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Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh
Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh
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eBook639 Seiten5 Stunden

Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh

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Über dieses E-Book

Mit Herz…
Erfahrung, Wissen, Entwicklung - dafür steht Andreas Herzog, der als Spieler wie auch Trainer eine beachtenswerte Karriere hingelegt hat. Die Erfolge Mit Rapid, Werder und Bayern, mit Nationalteams auf verschiedenen Kontinenten haben ihn zu einer Persönlichkeit reifen lassen, die nachdenklich zurück und überlegt nach vorne blickt.

… und Schmäh
103 Länderspiele, 103 Anekdoten - auch dafür steht Österreichs Rekord-Teamspieler Andreas Herzog, der Zauberer mit Wiener Schmäh, der nie um einen guten Sager oder einen lustigen Streich verlegen war und ist. Es hat sich einiges von "weniger Mozart, mehr Beethoven" bis zum "Shall I be happy?!" getan, doch untreu ist er sich im Laufe der Jahrzehnte nicht geworden. Ganz im Gegenteil: authentisch, ehrlich, echt!

So, wie es seinem Wesen entspricht, präsentiert sich die vorliegende Biographie: umfassend mit Tiefgang, augenzwinkernd spielerisch leicht, mit vielen Bildern seiner wichtigsten Stationen.
Ein echtes Buch über einen, den es kein zweites Mal gibt.
SpracheDeutsch
HerausgeberEgoth Verlag
Erscheinungsdatum10. Nov. 2021
ISBN9783903376052
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    Buchvorschau

    Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh - Karin Helle

    KAPITEL 1:

    HILF DIR SELBST, SONST HILFT DIR KEINER – ODER DER GEIST VON ERNST HAPPEL

    NATIONALTEAM 1992

    Wie fühlt es sich wohl an, wenn dir eine nationale Legende, ein ehemaliger großer Spieler und noch größerer Trainer, plötzlich und unerwartet die Stirn bietet – allerdings keineswegs im klassischen Sinn Mann gegen Mann, Auge um Auge oder Zahn um Zahn, sondern vielmehr inspirierend und mit der festen Absicht und dem Glauben, aus dir das Beste herauszuholen? Einer, der es wissen muss, ist Andreas Herzog. Sein Sparringspartner im Ring oder in diesem Fall besser gesagt auf der Trainerbank: Ernst Happel.

    Herzog, gerade mal 21 Jahre jung, noch bei Rapid Wien kickend und auf dem Sprung zu Werder Bremen, war zu diesem Zeitpunkt noch kein Großer – und auch nach dem Wechsel von den Grün-Weißen der Donaumetropole zu den Grün-Weißen an die Weser noch nicht, zumindest wenn man den Worten seines späteren Klubtrainers und Förderers Otto Rehhagel Glauben schenken mag –, doch dazu später mehr.

    Und Ernst Happel? Er war in der Tat die bereits oben erwähnte Legende – und traurigerweise auf seiner finalen Trainerstation angekommen. Happel, authentisch, ehrlich und echt, verstand es wie kein Zweiter, Leichtigkeit, Weite und Menschenkenntnis mit Strategie und Vision zu verbinden – passgenaue Kompetenzen, die er sich am liebsten auf dem Spielfeld des Lebens aneignete, ein reichhaltiger Erfahrungsschatz garantiert. Nicht umsonst erdete sich der „Wödmaster aus dem 14. Wiener Gemeindebezirk Penzing zur Entspannung am liebsten im 16., in Ottakring, um hier im Café Ritter auf einen Verlängerten, eine Zigarette oder ein Glaserl Wein einzukehren, mit Freunden und Pensionisten zu plaudern oder sich am Kartenspiel „Schwarze Katze zu erfreuen – mittendrin, statt nur dabei. Dort der Stratege des Spielfelds, in Pressing, Raum-, statt Manndeckung denkend und seiner Zeit weit voraus, und hier der aus tiefstem Herzen liebende und lebende Mensch, mit der nötigen Intuition und dem Erfahrungswissen, wie man junge Menschen berühren und führen muss.

    Doch zurück zu Andi Herzog und dessen Weg, ein Großer werden zu wollen, sowie der allgemein bekannten Tatsache, dass man im besten Fall aus Rückschlägen lernt. Jedenfalls war das Länderspiel gegen Litauen so eines im April 1992 – zumindest für Andreas Herzog, denn das eigentliche Spiel konnte das ÖFB-Team im Wiener Praterstadion erfolgreich und mit einem Kantersieg 4:0 für sich entscheiden. Vielleicht lag es daran, dass Herzog zu sehr mit seinem bevorstehenden Wechsel nach Bremen kokettierte, vielleicht an der Tatsache, dass Austria damals das bessere Team stellte – so war er neben Peter Schöttel der einzige Rapidler in der rot-weiß-roten Armee, die Violetten mit fünf, sechs Kickern in der Mannschaft vertreten. Für alle Statistiker sei erwähnt: Wohlfahrt, Zsak, Stöger, Prosenik, Ogris, Flögel …

    Na, da war ich neben dem Schöttel Peter der einzige Rapidler und habe mit sechs oder sieben Austrianern zusammengespielt. Da habe ich es nicht leicht gehabt, und die haben immer zusammengehalten. Nichts jetzt gegen den Stöger Peter, aber es war so. Zsak, Stöger, Aigner, Ogris, Polster, Ex-Austrianer. Und der Zsak Manfred spielt einen Ball anderthalb Meter an mir vorbei, und ich erwisch ihn nicht, und er scheißt mich voll zusammen: „Na, was ist, willst dich nicht bewegen? Und ich sag: „Na, Zsaki, den Ball kann i ned dawischen, und auf einmal gehen drei Austrianer auf mich los und fangen zu diskutieren an. Und der Happel hat mich sofort ausgetauscht. (Andreas Herzog)

    Stinksauer stapfte Herzog vom Platz, zog vor der Bank provozierend sein Leiberl aus und wollte es weghauen.

    Ich wollt dem Happel zeigen: Ich pfeif auf dich. Ich war damals halt ein jähzorniger, junger Bua mit Anfang 20, ging gleich unter die Dusche und dachte mir: Lecko mio, das ist das Ende, der Happel stellt mich nie wieder auf. (Andreas Herzog)

    Es ist halt immer so eine Sache mit dem Selbstvertrauen, gerade in jungen Jahren, wenn man am Anfang einer Karriere steht und sich zunehmend bewusster über seine vielleicht sogar einmaligen Fähigkeiten, Stärken und Talente wird. Schnell können Selbstüberschätzung auf der einen genauso wie Selbstzweifel auf der anderen Seite stete Begleiter in Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung sein – und für zu hohe Flüge mit gegebenenfalls hartem Aufprall sowie wie im vorliegenden Fall für unkontrollierte Emotionsausbrüche sorgen.

    So oder ähnlich muss es Andreas Herzog nach seinem Wutausbruch am Spielfeldrand gegangen sein, jedenfalls war er sich sicher: „Der Happel beruft mich nicht mehr ein." Doch weit gefehlt – und so stand er schon wenige Wochen später seinem Coach bei der nächsten Zusammenkunft des Nationalteams gegenüber.

    „Zauberer? Na, was war das letztes Mal?"

    „Naa, Trainer, i will da nicht irgendetwas Altes aufwärmen. I hab da Meinungsverschiedenheiten gehabt mit anderen Spielern, aber da will ich im Nachhinein nicht drüber reden. Da will i niemanden verpetzen."

    „Na, glaubst, i bin deppert? Ich hab’s genau gesehen! Und glaubst, soll ich dir helfen? Willst, dass ich dir helf?"

    Und ich hab mir gedacht: Ja, bitte, ich bin fast der einzige Rapidler gegen sieben Austrianer (lacht im Nachhinein).

    „Wirst du ja selber nicht glauben. So blöd bin i ja ned. Entweder du setzt dich allein durch oder es wird mit dir nichts." (Andreas Herzog)

    Das hatte gesessen. Klar, kurz und prägnant – unnachahmlich Happel. Eines war Andi Herzog jedenfalls klar: Vonseiten des Grantlers war mit Unterstützung nicht mehr zu rechnen. Doch war die Message anscheinend ein Stück weit angekommen. Herzog musste sich selbst durchsetzen. Und auch wenn ihm bei dem folgenden Spiel gegen Wales kein Tor gelang und er abermals ausgewechselt wurde, hatte er doch einen Schritt gemacht: Die Nerven im Griff und freundlich nickend an der Trainerbank vorbei Richtung Duschkabinen. Happel mochte Herzog – und wusste um dessen Wichtigkeit für die Kreativität des österreichischen Spiels: die entscheidende Torvorlage, der Lupfer hinter die Abwehrreihen, der diagonale Steilpass in den freien Raum. Und vielleicht sah er ein wenig ja sogar sich selbst in ihm.

    „Natürlich, Happel verkörperte den klassischen Libero – ein lässiger und kreativer Verteidiger, mit Vorausschau und Technik und seiner Zeit im österreichischen Fußball voraus, meinte Herzog. „Aber durchaus auch ein Schlawiner und mit Schmäh bei der Sache. Hatte er doch angeblich einst einmal seinem eigenen Tormann beim Stand von 4:0 ein Tor reingeschossen mit den Worten: „Waßt, du hast gesagt, du kriegst kein Tor. Da hast eins!"

    Doch mindestens genauso wichtig: Happel wusste Herzog zu führen, zu berühren und zu inspirieren. So verfügte der einstmals ebenfalls für Rapid kickende und spätere Meistercoach über die seltene Gabe wirklich großer Trainer, neben dem Spiel auch die Spieler lesen zu können. Zu spüren, was sie bewegt und für jede Situation in Wahlmöglichkeiten zu denken – eben den richtigen Schlüssel für den rechten Moment parat zu haben. Mal durch Hilfe zur Selbsthilfe, dann durch Überzeugung und Klarheit oder einfach nur durch stumme Impulse führend – intuitives Erfahrungswissen, über Jahrzehnte entwickelt.

    Günter Netzer, der Happel in seiner erfolgreichen Zeit beim Hamburger SV zu Beginn der 80er-Jahre als Vereinsmanager begleitete, nannte den Trainer sogar ehrfürchtig ein Phänomen: „Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Als Happel zum HSV kam, hatten wir sechs Wochen Vorbereitung. Beide Torhüter, Jupp Koitka und Uli Stein, haben gehalten wie die Weltmeister. Am Abend vor dem ersten Spiel fragte ich Happel, wer denn nun im Tor stehen würde. Er sagte: ‚Ich weiß es nicht. Aber wenn ich morgen früh die Augen aufmache, werde ich es wissen.‘ Am nächsten Tag stellte er den Stein ins Tor – und der wurde Nationalspieler."

    Da stellt sich die Frage, was all das mit Andi Herzog zu tun haben könnte, denn der kickte zur großen Zeit des HSV gerade mal in der Jugendabteilung bei Wacker Mödling in der Wiener Südstadt – oder zu Hause in Meidling mit Freunden gegen das Garagentor. Vielleicht verfügte der ehemalige Championtrainer Happel einige Jahre später und auf seiner letzten Station für den Österreichischen Fußball-Bund über eine ähnliche intuitive Eingabe am frühen Morgen des 28. Oktober 1992. Jedenfalls ging er unmittelbar vor dem entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Israel auf den auf der Spielerbank sitzenden Herzog zu, der sich gerade die Schuhe schnürte, presste seine Stirn an dessen Stirn und raunzte ihn in gewohnt kauziger Manier an: „Jetzt zeig ihnen, wie gut du bist, Zauberer."

    Eine Botschaft, die Herzog zutiefst berührte und deren Inhalt seine Karriere bis heute begleitet. Herzog wuchs über sich hinaus und schoss im folgenden Spiel beim 5:2-Sieg zwei entscheidende Tore. „Fast im Alleingang habe ich das Spiel gewonnen", erzählt er heute noch stolz.

    Und Ernst Happel? Er durfte das wenige Wochen später stattfindende Spiel des ÖFB gegen Deutschland im Praterstadion nicht mehr erleben – nur mehr seine legendäre Kappe weilte 90 Minuten lang verwaist auf seiner geliebten Trainerbank. Nach nur einem knappen Jahr als Nationaltrainer Österreichs verstarb er im November 1992 – schwer gekennzeichnet durch ein Krebsleiden.

    Es wäre hochspannend zu wissen, wie sich wohl die Zusammenarbeit zwischen den beiden waschechten Wienern entwickelt hätte, wenn sie von längerer Dauer gewesen wäre. Hier der Grantler und das Genie, dort der Ballkünstler mit Herz und Schmäh. Langweilig oder besser gesagt fad wäre es wohl nie gewesen. Doch was bleibt, ist für Andi Herzog die Erkenntnis, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen – auf und neben dem Platz. Eben getreu nach dem Motto: Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner! Sowie mit ganzem Herzen dabei zu sein. Denn dann werden dir Weggefährten geschickt, die dich auch mal anschieben. Oder dich ins kalte Wasser stoßen. Oder dir mal in den Hintern treten. Übrigens ein roter Faden, der sich durch seine bisherige Karriere zieht – wie wir später noch feststellen werden.

    Und da wären wir schon mittendrin, im Leben des Andreas Herzog: Von einem, der auszog, um im Ausland sein Glück zu suchen. Oder in anderen Worten vom „Schluchtenscheißer zum „Alpen-Maradona, wie ihn die deutsche Presse ehrfürchtig bezeichnete.

    Das war sein letztes Länderspiel. Das macht mich heute noch stolz, dass ich quasi in seinem letzten Länderspiel a Wahnsinnspartie gespielt habe, zwei Tore geschossen, wir haben 5:2 gewonnen. Und damals hat mich auch der israelische Teamchef, damals der Shlomo Scharf, bei der Weltfußballerwahl auf den dritten Platz gewählt – und drum bin ich 40. geworden (lacht herzhaft). Danke, Shlomo Scharf (lacht wieder). Aber ich hab die im Alleingang fast zerschossen, ein Tor mit dem Rechten, mit einer Wucht, und das, weil mir der Happel vorher gesagt hat: „Und jetzt zeig ihnen, wie gut du bist." Und das war für mich a Message: Du bist gut genug, du brauchst von mir keine Unterstützung, zeig einfach, was du kannst. Und … Attacke! (Andreas Herzog)

    Herzog unter Happel: Ein kurzer gemeinsamer Weg – sieben Länderspiele

    KAPITEL 2:

    „MAMA, DAS VERZEIH ICH DIR NIE!"

    ADMIRA WACKER 1974–1983

    Macht man sich über ein Leitmotiv in Sachen „Andi Herzog Gedanken, über ein unsichtbares Band, das ihn ein Stück weit durch sein bisheriges Leben führte und für die Ausbildung seines Charakters zuständig war und ist, diesen prägte und entwickelte, wird schnell ein erster roter Faden sichtbar. Beginnend mit seiner Zeit im Kindergarten – denn eben die gab es für den späteren Rekordnationalspieler gar nicht. „Ein Paradoxon, wird sich mancher Leser auf den ersten Blick denken, denn wie kann eine Zeit, die gar nicht stattgefunden hat, für eine Karriere prägend sein? Doch mehr dazu später und rein in die Kinderschuhe und die damit verbundenen ersten fußballerischen Gehversuche des Andreas Herzog – sozusagen der Punkt null im Fußballleben des noch ganz jungen Kickers.

    Ich war nie im Kindergarten, weil meine Schwester ist in den Kindergarten gekommen und hat Probleme mit der Kindergartentante bekommen. Das dürfte eine strenge Nonne gewesen sein oder so. Dann hat meine Mutter gesagt: „Dann kann ich meinen Sohn gleich gar nicht vorbeibringen (lacht), weil das wird noch schlimmer" (lacht noch lauter), und so war ich immer schon als kleiner Bua mit meinem Vater auf dem Platz. (Andreas Herzog)

    Anton „Burli" Herzog kickte zu der Zeit noch für Admira Wacker. Und da der damals noch kleine Andi eben nicht in den Kindergarten gehen durfte oder sollte, schulterte sein Vater neben Trainingstasche und Fußballschuhen auch noch den drei, vier Jahre alten Sohn, um sich auf den Weg zu machen – hinaus aus der Enge der Wohnung mitten im 12. Wiener Gemeindebezirk, vorbei am Bahnhof Meidling und hinein in die damals noch fast autofreie Wiener Südstadt. Denn da, wo heute endlose Autokarawanen langsam und schwerfällig durch die Straßen ziehen, um Möbelhäuser, Gewerbegebiete und Shopping City möglichst bequem und vor der Tür parkend zu erreichen – schnell hin, alles drin –, herrschte Anfang der 70er-Jahre noch eine fast wundersame Idylle. Zahllose Teiche und große Seen mit einer noch größeren Artenvielfalt an Wasser- und Singvögeln, Fröschen, Kröten, Schlangen und Insekten müssen das Bild des südlichen Wiener Beckens geprägt haben, wenn man den Erzählungen älterer Einheimischer Glauben schenken mag. Der städtische Wiener hingegen kam im Allgemeinen nur aufs platte Land, um dort zu baden oder im eigenen Kleingarten Marillen zu pflücken – und im Besonderen natürlich an den Wochenenden.

    Familie Herzog muss ihrer Zeit damals ein Stück weit voraus gewesen sein – oder sich besser gesagt der Entwicklung und den entsprechenden Gegebenheiten zwangsläufig angepasst haben. Denn während Andis Vater noch in den 60er-Jahren in den 21. Bezirk pendelte, einen nördlich der Donau gelegenen Stadtteil Wiens, um dort beim damals sehr erfolgreichen und in Jedlesee in Floridsdorf beheimateten SK Admira Wien zu kicken, zog es ihn Anfang der 70er-Jahre in den Süden der Stadt. Grund dafür war der finanzkräftige Sponsor des Klubs, selbst an der Stadtgrenze südlich vor Wien bei Maria Enzersdorf beheimatet. Der Energieversorger holte den traditions- wie erfolgreichen SK Admira zu Beginn der 70er-Jahre auf seinen Grund und bestimmte zudem die spätere Fusion mit Wacker Wien – Admira Wacker war im Jahr 1971 geboren.

    Doch schon damals waren die ersten Ansätze der Kommerzialisierung des Fußballsports anscheinend vielen Fans ein Dorn im Auge – und der Spagat zwischen Tradition und Zukunft, Lokalpatriotismus und Vision, Gewohnheit und Veränderung ein zu großer: Die Anhänger spielten nicht mit. Denn während 1966 noch 17.000 Zuschauer im Wiener Praterstadion den legendären Sieg von Admira über Rapid feierten, bei dem ausgerechnete Burli Herzog das entscheidende Tor gegen den späteren Herz-Klub seines Sohnes schoss, kamen zu Beginn der 70er-Jahre nur noch wenige Zuschauer ins neue Südstadt-Stadion.

    Natürlich möchte der allgemeine Fußballfreund, in der Regel eher traditionsbehaftet, lieber nur die Straßenseite wechseln, um zum Match und anschließend ins Beisl gehen zu können, statt die ganze Stadt zu durchqueren, um sein Team in einem damals noch eher sterilen Schmuckkästchen, zwischen Kleingärten und einer Seenlandschaft gelegen, zu unterstützen – absolut nachvollziehbar durch die Brille des Fans betrachtet.

    Für Andreas Herzog dagegen muss die neue Umgebung, das großzügige Trainingsareal, die damals noch vorhandene Weite vor den südlichen Toren Wiens genauso wie die Möglichkeit, den Papa immer zur Arbeit begleiten zu dürfen, eine große Bereicherung gewesen sein – und der Grundstein für den Verlauf seiner außergewöhnlichen Karriere. Zumindest auf der einen Seite. Doch bekanntlich hat ja alles zwei Seiten – und so wirkten sich die fehlenden Kindergartentage möglicherweise ein wenig auch auf seine damalige Charakterbildung aus: Er zeigte sich anfangs eher zurückhaltend, schüchtern und vorsichtig, nicht draufgängerisch oder à la „Platz da, jetzt komme ich!".

    Immerhin und trotz aller Introvertiertheit – einen treuen Freund hatte er zur damaligen Zeit schon.

    Durch das war ich halt oft mit meinem Vater in der Südstadt damals, und der Zeugwart, der hat einen Schäferhund gehabt, den Rolfi, mit dem bin ich halt da die ganze Zeit herumgelaufen, und der Hund hat auch so ein Gefühl gehabt, der hat die ganze Zeit auf mich aufgepasst. Ich war noch relativ klein, und trotzdem war die sportliche Heimat die Südstadt, wo Admira Wacker spielt, und ich war jahrelang schon draußen, und alle Leut haben immer gesagt, weil ich damals schon sehr gut Fußball spielen konnte, alle haben gesagt: „Andi, warum fangst nicht an?" (Andreas Herzog)

    Aber Andi wollte nicht – und so zog der junge Herzerl, während Papa fleißig trainierte und an den Wochenenden spielte, mit Rolfi weiter um das Trainingsgelände – Stunde um Stunde und Tag für Tag.

    Und irgendwie, weil ich am Anfang immer ein bisserl Anschlussschwierigkeiten hatte, vielleicht dadurch, dass ich nicht im Kindergarten war, habe ich am Anfang mit den Kontakten ein bisserl Schwierigkeiten gehabt, und dann vergess ich es nie, sind die Trainer immer gekommen, zum Beispiel der Herr Boff, und er hat gesagt: „Komm, Andi, trainier einmal mit." (Andreas Herzog)

    Doch Andi ließ sich weiterhin nicht überzeugen, blieb beim obligatorischen „Na, na, na! und schaute sich stattdessen stoisch und gemeinsam mit Freund Rolfi das Training von außen an. Das Trainerteam rund um Herrn Boff schien ratlos, und ein Ernst Happel, der ihm – wie dann Jahre später passiert – die Stirn hätte bieten können, war weit weg beziehungsweise zu dieser Zeit irgendwo zwischen Sevilla, Brügge und den Niederlanden unterwegs. Was also tun? Anscheinend bedurfte es anderer Wege, Mittel und Möglichkeiten, um den kleinen Minikicker mit dem talentierten linken Fuß im Herzen zu berühren und zu seinem Glück zu zwingen. Wobei wir wieder beim intuitiven Erfahrungswissen wären, um den kleinen „Buam auf seinen Weg zu bringen.

    Und dann hat meine Mutter mich einmal geschultert und hat gesagt: „Herr Boff, der Andi will heute mittrainieren, und hat mich mitten in die Gruppe hineingestellt. Ich habe sie böse angeschaut und gesagt: „Mama, das verzeih ich dir nie! Doch ab diesem Zeitpunkt habe ich es geliebt, bei der Admira Fußball zu spielen. (Andreas Herzog)

    Intuitives Erfahrungswissen, der berühmt berüchtigte Wurf ins kalte Wasser, ein Kaltstart mit Folgen – wie Jahre später auch unter Happel. So oder so: Der Junge war in der Spur. Und er lief los.

    Drei Faktoren sind dem französischen Naturalisten Émile Zola zufolge dafür zuständig, wie sich ein Mensch in seinem Leben entwickelt: das Milieu, der Zeitpunkt und der Ort, in den man hineingeboren wird beziehungsweise an dem man seinen Beruf ausüben darf. Während der österreichische Genforscher Dr. Markus Hengstschläger davon ausgeht, dass Erfolg immer das Produkt aus Genetik und Umwelt ist, aus individuellen Leistungsvoraussetzungen und harter Arbeit. All das wiederum trägt zur Persönlichkeitsentwicklung bei.

    Fragt man den „Zauberer heute, ob er denn in Sachen „Milieu, Zeitpunkt und Ort wie auch in „Gene und Umwelt die gleiche Wahl treffen würde, wenn er es denn könnte, lächelt er spitzbübisch: „Passt eh – und meint damit das damalige Wohnumfeld und die Enge der Meidlinger Wohnung sowie den daraus resultierenden Wunsch, einmal in einem Haus mit Garten leben zu dürfen; genauso wie seine resolute Mutter, die ihn einfach aus einer Eingebung heraus schulterte und in den erhabenen Kreis der Südstadt-Minikicker stellte, und sein hochtalentierter Vater mit Fußballsach- und machverstand als Unterstützer und Experte sowie seine Schwester, die ihn vor dem Kindergarten bewahrte und somit früh für die nötige Erdung auf dem Fußballfeld sorgte. Und vielleicht und unbewusst dadurch auch für die Tatsache, dass Herzog durch eine gewisse Zurückhaltung immer er selbst bleiben durfte – eben weniger Darsteller, Influencer oder Schauspieler, stattdessen aber authentisch, ehrlich, echt.

    Bei meiner persönlichen Entwicklung war es so, dass ich es als junger Spieler immer allen Menschen recht machen wollte und dadurch immer auch ein bisserl Kompromisse gemacht hab, mir viel Gedanken gemacht habe, warum mich die gegnerischen Fans so beschimpft haben, obwohl sie mich doch gar nicht kennen, das ist jetzt alles vielleicht auch ein Blödsinn, aber weil du geschrieben hast, authentisch, ehrlich, echt. Das hat sich dann erst nach meinem Meistertitel in Deutschland und vor allem auch jetzt mit zunehmenden Erfolgen in der Karriere verändert, da hast du eine andere Persönlichkeit entwickelt. Jetzt bin ich so, wie ich bin, und mir ist das mittlerweile egal, was die Leute über mich denken. Ich möchte authentisch bleiben. Und das ist das Wichtigste. Diese Entwicklung – von es vorher jedem recht machen hin zu einfach der sein, derman ist, wenn man authentisch ist –, darum geht es. Danke, ciao! (Andreas Herzog)

    Andi Herzog (schlafend) mit Mama, Papa und Schwester Claudia

    KAPITEL 3:

    EIN GUTER SPIELER IST NICHT ZU VERHINDERN – ODER EIN TAG MIT ANDI

    ADMIRA WACKER 1974–1983

    „Hallo, Claus, Andi spricht, ließ es mich der Messengerdienst des Smartphones am späten Vormittag und kurz vor Ostern wissen. „Ich bin dann am Weg zu meinem Vater und zu meiner Mutter raus. Der Vater ist aus dem Krankenhaus heimgekommen, so die angenehme Stimme mit bekannt charmanter Wiener Klangfärbung via Sprachnachricht weiter. Dann sollte es wieder nach Hause gehen, um gegen 15.45 Uhr die Kinder in die Südstadt zu bringen, auf dem Parkplatz vor den Stadiontoren ein Interview für Servus-TV zu geben, mich zwischenzeitlich am Hotel in Perchtoldsdorf abzuholen und wieder in die Südstadt zu fahren. Was für ein Programm!

    Überhaupt pendelte das Leben des Andi Herzog in diesen Tagen auf einer geraden Linie zwischen seinem südwestlich von Wien gelegenen Wohnort, dem großzügigen Trainingsareal rund um das Admira Wacker-Stadion in der Südstadt sowie dem südwestlich von Laxenburg gelegenen Wohnort seiner Eltern, irgendwo in Niederösterreich – ein ständiges Hin und Her. Mittendrin auf dieser Route hatte ich mein Lager aufgeschlagen, in einem kleinen, aber feinen Stadthotel im noch feineren Perchtoldsdorf, eigentlich beliebt und bekannt durch seine so typischen Heurigenlokale und ebenfalls vor den Toren Wiens.

    Doch in diesen Tagen war vieles anders. Die Pandemie hatte auch Österreich voll im Griff, und alles, was auch nur ansatzweise hätte Freude machen können, war geschlossen oder verboten. Und so spielte sich auch das Leben der Familie Herzog in erster Linie draußen ab. Denn während sein zehn Jahre alter Sohn Louis und der 13 Jahre alte Sohn Luca fleißig auf den Plätzen in der Südstadt trainierten, hielt Papa Herzog beharrlich und mit einer – zumindest äußeren – stoischen Gelassenheit stundenlang die Stellung. Mal plauderte er mit den anderen Vätern, die ebenfalls auf ihre Söhne warteten, mal kam ein Fernsehteam vorbei, um mit ihm ein Interview zu führen. Langeweile kam jedenfalls nicht auf, trotz Abstandhalten und Co., obwohl die Lokalität am Rande der Trainingsplätze geschlossen war und man auch am Training selbst nur aus großer Entfernung teilnehmen durfte.

    Gegen 16 Uhr leuchtete das Smartphone erneut auf. Diesmal die Nachricht von Andi: „Bin zwischenzeitlich wieder zu Hause gewesen, habe die Jungs zum Platz gebracht, das Servus-TV-Team verspätet sich wegen dichten Verkehrs. Warte im Hotel auf mich."

    Und dann noch sein Wunsch, ob wir noch kurz in der Shopping City vorbeischauen könnten – schließlich stand ja Ostern vor der Tür. Na klar, ich war bei allem dabei – mitten im Alltag des Rekordnationalspielers.

    Gesagt, getan: Nachdem sich sein Auto durch die engen Perchtoldsdorfer Gassen und vorbei am beeindruckenden 500 Jahre alten Wehrturm der Marktgemeinde geschlängelt hatte, wurde der weitere Plan für den Nachmittag konkretisiert: Rein in den Sport-Megastore in der Shopping City, Ostergeschenke für die Jungs und Frau Kathi kaufen und wieder raus auf den Platz.

    Sofort leuchteten uns die zahlreichen Fußballschuhe in ihrer ganzen Vielfalt wie bunte Ostereier entgegen – irgendwie passend zum Fest. Ein Gespräch über Farben, Form und Vorzüge eben dieser entstand, und dann die brennende Frage, in welchen Fußballschuhen er heute farblich spielen würde: „Für mich war immer wichtiger, dass der Schuh die perfekte Passform hat und das i ned, wenn der Boden ned ganz weich ist, mit Stollenschuh, sondern mit Nockenschuh spielen kann oder einer Mischung aus Nocken- und Stollenschuh. Das heißt auf Wienerisch Gummler."

    Herzog gerät ins Schwärmen: „A Lederschuh, und wenn es dann geregnet hat und du bist rausgestiegen, und das nächste Mal bist du reingestiegen in den Schuh und die Passform hat genau gepasst und dann war er wieder mit Lederfett eingeschmiert und die Streifen wieder weiß nachgemalt, das war extrem edel. A schwarz-weißer Kultschuh wie der Copa Mundial war für mich viel wichtiger wie jetzt die ganzen bunten Schuh, die da rumrennen."

    So kann man sich täuschen, wäre ich doch davon ausgegangen, dass sich Herzog heute für einen weißen Schuh entscheiden würde. Aber wie immer macht es wohl die Mischung. Schwarz für harte Arbeit, Weiß für die Kunst.

    Es ist eine Gabe, wenn man mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet ist wie Andreas Herzog, so individuell wie ein Fingerabdruck, etwas Einmaliges, das einem in die Wiege gelegt wurde. Und es ist eine Kunst, dieses ganz spezielle Talent möglichst schnell für sich zu entdecken und auch abzurufen, es zu entwickeln, zu formen und zu verfeinern. Wirkliche Meister wissen, was sie können und wofür sie stehen. Sie reflektieren und regulieren sich selbst und üben zielgerichtet.

    Ich hab mir mit meiner Schwester das Kinderzimmer geteilt, und zwischen den zwei Nachtkastln war ein 15 Zentimeter großer Spalt. Mit dem Tennisball bin ich dann durch die ganze Wohnung gedribbelt, vom Wohnzimmer durchs Vorzimmer, schlussendlich ins Kinderzimmer, und dann war des das Tor, der 15-Zentimeter-Spalt. Und dann hab ich immer gestoppt, wie schnell ich vom Balkon weg durchs Wohnzimmer im Spalt war – Hunderte Male. Und meine Schwester hat sich immer beschwert, weil sie hat immer viel gelernt, und es hat immer „bum, bum, bum"gemacht. (Andreas Herzog)

    Talent hatte der junge wie auch kreativ spielende Andreas Herzog jedenfalls von klein auf. Sein Drang war die Offensive, seine Leidenschaft der Chip über die gegnerischen Abwehrreihen hinweg. Er holte sich die Grundlagen zu Hause in der engen Wohnung in Meidling und mit einem Plastikball – beim an die Wand Spielen im Hinterhof, beim Parkoder Käfigfußball, eins gegen eins, drei gegen drei, zwei gegen zwei, mit Kindern aus der Nachbarschaft und einfach bei allem, was man mit dem Ball gerne macht. Herzog liebte vor allem die Freiheiten, die er hatte, wenn man nicht auf das Ergebnis schauen musste. Einfach spielen eben. Dann noch die Trainingseinheiten in der Südstadt, und natürlich sein Vater als Unterstützer.

    Mein Vater war von klein auf sehr wichtig für mich. Er war der, der mich das Fußballspielen gelehrt hat und mich auch als Trainer begleitet hat. Es waren oft Kleinigkeiten, Kernaussagen und andere Wichtigkeiten, die er mir mit auf den Weggegeben hat. (Andreas Herzog)

    Mittlerweile waren wir am Trainingsgelände angekommen. Die Sonne strahlte in den frühen Abendstunden, und das Ende März. Es fühlte sich fast wie Sommer an – wenn da nicht die Pandemie gewesen wäre. Hier und da einige Eltern, die das Spiel der U15 der Südstädter gegen Sturm Graz verfolgten. Wir standen ebenfalls weit abseits des Platzes, und ich, mehr als kurzsichtig, konnte nur wenig bis gar keine Aktionen erkennen. Was für ein Glück, dass ich mit Andreas Herzog einen mehr als kompetenten Seher an meiner Seite hatte. In der Tat war ich von seiner Wahrnehmung beeindruckt, jede kleinste Kleinigkeit schien er zu sehen, zu fühlen oder zu riechen. Das Wichtigste war für ihn die Bewegung nach vorne. „Der bleibt schon wieder stehen", echauffierte er sich dann. Alle sollten immer in Bewegung sein, offensiv und nach vorne, und Sohn Luca am besten beteiligt an Toren. Ganz so wie es sein Vater früher wohl bei ihm gemacht hatte.

    Bei Werder Bremen waren wir im ersten Jahr gleich Meister, da habe ich sehr, sehr gut gespielt. Im zweiten Jahr lief es nicht so gut. Da ist einmal mein Vater zum Training gekommen, hat zugeschaut und hat gesagt: „Ich kann dir schon sagen, warum es momentan nicht so gut lauft. Deine Stärke war immer, wenn du den Ball bekommst, dass du ihn gleich mit dem Tempo mitnimmst, dass du gleich den offenen Raum attackierst, auch im Mittelfeld, und jetzt machst du fast alles aus dem Stehen, jetzt wartest du ab. Und so ist es einfacher für den Gegenspieler, die Situation zu lösen." Und mit diesem einen kleinen Hinweis von meinem Vater konnte ich das in den nächsten zwei, drei Trainingseinheiten wieder besser lösen. Aber noch einmal: Solche Kleinigkeiten oder Kernaussagen von meinem Vater waren wichtiger, als wenn es dir Otto Rehhagel sagt, oder der beste Trainer der Welt. (Andreas Herzog)

    Gut, wenn man neben dem Talent noch einen Unterstützer an seiner Seite hat – und das von Kindheit an. Eine Erkenntnis, auf die auch ein anderer Österreicher hinweist, der in Sachen „Erfolgreich sein national über den Tellerrand geschaut hat. So meinte Arnold Schwarzenegger zum 70. Geburtstag über seine außergewöhnliche Karriere: „Ich hatte immer Unterstützer und Ja-Sager um mich herum. Hätte ich nur auf die Zweifler und Nein-Sager gehört, würde ich heute noch in den Alpen jodeln. Und dennoch: Ein richtig guter Spieler setzt sich anscheinend auch allein durch – trotz mancher Widrigkeiten.

    Ein richtig guter Spieler, der macht sich eh selber, den kann der Trainer ein bisserl begleiten, a bisserl Hilfestellung geben, aber der gute Spieler, der weiß, was er zu tun hat, der setzt sich auf Dauer durch. Es kann nur sein, dass der eine oder andere Trainer ihn verhindert. Dann musst du allerdings wissen: „Ich bin gut", und wenn der Trainer das nicht so sieht, dann geh ich halt zu einem anderen Verein und setz mich dort durch, zeig dort meine Qualitäten. Aber wenn es dann bei vier, fünf Vereinen gleich ist, und es ist immer der Trainer schuld, dann muss sich schon der Spieler hinterfragen, ob er zunächst einmal bei sich anfangen soll und nicht nur alles von sich wegschiebt. (Andreas Herzog)

    Plötzlich und aus dem Nichts kam ein Querschläger des Admira-Wacker- gegen Sturm-Graz-Spiels auf uns zugeflogen. Andi fischte ihn mit dem linken Fuß aus der Luft – der Ball blieb förmlich an seinem Fuß kleben –, um ihn dann wieder mit einer unglaublichen Leichtigkeit auf das Spielfeld zu kicken.

    „Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, aber wie gesagt: Ich bin der Meinung: Ein guter Spieler ist nicht zu verhindern. Selbst der dümmste Trainer kann einen guten Spieler nicht verhindern. Das waren gute Aussagen, oder? Wir müssen a bissl Würze in das Buch bringen." Er lacht schelmisch.

    Aber auch der heutige Rekordnationalspieler musste immer wieder mal mit dem einen oder anderen Trainer kämpfen – und jeder Coach hat halt auch seine eigenen Ansichten, Werte und Glaubenssätze, und die gilt es zu akzeptieren.

    So kickte der hochtalentierte Andreas Herzog 1984/85 in einem Qualifikationsspiel für die U16 Österreichs. Ziel war die Teilnahme an der Europameisterschaft 1986 in Griechenland. Doch dazu sollte es nicht kommen, denn der junge Herzerl wurde in diesem Spiel von seinem Trainer schon nach zehn Minuten ausgewechselt. Der Grund: An beiden Toren soll er schuld gewesen sein. „Konnte aber gar nicht sein, meinte Herzog. „Denn beim zweiten Tor für die DDR-Auswahl war ich gar nicht mehr auf dem Platz. Am Boden zerstört fühlte er sich mit all seiner spielerischen Klasse, „aber auch da war es mein Vater, der mir geholfen hat", denn schon am nächsten Tag klingelte das Telefon in der Wohnung im 12. Bezirk.

    „Ach so, du bist das, sagte mein Vater. „Geh, weißt was, schleich di! Ruf nie wieder an, und eins sag ich dir: Beruf den Andi ja nicht mehr ein. Weil das verbiete ich hier. Ich verbiete meinem Sohn, dass er noch einmal zur Nationalmannschaft kommt, zur U16! Und legte energisch auf.

    Ich fragte irritiert: „Papa, wer war denn das?"

    „Na, der Verhinderer."

    „Welcher Verhinderer?"

    „Na, der Gludovatz."

    „Papa, bist du wahnsinnig? Du kannst doch nicht so mit dem Nationaltrainer sprechen."

    „Na, bleib ruhig, Andi, sagte er. „Der würde dich mehr verhindern und dir schaden, als dass du in der U16-Nationalmannschaft spielst. (Andreas Herzog)

    Drei Monate später stieg Andi Herzog in die U18-Nationalmannschaft auf – und bekam einen anderen Trainer. Doch zur Ehrenrettung von Paul Gludovatz, der später verschiedene Profiteams wie auch bei U20-Weltmeisterschaften mit dem ÖFB-Team sehr erfolgreich war: Es muss halt passen.

    Rückblickend meint Herzog, dass ihm wohl sein Spielstil nicht gefallen hatte. Er sollte laut Trainer reinhauen, dass die Funken sprühen, sonst würde er nach zehn Minuten ausgewechselt werden – und so zog es der U16-Trainer auch durch. Für Edeltechniker mit anderen Qualitäten war da kein Platz.

    Beim nächsten Trainer war es wieder anders. Der hat halt wieder eine andere Idee vom Fußball gehabt. Aber wie ich gesagt habe: Der dümmste Trainer kann einen Riesenspieler nicht aufhalten, wenn der Riesenspieler entweder ein gutes Umfeld hat, also von seinen Eltern, von Menschen, die es wirklich gut meinen, unterstützt wird oder seine eigene Persönlichkeit schon so stark ist – aber das ist in jungen Jahren relativ selten. Bei mir war halt der Vater der Ruhepol und die Hilfe. Und mein Wille, zu spielen. (Andreas Herzog)

    Neben allem Talent ist also laut Herzog das Umfeld entscheidend für die Entwicklung der Persönlichkeit – Familie, Freunde, Beziehungen. Und er sagt, wie sehr es ihn ärgert, wenn hochtalentierte Spieler nicht den letzten Schritt machen, sich selbst falsch wahrnehmen oder es an der richtigen Einstellung mangelt – auf oder neben dem Platz.

    Und so fachsimpelten wir weiter, wie viele Menschen im Leben ihre Talente gar nicht erst entdecken oder sie nur unzureichend abrufen. Über spezielle Talente verfügen viele, doch diese zu formen, mit Freude dranzubleiben und sich auch durchzusetzen – dazu bedarf es anscheinend außergewöhnlicher Willensstärke. So zumindest meine Wahrnehmung. „Passt eh, meinte Andi. „Darüber müssen wir uns als Nächstes Gedanken machen, also die Sache mit dem Biss. Kathi und er wollten schließlich zu Hause auch brave „Buam – doch auf dem Platz sollen sie sich plötzlich nichts gefallen lassen. „Das ist gar nicht so einfach! Mittlerweile war die Sonne untergegangen, die Märzluft kühlte schnell ab. Wir stiegen wieder ins Auto, die Jungs auf dem Rücksitz, und es ging nach Hause. Kathi rief an und verkündete über die Freisprechanlage, dass es Schinkenfleckerl geben würde. Allgemeiner Jubel im Auto.

    Mich dagegen zog es ins Hotel, und ich machte mir noch ein paar Gedanken über Talente, Biss und Co. Vielleicht lag es an den geschlossenen Heurigen und an der Tatsache, dass das nächste Schnellrestaurant fußläufig weit entfernt lag, ich dies also nur mit einer gewissen Entschlossenheit erreichen würde. Jedenfalls kam mir folgende Sätze von Ray Kroc, dem Gründer des McDonald’s-Imperiums, dazu in den Sinn: „Nichts in der Welt kann Beharrlichkeit ersetzen. Talent allein genügt nicht; nichts ist häufiger als erfolglose Menschen mit großen Talenten. Ebenso wenig Genie; verkannte Genies sind geradezu sprichwörtlich. Ebenso wenig kann es Bildung sein; die Welt ist voll von gebildeten Versagern. Beharrlichkeit und Entschlossenheit allein vermögen alles."

    Es gab noch viel zu diskutieren und zu tun. Doch eins war klar: Wenn man das große Glück hat, mit dem entsprechenden Talent zur Welt zu kommen, und dies auch noch für sich in jungen Jahren zu entdecken, ist eine große Karriere mit den nötigen Unterstützern möglich. Mit Kreativität und Durchsetzungskraft – und in diesem Fall am liebsten mit frisch eingefetteten, glänzenden, edlen Fußballschuhen in Schwarz mit weißen Streifen.

    KAPITEL 4:

    LINKES PRATZERL, DURCHSCHNITT UND EIN DYNAMISCHES SELBSTBILD

    ADMIRA WACKER 1974–1983

    Jeder Mensch verfügt über Talente – und manche sogar über eine ganz besondere, einmalige Veranlagung, einem Alleinstellungsmerkmal. Stellen Sie sich vor, Sie hätten genau so ein Talent. Und einen Förderer und Forderer in Ihrer Nähe, der genau das in Ihnen sehr schnell erkennt. An anderer Stelle haben wir schon darauf verwiesen, dass es eine Gnade sein kann, seine ganz besondere Stärke möglichst früh wahrzunehmen, genauso wie die Möglichkeiten und den Freiraum, eben dieses ständig weiterzuentwickeln.

    Bei Andi Herzog war es das „linke Pratzerl, wie er es im Wiener Dialekt gerne nennt, im ursprünglichen Sinne eigentlich die linke „Pfote, im Ruhrgebietsfußball auch die linke „Klebe" genannt. Auf den Punkt gebracht: sein linker Fuß. Dazu der Vater, ebenfalls Fußballprofi, für damalige Verhältnisse gut vernetzt und vor allem mit reichlich Fußball-Know-how ausgestattet:

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