Der sechste Mann: Erzählungen und Essays
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Über dieses E-Book
Hans Joachim Laue
Der Herausgeber Hans Joachim Laue, geboren 1943, arbeitete nach Lehre und Studium als Technischer Redakteur von Betriebsanleitungen sowie als Werbetexter und PR-Journalist in Agenturen und in der Industrie. Darüber hinaus sammelte Laue Erfahrungen als Redakteur von Fach- und Firmenzeitschriften, u. a. als Chefredakteur des Verbandsorgans Print, Zürich. Nebst der rund 25-jährigen Tätigkeit als freier Fachjournalist, speziell im Bereich Druckweiterverarbeitung, betreute er einige Jahre den Redaktionsteil Schweiz der Fachzeitschrift Bindereport, Hannover.
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Buchvorschau
Der sechste Mann - Hans Joachim Laue
Das Gewebe unseres Lebens besteht aus gemischtem Garn, gut und schlecht durcheinander.
William Shakespeare (1564 – 1616)
Inhalt
Auf die Welt gekommen
Weißes Gold
Der nachgeholte Ausflug
Der vergrabene Schatz
Hohe Liquidität
Zehn Jahre Altersunterschied
Der sechste Mann
Hochzeitsreise
Haben Sie Zeit?
Ein großer Fisch
Der Brief
Gemeckert wird später
Ohne Mitnehmer
Regalfüller?
Schlafstörungen
Damespiel
Lausschwach oder löwenstark
Das kam mir spanisch vor
Verpacken wie früher
Zappelphilipps und Schmutzfinken
Tierra, tierra!
Abschiedsbrief?
Auf Sand gebaut
Vita
Buchanzeigen
Auf die Welt gekommen
Sommer 1959. Zufall oder auch nicht? Ich übernachtete in dem Zimmer, in dem ich gezeugt worden sein soll. Das schilderte das einstmalige Kinderfräulein meines Vaters, bei deren Familie ich ein paar Tage in der DDR zu Besuch war. Angereist aus der BRD, zwei Jahre vor dem Mauerbau.
In dem kleinen Dorf im thüringischen Landkreis Nordhausen weilten zum Jahreswechsel 1942/43 meine Eltern, damals frisch Verliebte, beide Jahrgang 1922. Im Februar darauf gaben sie ihre Verlobung bekannt und heirateten am 6. März 1943, zehn Jahre und einen Tag nach dem entscheidenden Sieg, den die Hitler-Partei NSDAP bei den Parlamentswahlen erzielte. Ich war unterwegs, sie mussten heiraten, wie man so schön sagt. Mit beinahe zwei Wochen Verspätung kam ich am 12. Oktober 1943 (falls es jemand interessiert) in der Stadt Staßfurt, der Wiege des Kalibergbaus, zur Welt.
Der Vater musste nicht an die Front, er war UK gestellt, also unabkömmlich. In seinem im Dritten Reich ausgestellten Ahnenpass ist er als unehelicher Sohn eines Halbjuden aufgeführt. Dennoch kletterte er im Gleichschritt für den Führer zwischen 1936 und 1939 in der Hitlerjugend die Karriereleiter hinauf. Aus reinen Anpassungs- und Überlebensgründen? Das einzige Handicap aufgrund dieser Abstammung war wohl, dass man ihn im Dritten Reich nicht zum Ingenieur-Studium zugelassen hat.
Trotzdem ist er mit einer abgeschlossenen Zeichner-Lehre zwischen 1940 und 1944 bei der Staßfurter Rundfunk-Gesellschaft Imperial an der Entwicklung und Konstruktion von Empfängern und Antennen zur Steuerung von „Fliegenden Bomben" beteiligt gewesen. Noch nach Jahrzehnten war er darauf mächtig stolz, ohne zu hinterfragen, wie viele Menschen ihre Angehörigen, ihr Zuhause oder gar selbst ihr Leben verloren haben oder hätten verlieren können.
Außerdem war er in dieser Zeit für die technische Betreuung der Mitarbeiter der Produktionsfirma und der Militärdienststelle des Reichsluftfahrtministeriums in Berlin zuständig. In das Gebäude, dem heutigen Bundesfinanzministerium, wären hauptsächlich lange Kerle in Uniform mit dem preußischen Gardemaß von mindestens hundertfünfundsiebzig Zentimetern ein- und ausgegangen. Obwohl er nicht diesem Gardemaß entsprach, gelangte er trotzdem hinein und auch wieder heraus.
Ich reifte im Leib der jungen Mutter heran, die noch zwei Jahre zuvor in Schlesien einen unfreiwilligen Reichsarbeitsdienst des Bundes Deutscher Mädel leistete. Der US-Präsident Franklin D. Roosevelt verlangte im Januar 1943 auf der Konferenz der Anti-Hitler-Koalition in Casablanca von Nazideutschland, Italien und Japan die bedingungslose Kapitulation. Die im Kessel um Stalingrad eingeschlossenen deutschen Truppen kapitulierten Anfang Februar 1943. Daraufhin hetzte am 18. Februar Joseph Goebbels, Minister für Volksaufklärung und Propaganda, in seiner Berliner Sportpalastrede die Bevölkerung zum „totalen Krieg" auf.
Ab jenem Jahr sollen bis zum Ende des Dritten Reiches die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke Dessau in ihrer 1935 in Staßfurt-Leopoldshall errichteten Zweigstätte für die Produktion von Leitwerken und Motorhauben bis zu 500 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Buchenwald (bei Weimar) eingesetzt haben. Zudem sind wahrscheinlich ab Herbst 1944 bis Kriegsende etwa 700 KZ-Häftlinge in einem Barackenlager in der Nähe des Kalischachtes VI in Staßfurt untergebracht gewesen. Die Inhaftierten dieses Außenlagers des KZ Buchenwalds (Deckname Zebra) wurden gezwungen, in der unterirdischen Fabrik der Rüstungsindustrie zu arbeiten. Projektplaner und Baumeister dieses Lagers soll übrigens der spätere deutsche Bundespräsident Heinrich Lübke gewesen sein.
Drei Wochen vor meiner Geburt zogen die Eltern in ihre erste Wohnung mit zwei Zimmern und Küche. Sie sei unter schwierigen Umständen in nicht bewohnten und schadhaften Dachkammern entstanden, drei Stockwerke hoch. Ebenso viele wieder hinunter und dann über den Hof zum Donnerbalken. Ohne einen Bombensplitter abbekommen zu haben, aber wohl einst im festen Glauben an das Tausendjährige Reich, blieb die junge Familie bis August 1945 dort wohnhaft. Hochparterre wohnten die Großeltern. Die Oma als Babysitterin war also in exzellenter Nähe.
Im Juli 1944 wurde meinem Vater eine von Adolf Hitler gestiftete Medaille für besondere Verdienste in der Kriegsindustrie verliehen. Im selben Monat ist er in der Garnisonsstadt Bernburg an der Saale für die SS-Polizei-Panzergrenadier-Division gemustert worden. Da konnten sich angeblich auch „Nichtarier bewähren". Ob er sich freiwillig zur Musterung meldete? Ich weiß es nicht. Jedenfalls sei er abgelehnt worden. Begründung unbekannt. Angehörige dieser SS-Einheiten begingen Verstöße gegen das Kriegsrecht und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch ist Bernburg mit einem Euthanasie-Zentrum, also einer Tötungsanstalt in der NS-Zeit, in Verbindung gebracht worden.
Am 16. August 1944 bombardierten Amerikaner erstmals das Firmengelände von Junkers in Dessau. Bis dann zwischen dem 8. und 11. April 1945 anglo-amerikanische Bomberverbände ihre vernichtende Fracht im Raum Halberstadt-Staßfurt-Dessau abwarfen. Seit jenen Tagen bin ich durch eine „Kriegsverletzung" gezeichnet. Aufgrund der Detonation