Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten: Ein wahres Abenteuer
Von Fabian Vogt
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Über dieses E-Book
Fabian Vogt
Dr. Fabian Vogt (Jg. 1967) ist Schriftsteller, Theologe und Künstler. Er arbeitet bei "midi", der Zukunftswerkstatt für Kirche und Diakonie - wenn er nicht gerade als Autor oder Kabarettist (Duo Camillo) neue Geschichten erlebt und schreibt. Für seinen Roman "Zurück" wurde der kreative Pfarrer mit dem "Deutschen Science Fiction Preis" ausgezeichnet. Außerdem ist er regelmäßig beim Kultsender hr3 und als Kolumnist verschiedener Zeitschriften zu erleben. Besonders faszinierend findet Fabian Vogt es, wenn er von komplexen theologischen Themen so erzählen kann, dass sie für alle nachvollziehbar und inspirierend werden. Und wenn die Leserinnen und Leser Lust bekommen, weiter zu denken. www.fabianvogt.de
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Rezensionen für Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten
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Buchvorschau
Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten - Fabian Vogt
FABIAN VOGT
HANNIBAL MAYER - DER ZUG DER ELEFANTEN
EIN WAHRES ABENTEUER
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.
ISBN 9783865064479
© 2008 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: Colourbox
www.brendow-verlag.de
Inhalt
Cover
Titelseite
Impressum
Widmung
Anmerkungen
Vorwort
Vorspiel 1970
Vorspiel 2003
Februar 2004 - Königstein
August 2005 - Südafrika
September 2005 - Mozambique
November 2005 - Tansania
Januar 2006 - Kenia
Februar 2006 - Äthiopien
März 2006 - Sudan
April 2006 - Ägypten
Mai 2006 - Jordanien
Mai 2006 - Syrien
Juni 2006 - Berlin
September 2006 - Kischinau
Nachspiel 2007
Anmerkung des Autors
Fußnoten
Für Hannibal!
Wo du jetzt auch bist:
Bitte komm zurück!
Wir brauchen dich -
dich und deine berauschende Lebenslust!
Immer gibt es sagenhafte Länder - sozusagen als Teil der eigenen Kindheit.Wir erinnern uns an sie und weilen manchmal in ihnen, wenn wir schlafen und träumen. … Als wir in Afrika im Schatten großer Dornbüsche und zu den Füßen der großen Berge lebten, hatten wir solche Länder.
ERNEST HEMINGWAY
Wer auf Elefantenjagd gehen will, soll sich zwischen Eisenbahnschienen stellen, auf das Pfeifen der Lokomotive warten und ihr dann, so schnell er kann, entgegenlaufen. Erst zwei, drei Schritte vor dem Zusammenprall soll er zur Seite springen - um zu sehen, ob er die Nerven dafür hat, dem Koloss gegenüberzutreten.
DAVID HERBERT LIVINGSTONE
Es ist nicht so, dass man sich für die Elefanten entscheidet. O nein. Elefanten entscheiden sich für dich. Und wenn du ihnen einmal verfallen bist, gilt diese Liebe, bis dass der Tod euch scheidet.
HANNIBAL MAYER
Der aus dem US-amerikanischen Englischen ins Deutsche übernommene Begriff »Groove« bezeichnet in der modernen Unterhaltungsmusik eine typische Rhythmusabfolge. Der Terminus ist vom Bild der Ackerfurche abgeleitet (engl. groove = Furche, Rille, Spur), die dem Bauern die Marschrichtung vorgibt. Der Groove gibt ein rhythmisches Grundmuster vor, das auf die Zuhörer unbewusst psychomotorisch stimulierend wirkt.
WIKIPEDIA
VORWORT
VON FABIAN VOGT
Ich werde bei meinen Vorträgen oft gefragt: »Würden Sie es wieder tun? Würden Sie eine solche Reise noch einmal antreten?« Und ich antworte jedes Mal ohne Zögern: »Ja!« Trotz all der Wunden, Ängste, Entbehrungen, Angriffe, der eiternden afrikanischen Achsel-Zecken und der Lügen, die über unser Abenteuer verbreitet worden sind.¹ Weil es kaum etwas Großartigeres gibt, als auf dem Rücken eines Elefanten durch das Rote Meer zu schwimmen - mit einem Freund wie Hannibal Mayer an der Seite. Begleitet von israelischen Patrouillen booten und schießwütigen Paparazzi.
In diesem Buch erzähle ich, wie es dazu kam, dass wir mit einer großen Elefantenherde im Krügerpark aufbrachen, den gesamten afrikanischen Kontinent durchquerten, uns einen einzigartigen Lebenstraum erfüllten - und dabei den längsten Zug einer Säugetiergattung in der Weltgeschichte begleiteten.² Vielleicht war unser Treck sogar das letzte große Naturerlebnis des 21. Jahrhunderts.
Eines kann ich jedenfalls sicher sagen: Ich spürte auf der eindrucksvollen Reise von Südafrika nach Sachsen-Anhalt viele der herrlichen Momente, in denen man weiß: »Es lohnt sich zu leben.« Mancher macht solche Erfahrungen überhaupt nur ein- oder zwei mal - ich wurde fast täglich von ihnen überrascht. Darum möchte ich diese unglaubliche Zeit unter keinen Umständen missen.
Der Weg durch die Wildnis Afrikas und die Wildnis menschlicher und animalischer Irrungen hat mich verändert - und war auf seine Weise eine geistliche Pilgerreise. Ich war dann mal weg, und derjenige, der im Sommer 2005 aufgebrochen ist, war tatsächlich weg - denn er kam nicht zurück. Zurück kam ein Mensch, der seinen innersten Sehnsüchten, Begierden und Wahnvorstellungen begegnen durfte und sich nicht mehr verstecken will und muss. Nie wieder.
Eines muss ich vorweg sagen: Ganz gleich, was Sie jemals über Hannibal Mayer gehört haben oder hören werden - glauben Sie es nicht. Die Diffamierungskampagnen, die gegen ihn losgetreten wurden, ent behren jeder Grundlage. Es stimmt, dass er für sein Vorhaben einige Gesetze missachtet hat, aber wäre er bei allen Entscheidungen den korrekten bürokratischen Weg gegangen, dann wären er und seine 101 Elefanten bis heute nicht aufgebrochen.
Mir imponieren Menschen, die ihren Traum leben. Und Hannibal hat nachweislich niemandem geschadet. Ich konnte ihn näher kennenlernen und weiß, dass er ein herzensguter, freundlicher und manchmal etwas übermütiger Mann ist, der diese Welt lebenswerter machen möchte. Ich sage das als jemand, der selbst mehrfach von ihm tief enttäuscht wurde. Im Gegensatz zu vielen von Hannibals Kritikern und Verächtern verstehe ich aber inzwischen seine Motive.
Darum ist mein Bericht nicht nur eine faszinierende Reportage über den Schwarzen Kontinent, eine fast 10000 Kilometer lange Tour und einen der obskursten Skandale des 21. Jahrhunderts, sondern zugleich der Versuch einer Rehabilitation eines Helden aus den neuen Bundesländern. Das ist nun wahrlich ein großes Wort, doch ich halte es in diesem Zusammenhang für angebracht: Für mich ist Hannibal ein Held, weil er das schier Unmögliche möglich gemacht hat. Gut, er ist am Ende gescheitert - aber doch nur, weil ihn eine heimtückische Verräterin hintergangen hat. Hannibal musste schmerzhaft erkennen, dass sein Vorhaben Teil eines viel größeren Plans war, einer probosciden Verschwörung, für die man ihn skrupellos benutzt hat. Doch ich will nicht vorgreifen.
Nachdem mein Roman bereits in mehreren Sprachen erschienen ist, freue ich mich sehr, dass er nun endlich auch in Deutschland publiziert werden kann. Meine Heimat hat ihrem bisweilen ein wenig biederen Ruf alle Ehre gemacht und die Veröffentlichung der Geschichte sehr erschwert.Verantwortlich dafür war vor allem ein Boykott der Medien, den ich im Text ausführlich erläutere.
Wie ich oben sagte: Ich würde die Reise immer wieder antreten. Denn sie wurde für mich zu einer Reise zum Leben; einer Reise, auf der ich zudem einen neuen Musikstil entwickeln konnte, den inzwischen vielfach kopierten EGO (= ElefantGrooveOutput; sprich: Igor ). Der in der Tierwelt einzigartige wiegende Gang der Elefanten hat mich dazu rhythmisch inspiriert und zu mehreren CD-Veröffentlichungen geführt.³
Durch meine spirituellen Erfahrungen habe ich aber auch einen neuen inneren Rhythmus gefunden. Dieses Buch ist der Wunsch, Sie zu den Quellen meines Erlebens mitzunehmen. Das Abenteuer kann beginnen.
Vorspiel 1970
12. Juli 1970
Ein zwölfjähriger Junge läuft lautlos den schmalen Pfad von der Ngala-Tierstation hinunter zum Timbavati-Fluss. Er zuckt kurz zusammen, als vor ihm eine Hyäne raschelnd im Gestrüpp verschwindet und dabei ein meckerndes Lachen ausstößt. Dann lacht er erleichtert zurück. Am Ufer wendet er sich nach Norden und folgt dem mit dünnem Buschgras bewachsenen Uferstreifen, für einen Moment geblendet von der untergehenden Sonne, die die Hänge des Mshatu-Berges mit dem Glanz dunklen Ockers überzieht und sich funkelnd in den Sykamoren bricht. Es ist heiß.
Nach und nach verstummen die Geräusche und weichen einer angespannten Stille. Denn wenn im Krügerpark die Dunkelheit hereinbricht, hält die Welt für einen Augenblick den Atem an. So, als wolle sie das Spiel der Farben auf jeden Fall bis zum Ende genießen und noch einmal die gleißende Helligkeit des Tages in sich aufnehmen, bevor die Nacht das Sagen hat.
Der groß gewachsene Junge ist stehen geblieben und hat jetzt in der Dämmerung zwischen der Karoo-Vegatation den Mopane-Baum mit den zwei Kronen ausgemacht - und freut sich über den glimmenden Punkt zwischen den Ästen. Bongani wartet schon auf ihn.
Wüsste der Vater des Jungen von diesem Ausflug, er wäre aus verschiedenen Gründen schockiert: Erstens soll ein Zwölfjähriger nicht allein im Busch herumlaufen - schon gar nicht unbewaffnet. Zweitens beginnen nach Einbruch der Dunkelheit die meisten Raubtiere mit der Jagd. Und drittens sieht der fromme, energische Tierpfleger es nicht gern, wenn sein Sohn mit Schwarzen spielt. Bongani ist vierzehn und gehört zum Stamm der Sotho sprechenden Pedi.
Der Junge klettert zu seinem Freund hinauf, hebt lässig die Augenbrauen und nickt leicht, als ihm der Schwarze eine Zigarette hinhält - selbst gedreht, aus Sukkulenten-Blättern.
»Glaubst du, heute Nacht kommen sie?«
Bongani grinst. »Ich weiß es nicht. Die Legende von den weißen Löwen ist uralt, aber es hat noch niemals jemand einen gesehen.«
»Doch, der alte Shaka! Letzte Woche.«
»Ja, aber Shaka glaubt auch, dass Nilpferde als Oryxantilopen wiedergeboren werden. Das macht ihn nicht gerade zu einem verlässlichen Augenzeugen. Egal.Wenn es weiße Löwen gibt, dann kommen sie irgendwann hier an die Wasserstelle. Hast du die Kamera dabei, Tshwane?«
Tshwane guckt verwirrt. Vielleicht, weil er sich immer noch nicht daran gewöhnt hat, dass Bongani seinen schwierigen deutschen Vornamen nicht richtig aussprechen kann und ihm deshalb einen Sotho-Namen gegeben hat: »Tshwane - Wir sind gleich!« Dabei ist dieser Name eigentlich ein würdiger Titel, eine Ehre, eine Art Brüderschaft.
Der junge Weiße nickt und klopft auf seine Tasche. »Und nicht nur das. Mein Vater hat sich letzte Woche aus Deutschland ein brandneues Blitzgerät schicken lassen.Tolles Teil, sage ich dir.«
Gemeinsam inspizieren die beiden Jungen den eleganten schwarzen Aufsatz für den Fotoapparat, rauchen, drücken ihre Kippen aus und warten dann in der schnell hereinbrechenden Dunkelheit gespannt auf die Löwen. Zum Glück weht der Wind von Osten den Hang herunter, sodass keines der Tiere, die zur Tränke kommen, sie wittern kann.
Als Tshwane zum dritten Mal auf seine Uhr schaut, ist es kurz nach neun. Bislang sind mehrere Blessböcke, einige Streifengnus, eine Herde Ngalas und ein Kudu an der Wasserstelle gewesen, aber noch keine der wirklich seltenen Tiergattungen, schon gar nicht die sagenumwobenen weißen Löwen.
In diesem Moment knackt es mehrmals hintereinander unter ihnen. Bongani packt Tshwane am Arm.
»Da! Epila!«
»Wer ist Epila?«
Der Schwarze deutet auf zwei Büsche, zwischen denen sich jetzt langsam ein unförmiger, rotbraun behaarter Kopf hervorschiebt. Zentimeter für Zentimeter. Ein Elefantenjunges. Höchstens ein paar Wochen alt und noch ganz mit dem braunen Fell neugeborener Elefanten bedeckt, das erst nach sechs Monaten den schwarzen Borsten weicht.
Bongani flüstert: »Epila ist die Tochter von Shingwezi, einer sehr klugen Elefantin, die vor Kurzem zum ersten Mal Mutter wurde. Merkwürdig.«
»Wieso merkwürdig?«
»Elefanten lassen ihre Kleinen niemals allein. Epila muss heimlich davongelaufen sein.«
Das Elefantenkind schaukelt ein paarmal mit dem Kopf und rennt dann übermütig zum Timbavati. Dort geht es vorsichtig in die Knie und legt den Kopf ins Wasser, um zu trinken.
»Siehst du? Elefanten müssen erst lernen, das Wasser mit dem Rüssel aufzusaugen und es sich in den Mund zu spritzen. Anfangs trinken sie wie wir.«
Fasziniert schaut Tshwane dem kleinen Elefanten zu, der kaum größer als einen Meter sein dürfte und jetzt vergnügt durch das Wasser tollt. Die herumfliegenden Tropfen fangen das Licht der untergehenden Sonne ein und glitzern rötlich. Epila tänzelt vor Freude und jagt ihnen nach. Spielerisch und leichtfüßig.
Plötzlich krallen sich die Finger Bonganis derart fest in die Schulter seines Freundes, dass dieser zusammenzuckt. Der Schwarze hat angefangen zu zittern und schaut mit weit geöffneten Augen zum Rand der Lichtung. Er atmet flach und schluckt schwer.
Nun sieht es auch Tshwane: Zwei Löwinnen haben den offenen Platz betreten. Und sie sind beide … weiß. Hell leuchtet ihr Fell im fahlen Mondlicht.Als wären sie Geister. Löwen-Geister. Hinter den Geschichten von den bleichen Raubtieren stecken also nicht nur Legenden und das Geschwätz eines halbblinden Alten. Es gibt sie tatsächlich. Welch ein Anblick.
»Wir müssen etwas tun«, raunt Bongani. »Schnell.«
Tshwane spürt sein Herz schlagen.Aufgeregt hebt er den Fotoapparat und …
»Nein, nicht das.Wir müssen Epila retten.«
»Fressen Löwen Elefanten?«
»Natürlich. Sehr gern sogar. Was lernt ihr eigentlich in eurer Schule? Wenn ich nur wüsste, was wir tun können.«
Inzwischen hat das Elefantenjunge die Löwinnen bemerkt und brüllt.Voller Panik. Ein wildes, hysterisches Trompeten. Es ahnt den Tod. Die Raubkatzen dagegen sind sich ihrer Sache sicher und nähern sich dem verzweifelten kleinen Elefanten eher tänzelnd, Schritt für Schritt, Tatze für Tatze. Mit einem herrisch lauernden Blick.
Bongani spannt alle Muskeln an. »Was machen wir nur?«
»Was können wir schon machen? Es sind Löwen und wir haben keine Waffen.«
Die Stimme des Schwarzen klingt rau und vibriert: »Gib mir den Fotoapparat!«
»Was? Willst du jetzt doch fotografieren?«
Bongani antwortet nicht. Er reißt Tshwane wortlos den Apparat aus der Hand und springt vom Baum. Mit einem Satz.
Die Löwinnen sind einen Moment irritiert, dann wenden sie sich ihrem neuen Herausforderer zu, der offensichtlich nicht weiß, mit wem er es zu tun hat. Beide Raubkatzen fauchen. Und Tshwane stößt einen verzweifelten Schrei aus, der weit durch das Tal hallt und den er nie vergessen wird: »Bongani! Nein!«
Die Löwinnen blicken zu dem Weißen hoch, verwundert. Noch so ein übermütiger Mensch. Doch sie riechen seine Angst und weiden sich daran.
Nun macht Bongani einen Satz auf die Löwinnen zu. Das haben sie nicht erwartet. Nur:Was ändert es? Sie spannen die Muskeln an, zum Sprung bereit, und reißen die Augen weit auf. Da löst der Schwarze das Blitzgerät aus - und jagt den grellen Lichtschein wie einen Schuss durch die Nacht. Zu spät. Eine der Löwinnen hat sich schon vom Boden gelöst. Bongani wirft sich zur Seite. Das geblendete Raubtier sieht es nicht und landet verunsichert auf seinen Tatzen. Die empfindlichen Augen zusammengekniffen. Es dreht sich um, versucht, den fremdartigen Gegner wieder zu fixieren. Und schaut direkt in einen zweiten Blitz, der die Dunkelheit mit seinem gleißenden Licht durchzieht. Beide Löwinnen senken den Kopf, knurren laut, warten einen Augenblick unschlüssig - und verziehen sich dann ins Dickicht.
Tshwane kann es nicht fassen. Er schreit vor Erleichterung. Und will ebenfalls vom Baum klettern. Doch Bongani ruft bestimmend: »Bleib, wo du bist!«
»Warum? Du hast sie doch vertrieben.«
»Die Löwinnen sind nicht die Gefahr.Viel schlimmer …«
Noch ehe Bongani zu Ende sprechen kann, stürmt eine wütende Elefantenkuh auf die Lichtung am Timbavati. Der Schwarze kann sich nur mit einem erneuten Sprung davor bewahren, überrannt und zertrampelt zu werden.
Die Elefantin Shingwezi tobt und schiebt sich zwischen die Menschen und das Elefantenjunge, das immer noch voller Panik brüllt. Tshwane nimmt die Laute erst jetzt wieder wahr. Während des Angriffs der Löwinnen hat sein Verstand sie offensichtlich ausgeblendet. Doch sie waren laut genug, um die Mutter herbeizurufen, die jetzt aufgeregt vor ihrem Nachwuchs Aufstellung nimmt und sich den vermeintlichen Gegnern ihres Kindes zuwendet.Aufgeregt trompetet sie und reckt den Rüssel steil in die Höhe. Sie scharrt mit den Füßen und schnaubt die beiden Eindringlinge drohend an.
»Klettere so hoch du kannst. Sonst tötet sie dich.«
»Bongani, renn weg. Bitte!«
Jetzt macht sich Shingwezi zum Angriff bereit. Erde und Sand spritzen durch die Luft. Und die gebogenen Stoßzähne ragen wie Bajonette empor. Die breiten Ohren an den Körper gedrückt, rast die Elefantendame auf Bongani zu.
»Renn!«
Doch Bongani steht einfach nur da. Mit über der Brust gekreuzten Armen. Regungslos. Er wartet in aller Ruhe - und fängt an zu singen. Oder besser: zu brummen. Irgendwo aus seinem Inneren kommen warme, dunkle Töne, die den Platz überfluten. Tiefe Schwingungen, die körperlich spürbar sind, weil sie sich fast zärtlich auf alles legen und mit der Welt eins werden: mit Tshwane, mit dem Timbavati, den Akazien und Sykamoren - und mit dem Mopane-Baum.
Die Elefantenkuh aber hat gestoppt. Abrupt. Direkt vor Bongani. Ihr riesiger Kopf ist höchstens noch dreißig Zentimeter von seinem entfernt. Sie lauscht den eigentümlichen Klängen. Minutenlang. Dann legt sie ihren Rüssel um den schwarzen Jungen - so, als wolle sie ihn streicheln.
Bongani hebt ruhig die Hand und winkt seinem Freund zu: »Du kannst jetzt runterkommen.«
»Wird sie uns nicht mehr angreifen?«
»Nein, ich habe ihr alles erklärt.«
Erklärt? Was soll das denn heißen? Jetzt erst begreift Tshwane. Natürlich. Er hat seinen Freund ja schon mehrfach liebevoll und souverän mit den gigantischen Tieren umgehen sehen. Bongani, sein Freund, ist ein Elefanten flüsterer. Er besitzt die seltene Gabe, mit Elefanten zu kommunizieren.Vielleicht, weil seine Familie seit vielen Generationen im Krügerpark bei der Betreuung der Elefantenherden hilft. Oder weil er einfach anders ist als andere Menschen.
Shingwezi jedenfalls hört und versteht diesen mutigen Schwarzen. Die Wut in ihren Augen ist einer tiefen Dankbarkeit gewichen.
Tshwane steigt - noch immer vorsichtig - vom Baum herunter und geht auf die beiden zu. Erschrocken weicht er zurück, als sich ihm der breite Kopf der Elefantenkuh nähert - doch dann lässt er die Berührung zu. Auch um seine Schultern legt Shingwezi ihren Rüssel. Die dicke raue Haut fühlt sich ungewohnt, aber nicht unangenehm an. Und als die Elefantendame ihm direkt in die Augen sieht, geht dieser Blick bis in die Seele.
Bongani strahlt ihn an: »Sie hat uns soeben adoptiert.«
»Wie bitte?«
»Ja. Sie hat verstanden, dass wir ihr Kind gerettet haben, und uns aus Dankbarkeit adoptiert. Sie wird von nun für uns sorgen wie für jedes ihrer Familienmitglieder. Du kannst stolz sein. Das passiert nur sehr selten.Vor allem aber gilt diese Adoption für alle Zeiten. Denn Elefanten haben ein gutes Gedächtnis. Also: Herzlich willkommen in der Familie der Elefanten.«
Tshwane guckt ungläubig. Dann fängt er an zu lachen. Ein erleichtertes, fröhliches Lachen. Er hat das Gefühl, endlich in Afrika angekommen zu sein.
Die Bilder, die Bongani ungewollt bei der Vertreibung der Löwinnen gemacht hat, schaffen es im September 1970 bis ins Time Magazine und sorgen dafür, dass sich Forschergruppen aus der ganzen Welt auf die Suche nach den geheimnisvollen weißen Raubtieren machen - und sie auch finden. Seither ist das ursprünglich 1956 eingerichtete Timbavati Game Reserve vor allem für seine seltene Population weißer Löwen bekannt, die auf einem Gen eine rezessive Mutation haben.
Tshwane aber erfährt zwei Wochen nach der Konfrontation mit den Wildtieren von seinen Eltern, dass die Familie in die DDR zurückkehren wird, weil sein Vater dort als Missionar arbeiten möchte. Schon kurze Zeit später reist er ab.Vor dem Abflug schwört der verzweifelte Junge seinem Freund Bongani in den Kronen des Mopane-Baumes ewige Freundschaft und beteuert, dass er sich regelmäßig melden wird. Doch als die Pubertät Tshwane in Deutschland wie ein heißer Wüstensturm überfällt und er sich zum ersten Mal verliebt - zum Schrecken seines Vaters in das frühreife FDJ-Mädchen Gisela -, vergisst er alle seine Versprechungen.
Nur das Bild von Shingwezi, die er in der ihm in Afrika verbliebenen Zeit nicht mehr wiedergesehen hat, begleitet Tshwane all die Jahre.Als wüsste er tief in sich, dass sie sein Leben noch einmal von Grund auf durcheinanderbringen und verändern wird. Elefanten haben ein gutes Gedächtnis.
Vorspiel 2003
12. Dezember 2003
Der Schuss sitzt. Aus siebzig Metern Entfernung. Gekonnt. Der Wildhüter nickt seinen beiden Begleitern zufrieden zu. Jetzt können sie nur noch warten, bis das Narkotikum wirkt. Das dauert einige Minuten.
Hoch aufragende Kumuluswolken ziehen vorüber und legen ihre Schatten wie samtene Decken über die Ebene. Die Männer war-ten im Schutz eines Baumes. Sie beobachten das angeschossene Tier aus sicherer Entfernung. Der Wildhüter mit einem alten Armee-Fernglas vor dem Gesicht.
Der Elefantenbulle wirft immer wieder den Kopf hoch. Irritiert. Und verärgert. Er überlegt, ob er die Eindringlinge angreifen soll oder nicht. Doch seine Bewegungen verlieren schon jetzt erkennbar an Kraft. Unruhig schwenkt er den Rüssel hin und her. Fängt an zu weben, wie das gleichmäßige Schaukeln von einem Bein auf das andere bei Elefanten genannt wird. Ein gigantisches Uhrenpendel, das immer langsamer wird: Die Zeit verrinnt lautlos, doch ihre Geschwindigkeit nimmt ab. Kurz darauf knicken die Vorderbeine des fast vier Meter hohen Bullen ein.
Jetzt rennt der Wildhüter los. Denn der Elefant muss in der richtigen Position zum Liegen kommen.Wenn er falsch landet, kann es passieren, dass die Eingeweide so sehr auf das Zwerchfell drücken, dass das riesige Tier erstickt. Doch es geht alles gut. Der Elefant legt sich ruhig hin und schließt die Augen.
Dennoch wartet der Wildhüter weitere fünfzehn Minuten, bevor er sich dem Bullen nähert. Er hat vor nicht allzu langer Zeit erlebt, dass einer seiner Kollegen von einem Elefanten zerquetscht wurde, weil sich ein scheinbar schlafender Dickhäuter noch einmal aufrichtete und den unvorsichtigen Mann gegen einen Felsen drückte. Ein unschöner Tod. Und vor allem überflüssig.
Als der Schütze sicher ist, dass der Bulle schläft, ruft er mit dem Walkie-Talkie seine an der Straße wartenden Helfer. Die erscheinen kurz darauf mit einem Kranwagen und einem Schwerlasttransporter. Sechs bis sieben Tonnen wiegt der Elefant, schätzt einer der zu warm angezogenen Männer, die schon beim Abschuss mit dabei waren, in holprigem Englisch. Er sagt dann etwas auf Russisch zu seinem Nachbarn, was dieser mit einem rauen Lachen quittiert.
Dreißig Minuten später ist der Elefant verladen. Und die Männer sind schweißgebadet.
Sie werden das Tier in einem Camp an die Transportkiste gewöhnen und dann - in einigen Wochen - mit dem Schiff an seinen Bestimmungsort bringen.
Ein guter Tag.
Denken sie.
Februar 2004 - Königstein
14. Februar 2004
Samstags ist der Opel-Zoo in der Nähe von Frankfurt am Main immer überfüllt.Vor allem bei schönem Wetter. Kinderhorden drücken sich an den Glasscheiben die Gesichter platt,Väter schieben, meist lustlos, widerspenstige Buggis über holprige Wege und Mütter rufen mit schrillen Stimmen entnervt nach trotzigen Mädchen oder heulenden Jungen, denen ihr Eis heruntergefallen ist. Eis! Im Februar. Über tierische Verhaltensweisen kann man an solchen Tagen wesentlich mehr vor als hinter den Gittern lernen.
Ich weiß nicht, warum ich an diesem Samstag eine Karte für den Tierpark gekauft habe. Eigentlich hasse ich Menschenansammlungen. Doch wenn ich es nicht getan hätte, wären Hannibal und ich uns nie begegnet. Und ich hätte all die unglaublichen Erfahrungen in Afrika verpasst. Heute sehe ich in den Ereignissen dieses Tages eine Fügung, damals hätte ich sie eher als Zufall bezeichnet.Andererseits, wenn einem etwas zufällt, muss es ja jemand losgelassen haben. Wie dem auch sei: Das größte Abenteuer meines Lebens begann am Valentinstag 2004 in einem kleinen Zoo im Vordertaunus.
Ich war, wie ich das gelegentlich tue, zur Entspannung den örtlichen Philosophenweg entlanggelaufen, der zwischen Königstein und Kronberg durch ein malerisches Tal führt - und als öffentlicher Wanderpfad den Zoo durchquert, sodass man, auch ohne zu bezahlen, am Nilpferdbassin, an den Affenhäusern und an einigen anderen Gehegen vorbeikommt.
Ich fühlte mich in diesem Winter ziemlich miserabel, weil kurz zuvor eine langjährige Beziehung in die Brüche gegangen und ich auch beruflich an einen toten Punkt gekommen war. Ich hatte viele