Ihr werdet es schon sehn: Florenz, Bogota, Manchester – Hauptsache VfL
Von Oliver Birkner
()
Über dieses E-Book
Ähnlich wie Ihr werdet es schon sehn
Ähnliche E-Books
Vorsicht, freilaufender Menschenfreund: Neue Kolumnen von 2016 bis 2020 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Leben ist ein Fußballspiel: Dem 1. FC Kaiserslautern verfallen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenReisegruppe Unjewiss: Von Haifa bis nach Amsterdam mit Union Berlin Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKaiserslautern? Sagenhaft! Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGrantlecke: 39 bayerische Kurzgeschichten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas einzig wahre Rheinische Derby: 123 x Kölner Geißbock gegen Gladbacher Fohlen: Alle Spiele von 1950 bis 2019 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKassiber aus der Gummizelle: Geschichten vom Fußball Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenErnst Kuzorra: Der größte aller Schalker Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAus der Hölle ans Licht: Zehn wilde Jahre mit dem BVB Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBerlin brummt: Geschichten aus dem Hauptstadt-Kaff Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Wahrheit über Braunschweig Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen1904 Geschichten: Mit Schalke is wie wennze fliechs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenNaus zum Glubb: Mein Leben mit einem Traditionsverein Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHalbzeitpause: Die Fußball-Klolektüre Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen50 legendäre Szenen des deutschen Fußballs: Fußballstars erzählen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEinzige Liebe: Frankfurter Fußball-Krimi: Kommissar Rauscher 8 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWir kommen wieder!: Mit dem FC St. Pauli durch die Bundesliga Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Alles Arschlöcher überall: Roman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSo lonely: Ein Leben mit dem MSV Duisburg Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBallbesitz: Frauen, Männer und Fußball Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen113 Minuten Brasilien Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenZwischen Puff und Barcelona: Bens beste Fußball-Kolumnen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenNie wieder Fußball!: Roman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMein erster Stadionbesuch Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenZwei Pferde üben Elfmeterschießen: Fußballwitze Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGeschichten aus der Müllerstraße Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenTorschrei - Bekenntnisse eines Fußballsüchtigen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWie ich einmal nicht der Morlock geworden bin (eBook): Memoir einer Kindheit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKinderlandverschickung: Erziehungs- und Lehrjahre eines Junka! Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Sport & Freizeit für Sie
Die Nobelpreis-Diät: Mit Intervallfasten zu einem vitalen Leben Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Fit ohne Fitnessstudio - Maximale Fettverbrennung mit Intervalltraining Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRun Fast Eat Slow: Nährstoffreiche Rezepte für Sportler Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLexikon der Symbole und Archetypen für die Traumdeutung Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Anglizismen und andere "Fremdwords" deutsch erklärt: Über 1000 aktuelle Begriffe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPeak - Performance für Frauen: Wie Sie Ernährung und Fitness perfekt auf den weiblichen Organismus abstimmen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen...Als die Noten laufen lernten...Band 2: Kabarett-Operette-Revue-Film-Exil. Unterhaltungsmusik bis 1945 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenTigersturz und Ringerbrücke: Effektive Trainingsmethoden für Kampfkunst und Sport Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKrafttraining - Die 100 Prinzipien: Handbuch für Trainer, Betreuer und Athleten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchach lernen - Schach für Anfänger: Grundkenntnisse des Schachspiels schnell und mühelos erlernen. Mit mehr als 150 Diagrammen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen17 Essays über den aktuellen Zeitgeist Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBodyweight Training Anatomie: Der vollständig illustrierte Ratgeber fur mehr Kraft, Leistung und Muskelaufbau Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKompaktkurs Rücken: Anatomie - Stretching - Muskeltraining Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWu: Ein Deutscher bei den Meistern in China Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGjogsul: Militärischer Nahkampf in der NVA Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Günter, der innere Schweinehund, wird fit: Ein tierisches Sportbuch Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Wild Swimming Kroatien und Slowenien: Entdecke die schönsten Quellen, Flüsse, Wasserfälle, Seen und Strände in Kroatien & Slowenien Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenNaturzeit mit Kindern: Wie ihr aus einer Wanderung ein Kinder-Abenteuer macht Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWerbelüge "Starker Rücken": Mit richtigem Gehen, Stehen und Sitzen Rückenschmerzen effektiv vorbeugen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAikido - eine friedvolle Kampfkunst Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMentale Wettkampfvorbereitung für Sportschützen: Gewehr – Pistole – Bogen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas große Buch vom Krafttraining Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHatha Yoga: Komplett illustriertes Standardwerk Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPelé - Warum Fußball? Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenReiten als Spiegel des Herzens: Über die tiefe und achtsame Verbindung mit dem Pferd Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Die Dopingrepublik: Eine (deutsch-)deutsche Sportgeschichte Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBodybuilding. Erfolgreich, natürlich, gesund Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEnzyklopädie Pilates: Anatomie - Balance - Beweglichkeit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenTradition schießt keine Tore: Werder Bremen und die Herausforderungen des modernen Fußballs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEnzyklopädie Muskeltraining: Anatomie - Muskelaufbau - Fettabbau Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Rezensionen für Ihr werdet es schon sehn
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Ihr werdet es schon sehn - Oliver Birkner
Oliver Birkner
Ihr werdet es schon sehn
Florenz – Bogota – Manchester:
Hauptsache VfL
verlag die werkstatt
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Copyright © 2010 Verlag Die Werkstatt GmbH
Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen
www.werkstatt-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagfoto: Gerrit Starczewski
Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
ISBN 978-3-89533-733-8
Widmung
Die folgenden Seiten werden sich beim Berühren von Anhängern des FC Bayern München, Schalke 04 oder Borussia Dortmund in genau 49 Sekunden in einer flammenden Implosion selbstauflösen.
… 48, 49, 50. All denen, die jetzt noch ein vollständiges Exemplar in den Händen halten, sei dieses Buch gewidmet.
Inhalt
Prolog
Kapitel I: Heimspiel 1970 bis 1993
Am Anfang war das Licht
Like a Rolling Stone
Die Titanen
Der beste Fußballer der Welt
Stiller Genuss
Der beste Song der Welt
Ich hasse Lajos Detari
Abschiedsmusik
Kapitel II: Auswärtsspiel
In seinem Fuß sangen die Vögel
Cesarini, Hörner und das Tor des Ex
Wir steigen auf, wir steigen ab
… und zwischendurch UEFA-Cup
„Jamás en Segunda Division" – Die Karibik bebt
Irmengards Werk und Edus Beitrag
Kapitel III: Die beste Saison aller Zeiten
Das Turnier der Frauen
Das Franken-Syndrom
80 DD und Portugals Außenpolitik
You only sing when you’re winning!
Sind aber auch viele Stammspieler verletzt
BVB, hijos de puta
Trainer-Versenken
Nie Deutscher Meister
Kapitel IV: Auswärtsspiel Reloaded
Calcio parlato
Mit Fidel Castro im Stadion
Currywurst um Mitternacht
Mann, der Grote!
Der Birkner-Preis
Epilog
Danksagung
Der Autor
Zum Weiterlesen
Prolog
„You ain’t a beauty but hey you’re alright."
Bruce Springsteen
Für den VfL Bochum und Urlaub in Armenien gibt es keine plausible Rechtfertigung. Fraglos mag Armenien die Urlaubskasse jetzt nicht ganz so tief in den Abgrund reißen. Doch am zehnten Hochzeitstag vorzuschlagen: „Schatz, warum nicht mal zwei Wochen Jerewan?", und dort im VfL-Trikot neben der entgeisterten Frau, vor einem unbekannten Bier, auf einem obskuren Sender, in einer nebulösen Sprache Bochum gegen Cottbus zu schauen, da gibt es graziösere Freizeitgestaltungen.
Träume von diametralem Vergnügen sind immerhin legitim: Europapokalfinale in einer mondänen europäischen Metropole, über den Pottgewinn jauchzen, anschließend im Hotel rein zufällig die Nachbarstochter samt bester Freundin auf Studienreise treffen, beide hauchen, dass sie nicht nur Begrüßungsfloskeln austauschen wollen, sinngemäß fallen Worte wie „Gehirn, „raus
und „nageln".
Mit dem Genuss-Antichristen VfL würde trotz suggestiver Anstrengungen plötzlich a) aus einer mondänen Metropole vielleicht Fürth, b) aus dem Cupgewinn eine Niederlage im Regenguss, c) aus den weiblichen Protagonisten zwei Mitt-Fünfzigerinnen, die sich d) nach der Aufwärmphase als Männer herausstellen, und e) müsste man am Ende für all das noch bezahlen.
New-Age-Langeweiler entschärfen die Spaßwüste dann gern mit dem Zwiebelvergleich: Wie hinter jeder Schale ein neuer Sonnenschein hervorlugt, bis im Nukleus die Offenbarung tobt. Das ist nun aber das Problem: Im Bochumer Zwiebelkern wartet nämlich null Komma nichts. Sie ist und bleibt eine verdammte Zwiebel – rohe 100 Gramm, 88 Gramm Wasser. Und läufst du durch ein Zwiebelfeld, riechst du auch danach.
Zudem klingt „Verein für Leibesübungen" beinahe so dämlich wie der Name meines ersten Jugendklubs DJK, Deutsche Jugendkraft, mit dem ich beim Auflaufen vor den Heimspielen als Einstimmungs-Gassenhauer irgendwie stets das Horst-Wessel-Lied erwartete.
So ist der potenzielle Fußballanhänger, wenn er irgendwann zu Bochum verführt wird, zur richtigen Zeit einfach am falschen Platz. Doch schließlich intrigiert die zukünftige Braut den Mann ja auch mit durchtriebenem Kalkül und farbenfrohen Versprechungen in die Ehe. Dort sind schweißtreibende Europapokal-Nächte flugs Vergangenheit, man spielt höchstens noch DFB-Pokal und macht nach der ersten Runde schlapp. Im Grunde müsste man als nobelste Instanz des freien und rechten Willens eigentlich umspringen können – auf Barcelona oder die Freundinnen der Frau, insbesondere deren beste Freundin! Größere Brüste und Trophäen. Aber nun bist du mittendrin und dabei, weit hinter der ersten Reihe, mit dem ganzen Sich-Durchschlängeln und den charmanten Erinnerungen für schlechtere Zeiten – bis am Ende der allerletzten Saison das Flutlicht für immer ausgeknipst wird.
Meine naive Bildungsreise führte mich als Köttel in Kutte durch die Ostkurve, entlockte mir die ersten animalischen Grunzer bei Siegen gegen die Stuttgarter Kickers oder Düsseldorf. Die Erkenntnis, dass man im Fußball auch Trophäen erringen kann, kam leider zu spät. Seit den Siebzigern bin ich VfL-Fan, lange verschworen mit Aspirin, bisweilen mit drei Punkten. Irgendwann blieb ich dabei aus Trotz, so wie man täglich zur Arbeit schlurft oder manche freitags Lotto spielen. Es ist die Hingabe in die resignierende Hoffnung, ein Cocktail aus Minderwertigkeitskomplex und transzendentaler Erwartung. „2010, ihr werdet es schon sehn. Schnell reimen sich zum Glück 2013 bis 2019 wieder auf „sehn
, dann müssen wir den Song bis 2110 archivieren.
Erdrückt zwischen Gazprom- und Signal-Iduna-Despoten will ich tapferer Realist bleiben. Wer an Bochum und Titel glaubt, glaubt auch, dass Hulk Hogan beim Wrestling wirklich den Finger in die linke Iris des Clowns im Indianerkostüm sticht. Mit dem Doppelpass machen wir stets Bielefeld, manchmal unsere eigene U19 nass.
Im Ausland kann nicht einmal jemand unfallfrei unseren Vereinsnamen aussprechen. Meine Ohren mussten sich jenseits der Republikgrenzen an Bokum, Butschum, Bojum, Boum, Raiiivairiipavirstadium und Revirpowirschitadion gewöhnen. Borussia und Schalke gehen verbal leider überall. Selbst Luzifers Gebräue DAB und Veltins sind im Gegensatz zu unserem Nektar Fiege Pils bizarrerweise in fremden Ländern zu erwerben.
Aber während die Sauerländer und Bueraner sich in diamantener Vergangenheit suhlen und von opulenter Zukunft palavern, bleiben sie ohne Gegenwart. Das haben wir ihnen voraus. Der Bochumer ist Allegorie des Alltags: gelegentlich schüchterne Zwischenhochs unter einer Mittelmaß-Front, ein fragiles Hier des Ernüchtertseins, ein tröstender, hängender, reifer Busen.
Nach dem Remis in Cottbus saufen ist eben vor der Heimniederlage gegen Leverkusen saufen, in unserem blau-weißen Dorado der Masochisten, die selbst bei einer 3:0-Führung zur Pause an der Pinkelrinne ihren Bierbecher warnend vor solidarisierte Gesichter strecken: „Ein schnellet Gegentor und dann is die Kacke aba gehörich am Dampfn!, und nach dem 4:2-Endergebnis fluchen: „Wat für Stutenkerle! Nach sonne Leistung hättn die eigntlich verliern müssn!
Wahrscheinlich sind wir die einzigen Fans, die nicht so recht wissen, was sie mit Siegen eigentlich anstellen sollen – wir lechzen nach Niederlagen, nur um vorausahnende Gewissheiten tumb abzunicken. Ja, im Grunde muss der VfL verlieren, um das eigene Weltbild im Gleichgewicht zu halten.
Doch wenn die Bayern sich uns deshalb als Notopfer-Verbündete auserkoren haben, sollen sie gefälligst nach anderen Strichjungen fahnden. Jackpots und Titel kommen nicht nach Bochum. Aber das macht uns noch lange nicht zu Prostituierten von Latzhosen. Die, die keine durchgeschnittene Currywurst kennen. Würde behalten wir auch nach 2110 für uns. Niemals Rot-Weiß, außer bei Currywurst-Pommes. Natürlich durchgeschnitten und von Dönninghaus – dem Mythos, der uns mit einem Fiege selbst nach einem 1:4 gegen die Bayern richtig scharf macht.
Kapitel I
Heimspiel 1970 bis 1993
Am Anfang war das Licht
„Was ist das? – „Blaues Licht.
„Was macht das? – „Es leuchtet blau.
Rambo III
Meine Eltern wussten womöglich nicht wirklich, wohin besagte Sache führte, die sie 1969 gerade anstellten – waren ja die sechziger Jahre. Wäre aber meine Erlaubnis gefragt gewesen, hätte ich die Einreiseerlaubnis für meinen Vater staatstragend abgenickt. Mutter aus Gelsenkirchen, na ja, Vater aus Bochum, ausgezeichnete Wahl. Mittlerweile bin ich in Italien gelandet, und das Ruhrstadion ist genau 1.203 Kilometer von meinem Schlafzimmer entfernt. Das habe ich letztens bei Google nachgeschaut. Verdammte 1.203 Kilometer! Mit zwei Fingern grob auf der Landkarte geschätzt, wohne ich näher an Tunis, Libyen oder Craiova als an der Castroper Straße. Na ja, wenigstens internationales Flair.
In meinem Kopf gehe ich wie damals an jedem zweiten Wochenende trotzdem zur Castroper. Für mich sind diese Worte jedes Mal eine schäumende Gischt. Sie fangen mit dem behutsamen „ich gehe an, schwingen sich zum Crescendo „gerade
, um sich in einem Furioso „zur Castroper zu vollenden. In meinem überschaubaren Kosmos ist dieser Satz stets der Einstieg in ein neues Kapitel eines großen Fortsetzungsromans. „Ich gehe gerade zur Castroper
ist mein „Nennt mich Ismael".
Für mich ist das Ruhrstadion Hure und Heimat. Ich habe jeden Geruch gespeichert – den Duft des Rasens, wenn man unten am Ostkurven-Zaun steht, das Aroma des abgestandenen Fetts der Würstchen, den Gestank der Ecken, an denen man die überfüllten Klos vermeiden kann, die Witterung der Bier- und Senfflecken auf meinem Schal, das Parfüm der tausend Atem, die vor dem Anpfiff unseren Grönemeyer grölen, den Geruch des Flutlichts. Bis heute riecht nach dem Spieltag beim Einschlafen alles nach dir, VfL. Und beim Aufwachen nimmst du mir dann manchmal den Atem.
Meine Frau Alejandra behauptet immer, es gebe keine Zufälle. Also kann es kein Zufall sein, dass ich 1970 geboren wurde – und zwar wenige Wochen, bevor der VfL unter Hermann Eppenhoff seine Aufstiegssaison von der Regionalliga West in die Bundesliga anging. Zum ersten Mal stiegen wir ab, als ich mich 1993 entschieden hatte, Deutschland den Rücken zu kehren. Bis heute werfe ich mir vor, die Jungs hängen gelassen zu haben, denn das kann auch kein Zufall sein.
Man wird VfLer, weil man entweder aus Bochum kommt und der Spielplan beim ersten naiven Vorhaben eines Stadionbesuches gerade keine andere Option in die Nähe gelost hatte. Oder weil man unter passioniertem Propagandaflüstern eines Verwandten zu diesem Verein verlogen verführt wurde. In meinem Fall trägt die Hauptschuld mein Bochumer Opa Rudi. Dass der VfL nie einen Titel ergattern würde und dieses Axiom in die Satzung des Vereins zementierte, hatte er mir geschickt verheimlicht, als er 1979 eines Freitagabends sagte: „Komm, wir fahren mal zum Ruhrstadion."
Mein Vater ist Arzt, und deshalb war ich auf Schulfahrten eine Art Ersatz-Doktor-Sommer für die Frühteenies der Achtziger. Es war Sven, der mich beim Klassenausflug fragte, ob der Mann beim Geschlechtsverkehr rein und raus muss oder die ganze Zeit drinbleiben. Ich müsste das wissen, weil ich schließlich Sohn eines Arztes sei. Und ich sagte, die ganze Zeit drinbleiben, weil ich schließlich Sohn eines Arztes war.
Einige Jahre später bewies mir eine Freundin, dass rein und raus mehr Sinn machte und dass dieser düstere Dämon Geschlechtsverkehr durchaus enormen Spaß brachte. In einer Top Ten der prickelnden Freuden steht Sex sicher weit vorne. Ganz nach oben schafft er es jedoch nicht.
Davor steht auf Platz fünf Monica Bellucci.
Auf vier das erste Tor. Onkel Gerd sagte mir in der Halbzeitpause meines bis dahin anonym verlaufenen Aktivendebüts, dass ich forscher in die Spitze stoßen, meine Mutter vor dem Spiel, dass ich gut auf meine Wertsachen aufpassen sollte, in Gelsenkirchen wisse man ja nie. Also stieß ich in Hälfte zwei mit Haustürschlüssel um den Hals in die Spitze, nahm eine Flanke mit der Brust an, stöhnte kurz auf, weil der Ball die Schlüssel bis in die rechte Herzklappe drückte – zumindest waren sie dort sicher –, dann schoss ich mit rechts. Die Welt lief in Super-Zeitlupe ab, der Ball löste sich vom Fuß, flog, das Herz inklusive Haustürschlüssel pochte, in der Vorahnung, der Gewissheit, er würde gleich das Netz küssen. Eine Tunnelvision. Ich dachte an zwei „Tim und Struppi"-Ausgaben, die mir noch fehlten, und dass es vielleicht doch nicht richtig war, meiner Mutter aus ihrem Portemonnaie eine Mark zum Flippern geklaut zu haben. Dann war das Ding drin. Das allererste echte Tor, vor allerersten echten Zuschauern.
Rang drei Spinat, Stampfkartoffeln und Spiegelei von meiner Oma. Nummer zwei meine Springsteen-Konzerte 2009 im legendären New Yorker Madison Square Garden.
Aber es konnte nur eine Nummer eins geben – Flutlicht.
Meine schon damals etwas zu große Nase ans Fenster gedrückt, auf der Rückbank des Opels meines Opas am 2. November 1979, die Wittener Straße hinunter, rechts über den Lohring, dem Straßenverlauf links folgen, und dann aus der Nähe vier pompöse Masten in gleißendem Licht, das