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Eine Frau allein
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eBook258 Seiten4 Stunden

Eine Frau allein

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Über dieses E-Book

Deutschland zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Elma, eine junge Mutter, flüchtet mit ihren fünf Kindern von Schlesien nach Westdeutschland. Sie ist völlig auf sich alleine gestellt und muss täglich um das Überleben ihrer Familie kämpfen. Hunger, Armut und Krankheit bestimmen die Sorgen der jungen Mutter. Ihre letzte Hoffnung erlischt, als sie vom Tod ihres Mannes erfährt. Inmitten der Trauer bemerkt sie, dass sie ein weiteres Kind in sich trägt... Elma muss einen Neuanfang wagen und vor allem ein Zuhause für ihre Kinder finden. Unterstützung bekommt sie dabei von neuen und altbekannten Freunden. Lise Gast beschreibt in EINE FRAU ALLEIN das bewegende Schicksal einer alleinerziehenden Mutter, die während des Zweiten Weltkrieges ihre Heimat verlässt, um sich und ihre Familie vor den Wirren des Krieges zu schützen. Der Roman ist ein literarisches Zeugnis einer Zeit, wo Flucht, Essensknappheit und Zerstörung den Alltag bestimmten. -
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2017
ISBN9788711509272
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    Buchvorschau

    Eine Frau allein - Lise Gast

    Mann

    Ich muß doch eingeschlafen sein, trotz der Engigkeit, trotz Uwes Absätzen, die in regelmäßigen Abständen an meine Schienbeine hämmern, trotz der Spannung und der Angst vor Beschuß. Denn ich bin auf einmal zu Hause und fahre in Großvaters Wagen, also bin ich wohl noch klein, ein Kind. Und es ist Herbst. Wunderbar klar steht das Gebirge am Horizont, duftig blau, und das Land davor ruht in einer Schale von warmem Gold. Ach, Heimat, Kindheit — aber, wie das manchmal in Träumen ist — ich bin gleichzeitig groß, Leonhard ist bei mir, ich fühle seine warme Hand auf meinem Knie, und die Kinder sind um mich, fragend, drängend, lachend. Alles ist um mich, was ich liebe: es ist Frieden.

    „Gehst du nun nicht mehr fort?" frage ich Leonhard aus dem Gefühl heraus, als könne das ja gar nicht wirklich sein. Er lächelt.

    „Ich gehe nie wieder von dir, sagt er, „weißt du das nicht?

    In diesem Augenblick rüttelt mich jemand an der Schulter. Leo wird das sein, der Bandit, der auf dem Schnatterbänkchen sitzt.

    „Laß doch", will ich sagen, aber da schreit er mir schon in die Ohren, und ich wache davon auf:

    „Du mußt aufwachen! Los, wach auf! Wir sind angekommen!"

    Wir sind angekommen. Sogar mit der Bahn, obwohl das ganz unmodern ist. Eigentlich fährt man jetzt nicht mit der Bahn, man treckt oder läßt sich von Lastkraftwagen, LKWs, mitnehmen. Früher dachte ich immer, LKW wäre eine Firma, so wie DKW. Leo belehrte mich mit der Überlegenheit des Zwölfjährigen eines besseren.

    Sogar Fahrkarten gab es zu kaufen, und sie wurden unterwegs kontrolliert. Auf der ersten Hälfte der Fahrt dachte niemand daran. Wer im Zug war, war drin. Kein noch so robuster Schaffner wäre durchgedrungen, um die „Fahrkarten bittäh!" nachzusehen. Nein, wir fuhren mit Fahrkarten — sogar zweiter hatte ich gelöst — und stiegen ordnungsgemäß um. In Mitteldeutschland ist alles noch wie früher.

    Dreimal hat Irmeli gefragt, ob dies das richtige Randersleben wäre. Es gibt hier unzählige Dörfer, die mit „... leben" aufhören. Ich nehme das als gutes Vorzeichen. Wir wollen ja leben — —

    Unser Gepäck ist lange nicht so umfangreich, wie man annehmen sollte, jedenfalls, wenn man es mit dem der Alleinreisenden vergleicht. Eine Dame fuhr mit uns, die vierzehn Koffer hatte. Wir haben einen, sonst nur Rucksäcke. Und die Schulranzen der Größeren und ein paar gerollte Decken. Das Rollen kann Leo wunderbar, er überläßt es keinem anderen. Er hat die geschickten Hände von Leonhard, auch seinen praktischen Blick. Irmeli hat tüchtig mit geschleppt, sie ist ja fast so groß wie ich. Die Kleinen sind selbst noch Gepäckstücke. Ich bin glücklich, daß ich sie alle beisammenhabe; monatelang träumte ich von dieser Flucht und daß ich eins oder das andere dabei verlor. Dann wachte ich keuchend und schweißgebadet wieder auf und konnte nicht wieder einschlafen. Manches ist wirklich leichter zu erleben als sich vorzustellen. Das muß man sich merken für später.

    Am meisten Angst hatte ich um Holder. Er ist mit seinen sieben Jahren gar zu unternehmend, und wenn die andern Kinder auch nicht wie solche, die von „richtigen", d. h. von ernst zu nehmenden Müttern erzogen sind, aufs Wort gehorchen, so tun sie doch im großen und ganzen das, was ich ihnen sage. Ich selbst habe mich eigentlich nie ganz ernst genommen als Erzieherin, vielleicht, weil ich so jung geheiratet habe und so gern lache. Sicher ist das falsch, und Holder ist das mißratene Produkt. Er tut nie, was man ihm sagt. Es ist schrecklich, bestimmt bin ich schuld; oder gibt es Kinder, die wie Dackel sind, denen Gehorchen einfach gegen die Natur ist?

    Rose machte gar keine Schwierigkeiten. Und Uwe war so vergnügt unterwegs, als wären wir auf einer Ferienreise. Freilich, der kleine Kerl kennt Eisenbahnfahrten nur in Verbindung mit Kamenz und der Großmutter, die man besucht und bei der er trotz allem immer etwas Süßes und Gutes zu essen bekommt. Wo sie sein mag? Wo Marie Agnes steckt? Wann wird man etwas voneinander erfahren?

    Man versicherte uns, daß wir im richtigen Randersleben wären. Und als ich den Bahnhofsvorstand mit der roten Mütze und dem wunderschönen Gebiß — es muß einen guten Zahnarzt hier geben, gottlob! — nach Frau von Mirtzlaff fragte, nickte er gleich und wies über die Felder. Ob ich anrufen könnte? Ja, auch das. Ich ging also in das kleine Bahnhofsgebäude hinein und rief an.

    Sie war da. Und unsere vorangeschickten Sachen sind auch da, ich atmete auf. Wo man ein paar Betten, Bezüge und Decken hat, fühlt man sich gleich ein bißchen zu Hause. Obwohl meine Zuversicht sofort einen Dämpfer bekam.

    „Zu der wollen Sie? Mit det Kroppzeug?" fragte der Rotbemützte und wies mit dem Daumen nach draußen, wo meine kleine Kolonne wartete.

    „Ja. Ich komme vom Osten ..."

    Er sagte nichts mehr. Mir wurde etwas schwach. Durch den jahrelangen Umgang mit Patienten hab ich gelernt, in den Gesichtern der Menschen zu lesen. Leonhard konnte es viel besser, aber ein bißchen bekommt man es auch weg Dieses Gesicht war nicht mißzuverstehen. Ich hatte eigentlich um einen Handwagen bitten wollen — und gehofft, es würde dann ein Pferdewagen sein. Aber nun fehlte mir der Mut. Ich sagte also nur, als Frau von Mirtzlaff selbst am Apparat erschien — ich hatte erst mit irgendeinem dienstbaren Geist verhandelt —, wir kämen also nun. Sie bejahte. Die Kinder waren enttäuscht, als ich wieder herauskam und „Gepäck aufnehmen!" befahl. Kinder sind oft enttäuscht, sie haben noch das Recht darauf. Erwachsene nicht mehr — —

    Wir nahmen nach einigem Überlegen auch den großen Koffer gleich mit. Es sei nicht weit, hatte der Mann mit dem gutsitzenden Gebiß versichert, mit einem gewissen Mitleid in der Stimme, das mir gleichzeitig rührend und unangenehm war. Ich lasse mich ungern bemitleiden. Höchstens Leonhard durfte mich trösten, nicht einmal von meiner Mutter hatte ich es gern. Sie war oft traurig darüber, fand es „gewollt männlich". Als ob man als Frau nicht das Recht hätte, tapfer zu sein. Leonhard verstand das gut. Aber die Mutter meinte, es hinge damit zusammen, daß ich als Kind immer ein Junge hatte sein wollen und so gern in Hosen lief. Das konnte sie gar nicht leiden. Irmeli wäre die richtige Tochter für sie. Irmeli würde nie ein Junge sein wollen. Dafür weint sie aber auch bei jedem Dreck. Das kann ich nun wieder nicht leiden und schelte darüber. Immer sind die Töchter anders, als die Mütter es wünschen.

    Irmeli schleppte den Koffer und Leo den größten Rucksack. Holder und Rose mußten jeder eine Decke tragen, worüber sie erst begeistert und nach zehn Schritten beleidigt waren. Den Kleinen trug ich. Er ist drei Jahre und könnte ruhig laufen, meint Irmeli; vielleicht hat sie recht, und ich bin ihm gegenüber zu nachgiebig. Aber er ist nun mal mein Jüngster, und wenn er die Arme ausstreckt und „Zu dir!" verlangt, dann muß ich immer denken, daß er das nicht mehr lange tun wird. Jungen werden einem so schnell fremd, ich sehe das an Leo. Der geht nun schon am liebsten auf der andern Seite der Straße, wenn ich mit dem Kometenschweif losziehe, wie er sagt. Aber das ist kein Standpunkt, und Irmeli hat recht, wenn sie sich darüber ärgert. Ich ärgere mich wieder, daß sie es sagt, denn ich hätte meiner Mutter so etwas nie zu sagen gewagt. Aber die Kinder heutzutage sind wohl anders, als wir waren. — —

    Das Gut ist groß und ganz vorzüglich gehalten. Leo sah das sofort — er wird ja Bauer, wie er sagt — und erklärte mir, woran man das erkenne. Aber selbst ich fühlte es gleich. Alles piksauber und großartig in Schuß. Wir klingelten an der Tür. Ich hatte Herzklopfen.

    Gewiß, Leonhard ist hier aufgewachsen, und sein Vater hat Jahrzehnte hindurch den Mirtzlaffschen Wald gehegt. Aber das ist selbstverständlich kein Grund, daß seine Familie hier sechs Mann hoch einfällt. Selbst bei nahen Verwandten ist das peinlich.

    Daß es Tausenden ähnlich geht, erleichtert die Sache etwas, aber doch nur etwas. Denn man sagt sich immer wieder, daß diese Tausende eben doch nur zum ganz geringen Teil Mütter von so viel Kindern sind.

    Wir wurden in ein Empfangszimmer gebeten und standen dort eine Weile. Parkett, goldgerahmte Spiegel, glänzende Möbel. Uwe war längst von meinem Arm gerutscht und mußte alles genau ansehen. An „sehen" geschieht bei ihm mit Händen und Füßen. Irmeli fing ihn immer wieder ein und schalt auf mich ...

    Frau von Mirtzlaff kam und war sehr freundlich. Ich atmete ein bißchen auf. Ja, wir könnten das Giebelzimmer bekommen, natürlich nur, bis sich etwas Passendes gefunden hätte, wir sollten es uns nur inzwischen behaglich machen. Die Koffer wären schon oben. Am Abend wären wir selbstverständlich ihre Gäste, sie wollte es gleich in die Küche durchgeben. Ich kann gut „danke" sagen, wenn mir jemand freundlich etwas schenkt.

    Das Zimmer ist groß, für uns sechs natürlich nicht zu groß, im Gegenteil. Aber Betten stehen darin, und der Kreis der nun doch zahlreichen Koffer macht es zu einer kleinen Heimat.

    Wir packen aus, überziehen Betten, waschen uns. Wir sind fast fröhlich. Ich schreibe rasch noch eine Karte und schicke Leo damit an die Bahn. Leonhard soll so schnell als möglich wissen, daß wir gut angekommen sind.

    Das ist also seine Heimat, die Landschaft, in der er aufwuchs. Ich war noch nie hier. Seine Eltern sind lange tot. Ich will versuchen, dies Land liebzugewinnen; es ist so wichtig, ja ausschlaggebend, ob man zu der Landschaft, in der man lebt, Ja sagen kann. Etwas kann man natürlich mit gutem Willen nachhelfen, aber nur etwas. Mir fehlen unsere Berge sehr.

    Das Essen findet im Speisesaal statt. Nur Frau von Mirtzlaff und wir. Es gibt Bechamelkartoffeln und hinterher eine rote Grütze mit Milch. Die Kinder sind infam hungrig. Ich sehe nur die aufgetragenen kleinen Schüsseln und werde seekrank. Irmeli nimmt sich noch verhältnismäßig wenig, sie sieht meine Augen. Leo gebe ich lieber auf. Er hat den Teller leer, als ich Uwe als letztem seine Portion hinschiebe. Leo hat immer Hunger, aber nach so einer Reise — und nach den Tagen in der Stadt, wo wir nach der ersten Fluchtetappe verschnauften — —

    Leider bin ich selbst sehr ausgehungert und empfinde meinen halben Teller nur als Tropfen auf den heißen Stein. So kann ich Leo gut nachfühlen, was er jetzt denkt. Man sagt, der Satte versteht den Hungrigen nicht. Aber ich kann nachher eine Zigarette rauchen und den Magen damit beschwichtigen.

    „Mutter, ich hab noch solchen Hunger!" flüstert Holder vernehmlich, als die rote Grütze aufgeputzt ist. Sie schmeckte einfach phantastisch, kein Wunder, daß der kleine Kerl mehr möchte. Frau von Mirtzlaff lächelt und meint, die Kinder sähen ja auch sehr gesund aus. Ihre hätten immer so schlecht gegessen, aber das wären ja auch andere Zeiten gewesen.

    Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie selbst einmal Kinder gehabt hat. Dabei ist sie noch gar nicht so alt, aber so steif — und so korrekt — und so grau. —

    Als wir uns verabschiedet haben, ist mein erster Blick auf die Uhr: Bekommen wir noch was im Bäckerladen? Es ist noch nicht sieben, gottlob. Ich übergebe Irmeli den Kleinen und renne die Treppe hinunter. Mein ganzer Etat, der schon durch die Reise sehr ins Wackeln gekommen ist, wird umgeworfen; aber die Kinder müssen noch etwas bekommen. Gerade, weil wir so lange nichts Gutes gegessen haben, fühlt man bei solcher Kost den Hunger doppelt. An den Kartoffeln war Speck — und die Milch, die es zu der Grütze gab, war unverfälschte, richtige, hiergemolkene und durch keinerlei Verfahren veränderte Kuhmilch.

    Ich renne in langen Sprüngen durchs Dorf. Die Bäckersfrau lächelt, als ich atemlos hereinstürze. Sie habe noch länger auf. Ihr Gesicht ist rund und warm und freundlich. Sie schwatzt gleich ein bißchen mit mir und horcht mich versuchsweise aus. Als sie hört, daß ich aus dem Osten komme, schiebt sie mir gleich noch ein „verunglücktes", d. h. etwas zu dunkles Brot zu dem andern dazu. Ohne Marken. Ich lache sie glücklich und dankbar an. Sie erinnert mich plötzlich an meine Mutter.

    Strahlend komme ich heim. Die Kleinen hat Irmeli schon ins Bett gebracht, wo sie putzmunter sitzen. Immer zwei in einem, wir haben nur drei Betten. Mit dem Reisemesser schneide ich ab und teile aus. Leo sitzt auf dem Fensterbrett und guckt in den Hof hinunter, während er ißt. Wenn er nicht solchen Hunger hätte, wäre er längst unten. Ein richtiges Gut, ein richtiges Dorf — ich gönne es ihm, daß er sich freut. Freude ist jetzt so rar.

    Ich kann lange nicht einschlafen. Hier wollen wir nun warten, auf das Kriegsende und auf Leonhard. Meine Sehnsucht nach ihm droht mein Herz zu sprengen, ich kämpfe sie nieder. Ich habe kein Recht, zu weinen, solange er lebt und ich seine und meine Kinder lebendig um mich weiß. Ich drücke mein Gesicht in Uwes Haar, der neben mir im Bett liegt und mehr Platz braucht als ein Erwachsener; aber Irmeli weiß das nicht und fand es sehr nett und aufmerksam von sich, ihn mir zuzuteilen. Ich mochte sie nicht in ihrem Stolz kränken, sie war so nett, eifrig und „erwachsen". Sie ist ein lieber Kerl. Und Uwe ist auch ein Trost für mich. Ich muß schlafen, morgen gibt es tausenderlei zu tun.

    Mit dem Schlafen wurde es nicht viel. Leo puffte Holder, als ich gerade eingeduselt war, und Holder brüllte und kratzte. Später flog Rose aus dem Bett. Sie fiel zu Hause auch mit Vorliebe heraus, ist aber so geartet, daß sie auf dem Fußboden ruhig weiterschläft. Rose kann herrlich schlafen, daher ihre süße Rundlichkeit und die herrlichen Farben.

    Wir müssen mehr Betten beschaffen. Frau von Mirtzlaff versprach, einmal nachsehen zu lassen, ob noch welche frei seien. Leo erklärte, er würde künftig lieber auf der Diele liegen als noch einmal mit diesem kleinen Satan zusammen. Wir frühstückten mit Frau von Mirtzlaff, und es war wohl die letzte Mahlzeit an ihrem Tisch. Obwohl ich den Kindern vorher in unserem Zimmer je zwei Schnitten bewilligte. Sie hieben derart ein, daß ich mich schämte. Wir müssen einen Herd haben und selbst kochen. Ich ging in die Küche, um mir Rat zu holen.

    Mamselling lachte.

    „Da hat die Alte wohl Augen gemacht? Das glaub ich. Ich weiß einen Herd, er ist man klein, aber für den Anfang geht’s vielleicht. Da habt ihr zwei Töpfe, oder habt ihr welche mit?"

    „Einen, sage ich dankbar, „aber mit einem kommt man ja nicht weit.

    Die Mamsell ist ein Lichtblick — klein, vielleicht fünfzig, rund und lebhaft. Sehr geradezu. So geradezu, daß ich die Kinder lieber spielen schicke, wenn Mamselling so richtig in Fahrt kommt. Sie kann manches sagen, was in anderm Mund abscheulich klänge; aber das wissen die Kinder nicht. Ich muß oft über sie lachen. Frau von Mirtzlaff ist nur „die Alte für sie oder „Amalie. Das haben Leo und Holder schon aufgegriffen. Amalie mag noch gehn, wenn es niemand hört, aber „die Alte" dürfen sie keinesfalls sagen. Mamselling steckte mir ein Stück Speck zu und versprach Kartoffeln. Irmeli holt sie. Unsere erste Mahlzeit ist im Werden, vorläufig noch auf dem Herd der Gutsküche. Leo soll den Sack heranrollen, dazu müssen wir einen stabilen Handwagen beschaffen. Überall und immerfort muß man borgen, bitten, fragen. Das geht allen Flüchtlingen so, aber es verdrießt die Eingeborenen. Ich bitte sehr ungern, — aber wer täte es gern?

    Nein, was es für Zufälle gibt! Da treffe ich doch ausgerechnet hier in Randersleben auf der Dorfstraße Elisabeth, die göttliche Elisabeth, wie Leonhard immer sagte, das schwarze Schaf unseres Seminars. Sie war dann später in unserer Nachbarstadt als Kindergärtnerin tätig und machte dort so viel von sich reden, daß man kaum sagen durfte, man wäre mit ihr befreundet. Nun hat sie doch ihren Gotthard geheiratet, er ist an der Front, sie seit zwei Jahren hierher evakuiert. Unverändert mit ihren funkelnden schwarzen Augen und der etwas zu üppigen, aber unglaublich reizvollen Figur, die etwas Südliches an sich hat, so daß Männern „sofort heiß" wird, wie Leonhard einmal sehr treffend bemerkte. Und unverändert auch mit ihrem unwiderstehlichen Charme; trotz Schminke und Puder. Sie freute sich sehr, ich mußte sofort mitkommen und ihre Wohnung ansehen, Wohnung und Kinder. Vier entzückende, geradezu vorbildlich erzogene kleine Mädel — ich hab noch nie so reizend artige Kinder erlebt, von meinen nun schon ganz zu schweigen. Wie macht sie das nur? Vielleicht wären meine auch besser gelungen, wenn ich damals das Examen doch noch gemacht hätte!

    Elisabeth scheint die ungekrönte Königin des Dorfes zu sein, alles, soweit es männlichen Geschlechts ist, tanzt nach ihrer Pfeife. Ich bin das gewöhnt — ihr Verschleiß an Männern war immer immens, wie wir damals sagten, dabei hat sie die seltene Gabe, auch Frauen zu gefallen. Mir jedenfalls gefällt sie — trotz allem. Ich muß immer wieder über sie lachen. Sie vereinigt, was nur wenige können, einen — mild gesprochen — fahrlässigen Charakter mit einem goldguten und hilfsbereiten Herzen und ein leicht zerflossenes Äußere mit großem „Ankratz" bei der Männerwelt, wie der technische Ausdruck lautet.

    Sie freute sich schrecklich. Ich bekam zu essen, was ich gar nicht wollte, mußte einen Schnaps trinken, bekam Zigaretten — und dann schenkte sie mir zwei Blusen und ein Kleid, als sie hörte, wie wenig wir gerettet hatten. Auch sonst will sie mir helfen.

    „Du mußt heute abend mitkommen, der Lehrer hat Geburtstag, bestimmte sie. „Nein, nein, deine Kinder kannst du ruhig vorher ins Bett legen, vor zehn braucht man gar nicht zu erscheinen, das ist hier so. Er ist ein alter Zausel, aber er hat Humor — neulich spielte er auf der Orgel sehr gefühlvoll auf zwei Manualen ‚Hörst du mein heimliches Rufen?‘ Der Pastor hielt es für ein geistliches Lied, er ist stockunmusikalisch, sagte: ‚Heute haben Sie aber wiedermal schön gespielt!‘ Ich werde dann immer schamrot.

    „Ich kann doch da nicht einfach mit hinkommen", meinte ich bedenklich, aber sie ließ keinen Einwand gelten.

    „Natürlich, ich werde wohl meine Freundin mitbringen können. Bei wem wohnst du übrigens? Bei Amalien? Du lieber Gott! Na, wir finden schon etwas anderes! Übrigens — da, trink noch einen — und sie hielt mir erneut das Glas an die Lippen. Ich trinke — ich bin das nicht gewöhnt, weder den Schnaps noch Elisabeth — vor mir fängt alles schon verdächtig an zu kreiseln — — „Wir können gleich mal rübergehn zu Friedrichs. Da lernst du auch die Lilie kennen, seine Schwester Lili, so groß — sie steigt auf die Couchecke und reckt die Hand zu einer schier übermenschlichen Größe aus. „Stell dir vor, als ich hier meine ersten Antrittsvisiten machte und zum Lehrer komm, stehn wir im Hof, und sie kommt angesegelt. Ich dachte, es wäre ein dienstbarer Geist, und fragte: ‚Was haben Sie denn da für einen wandelnden Verkehrsturm?‘ Worauf er, wahrheitsgemäß, antwortete: ‚Das ist meine Schwester.‘ Ich dachte, ich sinke in den Boden. —"

    „Mein Gott, wie kannst du aber auch!"

    „Nicht wahr? Das fragte ich mich auch. Leider erst hinterher. Mir fällt immer erst hinterher ein, was man tun darf und was nicht."

    Wir gehen hinüber zum Lehrer. Ein hübsches, großes Haus, davor ein nußbaumumstandener Schulhof. Sehr, sehr nett — ich muß an den Nußbaum im Garten der Großeltern denken. Ich schmecke auf einmal frische Nüsse, nach vielen, vielen Jahren — ich fühle den feuchten Kern, den man von der Haut befreien muß. Hier werden Holder und Rose in die Schule gehen — wenn wir im Herbst noch da sind. Im Herbst — Gott weiß es. Leo muß in die Höhere Schule in der Stadt, darum muß ich mich auch baldigst kümmern. —

    Der Lehrer, Herr Friedrich, ist reizend, schon älter, gütig, braunäugig. Er sieht aus, als habe er schon vielen, vielen Jahrgängen in der Dorfschule mit einem freundlichen „Na? eingeholfen, wenn sie in der „Bürgschaft steckenblieben, oder das Einmaleins mit der Siebzehn noch einmal von vorn anfangen lassen, weil es mit Schwung besser geht. Ich möchte noch einmal bei ihm mit Fibel und Tafel anfangen dürfen. —

    Es plaudert sich so gut, wenn man auch in eine Dorfschule gegangen ist und alles wiederfindet; man vergißt die Zeit, wird wieder Kind. —

    Zu Hause ist das Essen längst kalt, zum Glück hat Irmeli die Kleinen abgefüttert. Leo ist gar nicht erschienen, er hat zu viel zu tun in Ställen und Scheunen. Irmeli ist erhitzt und vorwurfsvoll.

    „Ich kann nichts dafür, sage ich schuldbewußt, „ich helfe dir jetzt. — Es ist eine meiner unausrottbaren Eigenschaften, daß ich mich immer entschuldige, auch meinen Kindern gegenüber. Es bekommt ihnen nicht, aber ich kann’s nicht lassen. Früher verdarb ich mir damit Kindermädel und Sprechstundenhilfen.

    Elisabeth, die mich herbegleitet hat, sitzt auf meinem Bett und raucht, während ich aufwasche. Auf dem Eßtisch, in unserer einzigen Waschschüssel. Alles ist noch so unaussprechlich primitiv, und ich —

    „Ich kann unmöglich heute abend kommen, Elisabeth. Du siehst es ja selber — die Arbeit liegt da —"

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