Friederich Nicolaus Rieckmann - Bildhauer und Stuckateur in der Gründerzeit: Eine biographische, soziale und gesellschaftliche Geschichte in Hamburg zwischen 1845 und 1950
Von Otto Dahms
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Über dieses E-Book
Die Geschichte eines ungewöhnlichen Aufstiegs.
Die Biografie des Friederich Nicolaus Rieckmann - ein spannendes Kapitel der Hamburger Sozialgeschichte. 1845 geboren, gelingt es Rieckmann trotz eines großen Bauunfalls in den Jugendjahren sich als Stuckateur in der Hansestadt zu etablieren. Mit Unterstützung Martin Hallers konnte er sich in Architektenkreisen bekannt machen und mit ihnen zusammenarbeiten. Das Buch schildert seinen Lebensweg, der von größten Hindernissen gezeichnet war, zu einem angesehenen Geschäftsmann und sorgenden Familienvater.
Der Autor fördert bei seinen akribischen Recherchen vieles zutage, was uns in die Lebens- und Arbeitswelt der Gründerjahre zurückversetzt. Zahlreiche Abbildungen und Kartenausschnitte zeigen den Weg des auch künstlerisch erfolgreichen Handwerkers auf anschauliche Weise.
Otto Dahms
Otto Dahms, geboren 1945 in Hamburg. Nach dem Studium der Vermessungskunde an der Universität Hannover und der 2. Staatsprüfung hat er an verschiedenen Katasterämtern in Niedersachsen, in erster Linie Gutachten über bebaute und unbebaute Grundstücke erstellt. Hierdurch hat er Einblicke in einfachste Häuser bis große Villen erhalten, wodurch er sich mit der Innenausstattung von Häusern mit Stuck und sonstigen architektonischen Eigenheiten befasste.
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Buchvorschau
Friederich Nicolaus Rieckmann - Bildhauer und Stuckateur in der Gründerzeit - Otto Dahms
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. KapitelKindheit und Jugend; die Verurteilung in die Strafklasse des Werk- und Armenhauses
Wer war Pastor Karl Köster?
Wo war die Strafklasse zu dieser Zeit eingerichtet?
2. KapitelDie Lehre des Friederich Nicolaus, der Unfall
3. KapitelEine zweite Chance: der Bildhauer und Stuckateur, seine erste Frau und die ersten Häuser
3.1 Bei den Hütten
3.2 Die neustädter Neustraße
4. KapitelDer Aufbau des Geschäfts (mit Unterstützung von Haller und Reichardt)
5. KapitelFamilie J. H. F. Thomsen: Elbpavillon, Orpheum, Lübbers Salon, Billwärder Park und der Butterbrotschneider
6. KapitelDer Witwer, Elisabeth, das Geheimnis der Fruchtallee 32 und die zweite Hochzeit
7. KapitelEin neues Zuhause in der Königstraße
7.1 Die Anweisung der Bauhöhe für den Neubau
7.2 Das neue Zuhause in der Königstraße
8. KapitelDer umtriebige Geschäftsmann, seine zahlreichen Immobilien
8.1 Das Haus in der Maria-Louisen-Straße 27
8.2 Das Haus in der Maria-Louisen-Straße 29
8.3 Eine Geldanlage: Rosenhofstraße 10
8.4 Das Haus in der Hagenau 7
9. KapitelDas Familiengrab und das Ende der Bildhauerei
9.1 Überlegungen zu weiteren Denkmalen unbekannter Bildhauer auf dem Friedhof
10. KapitelDas Haus in der Klosterallee 11 und der frühe Tod; die Witwe, die Kinder und das Erbe
10.1 Die Zeit 1914–1918
10.2 Das Testament und der Nachlass
10.3 Die Vermögensverhältnisse nach dem Krieg
11. KapitelWer war der Mensch Friederich Nicolaus Rieckmann?
12. KapitelNachlese: seine Geschwister, seine Kinder, wichtige Personen. Und was wurde aus seinen Häusern?
Nachwort
Anmerkungen
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Register
„Mich hat er natürlich, so oft ich ihm
mit seinem Stelzbein begegnete,
stets an jenen Schreckenstag
im Anfang meiner Praxis erinnert."
Martin Haller 1915
Den Forschenden des Vereins für
Hamburgische Geschichte gewidmet
Vorwort
Den Anstoß für dieses Buch gab das Familiengrab des Friederich Nicolaus Rieckmann in Hamburg-Ohlsdorf. Die Grabstelle umfasst das Denkmal eines Blumen streuenden Mädchens, die Marmorfigur wurde von Rieckmann selbst gefertigt. Das Familiengrab wurde im Jahre 2000 von den Nachkommen seiner zweiten Frau nicht weiter verlängert. So übernahm ich als Urenkel aus der Ehe mit seiner ersten Frau das Grab und ließ es instand setzen.
Schon immer waren in der Familie zahlreiche Geschichten über den Urgroßvater erzählt worden, etwa dass er mit Stuckarbeiten zu Reichtum gekommen sein und in der Innenstadt ein Haus besessen haben soll. Als Bildhauer habe er überdies, so die Legende, am Bau des Rathauses in Hamburg mitgewirkt und einen großen Engel auf dem Ohlsdorfer Friedhof gefertigt. Und schließlich das persönlich Gravierendste: Als junger Mann verlor er bei einem Hauseinsturz ein Bein, seit diesem Unfall war er zudem beidseitig schwerhörig.
Wer war dieser Mann? Ich wollte endlich Genaueres herausfinden. Die Spurensuche erwies sich als aufwendig, und immer wieder drohte ich in den vielen Materialien und Archiven verloren zu gehen. Wir sprechen von der Gründerzeit, gerade in diesen Jahren baute Friederich Nicolaus Rieckmann sein eigenes Handwerksgeschäft auf und es gelang ihm, sich zu einem gewissen Wohlstand emporzuarbeiten. Wie sah sein Aufstieg aus, wie lebte es sich damals, wie konnte es sein, dass der schwere Unfall den jungen Mann nicht völlig aus der Bahn warf? Rieckmann heiratete zweimal, er hatte sieben Kinder, er war als Stuckateur sehr erfolgreich, erwarb mehrere Immobilien und war doch wie alle anderen von den schweren Jahren des Ersten Weltkriegs, von Inflation und politischer Unsicherheit betroffen. Ein reiches Leben voller überraschender Details tat sich vor mir auf.
Meine Recherche über die Jahre 1845 bis etwa 1955 begann 2011 im Staatsarchiv Hamburg, in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg sowie in der Bibliothek des Vereins für Hamburgische Geschichte. Die digitale Aufarbeitung der Hamburger Adressbücher im Internet war eine große Hilfe. Die Durchsicht der Zeitungen auf Mikrofilm wuchs sich zu einer nicht zu verachtenden Geduldsarbeit aus. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bibliotheken und der Archive bin ich zu großem Dank verpflichtet, ohne ihre großen und kleinen Hinweise wäre die Arbeit noch aufwendiger gewesen.
Als eigenes Thema stellte sich die Recherche zu Rieckmanns Immobilien heraus. Zur Namenskartei des Grundbuchamtes im Staatsarchiv blieb der Zugang leider verwehrt. Beim Amtsgericht Hamburg musste ein Antrag auf Einsicht in die Grundakten gestellt werden, da dort die Einzelheiten der Verträge einzusehen sind. Über das Geoportal Hamburg konnte auf die Katasterkarten des Landesbetriebs Geoinformation und Vermessung zugegriffen werden. Mit den Angaben zur Gemarkung und dem Flurstück konnten so die Nummern der heutigen Grundbuchblätter ermittelt werden. Auch hier sei den Mitarbeitern der Amtsgerichte auf den Grundbuchämtern und dem Nachlassgericht für die Geduld und Unterstützung gedankt.
Aufgrund meiner Recherchen konnte ich bald belegen, dass Martin Haller der ausführende Architekt des Gebäudeumbaus in der Esplanade war, wo Rieckmann so schwer verletzt wurde. Dies wies den Weg zu den vielen Quellen von Haller im Staatsarchiv Hamburg.
Dieses Buch ist der Versuch, die damaligen zeitlichen und sozialen Bedingungen mit möglichst vielen Quellen einzufangen. Jeder und jede möge sich eigene Gedanken machen, ob er oder sie in jener Glücksritterzeit das gemacht hätte, was man aus heutiger Sicht leicht als selbstverständlich ansieht. Vielleicht kann diese Zusammenstellung auch anderen Mut machen, Archive aufzusuchen und auf Quellensuche zu gehen. Geduld ist gefragt, doch Schlüsselerlebnisse bei Funden entschädigen für viele Stunden vergeblichen Suchens, Blätterns und Lesens. Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass auch Archive nur das verwalten, was ihnen übergeben wurde.
1. Kapitel
Kindheit und Jugend; dieVerurteilung
in die Strafklasse des Werk- und Armenhauses
Das Leben in den Vier- und Marschlanden war für Rieckmann vorgezeichnet durch seine Urgroßeltern, die 1756 in Ochsenwerder heirateten. Claus Rieckmann, 35 Jahre, stammte aus Tatenberg, seine Frau Anna Semmelhack, vier Jahre jünger, aus Ochsenwerder. Ihnen wurde im Jahre 1762 der Sohn Claus geboren, der 1787 die 21-jährige Anna Schuldt aus Tatenberg heiratete.
Der Wohnort wurde gewechselt, und in Moorfleth gebar Anna 1799 den Sohn Hans Herrman.¹ Er wurde wie so viele Männer in dieser Gegend Fischer, in den Zeiten, wo es nichts zu fischen gab, war er zudem als Grünhöker tätig.² Mit 34 Jahren heiratete Hans Herrman Rieckmann die dreißigjährige Anna Elsabe Riege aus Ochsenwerder, die Trauung fand in der Kirche St. Pankratii zu Ochsenwerder statt.³
Anna Elsabes Vater war Katenbesitzer mit etwas Land zur Selbstversorgung an der Nordseite von Ochsenwerder und dort auch geboren, ihre Mutter stammte aus dem Spadenland.
Alle Vorfahren lebten in einem überschaubaren Bereich in diesem Teil der Landherrschaft der Marschlande von Hamburg, zwischen der Elbe und der Bille.⁴
Hans Herrman und Anna Elsabe gründeten eine Familie, zu der schließlich insgesamt neun Kinder gehörten. Nicht alle überlebten allerdings die Kinder- und Jugendzeit.
Ein Jahr nach der Heirat erblickte das erste Kind der beiden 1834 das Licht der Welt, der Sohn wurde auf den Namen Hans Hermann Hinrich getauft.⁵ Zwei Jahre später kam Anna Elsabe mit Zwillingen nieder.⁶ Das eine Mädchen Anna Catharina Margaretha wurde lebend geboren, die Zwillingsschwester „verstarb ungefähr zweieinhalb Stunden nach der Geburt, ohne die Taufe erhalten zu haben".⁷ Doch auch Anna Catharina war sehr schwach, sie erhielt vier Tage später die Taufe, überlebte diesen feierlichen Tag aber nur um eine Woche.⁸ Sie wurde auf dem Friedhof von St. Nicolai in Moorfleth bestattet.
Ein Jahr später, 1837, half die Hebamme Werner aus Ochsenwerder der Mutter, einen Knaben mit dem Namen Nicolaus Heinrich auf die Welt zu bringen.⁹ 1839 wurde Anna Elsabe erneut schwanger. Sie gebar ein Mädchen, welches den Namen Johanna Catharina Maria erhielt.¹⁰ Nach zwei weiteren Jahren wurde der Sohn Johann Peter geboren, doch Johann Peter verstarb schon kurze Zeit später.¹¹ Die Trauer über den Sohn war noch nicht vergangen, da musste im November 1842 auch Johanna, das fünfte Kind, zu Grabe getragen werden.¹² 1843 erblickte die Tochter Anna Catharina das Licht der Welt.¹³
Im Sommer 1845 schenkte Anna Elsabe dem Knaben Friederich Nicolaus, der Hauptperson dieser Schrift, das Leben. Über einen Monat später wurde der Junge, das achte Kind des Ehepaares, getauft; er bekam drei Paten, wie es auch bei den anderen Kindern erfolgt war.¹⁴
Für dasselbe Jahr halten die Geschichtsbücher ein besonderes wirtschaftliches Ereignis für Europa fest, ein folgenreiches: Mit der Great Britain wird das erste Dampfschiff in Betrieb genommen. Die industrielle Revolution nimmt ihren Lauf. Friederich Nicolaus wird später die Auswirkungen spüren und für sich nutzen.
Inzwischen war die Mutter Anna Elsabe 46 Jahre alt. Sie gebar 1849 eine weitere Tochter mit den Namen Anna Catharina Margaretha.¹⁵
Die Familie und vor allem der älteste Sohn Hans Hermann Hinrich mit seinen 15 Jahren hatten bis dahin schon viel Trauer zu tragen. Doch immerhin lebten seine letzten drei kleinen Geschwister. Der Vater war als Fischer auf der Elbe und der Bille unter wegs, oder er verkaufte als Grünhöker Gemüse, Kräuter und Obst aus den Marschlanden. Die Mutter hatte die Kinder unter ihrer Obhut. Ob alle Kinder schon frühzeitig zur Schule gingen, ist ungeklärt, fest steht nur, dass Hans Hermann Hinrich nicht schreiben konnte. Bei seiner Heirat unterschrieb er mit XXX.¹⁶ Genauso unterschrieb er als Vater im Zivilstandsregister, als er 1869 die Geburt und den Tod eines Mädchens¹⁷ und 1873 die Geburt und den Tod eines Knaben¹⁸ meldete.
Im Jahre 1855, im Oktober, starb Anna Elsabe mit 53 Jahren. Als Todesursache bescheinigte Dr. Bahlcke „feb. nervosa", ein Nervenfieber, das heute als eine Salmonellenerkrankung bezeichnet wird.¹⁹ Aus dem Leichenregister von St. Nicolai in Moorfleth ist ersichtlich, dass neben dem Ehegatten noch zwei Söhne unter 22 Jahren und zwei Töchter unter 18 Jahren lebten. Fünf Kinder waren verstorben.
Der Verlust der Mutter, des Hauptpfeilers in der Familie, muss einschneidend gewesen sein. In erster Linie für die Kinder und ganz besonders auch für den Vater, dem nun die Stütze zur Erziehung der Kinder fehlte. Über seinen Lebenswandel zu Lebzeiten seiner Frau ist nichts bekannt, nach ihrem Tod bestand sein Halt offenbar zunehmend im Alkohol. Die Kinder konnten nicht ernährt werden, das Einkommen des Vaters reichte dafür nicht aus. Bald schon sah man die Kinder am Deich betteln, etwas, was die Einwohner von Moorfleth bis dahin nicht von ihnen gekannt hatten.
Wer war Pastor Karl Köster?
Das erfuhr natürlich auch der Pastor der Kirche St. Nicolai in Moorfleth, Karl Köster, obgleich er in der Stadt wohnte und dort zwei Adressen hatte: Alsterthor 18 und Schweinemarkt 23.²⁰ Am