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Finger im Spiel
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eBook169 Seiten2 Stunden

Finger im Spiel

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Über dieses E-Book

Frank wartet im Gleisbett auf den nächsten Zug, der ihn ins Jenseits befördern soll. Unvermittelt ergreift er sein Handy und erkennt, wie kompliziert das Sterben ist, wenn ihm das Leben ständig ungefragt dazwischenfunkt … 
Eine mysteriös-fantastische Geschichte über das Schicksal, über Sinn und Unsinn des Lebens – wie es war und ist, wie es hätte sein können, wie es spielt und spielen könnte. 
Das Titelbild stammt von Sonja Graus.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum9. Jan. 2018
ISBN9783957659408
Finger im Spiel

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    Buchvorschau

    Finger im Spiel - Kai Beisswenger

    6

    Drei Jahre später

    Ich blickte nach links, erschrak und zuckte zurück. Träumte ich? Um mich vom Gegenteil zu überzeugen, linste ich noch mal hin und erhielt die Quittung für meine Untat vor drei Jahren. Das Strafregister vergisst nichts. Meins schon gar nicht. Wie ein Blitz fuhr ein übles Gefühl durch meinen Bauch und einen Augenblick später klarte mein Gedächtnisnebel auf. Ohne Zweifel, die Frau am Nebentisch war Louisa. Zögerte sie? Nein, sie hatte mich auch erkannt. Ich guckte wieder hin und tat, als wüsste ich nicht, wer sie wäre und schaute weg. Sogleich verstärkte sich das miese Gefühl. Klar, sie wusste, wer ich war, doch sie ließ sich nichts anmerken. Verstohlen spähte ich noch mal zum Nebentisch hinüber. Der Typ an ihrer Seite passte zu ihr. Er war kleiner als ich, sofern ich einen sitzenden Menschen einschätzen konnte, etwa so groß wie sie, hatte schwarze Haare und einen tätowierten Arm. Beide waren schwarz gekleidet. Sie wirkten wie ein vertrautes Paar.

    Zwei Minuten zuvor hatte ich mich noch als Held des Tages gefühlt.

    Marie und ich saßen im »Zum Gemalten Haus« in Frankfurt und unterhielten uns. Nein, ich unterhielt sie, denn ich breitete meinen Stolz vor ihr aus und sie ließ mich dozieren.

    »Läuft bei dir!«, sagte sie und nährte mein Hochgefühl.

    »Ja, wunderbar. Der Verlag hat zwei Preisträger, wir haben das höchste Wachstum in der Branche und endlich kommt auch Kohle rein.« Sie munterte mich auf, fortzufahren.

    »Unser Konzept hat Zukunft. Nächstes Jahr will Jan sich zurückziehen, er hat ein neues Projekt, ich zahle ihn in Raten aus und in zwei Jahren gehört der Laden mir.«

    Der Ungnade-Verlag verlegte verfemte Autoren und zwar solche der gesamten politischen Bandbreite, die In- und Ausland hergaben. Eine Woche zuvor hatte ich mir die Rechte eines türkisch-deutschen Autoren gesichert, dessen Verträge von seinen Verlegern gekündigt worden waren, weil er plötzlich als Rechter galt. Er schrieb harmlose Hunderomane, und wenn er nicht am Schreibtisch saß, gebärdete er sich als Macho oder treffender ausgedrückt als Vollpfosten, doch ein Rechter war er nicht. Egal, schließlich profitierten wir von der politischen Korrektheit und ich schwebte auf Wolke sieben.

    Zurück zur Ursache des Stichs, der sich unbarmherzig durch meinen Bauch zog. Hätte ich besser mal nicht meine Augen über die Nebentische schweifen lassen. War es Schicksal oder Zufall, dass sie gerade jetzt wenige Meter von mir entfernt saß? Keine Ahnung. Jedenfalls fühlte ich mich von einem Augenblick auf den anderen wieder als Feigling, der ich vor drei Jahren tatsächlich gewesen war.

    Ich hatte mich Louisa gegenüber wie ein Arschloch benommen und doch konnte ich damals nicht anders, obwohl ich mich dabei schäbig gefühlt hatte. Ja, einfach abtauchen war erbärmlich, aber mir blieb nur die Flucht, auch wenn ich mir anschließend kaum in die Augen sehen konnte. Deshalb wollte ich sie aus meinem Kopf und aus meinem Leben verbannen. Mich aus ihrem Sein und sie aus meinem ausradieren. Monatelang litt ich darunter, weil ich nicht den Mut hatte, ihr zu erklären, dass ich einen Fehler gemacht hatte, dass ich sie überhöht hatte, dass sie nicht mein Typ war, dass ich mich getäuscht hatte. Ja, dass ich bestenfalls geil auf das war, was sie verkörperte. Ich hatte nicht den Arsch in der Hose, ihr das unverblümt zu sagen. Noch nicht einmal eine E-Mail hatte ich ihr schreiben können. Dabei hätte ich sie doch anrufen können und sagen: Du, ich finde dich total nett, aber ich will dich nicht wiedersehen, weil ich glaube, es werde sich nichts entwickeln zwischen uns. Aber ich hätte sie vermutlich noch häufiger sehen müssen. Das hätte ich nicht ertragen können, dazu strebte ich zu sehr nach Harmonie. Wobei sie es genauso gut achselzuckend hätte akzeptieren können. Doch diesen Gedanken wollte meine Eitelkeit nicht zulassen. Hinzu kam die Sucht nach einem Abenteuer. Mich aus einem Leben herausschneiden, ohne Spuren zu hinterlassen. Diese Fantasie hatte ich schon als Teenager. Womöglich war das ein Ausdruck meiner Bindungsangst. Meine Eltern hatten ihren Krieg vor mir ausgelebt und die Erinnerungen daran verfolgten mich heute noch im Traum. Eine ähnliche Beziehungsschlacht wollte ich mir als Erwachsener ersparen, weshalb meine Liebschaften bestenfalls ein paar Monate dauerten. Ob das die einzige Erklärung war? Jedenfalls meinte das mal ein Psychologe, doch den Psychos habe ich nie getraut. Sie diagnostizieren eher ihre eigenen Fehler und projizieren sie auf ihre Patienten.

    Hätte ich es heute anders gemacht? Als ich Louisa schäbig behandelt hatte, war ich zweiundvierzig, am Tage unseres unvermuteten Treffens war ich fünfundvierzig. Nein, inzwischen war ich gereifter. Marie würde ich nicht so behandeln. Als ob sie mitbekommen hatte, worüber ich nachdachte, musterte sie mich eindringlich. Wahrscheinlich schon seit einer Weile. Frauen bleibt nichts verborgen. Sie ergriff meine Hände.

    »Was hast du? Kennst du die Frau? Oder den Typen?«

    »Nee, nie gesehen. Alles in Ordnung, wir wollten doch gehen, lass uns zahlen!«

    Ich wurde das schlechte Gefühl nicht los. Und ich ärgerte mich, wie schnell ich vom Winner zum Loser geworden war und obendrein, dass ich die Übelkeit nicht verdrängen konnte, die sich in meinem Body ausbreitete. Meine Laune war längst gekippt und ich musste mich beherrschen, damit Marie nichts auffiel. Das machte mich noch wütender. Sie hatte es nicht verdient, im Unklaren gelassen zu werden. Als wir zu Hause angekommen waren, gab ich mir einen Ruck, erzählte ihr die ganze Geschichte und ließ nichts Wesentliches aus. Marie hörte aufmerksam zu, umarmte mich und bedankte sich, dass ich so ehrlich zu ihr war. Es war befreiend, aus dieser Sache etwas gelernt zu haben, zumindest nahm ich mir vor, Konflikten nicht mehr aus dem Weg zu gehen und bei Problemen das Gespräch zu suchen. Manche können das schon mit zwanzig, ich würde es erst jetzt allmählich lernen. Immerhin.

    Einen Tag später

    Nachdem ich Louisa gestern wiedergesehen hatte, ging sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich schämte mich immer noch und im Grunde hatte ich die Stiche in der Magengrube auch verdient. So schlagartig, wie sie damals in mein Leben getreten war, hatte ich mich von ihr verabschiedet und so unvermutet war sie mir gestern wieder begegnet. Und doch war sie es, sowie meine Erfahrungen mit ihr, was meinem Leben eine neue Richtung gegeben hatte.

    Vermutlich wäre die erste Hälfte meines Lebens eintönig geblieben, wenn nicht diese Geschichte mit dem Buch gewesen wäre, die sich, aus welchen Gründen auch immer, in mein Dasein gemogelt und mir den entscheidenden Kick gegeben hatte, mein Leben zu ändern und auf die Erfolgsspur zu wechseln und zumindest die folgenden Jahre nicht allzu unglücklich zu verbringen. Was für einen Blödsinn dachte ich da?

    Es war nicht nur ein einziges Buch, was ich geschrieben hatte. Insgesamt waren es drei und ich hatte etwa zweihundert Stammleser, wenn ich die Rezensenten mitzählte, doch letztere hatten meine Bücher bestenfalls überflogen. Meine Bücher! Die ersten beiden bewegten sich im Bereich der Liebelei. Das erste wurde genauso hochgelobt wie kaum gekauft. Nach zwei Jahren hatte der Verleger seinen Glauben daran verloren, mir hundert Stück zu einem Euro pro Stück aufgedrängt und den Rest verramscht. Natürlich wollte er von meinen Ergüssen nichts mehr wissen und ich suchte mir einen ähnlich erfolglosen Kleinverlag, mehr war leider nicht drin, um mein zweites zu veröffentlichen, das noch erfolgloser war als das erste. Mein drittes Baby sollte mein erfolgreichstes werden, auch wenn nur ein paar Hundert mehr verkauft worden waren als vom ersten.

    Inzwischen hatte ich das Schreiben an den Nagel gehängt. Dafür gab es viele Gründe. Ich war zu faul, an den Figuren zu feilen und mich mit den unendlich langen Korrekturen zu beschäftigen, die wenig brachten, denn am Ende hatte ich das Produkt meines Schaffens meist verschlimmbessert. Zweitens gab es tausend andere Schreiberlinge, die ebenso am Hungertuch nagten und besser schreiben konnten als ich. Drittens wurde der Markt immer kleiner, das Smartphone hatte das Buch fast ersetzt, hinzu kamen die Selfpublisher, die ja auch gelesen werden wollten. Viertens bediente ich einen Nischenmarkt. Fünftens wusste ich nicht genau, wie die Menschen tickten, also konnte ich nur wenig über sie schreiben. Sechstens waren meine Dialoge mittelmäßig. Siebtens hatte ich mich erschöpft. Alles war gesagt oder besser: Alles war geschrieben. Und last, but not least war ich erfolglos. Trotzdem musste ich drei Bücher schreiben, um das zu begreifen. Aber das Schreiben war nicht völlig für die Katz, weil ich Kontakte geknüpft hatte, weil ich gelernt hatte, wie das Verlagswesen funktionierte, wie Autoren, Korrektoren und Lektoren dachten und wie man ein Buch machen musste, damit es zumindest eine Chance haben könnte. Und das Wichtigste: Jede Erfahrung ist für etwas gut – man muss sie nur ausschlachten.

    Wie fing mein Techtelmechtel mit Louisa an? Ich war nach Düsseldorf gekommen, weil ich einen Tapetenwechsel brauchte. Deshalb heuerte ich bei einem Fachverlag an. Den Job als Lektor hätte ich auch in Frankfurt erledigen können, allerdings hatte ich für diesen Laden noch nicht gearbeitet, und wir wollten uns erst einmal beschnuppern. Besagter Verlag bot sich an, außerdem sollte mir eine Luftveränderung guttun. Geld für solche Eskapaden hatte ich nicht, aber das war sowieso ein generelles Problem. Ich kam gerade so rum mit meiner Kohle. Vom Schreiben, Lektorieren, Korrigieren, Übersetzen, Lesungen und ab und zu einen Artikel in einer Zeitung zu veröffentlichen, konnte ich nicht leben. In manchen Monaten bekam ich kaum die Beiträge für die Künstlersozialkasse plus Miete zusammen. Ich hatte Existenzangst. Nachts wachte ich auf und wälzte mich im Bett herum. Meine Freunde hatten mit vierzig schon einiges erreicht. Ich hingegen hatte nichts auf dem Bankkonto und lebte von der Hand in den Mund.

    Mit einem Telefonanruf änderte sich alles. Ein Traum ging in Erfüllung, den ich schon fast vergessen hatte. Schlagartig fiel mir ein, dass auch ein einziger Anruf über Leben und Tod entschied in meinem letzten Buch. Der Zufall spielte die Musik im Leben, darum ging es und das war auch mein Kernthema, um das sich alles drehte, was ich je geschrieben hatte.

    Meine Gedanken schweiften ab. Vor drei Jahren hatte ich meine Wohnung für vier Monate untervermietet und mir eine Bude in Düsseldorf gesucht. Mein Vertrag war befristet auf zwölf Monate und der Verlag hatte mir bei der Suche nach einem möblierten Zimmer geholfen. Das war in Düsseldorf nicht so schwierig, denn es gab viele Fachkräfte, die vorübergehend dort arbeiteten, und die für eine begrenzte Zeit in einem möblierten Zimmer hausen mussten. In der Mittagspause pflegte ich abzuschalten und das konnte ich am besten im Fitnessstudio.

    Niemand weiß, was den Betreiber des Fitnessstudios bewogen hatte, drei oder vier Exemplare meines neuesten Werkes auf die Theke zu stellen. Als ich mich anmeldete, hatte ich ihm gesagt, dass ich im Verlagswesen arbeitete und ein paar Bücher veröffentlicht hatte. Ich vermutete, anschließend hatte er mich gegoogelt, denn anscheinend stellte er fest, dass mein aktuelles Buch gute Kritiken erhalten hatte. Dann hatte er Nägel mit Köpfen gemacht. Vielleicht wusste er nicht, dass ich ein unbeschriebenes Blatt war und er hatte gedacht, dass man ein Buch nur dann veröffentlichen könne, wenn man blitzgescheit sei. Doch ich wollte mich nicht weiter mit seiner Motivation beschäftigen. Jedenfalls fragte er mich, ob ich ihm

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