanley Hall, besuchte den Padre Crespi und überredete ihn, ihm sein Museum zu zeigen. Hall drehte einen Film darüber, der heute noch in esoterischen Kreisen zirkuliert und sehr populär am Internet ist. In diesem Film werden mehrere dieser kompromittierenden Gegenstände aus purem Gold gezeigt.

    Das war für uns äußerst unangenehm, wie ihr euch vorstellen könnt. Wir mussten Gegenmaßnahmen treffen.«

    »Und da habt ihr das Museum in Brand gesteckt, nicht wahr?«, warf Hans unbekümmert ein.

    »Nein! Natürlich nicht! Wir hätten das nie getan!« Piti Kusi rang entsetzt die Hände. Sie schwieg einen Moment und atmete tief durch.

    »Die Angelegenheit war für uns so dringend und brenzlig geworden, dass ich beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ich wählte eine Gruppe von Mukikuna aus, in die ich volles Vertrauen hatte. Wir mieteten uns gegenüber dem Museum ein und beobachteten Tag und Nacht die Geschehnisse. Wir hatten einen eher vagen Plan ohne genaue Umrisse. Wir wollten die kompromittierenden Gegenstände gegen andere austauschen, die wir vorbereitet hatten. Es handelte sich zum Beispiel um Blechstücke ohne großen Wert, in die wir Reliefs eingeritzt hatten und die recht kindisch oder gar nicht künstlerisch aussahen, eben wie ganz offensichtliche, primitive Fälschungen. Wir wollten also die originalen Goldgegenstände entfernen und durch solche absichtlich ganz grob und plump hergestellte Fälschungen ersetzen. Ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung hatte, wie wir das bewerkstelligen hätten können.«

    Piti Kusi seufzte schwer und sah in die Runde.

    »Und dann kam diese schicksalhafte Nacht!«, fuhr sie fort. »Das Gebäude der Salesianer, das Instituto Salesiano, war wunderbar. Es war im italienischen Stil erbaut worden und man sagte, dass Padre Crespi die Ideen dazu geliefert hatte. Das ist durchaus möglich. Er war eben ein Genie. Daneben stand die Kirche María Auxiliadora. Im Hauptgebäude brach das Feuer aus. Später sagte man, dass alles

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