Die Reichen
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Buchvorschau
Die Reichen - Artur Hermann Landsberger
Saga
I.
Adolf Freiherr v. Rosen-Geldberg und Frau Adele, seine Gemahlin, saßen auf der Veranda beim Tee. Ihr Haus war eins der bestgeführten Berlins. Berühmt war die Küche, der zwei Chefs vorstanden. Eine Seltenheit in der Nachkriegszeit für einen Hausstand, der außer dem Personal nur aus zwei Personen bestand.
Frau Adele, bildhübsch, mit einem Teint, der Schminke und Puder verschmähte, hielt in ihren Händen einen Brief sonderbaren Formats.
Adolf, gut angezogen und gepflegt, hatte eine illustrierte Zeitschrift vor sich.
„Gräßlich!" sagte Adele.
„Was ist?" fragte Adolf — ohne von seinem Blatt aufzusehen.
„Ich hatte Gerda gebeten, mir für Biarritz von Paris aus ein paar Winke zu geben. Aber sie schreibt, weder bei Paquin, Patou noch Jean sähe man etwas, was man nicht genau so gut — wenn auch billiger — bei den großen Schneidern in Berlin fände."
„Paris bleibt Paris", erwiderte Adolf.
„Das war einmal. — Gerda rät zu einem Beigerose-Complet aus feinem Zibelinetuch mit breitem Pelzkragen, der vorn bis in die Taille läuft, schmalem Gürtel und einem üppigen Besatz aus schwarzem Gaillac."
„Was ist das?"
„Beschämen Sie meinen Mann!" erwiderte Adele und wandte sich an ihre Zofe, die eben eintrat, um der Baronin ihr Spitzentuch zu reichen.
„Aber das weiß doch der Herr Baron, erwiderte die Zofe und schien für ihn beschämt — „daß Gaillac chinesischer dünner Breitschwanz ist. — Wenn das das Neueste sein soll, Frau Baronin, hinkt Paris aber wieder einmal nach.
„Woher wissen Sie denn das?" fragte Adolf ärgerlich.
„Eine Zofe, die nicht weiß, was in der Mode vorgeht, ist heute so hilflos wie ein Chauffeur, der keine Sprachen spricht. — Aber wenn ich der Frau Baronin raten darf ..."
„Was fällt Ihnen ein?" unterbrach sie Adolf. Aber Adele winkte ab und sagte:
„Laß sie nur — wandte sich an die Zofe und fragte: „Also, was wollten Sie sagen?
„Daß die gnädige Frau sich für Biarritz weiße Atlaskleider und einen weißen Mantel mit dickem Damassé machen lassen sollte."
„Vielleicht verlegt ihr das auf eine andere Zeit", erwiderte Adolf — worauf die Zofe pikiert das Zimmer verließ und Frau Adele zu ihrem Mann sagte:
„Von morgen ab trinke deinen Tee bitte woanders."
Adolf stand auf, ergriff Frau Adeles Hand, küßte sie und sagte:
„Verzeih! — Aber ich möchte nicht, daß wir uns auseinanderleben wie mein Bruder Richard und seine Frau."
„Haben die je zusammengelebt?"
„Wir wollen lieber versuchen, uns die Ehe meines Bruders Ernst zum Vorbild zu nehmen."
„Was hast du mit einemmal mit deinen Brüdern? Soviel sprichst du ja sonst in einem Jahr nicht von deiner Familie."
„Ich lese hier eben im ‚Querschnitt‘ zum zehnten Male ..."
„Was liest du? Hat Resi wieder mal ihre Frühlingswehen zu Papier gebracht? Um die Jahreszeit pflegt sie ja immer Artikel zu schreiben."
„Hier steht: Am 20. Juli feiert der Freiherr Benno Leo v. Rosen-Geldberg in Frankfurt a. M. in völliger geistiger und körperlicher Frische seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag."
„Dein Papa?"
Adolf las weiter: „Er hat seine Jugend mit so viel Grazie und Esprit verlebt, daß wir uns auf die Arabesken seiner Vieillesse verte freuen."
„Stimmt es denn?"
„Daß Papa am 20. Juli geboren ist, weiß ich — daß er aber schon so alt — ja, wie lange ist es denn her, daß er seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert hat?"
„Vermutlich fünf Jahre."
„Dann kann es stimmen."
„Sorge vor allem dafür, daß dein Bruder Ernst seine Frau schonend darauf vorbereitet."
„Es ist doch kein Todesfall."
„Wenn es das wäre!"
„Ich verstehe dich nicht."
„Du verstehst doch nie. — Aber das siehst du wohl ein: wenn dein Vater fünfundsiebzig Jahre alt wird, dann werden seine drei Söhne mit ihren Frauen ja wohl nach Frankfurt fahren und ihm gratulieren müssen."
„Meinst du? sagte Adolf — und fragte zaghaft: „Willst du es nicht Ernst und Elisabeth sagen?
„Aha!"
„Ich tue es genau so gern."
Aber Frau Adele war schon am Apparat und ließ sich mit der Baronin Elisabeth v. Rosen-Geldberg, geborenen Komteß Königsmarck, verbinden.
„Du?" fragte Elisabeth erstaunt.
„Ja. — Wie geht es dir?"
„Ich bin rasend beschäftigt."
Jetzt war das Erstaunen auf Frau Adeles Seite.
„Du — beschäftigt? — ja, womit?"
„Ich lese."
„Du liest? — Seit wann?"
„Schon seit einer Stunde! — Mein Bruder hat mir da ein Buch aus London mitgebracht — denke dir über zweitausend Seiten stark."
„Entsetzlich! Das ist ja noch schlimmer als ‚Der Fall Mauritius‘."
„Kenn’ ich nicht."
„Wie heißt es denn?"
„Debrett’s Peerage."
„Ach, das Adelshandbuch! Der englische Gotha!"
„Ja — ich bin begeistert."
„Bist du vielen Bekannten begegnet?"
„Denk dir! Schon elf — dabei bin ich erst auf Seite dreihundertachtzehn."
„Es tut mir leid, Elisabeth, aber du wirst die Lektüre wohl unterbrechen müssen."
„Ist jemand gestorben?"
„Im Gegenteil!"
„Du hast ein Kind? — Adele! Von wem? — Was sagt dein Mann dazu? — Daher sahst du in letzter Zeit so — üppig aus — besonders an den Hüften."
„Wenn ich auch nicht so schlank bin wie du — ein Kind bekomme ich darum noch lange nicht."
„Etwa Resi? — Der gönn’ ich’s. — Es gilt in Paris ja wieder für schick, Kinder zu haben."
„So sag ihr doch endlich, um was es sich handelt", drängte Adolf — und Adele rief in den Apparat:
„Papa wird fünfundsiebzig Jahre alt."
„Was für ’n Papa?"
„Unser!"
„Eurer?"
„Der unserer Männer. Dein und mein und Resis Schwiegervater."
„In Frankfurt der?"
„Ich wüßte nicht, wo wir sonst noch einen hätten."
„Der jüdische alte Herr? — Ja, da wird man etwas schenken und telegraphieren müssen."
„Man wird mehr tun müssen."
„Doch nicht etwa ...?"
„Allerdings! Wir müssen nach Frankfurt — alle sechs."
„Ich nicht."
„Willst du als einzige dich ausschließen?"
„Ernst hat mir, als wir uns heirateten, versprechen müssen ..."
„... daß du außer mit seinen beiden Brüdern mit seiner Verwandtschaft nicht zu verkehren brauchst."
„Nun also."
„Einen Schwiegervater, der fünfundsiebzig wird, umgeht man trotzdem nicht — wenn man klug ist."
„Hm — du hast recht. — Aber ich kenne den Ritus nicht."
„Was für einen Ritus?"
„Ich war noch nie in einer Synagoge."
„Seit wann feiert man Geburtstage in der Kirche?"
„Wenn du mir garantierst, daß wir uns drüben nicht öffentlich zu zeigen oder gar in einer jüdischen Prozession mitzuwirken brauchen, so bringe ich meinem Mann das Opfer."
„Ich garantiere dir, daß das Ganze mit einer Familienfeier im engsten Kreise abgemacht ist."
„Und man kann im Hotel wohnen?"
„Das würde der Alte wohl übelnehmen."
„Vielleicht braucht man gar nicht zu übernachten."
„Das wird man herausfühlen, wenn man drüben ist."
„Also gut, wir kommen. — Aber was zieht man bei solcher Gelegenheit an?"
„Ruf bei Resi an, die wird es dir sagen."
„Und sonstige Vorbereitungen sind nicht nötig?"
„Das englische Adelsbuch brauchst du für den Besuch jedenfalls nicht auswendig zu lernen."
Elisabeth hing den Hörer an und schlug wütend Debrett’s Peerage zu. Zu ihrem Mann, der eben ins Zimmer trat, sagte sie:
„Ernst, ich möchte den Talmud lesen."
Ernst Baron v. Rosen-Geldberg glaubte, ihn treffe der Schlag. Er trat an seine Frau, der man auf den ersten Blick die Aristokratin ansah, heran und fragte ängstlich:
„Was fehlt dir, Elisabeth?"
„Ich will mich vorbereiten."
„Worauf?"
„Auf Frankfurt. — Dein Vater hat Geburtstag."
„Den hat er jedes Jahr — und es ist dir bisher noch niemals eingefallen ..."
„Er wird fünfundsiebzig."
„Ach herrje!"
„Da gehört es sich, daß seine drei Söhne mit ihren Frauen zu ihm fahren."
Ernst, groß und schlank wie seine Frau und ohne den leisen orientalischen Einschlag seiner Brüder — doch wie diese die gute Herkunft verratend — Ernst Baron v. Rosen-Geldberg wußte noch immer nicht, ob es seiner Frau Ernst war mit dem, was sie sagte.
„Ich habe schon mit Adele telephoniert, fuhr Elisabeth fort — „und werde mich jetzt mit Resi in Verbindung setzen.
„Du willst wirklich ...?"
Die Verbindung war schon hergestellt. Als Resi v. Rosen-Geldberg sich meldete, sagte Elisabeth:
„Tag, Resi! Ich staune. Mal nicht in Paris?"
„Leider. Aber ich fahre morgen."
„Über Frankfurt — wenn ich bitten darf."
„Wieso?"
„Weil dein und mein Schwiegervater fünfundsiebzigsten Geburtstag hat."
„Und da soll ich dich vertreten? — Ich denke nicht dran. Ich hasse Frankfurt."
„Es handelt sich nicht um eine Vergnügungsreise. Es ist unsere Pflicht unseren Männern gegenüber ..."
„Ich entbinde meinen Mann von jeder Art Verpflichtung gegenüber meiner Mutter zu deren fünfundsiebzigstem Geburtstag."
„Deine Mutter ist eben fünfzig und leberleidend."
„Ihre Ärzte erhalten sie sich bis fünfundachtzig — verlaß dich drauf."
„Ich wünsche es dir."
„Das kann ich mir denken. — Aber du irrst! Ich liebe meine Mutter."
„Ich habe es nicht bezweifelt."
„Da fällt mir ein — das einzige, was ich von dem Alten in Frankfurt weiß, ist, daß er seit über fünfzig Jahren kostbare Gläser sammelt. Ich habe im Frühjahr in Venedig auf dem Biennale ein altes venezianisches Glas gekauft — ich sage dir — das wird dem Alten mehr Freude machen als meine Gegenwart."
„Ich will dich nicht kränken, Resi, aber soviel ich weiß, sind deine Eltern doch früher einmal Israeliten gewesen."
„Juden waren sie — das sieht man mir doch an — bis sie eines Tages katholisch wurden — das galt damals für schick — und der päpstliche Adel war leichter zu erreichen als der preußische."
„Du solltest den Talmud lesen — besonders, was darin über das jüdische Familienleben steht."
„Elisabeth! Bist du das wirklich?"
„Ich für meine Person nehme jedenfalls Rücksicht auf die Gefühle Andersgläubiger und fahre nach Frankfurt — Adele übrigens auch."
„Dann schließe ich mich natürlich nicht aus."
„Ich werde die Schlafwagen für morgen abend bestellen."
„Wollen wir denn nicht in unseren Autos reisen?"
„Wie ich unseren Schwiegervater nach den Erzählungen meines Mannes einschätze, ist’s ihm lieber, wenn wir mit der Bahn fahren."
„Du bist ja plötzlich von einer Liebe und Rücksichtnahme, die ich gar nicht an dir kenne."
„Einmal in fünfundsiebzig Jahren kann man das ja wohl sein."
„Gewiß! Aber bedenke, daß wir das dann in jedem Jahre wiederholen müssen."
„Davon ist keine Rede. Sollte er aber achtzig werden, so rufe ich wieder bei dir an. Bis dahin auf Wiedersehen!"
Resi v. Rosen-Geldberg, eine kleine, nicht hübsche, aber pikante Frau mit intelligentem Gesicht, saß nach diesem Gespräch etwas ratlos vor dem Apparat. Von dieser Seite kannte sie ihre sonst so stolze Schwägerin nicht — kannte sie sie überhaupt? — Kannte sie ihre Schwägerin Adele, ihre Schwäger — ja, kannte sie ihren eigenen Mann?
„Lächerlich!" sagte sie laut und machte mit der Hand eine Bewegung, als wenn sie unangenehme Gedanken verdrängen wollte. Weil der Herr Papa dieser drei Söhne, an denen wahrhaftig nichts zu kennen war, fünfundsiebzig wurde, lief sie Gefahr, sentimental zu werden.
Vom Talmud, vom jüdischen Familiensinn hatte die gräßliche Schwägerin gesprochen. Wo hatte sie das her? — Was bezweckte sie damit? War es Hohn oder flößte auch ihr der Fünfundsiebzigjährige plötzlich Gefühl und Achtung ein?
So nahe dem Tode! — Der Gedanke kam ihr, und der mochte es auch sein, der auf Elisabeth und auf Adele wirkte. Jedenfalls waren die Empfindungen, mit denen sie die Reise nach Frankfurt vorbereiteten, andere, als wenn sie zum Zeitvertreib — und welchen anderen Sinn hatte ihr Leben bisher, als sich möglichst angenehm die Zeit zu vertreiben? — nach Paris, London, Brioni, Cannes oder San Sebastian fuhren.
Ein neues Gefühl schwang mit, teils Scheu vor dem Unbekannten, teils die Folge einer Leere, die — so grotesk es klingt — ihr Leben bisher ausgefüllt hatte, sie nun aber für eine Zeit fürchten ließ, in der sie nach einem Inhalt suchen würden. So regte der Greis in Frankfurt Gedanken an und rief Gefühle wach, die ihnen, wäre er gestorben, und hätte ihre Reise seiner Beisetzung gegolten, nie gekommen wären.
Um so gleichgültiger und unbeschwerter traten die drei Brüder die Reise zu ihrem Vater an.
II.
Am Vorabend seines fünfundsiebzigsten Geburtstages saß Freiherr Leo Max v. Rosen-Geldberg im Herrenzimmer seiner Frankfurter Villa. Er hatte einen schweren Tag hinter sich. Vom frühen Morgen an waren alle möglichen Deputationen bei ihm erschienen, um — wie es immer wieder hieß — „dem großen Wohltäter, dessen Herz den Armen gehörte", zu danken.
Tausende waren es, die die Güte dieses Mannes zu spüren bekamen. Außer den Armen der Stadt, in Verbänden und Vereinen zusammengeschlossen, unzählige Familien, für die er sorgte, ohne daß es nach außen in die Erscheinung trat. Die Villa glich einem Blumenhain. Riesenkörbe mit kostbaren Blumen standen neben armseligen Töpfen und bescheidenen Sträußen.
Der Alte hatte die Reden der Deputierten über sich ergehen lassen wie etwas, was nicht abzuwenden war. Er antwortete meist nur mit einem Händedruck. Ein einziges Mal, als ein armes Kind aus der Menge der Gratulanten ohne jede Scheu heraustrat, einen armseligen Tulpentopf überreichte und sagte:
„Mutti liegt zu Bett und läßt grüßen — der Topf braucht viel Wasser — er blüht schon das dritte Jahr bei uns", traten dem Alten Tränen in die Augen. Er beugte sich zu dem Kinde herab, küßte es und sagte:
„Wenn mein Leben reich und gesegnet war, dann danke ich es dir und deiner Mutter und allen, denen ich helfen durfte."
Als er dann am Abend an seinem Schreibtisch saß, sagte er zu Jacob, seinem Diener, der ihn weit über ein Menschenalter betreute:
„Das war ein schöner Tag."
„Gewiß, Herr Baron, erwiderte der und legte dem Alten einen Plaid über die Beine. „Aber wieso haben die alle heute schon gratuliert? Der Herr Baron haben doch erst morgen Geburtstag.
„Der Tag morgen gehört meiner Familie."
Der Diener, der noch auf der Erde kniete und eben die Füße des alten Herrn in die Decke wickelte, sah verdutzt auf und fragte:
„Die Herren Söhne — kommen aus Berlin?"
„Aber nein! Die Jungens haben zu tun. Und ich will auch nicht, daß sie meinetwegen eine so weite Reise machen. — Aber — und er wies auf eine schwere, alte Schatulle, die er nicht ohne Mühe aus dem Schreibtischfach genommen hatte — „hier bewahre ich mein Leben auf! — Und nun räumen Sie mal den Tisch ab — und dann wollen wir alles vorbereiten.
„Wie im vorigen Jahr", sagte der Diener.
„Sehen Sie, Jacob, Sie haben ein gutes Gedächtnis — genau wie im vorigen Jahr. Dieselben alten silbernen Leuchter — die schon die Großeltern gebrannt haben — und dann die Photographien."
„Die der seligen Frau Baronin steht schon da."
„Das genügt nicht! Da war sie eine alte Frau. Ein Jahr, bevor sie Gott zu sich nahm. — Nein, Jacob, da drüben die Bilder — als Braut — und als junge Mutter — und dann der strenge Herr Papa, der Hofbankier — und die gute, alte Mutter vor allem — alle müssen sie um mich sein, wenn ich die Jugend noch einmal durchlebe."
Er öffnete, während Jacob die Bilder holte, die Schatulle und entnahm ihr ein Dutzend Päckchen mit Briefen, die mit seidenen Bändern zusammengehalten waren. Zärtlich fuhr er über jedes Päckchen mit der Hand und legte es dann vor sich auf den Tisch.
Jacob brachte die schweren alten Leuchter und sammelte die Bilder, die in verschiedenen Zimmern standen. Als er die Kerzen an den Leuchtern anzünden wollte, wehrte der Alte ab und sagte:
„Nein, das mache ich. — Die müssen die ganze Nacht brennen — bis morgen abend. — So, und nun, Jacob, gehen Sie — oder nein, den Topf mit den Tulpen, den das kleine Mädchen brachte, den stellen Sie mir noch auf den Tisch."
Er ordnete die Bilder seiner Frau dem Alter nach — und vor jedes legte er ein Päckchen Briefe — rechts davon stellte er die Bilder der Eltern — das der Mutter nahm er immer wieder auf, führte es dicht an das Gesicht, schloß die Augen, lächelte und stellte es dann — nachdem er zögernd das Bild seiner Frau ein wenig zur Seite gerückt hatte — in die Mitte.
Als Jacob den Topf mit den Tulpen brachte, brannten die Kerzen — und der Alte saß an dem Tisch — über einen Brief gebeugt — sah und hörte ihn nicht.
Auf den Zehen ging Jacob hinaus — schloß die Tür nicht, sondern ließ sie angelehnt — setzte sich auf den Flur — mit dem Rücken zur Tür — verfolgte jedes Geräusch im Zimmer und hielt sich wach — ohne daß der Alte es wußte — um da zu sein, wenn man ihn brauchte. — —
III.
Es mochte Mitternacht sein, als in der Villa die Türglocke ging und ein Depeschenbote dem Hauswart ein dringendes Telegramm durch das Fenster reichte.
Der Hauswart, der nicht viel jünger war als der alte Herr und wie Jacob schon seit einem Menschenalter im Dienste des Barons stand, vermutete als Absender einen Gratulanten und wußte daher nicht recht, ob er das Telegramm nach oben bringen sollte. Aber der rote Streifen ließ es ihm so dringend erscheinen, daß er zur ersten Etage hinaufstieg, um es Jacob zu geben. Mochte der entscheiden.
Jacob, der noch immer vor der Tür des Herrenzimmers saß, sah den Hauswart schon kommen, als er noch auf der Treppe war. Er erhob sich behutsam, führte den Finger an den Mund und wies auf die handbreit offenstehende Tür. In gemeinsamem Dienst aufeinander eingestellt, waren sie daran gewöhnt, sich zu verständigen, ohne viel zu reden. — Jacob sagte sich: den Alten aus dem Schlaf zu wecken wäre unbedenklicher als ihn aus seiner andächtigen Stimmung zu reißen. Er hielt sich daher, trotz der Bedenken, die der Hauswart äußerte, für berechtigt, das Telegramm zu öffnen, um es auf seine Wichtigkeit hin zu prüfen. Sein Erstaunen war so groß, daß er, zitternd an Händen und Beinen, nach der Lehne eines Stuhles griff. Auch der Hauswart, der ihm das Telegramm aus der Hand nahm und es las, entfärbte sich. — Sie waren sich einig, daß der Alte es sofort lesen mußte. — Also schob jetzt Jacob behutsam die Tür ins Zimmer, ging auf den Zehen an den Tisch heran, legte das Telegramm vor den Alten hin und entfernte sich wieder, ohne ein Wort zu sprechen.
Der Alte nahm die Depesche auf und las:
„Eintreffen alle sechs morgen früh sechs Uhr dreißig Frankfurt. Stop. Beordere Autos an Bahn und richte es bitte ein, daß bei dir wohnen können. Stop. Adolf, Adele, Ernst, Elisabeth, Richard, Resi."
Der