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Aus der Hölle ans Licht: Zehn wilde Jahre mit dem BVB
Aus der Hölle ans Licht: Zehn wilde Jahre mit dem BVB
Aus der Hölle ans Licht: Zehn wilde Jahre mit dem BVB
eBook344 Seiten4 Stunden

Aus der Hölle ans Licht: Zehn wilde Jahre mit dem BVB

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Über dieses E-Book

Selten erleben Fans eine solch emotionale Achterbahn: Im Jahr 2005 stand Borussia Dortmund vor dem Bankrott. Kaum jemand glaubte, dass der Verein sich rasch erholen und an frühere Erfolge anknüpfen könnte. Doch genau das ist passiert: Nur sechs Spielzeiten später wurde Dortmund Deutscher Meister … Der glühende BVB-Anhänger Tim Gräsing schildert in seinem Buch, wie er die zehn Jahre der 'neuen' Borussia erlebt hat. Anfangs noch geplagt von Abstiegs-Albträumen, erlebt (und lebt) auch er den unglaublichen Rückhalt, den der Verein in der Region erfährt. Trotz sportlicher Krise werden 50.000 Dauerkarten verkauft, die Stimmung auf der riesigen Südtribüne, der 'Gelben Wand', bleibt fantastisch. Der Autor fiebert, leidet und jubelt mit seinem Verein, fährt wie 17.000 andere Dortmunder zum Auswärtsspiel bis nach Madrid, feiert große Titel und vergisst doch nicht, wie brüchig der Erfolg sein kann.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Apr. 2015
ISBN9783730701881
Aus der Hölle ans Licht: Zehn wilde Jahre mit dem BVB

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    Buchvorschau

    Aus der Hölle ans Licht - Tim Gräsing

    Fotos

    So eine Art Vorwort

    Schlägt man Bücher auf, stößt man in der Regel auf Vorworte. Ganz vorne, direkt hinter dem Inhaltsverzeichnis. In der Buchmitte hätte es auch irgendwie nichts verloren. Manchmal findet der eifrige Leser statt dieses ominösen Vorwortes auch einen Prolog zu Beginn der Buchstabensammlung. Und weil ich mich im vorliegenden Fall weder für das eine noch für das andere entscheiden konnte und/oder wollte, belaste ich den Leser einfach mit Vorwort und Prolog. Doppelt hält besser, und sowieso sollte ein Buch über Fußball seinen eigenen Regeln folgen. Mit „Entscheidend is auf’m Platz" bringt es Adi Preißler (für immer Deutscher Meister) treffend auf den Punkt – womit dann auch das gern genutzte Zitat gleich am Buchanfang aufgebraucht wäre.

    Adi Preißler. Fußball. Borussia Dortmund. Diese Dreifaltigkeit bringt uns zu des Pudels Kern und damit zum Inhalt dieses Buches.

    Ich bin Fan von Borussia Dortmund. Klar. Sonst würde ich dieses Buch wahrscheinlich nicht schreiben. In den mittlerweile fast zwei Jahrzehnten, in denen ich das rege Treiben des Ballspielvereins intensiv verfolge, wurde mir immer stärker und stärker bewusst, welchen enormen Stellenwert der BVB während dieser Zeit in meinem Leben eingenommen hat. Der Fixpunkt, die treibende Kraft. Der schwarzgelbe Fußball ist für mich schon längst so bedeutsam geworden, dass er enorme zeitliche und vor allem emotionale Ressourcen meines Daseins verzehrt. Er ist zu einem Sinnstifter geworden. Etwas, das andere Menschen zu ihren Lebzeiten suchen, aber unglücklicherweise nicht finden können. Eine Art Lebenstrieb, der sich in so etwas Banalem wie Fußball vielleicht erst richtig entfalten kann. Deshalb macht es mir auch so wahnsinnig viel Spaß, Schwarz-Gelb zu schreiben. Ich schreibe in diesem Buch runter, was ich in den letzten Jahren mit meiner Borussia so alles erleben durfte. Und wie diese Erlebnisse mein Leben beeinflusst und teilweise auch gelenkt haben. Dabei beanspruche ich zu keiner Zeit das Monopol des optimalen schwarz-gelben Fans. Ganz im Gegenteil: Es gibt Unzählige von euch, die zu viel mehr Spielen gefahren sind als ich, die viel größere Lasten auf sich genommen haben, um ihrer Liebe nahe sein zu können. Genau das inspiriert mich zu diesem Buch. Die große schwarz-gelbe Familie hat in diesen so unglaublichen zehn Jahren dermaßen viel gemeinsam erlebt, dass jedes wichtige Ereignis individuell einzigartige Erinnerungen wachrufen wird. Das Buch soll daher als Anreiz gesehen werden, die schönen und traurigen, die ärgerlichen und überraschenden Momente noch einmal zu durchschreiten.

    Vor Kurzem fand ich im Umzugsstress in einem fast schon vergessenen Karton in den Tiefen des Kellers ein Buch. So eine Art Notizbuch. Ich konnte mich nur sehr dunkel daran erinnern. Doch als ich es aufschlug und meine Handschrift aus längst vergessenen Zeiten erkannte, musste ich schmunzeln. Es handelte sich um den Ableger eines Tagebuches, in dem jedoch ausschließlich Eintragungen zum BVB zu finden waren. Einer der ersten Einträge war auf den 12. Juli 1998 datiert. Mit schlanken neun Jahren hatte ich das erste Mal über Borussia Dortmund geschrieben. Ein Satz hatte es mir besonders angetan. In kindlicher Handschrift stand dort geschrieben (Rechtschreibfehler werden ausgeblendet): „Bestimmt war Fußball so früh in meinem Leben noch nicht das Wichtigste. Noch nicht! Aber vielleicht wusste ich 1994 schon, wie wichtig der BVB bald für mich ist. Sehr, sehr wichtig nämlich."

    Das schrieb ich als Neunjähriger über mein fünfjähriges Ich und die Tendenz, den BVB als Fixpunkt meines Lebens zu betrachten. Der Weg, der dann folgte, ist dementsprechend also nur konsequent. Ende der Anekdote.

    Ich würde einfach mal frei von der (Spieltagsbier getränkten) Leber weg Folgendes behaupten: Jeder, der es mit dem Ballspielverein hält, kommt nicht umhin, in den unterschiedlichsten Situationen und zu den unterschiedlichsten Zeiten an dieses eine Datum zu denken. 14. März 2005. Und jeder erinnert sich an den traurig-freudigen Höhepunkt einer Dramaturgie, die uns über Stunden, Tage, Wochen und Jahre hinweg begleitet hat und wohl auch immer begleiten wird. Logisch, wir alle waren jünger – und einige Ältere unter uns auch damals schon alt –, aber wir alle mussten durch diese Talsohle schreiten.

    „Aus der Hölle ans Licht", dieser Titel meines Buches klingt im ersten Moment ziemlich episch und könnte sicherlich auch die Predigt einer sonntäglichen Messe einleiten. Wie kann er denn nur etwas so Essenzielles wie die Hölle in den Raum werfen, wo es doch nur um eine Banalität wie den Fußball geht? Mag sein, aber nochmals: Das hier ist ein Buch, dessen gesamter Inhalt sich aus den Variablen Fußball und Borussia Dortmund zusammensetzt. Ergo kann es hier nichts Wichtigeres geben als den BVB. Und wenn eben jenem, von so vielen Menschen geliebten Ballspielverein das Wasser bis über Mund und Nase steht und nur ein dünner, sehr kurzer Strohhalm das Atmen ermöglicht, dann ist das für uns Fans die Hölle auf Erden. Dieses Drama hat uns alle genauso geprägt wie die Sternstunden zuvor. Durch diese Erfahrungen noch enger an den Verein geschweißt, konnten wir alle die Jahre nach dieser schwersten aller bisherigen Krisen mit einer unglaublichen Intensität durchleben. Die folgenden Seiten gehen diesen steinig-kurvigen Weg der vergangenen zehn Jahre noch einmal. 2005 bis 2015. Die Entwicklung von der Untergangsstimmung hin ins Fußballparadies in fünf Akten, ohne dass der Vorhang auch nur einmal fällt. Und schon jetzt und mittendrin und am Ende sowieso die einzig wahre Erkenntnis, die ohnehin schon jeder kennt:

    „Aber eins, aber eins, das bleibt bestehen: Borussia Dortmund wird nie untergehen."

    So eine Art Vorwort nach dem Vorwort – oder: Der Prolog

    Es gibt so Tage, die vergisst man nicht. Wenn Menschen behaupten, sie würden derartige Tage niemals vergessen, klingt das oft abgedroschen. Aber im Endeffekt ist es dann meist tatsächlich so. Manches vergisst man wirklich nicht. Der erste Kuss, die ersten Fußballschuhe, die eigene Hochzeit, Derbysiege, die Geburt der eigenen Kinder, der erste Stadionbesuch, berufliche Beförderungen und so weiter und so fort. Und wenn der eigene Verein nur einen Wimpernschlag vom Abgrund entfernt ist und man sich selbst so hilflos fühlt wie Vogelkacke auf dem Autodach, dann wird einen diese Erinnerung bis weit über den eigenen Tod hinaus begleiten. Glaube ich jedenfalls.

    Diesen einen Tag, es war der 14. März 2005, habe ich noch so klar und deutlich vor Augen wie den Tag, an dem ich eine Schultüte nach Hause trug, die meine Körpergröße um das Eineinhalbfache überstieg – ach Quatsch, an den Tag mit der Schultüte kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern.

    Im Vorfeld war viel berichtet worden, in allen Zeitungen stand etwas über meinen geliebten Ballspielverein, TV-Sender strahlten Sondersendungen aus, und auch im Radio diskutierten sie rund um die Uhr über dieses eine Thema. Zu dieser Zeit war ich ein typischer Zehntklässler – eine merkwürdige Frisur, mehr als nur drei große Pickel an gut sichtbaren Stellen im Gesicht und nachpubertäre Stimmungsschwankungen wie einst Mario Basler auf Pressekonferenzen.

    Und das wirklich Schlimme an der ganzen Misere war, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, wo eigentlich der Grund für den drohenden Niedergang meines Vereins lag. Gläubiger, Aktionäre, Florian Homm, Wertpapiere, Molsiris, Dividende, Investoren, Ausgliederungen, Unterschlagungen. Vom schlüpfrigen Börsengewäsch hatte ich natürlich schon gehört, aber richtig einordnen konnte ich es nicht. Ich wusste schon, dass die Kacke nicht mehr nur dampfte, sondern loderte. Doch wie genau es über Jahre der Misswirtschaft hinweg so weit kommen konnte, das erschloss sich mir nicht. Schon im Kindergarten konnte ich meinen sehr kleinen Mitstreitern das ominöse „Abseits erklären und auch, was eine „Notbremse ist, aber dass plötzlich die Existenz eines Fußballvereins auf der Kippe stehen konnte, der genug Tore erzielte und etliche Punkte einfuhr, das war mir neu. Niebaum und Meier – ja, ja, die Pleitegeier – flimmerten zu dieser Zeit doch eigentlich immer recht sympathisch über die Mattscheibe. Das zumindest war meine Meinung – wie dumm man doch sein kann. Doch ich lernte meine Lektion. Rückblickend kann ich wohl sagen: In dieser dunklen Stunde des 14. März 2005 wurde mein mittlerweile großes Interesse an Fußballpolitik geboren, egal ob es um fanverträgliche Eintrittspreise oder das leidige Thema des DFLSicherheitspapiers geht. Solche Dinge kritisch zu hinterfragen, gehört für mich seither zum Fußball dazu.

    Der 14. März also. Alles war wie immer, nur fühlte es sich total anders an. Weckerklingeln um 6:30 Uhr. Ein flaues Gefühl in der Magengegend. Keine Leistungskontrolle, kein mündlicher Test. Aber auch kein wichtiges Spiel meiner Borussia am Abend. An diesem Tag spielte die Musik in Düsseldorf, in einer ehemaligen Abfertigungshalle des Flughafens. Gläubigerversammlung. Der kurz zuvor neu ins Amt berufene Präsident Reinhard Rauball mittendrin. Eine sechsstündige Versammlung. Und am Ende des Tages ein leichenblasser Rauball, der vor die Mikros trat und die vorläufige Rettung des Klubs verkündete.

    Ich habe Mathematik in der ersten Unterrichtsstunde an diesem Montag. Doch die Prozentrechnung im Unterricht interessiert mich in diesen 45 Minuten herzlich wenig, vielmehr geht es um Prozente in Düsseldorf. Der Tag driftet an mir vorbei und schreitet dabei nur so langsam voran wie eine Schildkröte auf Valium. Zweite Stunde Biologie. Stoffwechseltypen im evolutionären Zusammenhang. Ich sitze da und starre auf das leere Blatt Papier vor mir. Die Lehrerin wendet sich von der Tafel ab und richtet ihren Blick auf mich.

    „Tim, kannst du bitte kurz die ökonomische Komponente in der Evolutionstheorie skizzieren?"

    Keine Reaktion. (Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass die Inhalte der Unterrichtsstunden von mir frei konstruiert wurden, da ich mich tatsächlich nicht mehr daran erinnern kann.)

    „Tim, ausruhen kannst du dich zu Hause! Antwortest du bitte auf meine Frage."

    Ich starre weiterhin auf das Blatt Papier. Ein leichtes Seufzen.

    Dritte Stunde. Deutsch. Noch ist Pause. Ein kleines tragbares Radio an meinem Ohr. Dann das Klingeln zur Stunde. Radio ausschalten. Noch keine Neuigkeiten. Meine Fingernägel werden kürzer und kürzer. Die bittere Heimpleite gegen Stuttgart noch in den Beinen und die schwierige Auswärtspartie beim HSV schon im Kopf. Aber soll ich mich denn jetzt überhaupt schon auf das nächste Spiel freuen? Vielleicht endet die Geschichte des Vereins so, wie man ihn bisher kannte, ja noch an diesem düsteren Vormittag. Die Ungewissheit nistet sich in jede Faser meines Körpers. Am liebsten würde ich nach Hause fahren, mich ins Bett legen und erst morgen wieder aufwachen. Dann die Zeitung aufschlagen und lesen, dass alles glatt gegangen ist, es dem Ballspielverein wieder gut geht und in Zukunft nur noch das sportliche Geschehen auf dem Rasen eine Rolle spielt.

    Aber so einfach ist es nicht. Das Leben prüft seine Akteure gern, und ich habe das Gefühl, vor meiner ersten richtigen Bewährungsprobe zu stehen. „Ich will auch immer lieb sein und machen, was du sagst, Fußballgott – nur mach, dass es meinem Verein wieder besser geht!" Ich kritzele irgendwas in meinen Deutschhefter. Grammatik interessiert mich in diesen Stunden so viel wie die Stollenlänge von Klinsmanns Tretern im WM-Finale ‘90. Der Tag soll einfach nur vorbei sein. Ist er aber noch nicht. Also starre ich wieder gedankenverloren auf ein leeres Blatt Papier. Ich senke meinen Kopf und ...

    ***

    ... kann es nicht glauben. Wahrscheinlich bin ich in diesem Moment der einzige Mensch im Stadion, der so dasitzt. Den Kopf gesenkt, schaue ich auf den Betonboden von Sitzreihe 25 im Block 110 des Londoner Wembleystadions. Um mich herum Ekstase pur. Ilkay Gündogan hat soeben den Ausgleich erzielt. Und ich brauche einfach diesen einen Moment der Ruhe, bevor auch ich aufspringe und mit wild zappelnden Armen meinem Jubel freien Lauf lasse. In dieser einen Sekunde, in der ich meinen Blick demütig nach unten richte, bin ich ganz kurz wieder dieser 16-jährige Zehntklässler, der im Begriff ist, einen der größten Fixpunkte in seinem Leben zu verlieren.

    An jenem Abend des 14. März kam ich von der Schule nach Hause, und irgendwann, nach schier endlosen Stunden des Wartens, wurde das Ergebnis des Sitzungsmarathons verkündet. Borussia Dortmund lebt. Borussia Dortmund lebt weiter. Die Konsolidierung des Vereins wird auf den Weg gebracht, die Schulden werden abgebaut. Der Vorraum der Pathologie wird zur richtigen Seite wieder verlassen. Ich darf mich also doch auf das nächste Spiel in Hamburg freuen. Ich darf also weiterhin schüchtern von der Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb träumen. Aber eigentlich träume ich an diesem Abend, als ich dann irgendwann völlig ausgelaugt im Bett liege, von viel höheren Zielen – und bin zugleich froh, überhaupt nur die Chance zum Träumen zu erhalten.

    ***

    Bier schwappt mir ins Gesicht. Der Jubel über den Ausgleichstreffer kennt kein Ende. Acht Jahre sind lang und doch zu kurz, um zu begreifen, was in dieser Zeit alles passiert ist.

    Zurück in die Zukunft

    Am eigenen Leib zu erfahren, wie es früher war, und damals schon zu wissen, was morgen passiert, ist faszinierend und beängstigend zugleich. Ich muss gestehen, dass mich Zeitreisen schon länger interessieren. Nicht, dass ich mich tatsächlich schon einmal mit der Theorie auseinandergesetzt habe, aber in Filmen sind Zeitsprünge schließlich oft die Kirsche auf dem Dessert. In die (eigene) Vergangenheit zu reisen und bestimmte Begebenheiten ändern zu können, hätte durchaus seinen Reiz – und wäre zugleich gefährlich. Spätestens seit Marty McFlys kultigen „Zurück in die Zukunft-Reisen im DeLorean weiß man, was dabei alles schieflaufen kann. Und dennoch bestärkt mich die klassische „Ende gut, alles gut-Hollywood-Mentalität in meinem Vorhaben, für dieses Buch einen kleinen Zeitsprung zu wagen. Keine Angst, denn heute im Jahr 2015, weiß ich, dass ich nichts ändern muss. Dem BVB geht’s wieder gut, vielleicht sogar besser als je zuvor. Ich möchte lediglich herausfinden, ob diese Entwicklung in Ansätzen absehbar war oder ob sich damals der triste Glaube an eine dunkle Epoche fest in den Köpfen eingenistet hatte.

    Also reise ich mal eben mir nichts, dir nichts durch die Zeit und interviewe mein damaliges Ich. Gäbe es für diese Zeitreise ein Gerät – eine magische Uhr, einen schwarzen Sportwagen, eine HightechDuschkabine aus Alu oder was auch immer –, auf dem per Digitalanzeige die Zielzeit erkennbar ist, würden folgende Ziffern aufleuchten: 15032005. Der Tag nach der Molsiris-Entscheidung. Tag eins auf dem langen Weg zurück zu einer schuldenfreien Normalität.

    Ein heller Lichtblitz, viel Rauch um nichts und ein kurzes, aber intensives Donnergrollen. Da stehe ich also und blicke auf mein fast zehn Jahre jüngeres Ich. Faszinierend – wie Mr. Spock in einem solchen Augenblick wohl sagen würde. Mein früheres Ich, also das vergangene, schlurft gerade, gedankenverloren auf ein riesiges Handydisplay blickend, vom Schulhof und steuert auf sein Fahrrad zu. Überflüssig zu erwähnen, dass ich mich für mein damaliges Outfit eigentlich selber ohrfeigen müsste. Aber egal. Dafür habe ich mich ja nicht auf diese Zeitreise begeben. Was sein muss, muss sein. Schnellen Schrittes kreuze ich den Weg und tippe mir quasi selbst von hinten auf die Schulter.

    Ich kürze den klischeehaft stupiden „Wer bist und was machst du hier"-Dialog einfach mal ab und steige sofort ins Interview ein.

    Älteres Ich:Jüngeres Ich, nachdem du nun also weißt, warum ich hier bin, stelle ich die grundlegende Frage am besten gleich. Die Molsiris-Entscheidung und damit sehr turbulente Wochen und Monate liegen hinter dem BVB. Was denkst du, wie geht es nun weiter?

    Jüngeres Ich:Also erst mal muss ich sagen, dass ich so einen Tag wie gestern nicht noch einmal erleben möchte. Dieser unglaubliche Druck und dazu dieses beschissene Gefühl der absoluten Hilflosigkeit. Das ging mir als junger Mensch ja schon komplett aufs Herz. Keine Ahnung, wie die Alten das ausgehalten haben. Wie es weitergeht, willst du wissen? Du weißt es doch schon längst, wenn du wirklich aus der Zukunft kommst. Dann sag du es mir!

    Älteres Ich:Erstens wäre es schön, wenn du bei einem Interview auf deinen Kaugummi verzichtest. Das nervt nämlich tierisch. Und zweitens habe ich dir vorhin doch schon erklärt, dass ich über das, was in den kommenden Jahren passieren wird, nicht sprechen darf. Vielmehr möchte ich deine Meinung zum Thema hören, deshalb bin ich hier.

    Jüngeres Ich:Der Kaugummi ist ganz frisch. Der bleibt also. Jetzt zu der anderen Sache. Da ich du bin und umgekehrt, weißt du doch selbst am besten, was ich jetzt denke. Wie es meiner Meinung mit dem Ballspielverein weitergeht, müsstest du doch also ganz klar vor Augen haben.

    Älteres Ich:Genau das ist ja das Problem. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich damals in dieser unglaublich surrealen Situation gedacht habe. Meine Gedanken zu dieser Zeit waren so zerstreut und konnten sich nicht mal ansatzweise auf die Zukunft richten. Es ist einfach zu viel auf den BVB eingeprasselt, und damit auch auf seine Anhänger.

    Jüngeres Ich:Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Im Moment fühle ich mich trotz der positiven Entscheidung gestern in Düsseldorf total verloren. Irgendwie kopflos und ein bisschen so, als würde ich weder hoch noch runter denken können. Vielleicht können deine Fragen ja helfen.

    Älteres Ich:Bingo! Deshalb bin ich hier. Fangen wir also an!?

    Jüngeres Ich:Alles klar. Dann strukturiere mich! Aber mach’s einigermaßen kurz. Mutti bereitet Mittagessen vor, und du weißt ja, dass es sich lohnt, als Erster am Tisch zu sitzen.

    Älteres Ich:Was gibt es denn Schönes?

    Jüngeres Ich:Hackbraten.

    Älteres Ich:Okay, ich fasse mich kurz. Also noch mal: Wie geht es beim BVB weiter?

    Jüngeres Ich:Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung. Schon lange vor der Heimpleite am Sonntag gegen Stuttgart ging es ja schon nicht mehr um das Sportliche. Aber jetzt, wo die finanzielle Rettung vorläufig durch ist, sollte das Kicken wieder in den Vordergrund rücken. Tabellenplatz zwölf macht da aber auch nicht wirklich viel Hoffnung. Nach oben Richtung internationales Geschäft wird wohl nichts mehr gehen. Von daher denke ich, dass die Saison unspektakulär zu Ende gehen wird. Und solange die Blauen nicht Meister werden, ist ja alles gut.

    Älteres Ich:Inwieweit wird es deiner Meinung nach Veränderungen geben, sowohl personeller als auch moralischer Natur?

    Jüngeres Ich:Dass der Kader nach der Sommerpause nicht mehr derselbe sein wird, ist jedem klar. Teure Stars wird es dann nicht mehr geben. Die Chance, mit jungen Nachwuchsspielern etwas aufzubauen, klingt nach Spannung und Herausforderung. Und was das Moralische angeht: Aus Fehlern lernt man – so heißt es zumindest. Also kann man nur hoffen, dass die neuen Verantwortlichen diese Weisheit beherzigen.

    Älteres Ich:Welche konkreten sportlichen Ziele würdest du für die nächsten drei Jahre formulieren?

    Jüngeres Ich:Das ist schwierig, weil niemand wirklich sagen kann, in welchem Maß sich der Kader verändern wird. Die Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb wäre natürlich eine feine Sache. Aber so wie sich die Jungs momentan präsentieren, sollte auch der Blick nach unten eine Rolle spielen. Der Schuldenabbau wird jedenfalls alles überstrahlen und damit auch die sportlichen Ergebnisse direkt beeinflussen.

    Älteres Ich:Ist Bert van Marwijk in dieser schwierigen Epoche der richtige Mann an der Seitenlinie? Oder anders gefragt, wer wäre es denn?

    Jüngeres Ich:Zurzeit macht er das, was geht. Ganz zufrieden bin ich nicht, kann mir in dieser Situation aber auch nicht vorstellen, dass ein anderer das Ruder herumreißen würde. Das ist ja auch für ihn blöd, dass in seiner ersten Saison die Hölle ausbricht. Sicherlich wäre es schön, wenn irgendwann mal wieder ein Trainer an der Außenlinie steht, der zum Verein passt wie Arsch auf Eimer. Aber ganz ehrlich: Junge, ambitionierte Trainer werden den BVB in nächster Zeit wohl erst mal meiden. In einem solch aufgewühlten Umfeld lässt es sich wahrscheinlich nicht ganz so konzentriert arbeiten wie anderswo. Der Traum von einem Hitzfeld 2.0 ist deshalb aber noch nicht ausgeträumt.

    Älteres Ich:Das Glas ist also halbleer?

    Jüngeres Ich:Zurzeit schwimmt nur noch eine kleine Pfütze am Glasboden. Aber das hat rein gar nichts mit der uneingeschränkten Liebe zum Verein zu tun, sondern vielmehr mit den kräftezehrenden vergangenen Monaten. Da bleibt vieles bis alles hängen und saugt die Fan-Reserven komplett aus.

    Älteres Ich:Und das schweißt einen dann noch näher an den eigenen Verein?

    Jüngeres Ich:Definitiv. Im Grunde sogar manchmal stärker als Erfolge. Die Intensität, in der ich alles, was mit dem BVB zu tun hatte, in den letzten Monaten verfolgt habe, ist schon extrem. Das kann auch gerne erst mal so bleiben, weil auch und gerade Krisenzeiten das Fansein definieren.

    Älteres Ich:Meisterschaft, DFB-Pokal-Sieg und Champions-League-Finale in den kommenden Jahren sind realistisch?

    Jüngeres Ich:Was tun die euch in der Zukunft denn in den Tee?

    Ein heller Lichtblitz, ein kurzes, aber intensives Donnergrollen und ich bin verschwunden und lasse mich verwundert zurück. Wieder in der Zukunft oder, besser gesagt, in der Gegenwart angekommen, denke ich unweigerlich über meine eigenen Worte nach. „Damals – wie cool das klingt, wenn man plötzlich merkt, dass man auch nicht jünger wird – war ich also verständlicherweise verängstigt und unsicher ob der Zukunft meines Ballspielvereins und teilte diese Gefühlswelt mit so vielen treuen Anhängern. Gleichzeitig aber versprühte ich Tatendrang, wenn ich an die kommenden Jahre dachte, auch wenn ich dabei nicht unbedingt auf sportliche Titel und reichlich Konfetti hoffte. Wäre ich gezwungen, diese Epoche mit den erfolgreichen 2010er Jahren zu vergleichen, würde bis auf einen konfusen Gesichtsausdruck nicht viel rumkommen. Viel zu klar sind all die Erinnerungen und viel zu schwierig der Versuch, eine künstliche Grenze zwischen jetzt und damals zu ziehen. Wann hörte die „Krisenzeit auf, wann fing sie überhaupt an? Vielleicht schon mit dem Amtsantritt eines gewissen Gerd „persona non grata" Niebaums Mitte der achtziger Jahre?

    Es ist mühsam, darüber zu diskutieren, denn letztlich wird es nichts ändern. Fakt ist, dass wenige Leute an der Spitze – vielleicht ja auch nur eben jene Einzelperson – viel Unfug getrieben haben und somit den Lebensmittelpunkt vieler Menschen an den Rand des Abgrundes getrieben haben.

    Wie gesagt, ein Vergleich dieser schwarz-gelben Zeitabschnitte ist schlichtweg unmöglich. Die Intensität von Gefühlen lässt sich nämlich nur schwerlich messen. Versucht man negative und positive Fußballgefühle gegeneinander aufzuwiegen, ist ein Scheitern vorprogrammiert. Denn wer könnte begründen, warum 25 Siege in einer Meistersaison mehr Freude auslösen als dieses eine geile Last-Minute-Tor, dieser eine geile Derbysieg, dieser eine verdiente Auswärtspunkt und die Summe all dessen während einer Durchschnittssaison. Komplizierter Stoff und eigentlich ein eigenes Buch wert. Im Endeffekt will ich damit ausdrücken, dass in einer Saison, in der wenig richtig und einiges falsch läuft, nicht jeder BVB-Fan zu Tode betrübt sein muss. Oder himmelhochjauchzend, wenn es andersrum läuft. Das Ganze verhält sich ungefähr so wie mit einem nachmittäglichen Spaziergang über einen frisch gedüngten Kartoffelacker. Der Gestank ist nahezu unerträglich. Aber schickt der Wind eine frische Brise vom benachbarten Mohnfeld, hat man just das Gefühl, in einer Parfümerie zu stehen – oder so ähnlich.

    Neuanfang, ohne neu anzufangen

    Keine Insolvenz. Immer noch Bundesliga. Nach wie vor Borussia Dortmund. Es ging also weiter für den BVB. Überall in Deutschland, überall auf der Welt konnte man Menschen finden, die sich mit einer vorher selten erlebten Erleichterung Schweißperlen von der Stirn wischten. Ich war einer von ihnen. Und es waren verdammt viele und verdammt dicke Schweißperlen.

    Der Molsiris-Spuk fand bekanntlich an einem Montag statt, sodass Mannschaft und Fans tatsächlich einige Tage blieben, um das Erlebte bis zum kommenden Spieltag zumindest ein Stück weit zu verarbeiten. Ein paar Wochen wären wohl angebrachter gewesen, aber fünf Tage taten es dann auch.

    Der BVB war gerettet, und die Vorfreude auf das nächste Bundes-ligaspiel hätte größer nicht sein können. Zum ersten Mal wurde mir die Bedeutung der Worte „das nächste Bundesligaspiel" bewusst und auch, wie scheinbare Selbstverständlichkeiten leider viel zu selten gewürdigt werden. Der BVB und ich durften also nach Hamburg fahren und weiterhin um Bundesligapunkte kämpfen. Die Tour in den Norden empfand ich dementsprechend als etwas Besonderes. Beim Bundesliga-Dino im Volkspark. Ein würdiger Rahmen für einen Neustart.

    Den Vorhang wieder weit geöffnet, alle Beteiligten brannten auf die Vorstellung in der Hansestadt. Und was das Publikum zu sehen bekam, glich ganz großem Kino.

    Jetzt aber genug vom Trailer und rein in den Film:

    Freitagnachmittag. Unterricht irgendwie über die Zeit gebracht. Kribbeln im Bauch. Nur noch einmal schlafen, dann ist wieder Borussia. Auswärts. Im Norden. Nach der Fast-Pleite.

    Zu dieser Zeit war es für mich ohnehin normal, die Nächte vor LiveSpielen mit unruhigem Im-Bett-Hin-und-Herwälzen zu verbringen, statt ins gelobte Träumeland zu entschwinden. Noch lebte ich in Eisenhüttenstadt, läppische 580 Kilometer von Dortmund entfernt. In den Anfangsjahren des sagenumwobenen 21. Jahrhunderts konnte ich aufgrund dieser enormen räumlichen Distanz zum Westfalenstadion (und so gesehen auch zu allen anderen Bundesligastadien) froh sein, wenn ich am Ende einer Spielzeit 15 Begegnungen mit Dortmunder Beteiligung in meine Buli-Liste eintragen konnte. Hinzu kam mein blödes, weil für einen Führerschein zu junges Alter. Für 600 Kilometer mit dem Fahrrad fehlten mir bei aller schwarz-gelber Hingabe die nötige Motivation und so ein bisschen vielleicht ja auch die Oberschenkelmuskulatur.

    Hamburg war da mit einer Anreise von 400 Kilometern noch sehr machbar. Ein Wochenendticket und knapp zwölf Stunden mit dem öffentlichen Nahverkehr. Ein Hauch von Paradies.

    Im Zug sitzend – Zeit war ja genügend vorhanden –, machte ich mir auf solchen Touren meist heftige Gedanken über die bevorstehende Partie. Voraussetzung dafür war allerdings, dass

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