Bonhoeffers große Liebe: Die unerhörte Geschichte der Maria von Wedemeyer
Von Fabian Vogt
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Über dieses E-Book
"Bonhoeffers große Liebe" wurde inspiriert von dem gleichnamigen Kammer-Musical, das bundesweit aufgeführt wird (www.theater-zauberwort.de). Die poetischen Liedtexte dieses Stückes, die auf Originalgedichte Bonhoeffers zurückgehen, verknüpfen auch die Kapitel des Romans.
Eine faszinierende Geschichte, die zeigt, warum Glaube, Liebe und Hoffnung untrennbar zusammengehören.
Fabian Vogt
Dr. Fabian Vogt (Jg. 1967) ist Schriftsteller, Theologe und Künstler. Er arbeitet bei "midi", der Zukunftswerkstatt für Kirche und Diakonie - wenn er nicht gerade als Autor oder Kabarettist (Duo Camillo) neue Geschichten erlebt und schreibt. Für seinen Roman "Zurück" wurde der kreative Pfarrer mit dem "Deutschen Science Fiction Preis" ausgezeichnet. Außerdem ist er regelmäßig beim Kultsender hr3 und als Kolumnist verschiedener Zeitschriften zu erleben. Besonders faszinierend findet Fabian Vogt es, wenn er von komplexen theologischen Themen so erzählen kann, dass sie für alle nachvollziehbar und inspirierend werden. Und wenn die Leserinnen und Leser Lust bekommen, weiter zu denken. www.fabianvogt.de
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Buchvorschau
Bonhoeffers große Liebe - Fabian Vogt
Fabian Vogt
Bonhoeffers
große Liebe
Die unerhörte Geschichte der
Maria von Wedemeyer
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2017 by edition chrismon in der Evangelischen Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlagillustration Marco Wagner
Gestaltung und Satz Hansisches Druck- und Verlagshaus GmbH · Frankfurt am Main, Anja Haß
E-Book-Herstellung Zeilenwert GmbH 2017
ISBN 978-3-96038-095-5
ww.eva-leipzig.de
Das Buch
Boston, im Jahr 1967: Ein junger Jesuitenpater bittet die ehemalige Verlobte Dietrich Bonhoeffers um ein Gespräch. Er möchte mehr über den Menschen erfahren, den alle Welt als Theologen, Widerstandskämpfer und Märtyrer verehrt. Und Maria von Wedemeyer lässt sich überraschenderweise darauf ein. Erstmals. Es beginnt ein unglaubliches Zwiegespräch …
„Bonhoeffers große Liebe" wurde inspiriert von dem gleichnamigen Kammermusical, das bundesweit aufgeführt wird. Siehe: www.theater-zauberwort.de. Die poetischen Liedtexte dieses Stücks verknüpfen auch die Kapitel des Romans. Es handelt sich dabei um Gedichte Dietrich Bonhoeffers, die teilweise für die Vertonung bearbeitet wurden.
Der Autor
Fabian Vogt, geboren 1967 in Frankfurt, ist Schriftsteller und Künstler, wenn er nicht gerade als promovierter Teilzeittheologe kreative Ideen für „Kirchliche Kommunikationskonzepte entwickelt – oder seine Leidenschaft für Geschichten auf der Kabarettbühne auslebt („Duo Camillo
). Für sein Romandebüt „Zurück wurde er mit dem „Deutschen Science-Fiction-Preis
ausgezeichnet, zudem hat er mehrere Kleinkunstauszeichnungen erhalten. Fabian Vogt lebt mit seiner Familie im Vordertaunus.
„Ich glaube,
das Glück sitzt fest
und tief innen drin,
soweit kann das Leid
gar nicht reichen."
Maria von Wedemeyer
„Verbreite hilaritas
(Heiterkeit) um dich."
Dietrich Bonhoeffer
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Das Buch / der Autor
Zitate
An Dietrich
Ich glaube
Ein eigenartiger Besuch
Gebete für Mitgefangene
Begegnung in Klein-Krössin
Glück und Unglück
Großmutters Finte
Christen und Heiden
Zelle 92
Jona
An Dietrich
Nächtliche Stimmen in Tegel
Besuchszeiten
Vergangenheit
Bonhoeffers große Liebe
Wer bin ich?
Abrechnung
Stationen auf dem Weg zur Freiheit
Abschied
Von guten Mächten
An Dietrich
Nachwort
Weitere Bücher
An Dietrich
Ach, Dietrich … ein jeder Engel ist schrecklich. Denn er hält sie ja alle in der Hand: all die Möglichkeiten des Lebens.
Verstehst du, Dietrich: alle! Die gesamte Fülle des Daseins trägt so ein Engel in sich. Alles, was ein Mensch sein könnte.
Und wenn er dann vor dir steht oder dir in schlaftrunkenen Nächten den Kopf verdreht, dann bleibt am Ende nur eine einzige Frage im Raum hängen. Rau, kalt und verführerisch: Was wäre, wenn …?
Was … wäre … wenn …?
Natürlich möchte ich auch wissen: Was wäre, wenn … mein Leben anders verlaufen wäre? Was wäre, wenn dieses oder jenes ganz Unerwartete geschehen wäre?
Zum Beispiel: Wenn sie dich nicht hingerichtet hätten, Dietrich?
Wenn du damals aus dem Gefängnis geflohen wärst? Wenn die Alliierten schneller gekommen wären, um Deutschland von den irren Illusionen Adolf Hitlers zu befreien? Wenn du jetzt hier, an meiner Seite sitzen könntest, als mein Ehemann – meine Hand in der deinen?
Nun, dann wäre ich vermutlich nicht nach Amerika gegangen. Ausgewandert, wobei es mich am Ende hierher nach Boston verschlagen hat, als Informatikerin. O nein, dann wäre ich wohl eine Berliner Pfarrersfrau geworden: Maria Bonhoeffer. Die Gattin des großen Widerstandskämpfers.
Obwohl: Vielleicht hättest du ja doch einen Lehrstuhl angenommen und wir wären in einer der großen Universitätsstädte gelandet. Irgendwo auf der Welt. New York. Stockholm. London. Barcelona. Es hätte sein können.
Und ja, vielleicht hätten wir sechs Kinder bekommen. Oder acht. Wir kommen schließlich beide aus großen Familien. Mama Maria und Papa Dietrich. Es hätte wundervoll werden können.
Nun, vielleicht wären wir aber auch auf das Landgut meiner Eltern gezogen. Ja, vielleicht … vielleicht wären wir vor allem unfassbar glücklich geworden. Du und ich!
Vielleicht, vielleicht, vielleicht … Wer weiß? Schau, Dietrich, dass ich es nicht weiß, das verbrennt mich seit mehr als zwanzig Jahren. Das, was hätte sein können, verfolgt mich – nicht nur im Schlaf. Die unerhörte Last der Möglichkeiten.
Aber ich bin ja auch selbst schuld.
Ich kann die Finger nicht von deinen Briefen lassen.
Immer wieder hole ich die verknitterten Bündel hervor, binde sorgsam die Bänder auseinander, die sie zusammenhalten – und fange an zu lesen. Tauche ein – wieder und wieder – in unsere große gemeinsame Hoffnung, in unsere unbändige, verzweifelte Vision von der Zukunft, in die Worte, von denen wir gelebt haben, als du im Gefängnis gesessen hast.
Und weil wir ja schon damals nur diese Briefe hatten, um unsere Liebe zu feiern, haben deine Sätze nichts von ihrer Kraft verloren. Die eng beschriebenen Seiten bringen dich mir wieder so nah, wie sie es damals getan haben.
Ja, wir beide, wir haben einander mit Worten geliebt. Hingebungsvoll. Begierig.
Aber eben … nur mit Worten.
Kannst du nachvollziehen, warum mich diese Briefe nach all den Jahren noch immer ergreifen und mir mit ungebändigter Gewalt vor Augen malen, was hätte sein sollen? Dass sie mich ständig neu fragen lassen: Was wäre, wenn …?
Diese Frage verfolgt mich. Sie quält mich. Und sie verändert jede Realität, der ich mich im Hier und Jetzt stellen möchte. Weil sie zu allem, was ich tue, ein trügerisches Gegenbild in den Raum stellt: „So wäre es womöglich mit Dietrich gewesen. Das hätte Dietrich jetzt vermutlich gesagt … Wahrscheinlich hätten Dietrich und ich in einem solchen Moment …"
Schluss!
Irgendwann muss doch mal Schluss sein.
Du hast mir einmal geschrieben: „Ich liebe dich, solange ich lebe und darüber hinaus."
Oh, Dietrich, ahnst du, was du mir damit angetan hast? Das ist kein Segen. Das ist ein Fluch! Ein grausamer und verzehrender Fluch. Wie soll ich denn jemals frei werden, wenn deine Liebe an mir hängt wie eine dieser Eisenkugeln, die Gefangene früher im Kerker ans Bein gekettet bekamen?
Manchmal, wenn mich das „Was wäre, wenn …" wieder mit seiner ganzen Heimtücke überfällt und mir den Atem raubt, dann bin ich kurz davor, deine Briefe in den Kamin zu werfen.
Ja, ich stand schon zweimal vor dem flackernden Feuer, und es hätte nur noch eines einzigen Muskels bedurft, einer winzigen Handbewegung, um unsere verzehrende, verstörende Liebe den Flammen zu übergeben.
Ich konnte es nicht. Weil du nun einmal Teil meines Lebens bist. Ich bin, die ich bin – durch dich.
Und doch saugt das ständige „Was wäre, wenn …" so viel Kraft aus mir heraus.
Ich kann nicht mehr, Dietrich. Kannst du mich nicht einfach loslassen? Ich flehe dich an …
Letztens fiel mir wieder auf: Es ist kein einziges Foto erhalten, auf dem wir gemeinsam zu sehen sind. Nicht eines. Kein Wunder. Viele Stunden waren es ja nicht, die wir zusammen verbracht haben. Wann hätte uns denn jemand fotografieren sollen? Dass aus so wenigen Momenten des Miteinanders eine solche Liebe entstehen konnte, irritiert mich bis heute.
Und dann frage ich mich natürlich, ob ich mich damals nicht in etwas hineingesteigert habe. Im jugendlichen Übermut. In noch kindlicher Naivität: Der berühmte Theologe Dietrich Bonhoeffer hatte ein Auge auf mich geworfen. Das schmeichelt einer jungen Frau, die auf ihren Prinzen wartet, sehr. Natürlich.
Wenn ich denn überhaupt schon eine Frau war. Ein Mädchen war ich. Achtzehn Jahre alt. Lebenshungrig, ein Backfisch, wie man damals sagte.
Seien wir ehrlich: Eigentlich haben wir beide ja überhaupt nicht zueinander gepasst. Ich, der Sprössling einer Familie aus dem deutschnationalen, preußischen Landadel. Du, der Sohn eines Professors an der Berliner Charité, ein großbürgerlicher Hauptstädter, ein eher liberal gesinnter Intellektueller, Finanzbourgeoisie. Pfui.
Dass du nicht in den Krieg ziehen wolltest, um deinem Vaterland zu dienen, wäre für meinen Vater und meine Brüder ein Affront gewesen.
Doch das ist nicht das Schlimmste. Ja, sagen wir offen, wie es war: Eigentlich hat dich alles, was ich leidenschaftlich gerne gemacht habe, überhaupt nicht interessiert. All die Dinge, die ich liebe: tanzen, reiten, Ski fahren, auf die Jagd gehen – und schöne Kleider tragen. Diese Dinge konnten dir nur ein leichtes, oder sagen wir besser: kritisches Stirnrunzeln entlocken. Was für sinnlose Zeitvertreibe, hast du vermutlich gedacht.
Dabei war ich überhaupt keine typische Adelige. Meine Mutter bemerkte immer spitz, ich hätte einen fatalen Hang zum Küchenpersonal, weil mir jegliches