Flora Krähahn. Ein Abenteuer
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Buchvorschau
Flora Krähahn. Ein Abenteuer - Artur Hermann Landsberger
A.L.
„Ist noch jemand im Wartezimmer?" rief Rechtsanwalt Fix in den Hausapparat. Und der Bürovorsteher gab zur Antwort:
„Frau Rittergutsbesitzer von Schenk, sonst niemand."
„Ich lasse bitten."
Eine elegante junge Frau rauschte ins Zimmer.
Doktor Fix erhob sich.
Sie ging hastig auf ihn zu, streckte ihm die Hand hin und fragte ungeduldig:
„Nun haben Sie verhandelt?"
„Ja! — Er schüttelte ihr die Hand und sagte: „Ich gratuliere.
„Also geschieden?"
Doktor Fix nickte triumphierend mit dem Kopf.
Die schöne junge Frau hielt sich am Rand des Schreibtisches fest, schloss für einen Augenblick die Augen und hauchte:
„Ich hatte es nicht so schnell erwartet."
„Wenn Ihnen daran lag, den Schmerz zu verlängern, erwiderte Doktor Fix gekränkt, „dann hätten Sie zu irgend einem Winkeladvokaten gehen müssen, da hätte der Prozess Jahr und Tag gedauert. Da Sie ein guter Stern aber zu den Rechtsanwälten Fix und Lustig geführt hat ...
„Gewiss! Ich habe es ja gewollt."
„Gemusst! verbesserte Doktor Fix. „Ihr Fall ist ein Schulbeispiel für die Anwendung des Paragraphen 1568. Nach den Schriftsätzen, die Sie während des Prozesses mit ihrem Gatten gewechselt haben ...
„Verzeihung, die Schriftsätze haben Sie und der gegnerische Anwalt miteinander gewechselt."
„Auf Grund der Angaben, die Sie meinem Kollegen Lustig und mir gemacht haben."
„Es war nicht ganz so schlimm."
„Wie meinen Sie das?"
„Nun, ich habe mich zum Mindesten nicht bemüht, zugunsten meines Mannes zu beschönigen."
„Was selbstverständlich Ihr gutes Recht ist."
„Und Ihr Kollege und Sie haben meine Angaben zu Anklagen verarbeitet, vor denen selbst ich erschrocken bin."
„Unsere Spezialität! erwiderte Doktor Fix. „Sie sind in diesem Jahre unser vierhundertelfter Patient, der an der Ehe krankt. Sechzig davon im Rückfall. Wir haben bis auf zwölf alle geheilt. Sie alle erfreuen sich wieder der Freiheit und führen ein Leben nach ihrer Fasson.
„Und sind glücklich?" fragte Frau von Schenk, die auf eine Aufforderung des Doktor Fix hin in einem der tiefen Ledersessel Platz genommen hatte.
„Vermutlich. Jedenfalls haben wir den Grund dazu gelegt und das Hindernis, das ihrem Glück im Wege stand, beseitigt."
„Es gibt aber doch auch glückliche Ehen."
„Wir lernen nur die andern kennen. Das hat uns begreiflicherweise zu Pessimisten gemacht."
„Gibt es gegen das Urteil eine Revision?"
„Seien Sie unbesorgt. Es ist endgültig. Sie sind von dieser Stunde ab Ihr eigener Herr. Niemand hat Ihnen mehr zu befehlen oder zu verbieten."
„Acht Jahre lang haben wir miteinander gelebt."
„Sie hätten es abkürzen können, wenn Sie früher zu uns gekommen wären."
„Manche schöne Stunde haben wir zusammen verbracht."
„Ich bitt Sie, was will das in acht Jahren besagen? Die hässlichen Stunden waren jedenfalls zahlreicher."
„Ich habe sie nicht gezählt."
Doktor Fix sah erstaunt die elegante junge Frau an. Sie hatte den Schleier hochgezogen und trocknete mit dem kleinen Spitzentuch eine dicke Träne, die ihr im rechten Auge stand.
„Sie weinen?" fragte er erstaunt.
„Es geht vorüber."
„Sie sind jung und schön und reich. Die Versuchung wird daher noch oft an Sie herantreten, gnädige Frau. Man wird Sie umwerben, und ich halte es als Ihr Anwalt für meine Pflicht, Sie zu warnen. Geniessen Sie das Leben ohne sich noch einmal Ihrer Freiheit zu begeben. Wenn ich nicht zur amtlichen Verschwiegenheit gezwungen wäre, ich liesse Sie in diesen Büchern des Lebens lesen und Sie wären für immer geheilt."
„In diesen Akten?" fragte Frau von Schenk.
„Ja! Es sind die vierhundertzehn Ehescheidungsprozesse dieses Jahres. Wer sie gelesen hat, ist immun gegen die Ehe. Und wenn aus sozialen Gründen bei Todesstrafe die Zwangsehe eingeführt würde — mein Kollege und ich würden als die letzten Junggesellen sterben."
„Wie man sich irren kann, sagte Frau von Schenk. „Ich hätte Sie nie für einen Weiberfeind gehalten.
„Ich bins auch nicht. Ich bin das Gegenteil. Aber gerade darum lehne ich die Frau ab, die in dem stupiden Bierbottich der Ehe versauert. Die verheiratete Frau bewahrt sich in der Ehe entweder ihre Reize — dann pflegt und schmückt sie sich aber auch fast immer nur für Andre. Oder sie hält zu ihrem Manne. Dann vernachlässigt sie sich, wird Mutter, spielt Säugetier und verbreitet statt des lieblichen Odeurs der Frau jenen Windelgeruch, der jede Zärtlichkeit ausschliesst."
„Und der Mann?" wollte Frau von Schenk den Hieb parieren.
„Ich weiss! Ich weiss! wehrte Doktor Fix ab. „Er entwickelt sich zum Ekel!
„Da Sie es selbst sagen ..."
„Ich beschwöre es, wenn Sie es wollen."
„Mit Ausnahmen!" ertönte eine Stimme. In der geöffneten Tür stand Doktor Lustig. Im Reiseanzug, die Mütze in der Hand.
„Du schon zurück?" rief ihm Doktor Fix zu.
„Du gestattest," erwiderte er und wies auf Frau von Schenk, ging auf sie zu und küsste ihr die Hand.
„Ihr Freund, Herr Doktor, ist gerade im Begriff, an mir eine Radikalkur zu vollziehen. Eben bin ich geschieden, da sorgt er sich auch schon, ich könnte rückfällig werden."
„Das Urteil ist schon heraus?"
Frau von Schenk nickte.
„Auf Grund meines letzten Schriftsatzes, erklärte Fix stolz. „Aber ich gebe zu, dass ich die Kunst, die Richter individuell zu behandeln, von dir gelernt habe. Mein Schriftsatz war ein Konglomerat aller Entscheidungen, die der betreffende Dezernent in den letzten Jahren gefällt hat.
„Aber bei mir handelte es sich doch um einen Fall, der alle hundert Jahre höchstens einmal vorkommt," erwiderte Frau von Schenk.
„Das eben war mein Kunststück! Ihren Fall auf eine dem Richter landläufige Formel zu bringen. Auf die Weise haben wir uns den Richter für künftige Fälle verbunden und Ihnen, gnädige Frau, Zeit, Kosten, Termine und Aufregungen erspart."
Frau von Schenks Gesicht war alles eher als vergnügt.
„Mein armer Mann!" dachte sie laut und erschrak, als Doktor Fix mit der Faust auf den Tisch schlug und rief:
„Da hört doch aber alles auf! Vor vier Wochen, da nannten Sie ihn noch ein pathologisches Ungeheuer."
„Gewiss, er hat auch seine schlechten Seiten," erwiderte Frau von Schenk.
„Auch schlechte? rief Doktor Fix. „Nicht ein gutes Haar haben Sie an ihm gelassen!
„Immerhin, es wäre bedauerlich ...", begann jetzt Rechtsanwalt Lustig.
„Wie? Was?" brüllte Doktor Fix.
„... wenn durch die Schnelligkeit des Verfahrens ..."
„... weiteres Unglück vermieden würde," ergänzte Fix.
„Ich wollte sagen, fuhr Lustig etwas geniert fort, „wenn die Ehe der Frau von Schenk geschieden wäre, ohne dass eine innerliche Notwendigkeit dafür vorläge.
„Waa ..? fragte Fix erstaunt und sperrte den Mund weit auf. „Innere Notwendigkeit? Was sind das für Überspanntheiten? Sind wir Seelsorger? Wir haben nach den juristischen Möglichkeiten zu fragen, nach weiter nichts. Alles andre hemmt den Prozess, den zu fördern unsere Aufgabe ist.
„Man kann doch aber auch einmal die menschliche Saite mitklingen lassen", meinte Lustig.
„Nein! Rann man nicht! widersprach Fix. „Bei der Ehe schon gar nicht, die erfahrungsgemäss
— und dabei wies er auf die vierhundertachtzehn Aktenstücke hin, die anklagend an der Wand lehnten — „eine der unmenschlichsten Institutionen ist."
„Die menschliche Saite ...", begann Lustig wieder.
„Seit wann bist du Minnesänger?" fiel ihm Fix nicht eben freundlich ins Wort.
„Raten Sie mir, was soll ich tun?" wandte sich Frau von Schenk an Lustig.
Fix sah nach der Uhr. Es war acht vorbei.
„Das will ich Ihnen sagen, was zu tun jetzt Ihre Pflicht und Schuldigkeit wäre: Ihre wiedergewonnene Freiheit mit Ihren Befreiern bei einem Glase Sekt zu begiessen, wozu mein Freund und ich Sie hiermit feierlichst geladen haben."
„Ich muss gestehen, erwiderte Frau von Schenk, „dass mir danach augenblicklich der Kopf nicht steht.
„Mir auch nicht", stimmte Doktor Lustig bei.
„I was! rief Fix. „Wir werden Sie durch das Tor des neuen Lebens führen und Sie werden staunen, wie ganz anders Welt und Menschen aussehen, wenn man sie nicht durch die meist noch vom letzten Streit getrübte Brille der Ehe betrachtet.
Frau von Schenk schien nicht mehr so abgeneigt wie vorher. Aber Lustig machte noch immer ein nachdenkliches Gesicht. Er führte die Hand an die Stirn und sagte:
„Offen gestanden, ich bliebe auch lieber zu Haus."
Da fasste ihn Fix am Arm, sah ihn fest an und fragte:
„Was ist denn in dich gefahren, Lustig?"
Lustig errötete, sah beschämt zur Erbe und sagte:
„Die Liebe!"
„Gott, wie interessant!" hatte Frau von Schenk gesagt, als Doktor Lustig gestand, dass die Liebe in ihn gefahren sei.
Aber Doktor Fix hatte die Farbe gewechselt, in den Knieen gewankt und gerufen:
„Unsere schöne Praxis!"
„Wie ist das gekommen?" fragte Frau von Schenk.
Lustig war die Gegenwart eines Dritten, zumal einer Dame, in deren Beisein Fix seinen Gefühlen Zwang auferlegen musste, nicht unwillkommen. Schon während der ganzen Fahrt hatte er überlegt, wie er seinem Kollegen am schonendsten seinen Treubruch beibringen könnte. Dabei war er alles andere als ein furchtsamer Mensch. Im Gegenteil: einem gewissen Draufgängertum verdankte er neben einem Ruf, der nun zum mindesten nicht den Anforderungen einer Kleinstadtmoral standhielt, manche angenehme Stunde. Denn wenn Berlin auch seine Heimat und der Ort seiner beruflichen und ausserberuflichen Erfolge war, so führte politischer Ehrgeiz ihn doch auch in die Provinz. Und hier erregte der vierzigjährige Junggeselle, der in seinen Erzählungen keinen Unterschied zwischen dem Stammtisch der Honorationen und der Caférunde philiströser Betschwestern machte, häufiger Ärgernis als es den Aussichten für seine Reichstagskandidatur zuträglich war.
Verlegenheit kannte Doktor Lustig nicht. Darin lag seine Stärke auch gegenüber dem gegnerischen Anwalt und dem Gericht. In diesem Falle aber, wo er einem Schul- und Studienfreunde, der seit vierzehn Jahren sein Associé war, die Treue brach, fühlte er sich unfrei und beklommen. Denn wenn auch kein Ehrenwort oder Gelübde sie zu lebenslänglichem Junggesellentum verpflichtete, so bestand doch eine stillschweigende Abmachung, die, ohne dass einer es aussprach, mit dem Hinzutritt jedes neuen Klienten befestigt wurde.
„Gut! Gehen wir hinüber zu Ewest, sagte „Lustig, „und ich erzähle euch meine Geschichte.
„Da bin ich aber wirklich gespannt", sagten gleichzeitig Frau von Schenk und Doktor Fix. Aber doch in so verschiedenem Tone, dass man sofort heraushörte, mit wie ungleichen Gefühlen sie dem Ereignisse gegenüberstanden.
Auf dem Wege zu Ewest sprach keiner ein Wort. Erst, als sie sassen und bestellt hatten, wandte sich Frau von Schenk an Lustig und sagte:
„Also, Herr Doktor, nun erzählen Sie endlich."
„Vor allem: ist dein Zustand heilbar? drang Fix auf ihn ein. „Oder besteht Gefahr, dass die Krankheit in Ehe ausartet?
„Wenn du wüsstest ..."
„Danke! unterbrach ihn Fix kurz. „Ich weiss.
Lustig und Frau von Schenk sahen zu ihm auf.
„Der Tonfall deiner Stimme, dein Auge, dein Gang, alles ist an dir verändert. Die Diagnose schliesst leider jede Hoffnung aus. — Er stützte den Kopf in die Hände und sagte traurig: „Unsere schöne Praxis!
Eine Pause entstand. Dann sagte Lustig unvermittelt:
„Übrigens, meine Chancen für die Reichstagswahl sind ausgezeichnet."
„Gratuliere! erwiderte Fix ärgerlich und fuhr dann fort: „Dass man durch Beschäftigung mit Politik den Charakter verliert, habe ich gewusst. Das hätte weder unserer Freundschaft noch unserer Praxis Abbruch getan. Aber dass man dabei auch das Herz verliert, das ist mir neu.
„Ich muss auch sagen, stimmte Frau von Schenk zu, „mich haben Sie mit Aufbietung Ihrer ganzen Dialektik überzeugt, dass die Liebe eine Krankheit ist, deren Bekämpfung sich die medizinische Wissenschaft mit demselben Eifer annehmen sollte wie jeder anderen, die Volksgesundheit gefährdenden Seuche; und nun, wo Sie selbst davon ergriffen sind, haben Sie womöglich noch die Stirn, die Liebe als den Idealzustand jedes gesunden Menschen zu bezeichnen.
„Ich gestehe meinen früheren Irrtum ein", erwiderte Lustig.
„Das typische Erkrankungsbild, bestätigte Fix. „Oder haben Sir schon mal einen Verrückten gesehen, der sich nicht für besonders gesund und alle andern für unheilbar krank gehalten hätte?
„Das sind denn doch Vergleiche", brauste Lustig auf.
„Dieser Vergleich stammt von dir und findet sich in dem Schriftsatz, durch den du die Scheidung der Ehe der Frau von Schenk erzwungen hast."
„Du tust ja gerade so, als wenn ich schuld daran wäre, dass Frau von Schenk nicht mehr mit ihrem Manne zusammen ist."
„Nicht deine Schuld, wohl aber dein Verdienst ist es! Denn soweit ich mich erinnere, war gegenseitige Eifersucht das einzige, was diese Ehe trübte. Und da