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Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige
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eBook247 Seiten3 Stunden

Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige

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Über dieses E-Book

Den ganzen Tag nur Fußball! Morgens lässt sich Ben Redelings vom ehemaligen Torschützenkönig Klaus Fischer wecken, mittags schmökert er stundenlang in alten Ausgaben des "Kicker" und der "Sport Bild", und abends erinnert er sich mit Trainer Peter Neururer an die guten alten Zeiten.
Beneidenswert. Doch Redelings darf das. Es ist sein Beruf. Er schreibt, filmt und philosophiert über seinen Sport, ist "Fußball-Kulturschaffender in Vollzeit" (1Live). Sein Leben ist reich an spannenden Begegnungen, kuriosen Situationen und ganz viel Leidenschaft . Mittendrin: ein als Stadionwurst verkleideter Verkehrsrichter, ein fußballverrückter Kabarettist und ein hochsensibler Gladbach-Fan. Von all dem erzählt er in seinem Buch. Es ist eine Art Tagebuch, voller Skurrilitäten, Erinnerungen und Philosophien. "So authentisch, so präzise beobachtet und noch dazu so ungemein witzig hat seit Nick Hornby kaum einer über Fußball geschrieben." (Frank Goosen, Kabarettist und Buchautor)
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum19. Aug. 2008
ISBN9783895336607
Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige
Autor

Ben Redelings

Ben Redelings, 1975 in Bochum geboren, ist Autor und Filmemacher. Als Kolumnist schreibt er wöchentlich für die Seiten von ntv.de. Die »Deutsche Akademie für Fußballkultur« nennt ihn »den ungekrönten Meister im Aufspüren kurioser Fußballgeschichten«. Seine Fußballabende erfreuen sich seit vielen Jahren deutschlandweit großer Beliebtheit. Im Verlag Die Werkstatt hat er u.a. den Bestseller »55 Jahre Bundesliga. Das Jubiläumsalbum« veröffentlicht. Ben Redelings lebt mit seiner Familie in Bochum.Auch LIVE immer ein Genuss! Besuchen Sie eine der beliebten Shows von Ben Redelings. Alle Termine unter www.scudetto.de

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    Buchvorschau

    Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige - Ben Redelings

    1954)

    Warum Henry Maske ein Fußballfan wurde

    Das ewige Gelübde hatte damals genau drei Monate gehalten. Italien war unverdient und erschummelt Weltmeister geworden, und ich hatte mir wie Millionen anderer geschworen, mindestens ein Jahr lang keine Pizza zu essen. Ein schwacher Moment des Hungers hatte schließlich gereicht, um mich wieder in die behaarten Arme von Luigi zu treiben. Lange genug hatte er mich sehnsüchtig und mit traurigen Augen an seinem grün-weiß-rot gestreiften Ladenlokal vorbeilaufen sehen. Diese Zeit lag nun schon fast ein Jahr hinter uns, und so konnten Henk und ich beruhigt in Luigis kleine Taverne zum Mittagessen einkehren.

    Henk ist mein Freund seit Grundschultagen und verdient sein Geld mittlerweile als Videokünstler. Dass es das wirklich als Beruf gibt, wusste ich vorher auch nicht, aber das muss nichts heißen, schließlich hätte ich auch nie gedacht, dass ich im Jahr 2007 noch einmal eine ganze Nacht lang mit meinem VfL Bochum von der Deutschen Meisterschaft würde träumen dürfen.

    Den Vormittag über haben Henk und ich verzweifelt versucht, einige Szenen für meine neue Video-Kolumne in den Kasten zu bekommen. Ein revolutionäres Internetformat, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen wird. So war es wenigstens gedacht. Doch nachdem ich einige Moderationssätze in die Kamera gesprochen hatte, fiel mir ein Sprachfehler auf, den ich bis jetzt noch nicht an mir wahrgenommen hatte. Ich hörte mich an wie die RTL-Moderatorin Katja Burkhard an besonders guten Tagen. Die S-Laute kamen mir einfach nicht fehlerfrei über die Lippen. Mein Lispeln benetzte nicht nur das Kameraobjektiv mit einer klebrigen Speichelspur, sondern hob auch die Mundwinkel von Henk zu einem nicht zu übersehenden Schmunzeln. Wenn ich nach einem Moderationspart wieder einmal frustriert, aber dennoch hoffnungsvoll fragte, ob es denn nun wenigstens ein bisschen besser gewesen sei, konnte sich Henk das Lachen nur schwer verkneifen. Trotzdem haben wir einfach weitergemacht und alle vorgesehenen Szenen abgedreht, bis uns der Hunger zu Luigi trieb.

    Kaum haben wir die Eingangstüre der italienischen Taverne hinter uns geschlossen und einen ersten Blick auf die Speisekarte geworfen, spult Henk gewissenhaft seinen berühmten Standardsatz ab: „Die haben aber ganz schön angezogen, was?!" Henk meint natürlich die Preise. Doch die sind bei Luigi schon kurz nach der Währungsreform, gemeint ist die von 1948, nicht mehr verändert worden. Dieses Argument bessert Henks Laune jedoch nicht im Geringsten auf, und so lade ich ihn für seine Mithilfe beim Dreh großzügig ein, was der Videokünstler mit einer ebenso großzügigen Aufstockung seiner geplanten Bestellung freudig zur Kenntnis nimmt. Wahrscheinlich hat ihn mein Gerede von den dicken Gehältern der Bundesligastars ganz kirre gemacht. Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal etwas mehr über Frauenfußball zu sprechen. Und vielleicht beiläufig die Prämie der Nationalspielerinnen für den EM-Gewinn 1989, ein Kaffeeservice, zu erwähnen. Demut und Bescheidenheit haben bekanntlich noch nie jemandem geschadet, und ich möchte schließlich nicht, dass Henk vom Fußball endgültig ein falsches Bild bekommt. Denn wirklich Ahnung hat er davon nicht. Er ist ja schließlich Videokünstler.

    Um halb vier sind wir mit Bochums bekanntestem Fußballfan nach Herbert Grönemeyer verabredet. So jedenfalls titulierte das Fußballmagazin „11Freunde" Frank Goosen. Der Autor und VfL-Fan hat beim Öffnen der Tür natürlich ein Telefon am Ohr. Immer busy, der Mann. Wenn die Position von Reiner Calmund nicht schon so fest in den Geschichtsbüchern der Bundesliga verankert wäre, könnte ich mir Goosen dort als einen attraktiven Platzhalter für die Rolle des geschäftstüchtigen Liga-Schwergewichts vorstellen. Wobei der Vergleich natürlich rein figürlich schon etwas hinkt. Wer Calmund einmal leibhaftig vor sich hatte, fragt sich nämlich augenblicklich, welch unglaubliche Spannkräfte Hosenträger doch entwickeln können. Als ich ihn kurz vor der WM 2006 in einem einzigen Wortrausch auf einem Fankongress in Bonn gesehen habe, war ich froh, als er wieder weg war. Ich saß nämlich in der ersten Reihe. Gebannt hielt ich die Kamera auf den schwitzenden Rheinländer, beobachtete irritiert, wie er ständig seine Anzughose hochzog, und fürchtete bei dem sicherlich in Kürze eintretenden Total-Kollaps unmittelbar vor meinen Augen, ihm als Erste Hilfe eine feuchte Mund-zu-Mund-Beatmung verpassen zu müssen. Dazu ist es damals Gott sei Dank nicht gekommen. Aber während der nächsten Tage habe ich mir immer wieder vorgestellt, wie ihm die attraktive dunkelhaarige Assistentin im Dienstwagen beim Wechseln des nassgeschwitzten Hemdes hat helfen müssen. Eine Prozedur, die sich am Tage wahrscheinlich häufiger vollzog. Nimmt man eigentlich nicht ab, wenn man so aktiv ist und schwitzt?

    Goosen hat endlich das Telefon beiseitegelegt und die VfL-Kaffeetassen herausgeholt. Henk mustert das großzügige Wohnzimmer und den anliegenden Garten. Er hat eine Idee, wo man die Kamera am günstigsten aufbauen kann. Goosen hat eine andere. Ich lasse die beiden diskutieren und entscheide mich schließlich für eine dritte Lösung, die ich beiden danach in einem Einzelgespräch quasi als ihre eigentliche Idee verkaufe. Alle sind zufrieden, und wir beginnen mit dem Interview.

    Am Wochenende zuvor im Ruhrstadion hatte eine Wespe den Bremer Trainer Thomas Schaaf in die Lippe gestochen, und der Hamburger van der Vaart wusste nicht nur die Hanseaten zu begeistern, indem er das Trikot des FC Valencia in die Kamera eines spanischen Reporterteams hielt. Ein schöner Skandal und genug Zündstoff für ein humorvolles Gespräch unter Fußballverrückten.

    Das Wetter ist herrlich. Keine Selbstverständlichkeit in diesem Sommer. Henk ist mittlerweile vollkommen überzeugt, dass das Format, das wir gerade abgedreht haben, einfach toll ist. Goosen ist wie immer witzig, die Idee neu und unverbraucht. Eben das, was die Welt stets fordert und nun auch endlich bekommen soll. Ich lasse mich für einen Moment von der Euphorie und dem warmen Gefühl des sonnigen Tages anstecken. Wir gehen auf ein Bier ins „Parkschlösschen direkt am Bochumer Stadtpark. Ich weiß natürlich, dass das mit dem einen Bier nicht klappen wird, nehme mir aber fest vor, es nicht ausufern zu lassen. Schließlich habe ich dem Mann vom „Kicker versprochen, morgen noch das fertige Video rüberzuschicken. Ich rufe Gerry, Wolle und Thomas an. Der entscheidende und verhängnisvolle Fehler. Alle drei können.

    Als das erste Bier, das einmal das einzige sein sollte, getrunken ist, beginne ich von meiner Entdeckung am Morgen zu erzählen. Ich hatte in der „Vanity Fair" eine Story zum Bundesliga-Start entdeckt. Promis sollten ihren Lieblingsklub nennen. Zum Glück hatten sie für den VfL Bochum Goosen genommen, was angesichts von abgehalfterten Fernsehsternchen wie Sat1-Moderatorin Bettina Cramer, vollbusigen Lachschnecken wie Ruth Moschner oder geschwätzigen Dauerunsympathen wie CSU-Politiker Markus Söder für uns VfLer eine ausgesprochen angenehme Wahl darstellte. Wie die Fans von Schalke 04 (Bettina Cramer), Hertha BSC (Ruth Moschner) und Nürnberg (Markus Söder) mit ihren prominenten Vereinskameraden klarkommen, ist sicherlich ein ernstzunehmendes Problem, über das die Anhänger einmal ausführlich mit einfühlsamen Psychologen ihrer Heimatstadt sprechen sollten.

    Doch das ist alles nichts gegen das Unheil, das den Fans von Bayer 04 Leverkusen widerfährt. Es war mir schon immer ein Rätsel, welcher genetische Aussetzer einen potenziellen Fußballinteressierten so vollkommen vom Weg abbringen kann, dass er Anhänger dieses Retortenklubs wird. Dass die Lösung allerdings so einfach sein kann, zeigt das Beispiel des auch im Alter noch rüstigen Gentleman-Boxers Henry Maske. Der hat nämlich tatsächlich auf die Frage „Fan seit? geantwortet: „1999. Weil ich damals eine McDonalds-Filiale in der BayArena eröffnet habe. Und da sage noch jemand etwas gegen die ewigen Mahner, die Fastfood für Teufelszeug halten.

    Henk, Gerry, Wolle und Thomas kriegen von der Geschichte natürlich Hunger, und so essen wir im Schein der untergehenden Sonne Currywurst, Mozzarella-Sticks und Aioli mit Brot. Als der Kellner um ein Uhr die letzte Runde bringt, laden wir ihn auf ein Bier ein. Beim Abkassieren fragt er mich, ob ich der Typ sei, der die zwei VfL-Filme gemacht habe. Für einen Moment sehe ich ihn an, um zu gucken, ob er glaubt, ich hätte schon ein paar Biere zu viel getrunken (was stimmt) und er mich nun ein bisschen verarschen könne. Doch er lächelt nur verlegen und scheint es ernst zu meinen: „Die Filme sind echt klasse. Machen richtig Spaß anzuschauen. Wobei ich gestehen muss, dass ich eigentlich Schalker bin." Kurz zucke ich zusammen. Wir sind den ganzen Abend von einem Menschen aus Herne-West bedient worden und haben nichts gemerkt? Eine Schande. Ich muss mir ehrlich eingestehen: Wir werden wohl langsam alt.

    Bist du Schalker, oder wat?

    Ich bin schon mit einem Lächeln aufgewacht. Das muss einfach ein guter Tag werden. Heute Abend spielen wir gegen den HSV, und wir können Tabellenführer werden. Zwar nur für eine Nacht, aber immerhin. Wenn du ein Bochumer bist, dann ist solch ein Ereignis ein Grund zum Feiern. Nicht die Nacht als Spitzenreiter, sondern der ganze Tag, an dem diese unfassbare Möglichkeit überhaupt besteht. Ich spiele kein Lotto, also werde ich nie in den Genuss kommen, sechs Richtige zu haben. Aber wenn der VfL Bochum in meinem Leben jemals Deutscher Meister werden sollte, dann wird es sich so anfühlen, als ob ich einen unglaublichen Jackpot abgesahnt hätte. Leider ist die Chance auf den großen Wurf beim Lotto in etwa mit der Deutschen Meisterschaft für den VfL Bochum zu vergleichen. Kollege Gerry hat die Hoffnung auf unseren VfL deshalb auch schon aufgegeben. Er kreuzt seit dem letzten Abstieg unserer Mannschaft wieder intensiv Zahlen zwischen 1 und 49 an: „Mein Gott, ich will einfach einmal in meinem Leben ein bisschen Glück haben. Warum versteht das denn keiner?", fragt er immer, wenn wir ein paar Bier getrunken haben und er denkt, sich für sein treuloses Verhalten entschuldigen zu müssen. Ich kann ihn ja verstehen, aber wer als VfL-Fan wirklich daran glaubt, er würde mit diesem Verein jemals Deutscher Meister werden, der gehört eingesperrt. Wir sind eben zum ewigen Leiden auserwählt. Am Abend wird aber gejubelt, da bin ich mir sicher.

    Nadine fragt mich, ob ich heute ins Stadion gehe. Ich liebe diese Frage. Seit der WM sind alle Frauen wie verwandelt. Irgendwie haben sie einen Narren an unserem Sport gefressen. Vor dem Sommermärchen hatte alles noch seine Ordnung. Habe ich früher zu Nadine gesagt, ich würde zu einem Kollegen gehen und Fußball gucken, hat sie für einen Moment beleidigt dreingeschaut und dann eine Freundin angerufen. Heute fragt sie mich, wer denn so alles kommt und ob ich schon an Chips und Getränke gedacht hätte. Absurd. Ich gebe zu, dass ich bei diesem Thema immer ein wenig überreagiere. Aber manchmal will man eben seine Ruhe haben, und diese Ruhe ist momentan ziemlich gefährdet. Schließlich gehe ich ja auch nicht uneingeladen auf irgendeine Party und stelle mich grölend mitten auf die Tanzfläche.

    Mittags suche ich ein paar Texte und Videos heraus. In zwei Wochen fahre ich mit dem Journalisten-Kollegen Christoph Ruf auf eine kleine Scudetto-Lesetour nach Berlin, Köln und Moers, und da will man vorbereitet sein. Scudetto ist der Name meines „kulturellen Fußballabends", den ich vor sieben Jahren im Presseraum des VfL Bochum das erste Mal präsentiert habe. Scudetto heißt, spannende Geschichten rund um den Fußball in zweimal 45 Minuten unterhaltsam auf die Bühne zu bringen. Auch wenn es mittlerweile einige Favoriten im Programm gibt, so ist doch jede Veranstaltung anders, weil ich immer wieder neue Filmchen, lustige Bilder oder interessante Anekdoten aus der bunten Welt des rollenden Leders entdecke und für die Veranstaltung aufbereite.

    Ich durchblättere also einen dreißig Zentimeter hohen Stapel Kopien und schaue noch einmal meine Notizen durch, um am Ende schließlich doch zunächst wieder bei meinen „Klassikern zu landen. Einer meiner absoluten Lieblingstexte ist der „FAZ-Fragebogen aus dem EM-Jahr 1996 mit dem damaligen Bundestrainer Berti Vogts. Auf der Bühne sage ich immer, dass der Bogen zu hundert Prozent genau so vom „Terrier ausgefüllt worden ist. Ich selbst glaube allerdings nur zu fünf Prozent daran. Zu hausbacken und naiv sind die Antworten des „Wadenbeißers. Niemand würde doch tatsächlich auf die Idee kommen, auf die Frage nach seinen Lieblingsschriftstellern und -lyrikern mit „Unbekannte Autoren zu antworten. Oder etwa doch? Schließlich hat Vogts den Journalisten ja auch einmal den unvergesslichen Gassenhauer „Hass gehört nicht ins Stadion. Die Leute sollen ihre Emotionen zu Hause in den Wohnzimmern mit ihren Frauen ausleben in die Notizblöcke diktiert. Ob gefakt oder echt, im Saal gibt es spätestens kein Halten mehr, wenn der alte Meisterspieler von Borussia Mönchengladbach und vom Leben nicht immer verwöhnte Berti Vogts auf die Frage nach seiner Lieblingsfarbe klar und unmissverständlich antwortet: „Gelb-grün".

    Gegen fünf werde ich nervös. Nur noch dreieinhalb Stunden bis zum Anpfiff. Ich mache mir eine Flasche Bier auf und durchkämme meine alten Fußballzeitschriften. Ich bin immer wieder aufs Neue entzückt, wie lang das alles schon her ist. Und wie jung die alle mal waren. Franz Beckenbauer mit vollem Haar und getönter Sonnenbrille. Ronald Koeman schlank und rank. Klaus Augenthaler ohne Falten. Unglaublich. Und gesoffen haben sie früher. Wolfram Wuttke von Lautern und unser Bochumer, Lothar Woelk, haben es sich bei einer Dopingprobe mal richtig gutgehen lassen. Sieben Liter Bier, also vierzehn Flaschen, mussten sie den beiden in die Umkleidekabine bringen. Der Aufsicht führende Arzt meinte, nachdem die Spieler endlich genug Wasser lassen konnten, völlig fassungslos: „Woelk hatte am Ende bestimmt 2,1 Promille im Blut." Ja, das waren noch echte Kerle!

    Das Blättern in den alten Magazinen lenkt mich jedoch nur unzureichend ab. Langsam aber sicher schleicht sich auch wieder der nervende Realismus eines VfL-Fans an mich heran. Von Minute zu Minute mache ich uns kleiner. Im Kopf spuken Sätze umher wie: Wir spielen heute nicht gegen irgendwen. Wir haben es mit dem Hamburger Sport-Verein zu tun. Mit van der Vaart & Co. Das kann eigentlich nicht gutgehen. Die waren schließlich Zweiter in der letzten Rückrunden-Tabelle, und wir sind nur der VfL Bochum. Heute könnte was Wunderbares, was nahezu Einmaliges passieren. Aber das geht ja bei uns eigentlich immer in die Hose.

    Nach einigen, zähen Minuten des Selbstmitleids erlöse ich mich und das Macbook aus seinem Ruhezustand. Ich gehe auf die Bet-and-Win-Seiten. Gucken, was man für den heutigen Abend Verrücktes wetten kann. Im ersten Moment werde ich von den unzähligen Möglichkeiten erschlagen. Fast nichts, was es nicht zu tippen gibt. Und eines ist unwahrscheinlicher als das andere. Ich entscheide mich schließlich für die blödeste Variante von allen überhaupt und prophezeie, von meinem eigenen Schwachsinn fast darniedergestreckt: Unser nicht unbedingt für seine Torgeilheit bekannter Abwehrspieler Marcel Maltritz schießt nicht irgendwann, sondern in der ersten Halbzeit, und zwar nicht irgendein, sondern das einzige Tor dieser Spielhälfte. Quote dafür aber immerhin 1:45. Ich riskiere fünf Euro und bin mir sicher, das Geld ist weg.

    Goosen ruft an. Er schlägt vor, in der Stadionkneipe noch ein Bier vor dem Spiel zu nehmen. Guter Plan. Gerry und Wolle schaffen es sowieso erst kurz vorm Anpfiff da zu sein, und die Begegnungen der zweiten Liga kann man auch auf dem Kneipenfernseher gucken. Goosen ist ebenfalls schon angespannt. Will er zwar nicht zugeben, ist aber so. Schließlich stimmt irgendwas mit seinem Magen nicht, und das ist bei ihm ein sicheres Zeichen für Nervosität. Er hofft, dass sich das noch bis zum ersten Bier legt. Als ich ihm von der Wette erzähle, lacht er herzhaft: „Nen größeren Scheiß hast du dir aber nicht aussuchen können, was?! Ausgerechnet Maltritz. Du bist wahnsinnig."

    In der U-Bahn zum Stadion sitzen zwei Herner Vorstadtgören. Beide sind etwa zwölf Jahre alt, leicht verschwitzt und tun alles, um cool zu wirken. Das geht ziemlich in die Hose. Die Anführerin der beiden hat bereits einen kleinen Busenansatz unter ihrem Neonpulli, und auch die kindlichen Züge verschwinden langsam aus ihrem Gesicht. Die andere sitzt pausbackig in einer schwarzen, viel zu engen Pferdehose in die Ecke gedrängt und saugt jede Silbe ihrer Freundin wie das Wort zum Sonntag auf. Den einsteigenden VfL-Anhängern mit ihren blau-weiß gestreiften Schals gucken die pubertierenden Teenies abfällig hinterher. „Wie kann man nur Fan von denen sein?, bricht es schnippisch aus dem Busenansatz heraus. „Ich bin für Schalke.

    Für einen Moment habe ich ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich habe das Schrottplatz-Video der Dortmunder Girlie-Proll-Band „Tic Tac Toe aus den Anfängen der Neunziger vor Augen. Drei dreckverschmierte Mädchen in blauen Overalls, die „Ich find dich Scheiße singen. Und plötzlich fällt mir wieder ein, dass es ja tatsächlich ein ähnlich klingendes Lied von „Tac Tic Tor gab: „Ich steh auf Schalke. Mit dem bis heute unübertroffenen Eröffnungssatz eines Fußballsongs: „Auf die Schnelle, auf die Schnelle machen wir La-Ola-Welle. Ne Attacke hinterher, das ist für Schalker nicht zu schwer." Großartig gedichtet, keine Frage. Aber wenn das inhaltlich mal nicht ein bisschen zu überheblich gewesen ist!

    Die Pferdehose kichert jedenfalls verlegen in ihre ausgewaschene Sommerjacke und guckt nervös umher. Offensichtlich haben die drumherum sitzenden VfL-Fans Besseres zu tun, als den Mädchen übers Maul zu fahren. Vielleicht haben sie aber auch nur Mitleid mit diesen beiden fehlgeleiteten Kreaturen. Und so fasst sich die Pausbackige zwischen zwei Schokoriegeln und einem vor Aufregung abgesetzten Jungmädchenpups ein Herz und verkündet stolz: „Von dem Maskottchen Ährwin habe ich sogar ne Tasse zu Hause. Da trink ich jeden Morgen raus."

    Ich muss mich arg zusammenreißen, dass ich nicht mitten in der Bahn einen Lachkrampf bekomme. Doch der mittlerweile in der Luft zirkulierende Pups treibt mich an das Ende des Wagens. Aus sicherer Entfernung beobachte ich noch, wie die beiden Vorstadtgören die Hände in die Luft recken und sich abklatschen. Drei Punkte auf feindlichem Territorium. So leicht werden wir es gleich den Hamburgern hoffentlich nicht machen.

    Goosens Magenprobleme sind nicht besser geworden. In gekrümmter Haltung nippt er von seinem Bier und schimpft auf die eigene körperliche Verfassung. Das einzige, was ihn ein bisschen abzulenken scheint, ist das penetrant dauerknutschende, ganz in Blau und Weiß gehüllte Pärchen zwei Nachbartische weiter. Auch wir schauen gebannt zu, wie der leicht pickelige Junge die brünette Schönheit mit einem einzigen Kuss zu verschlingen versucht. Ollie, der, wenn er nicht gerade

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