Wirbel im Internat
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Buchvorschau
Wirbel im Internat - Marie Louise Fischer
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Tweedy
Es war der letzte Tag der großen Ferien.
Auf dem Schloßinternat Hohenwartau, sehr malerisch in den oberbayerischen Voralpen gelegen, herrschte lebhafter Betrieb. Ein Auto nach dem anderen rollte über das bucklige Kopfsteinpflaster in den Schloßhof und spuckte Internatsschülerinnen zwischen zehn und zwanzig Jahren aus.
Die meisten Mädchen wurden von ihren Eltern gebracht. Je nach ihrem Naturell nahmen sie gefaßt, erleichtert oder tränenreich Abschied von ihren Lieben. Ungeduldig ließen sie die allerletzten Ermahnungen über sich ergehen – „Schreib von nun an regelmäßig und, bitte, nicht immer nur dann, wenn du was brauchst! – „Zieh dich warm an, du weißt, wie leicht du dich erkältest!
– „Gib dir ein bißchen Mühe, damit du deine Mathematiknote verbesserst!" – Dann erstürmten sie, kaum aus der Sicht der Eltern, lachend und lärmend, die schweren Koffer von Stufe zu Stufe donnernd, die uralte, aber mit jedem Komfort der Neuzeit ausgestattete Burg.
Jetzt gesellten sich auch die anderen Mädchen dazu, die zu dreien, vieren oder fünfen in je einem Taxi von dem einige Kilometer weit entfernten Bahnhof Niederwartau eingetrudelt waren. Es gab ein großes Begrüßungshallo, aber das Wichtigste war nicht das Wiedersehen, sondern der Wettlauf um die besten Räume. Jede Klasse kam zu Beginn eines neuen Schuljahres in einen anderen Schultrakt, in dem die Zimmer und Betten nach der Devise verteilt wurden: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst."
Helga und Yvonne, die beiden durch und durch verschiedenen Freundinnen aus der zwölften Klasse, hatten Glück. Es gelang ihnen, ein großes Eckzimmer zu erobern, von dessen Fenstern man einen herrlichen freien Blick über den Schloßpark, die Tennisplätze und das Schwimmbad auf die nahen Alpengipfel hatte.
„Hurra, das wäre geschafft!" rief Yvonne und warf ihren Koffer mit viel Schwung aufs Bett.
„Ja, da haben wir wirklich Glück gehabt, bestätigte Helga und riß ein Fenster auf, „die Aussicht ist bombig.
Yvonne betrachtete ihr hübsches, ebenmäßig braungebranntes Gesicht mit den hellblauen Augen und dem weichfallenden blonden Haar wohlgefällig in dem kleinen Taschenspiegel. „Nur werden wir wohl wegen der furchtbaren Lernerei nicht allzuviel davon haben!" gab sie zu bedenken.
„Ach, mach dir nur deshalb keine Sorgen! Helga ließ das Fenster offen und machte sich daran, ihren Koffer auszupacken. „Ich werde dir schon helfen!
„Wollen wir’s hoffen. Yvonne seufzte abgrundtief. „Möchte bloß wissen, wozu das alles gut sein soll.
„Damit wir das Abitur machen. Helga gab ihr einen freundschaftlichen Puff. „Nun hab’ dich bloß nicht so. In zwei Jahren haben wir’s geschafft!
„Ja, aber dann sind wir neunzehn und könnten schon längst verheiratet sein."
Helga stapelte Unterwäsche in die Fächer ihres Schrankes. „Hältst du das denn für so erstrebenswert?"
„Kommt drauf an, wen man sich angelt. Wenn es einem gelingt, sich einen reichen und schicken Knaben an Land zu ziehen, dann hat man das große Los gezogen. Nur darf man natürlich nicht so blöd sein wie meine Frau Mama und unentwegt im Geschäft mitarbeiten, anstatt die Wohltaten des Reichtums zu genießen."
„Wahrscheinlich tut sie’s gerne", erklärte Helga.
„Das ist ja eben das Blöde! Yvonne zog einen knallgelben Pulli und eine ebenfalls knallgelbe Baskenmütze aus dem Koffer. „Du, hier hab ich übrigens was für dich! Als ich die Sachen im Schaufenster sah, bin ich drauf geflogen. Ich wäre gestorben, wenn ich sie mir nicht hätte leisten können. Nachträglich mußte ich aber leider feststellen, daß sie mir zu meinem blonden Haar überhaupt nicht stehen.
Sie warf der Freundin Pulli und Mütze zu.
Helga fing beides geschickt auf, und ihre großen braunen Augen strahlten vor Freude. „Du, die sind aber wirklich schnafte! rief sie begeistert. „Schmatz, schmatz! Fühl dich moralisch geküßt!
Sie stülpte die Mütze auf ihr braunes Haar, hielt sich den Pullover vor und rannte in den Waschraum, um sich im Spiegel zu betrachten. Sie stellte fest, daß ihr das knallige Gelb tatsächlich wunderbar stand.
„Wenn ich dich nicht hätte, Yvonne! erklärte sie, als sie in das Eckzimmer zurückkehrte, „ich wüßte nicht, womit ich meine spießige Garderobe auf möbeln könnte.
„Warum läßt du dir nicht mal zur Abwechslung von deinen Eltern ein Superding schenken?" schlug Yvonne vor.
„Ach, denen …, sagte Helga und verstaute Pulli und Mütze sehr sorgfältig, „mag ich mit so etwas gar nicht kommen. Du weißt, außer mir sind noch fünf Geschwister zu Hause. Da muß meine Regierung froh sein, wenn sie uns mit dem Notwendigsten versorgen kann. Ich habe es ja schon gut getroffen, weil ich die Älteste bin und von den anderen wenigstens keine abgetragenen Klamotten zu erben brauche.
„Sechs Kinder! Yvonne rümpfte mißbilligend das Näschen. „Das ist aber auch reichlich ausschweifend. Von einer Empfängnisverhütung haben deine Leute wohl nie etwas gehört?
Helga lachte, ohne eine Spur gekränkt zu sein. „So altmodisch sind sie nun doch nicht! Bloß … sie wollen gerne viele Kinder haben, und ich würde mich nicht wundern, wenn noch ein siebtes käme."
„Ach du heiliger Bimbam! rief Yvonne in komisch übertriebenem Entsetzen. „Und da läßt sich gar nichts gegen tun?
„Wie denn? gab Helga gelassen zurück. „Und außerdem: Ich finde es ja selber nett, einen ganzen Stall voll Geschwister zu haben.
„Dann ist dir nicht zu helfen!" erklärte Yvonne im Brustton der Überzeugung.
„Stimmt", bestätigte Helga lächelnd.
Zehn Minuten später – Helga und Yvonne waren gerade beim Überziehen der Betten angelangt – stürmte Barbara Miller zu ihnen herein. Sie wurde Babsy genannt und war ein langbeiniges, ebenholzschwarzes Negermädchen.
Babsy nahm sich nicht die Zeit, die beiden zu begrüßen. Sie rief aufgeregt mit ihrer warmen, musikalischen Stimme: „Kinder, eine Sensation! Kommt rasch! Ein neuer Lehrer!" Und schon war sie wieder draußen.
Helga und Yvonne stürzten ihr nach in das große gemeinsame Wohnzimmer, dessen Fenster zum Hof hinausführten. Ellen, ein muskulöses Mädchen mit honigblondem Haar und braunen Augen – ihr Vater lebte als Botschafter in Afrika – lehnte weit über die Brüstung und starrte hinunter. Babsy hatte sich neben sie gequetscht, und die rothaarige Uschi öffnete gerade das zweite Fenster und spähte hinab. „Wo? Wo? Wo?" rief sie aufgeregt.
Yvonne drängte sie unbekümmert zur Seite. „Nimm dir ein Vergrößerungsglas, dann wirst du ihn schon entdecken!"
Die kurzsichtige Uschi, die aus Eitelkeit wieder mal keine Brille trug, reagierte empfindlich: „Ich kann sehr gut sehen! Wenn ihr bloß nicht so gemein sein und mir sagen würdet …"
Ellen fiel ihr ins Wort: „Peil das knallrote kleine Auto genau gegenüber an! Der junge Mann mit der Tweedjacke, der ist es!"
Uschi konnte nichts als einen verschwommenen roten Fleck erkennen. Sie raffte sich nun doch dazu auf, in ihr Zimmer zu laufen und sich ihre