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DUNST: Autobiografie / Drogen-Drama
DUNST: Autobiografie / Drogen-Drama
DUNST: Autobiografie / Drogen-Drama
eBook353 Seiten5 Stunden

DUNST: Autobiografie / Drogen-Drama

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Über dieses E-Book

Ein unbedarftes Mädchen vom Land lässt sich mit einem Drogensüchtigen ein und kämpft viele Jahre lang um sein Überleben, wobei ihr eigenes Leben beinahe zerstört wird – eine wahre Geschichte. Solche "RetterInnen" werden nicht betreut und erhalten keine finanziellen Amnestien, sondern müssen selber schauen, wie sie weiterkommen, nach Jahren der Aufopferung. Beratungsprogramme sind Tropfen auf sehr heißen Steinen, die ein Leben lang nicht auskühlen ...
In meinem Umfeld in Wien erlebe ich heute (2016) ein erschreckendes Anwachsen des Drogenkonsums, in vielen Bevölkerungsgruppen, auch unter Zuwanderern. Leider ist den wenigsten Menschen bewusst, dass derlei nicht nur die Leben der Süchtigen zerstört, sondern besonders auch die ihrer Angehörigen. Der Mann, um den es im Buch geht, "Willie", ist vor einigen Monaten gestorben, und ich fand mich von der Tatsache wie "auf den Kopf geschlagen", dass gewisse Dinge zwischen uns nun niemals bereinigt werden können. Ich wünsche mir, dass "Dunst" Angehörigen von Drogensüchtigen dabei hilft, sich rechtzeitig selber zu retten.
"Dunst" beschreibt mein Jahrzehnt mit einem Süchtigen, der meine Existenz später verleugnen sollte und der sich niemals darum gekümmert hat, wie es mir ergangen war, nachdem ich ihn zum letzten Mal aus einer Drogenhölle gezogen hatte. "Dunst" gibt ungeschönten Einblick in eine Beziehung, die einerseits von Drogen geprägt war, andererseits von blinder, närrisch hoffnungsvoller Sehnsucht nach dem Menschen hinter der Sucht.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum2. Jan. 2017
ISBN9783738098211
DUNST: Autobiografie / Drogen-Drama

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    Buchvorschau

    DUNST - Jo Danieli

    Prolog

    Zwölf Jahre, nachdem ich dieses Buch geschrieben hatte, überkam mich der Drang, das Manuskript auszugraben und unter die Leute zu bringen. Warum? Weil ich bemerkt habe, dass meine Seele immer noch nicht wieder heil ist. Und dabei lebte ich viele Jahre lang in einem Insel-Paradies. Aber kein noch so schöner Sonnenuntergang, keine Freiheit konnten mir die innere Freude wiedergeben, die ich verlor, als ich durch die Drogenhölle ging.

    Vier Jahre nachdem ich beschlossen hatte, meine Geschichte unter die Leute zu bringen – erwog ich den Gedanken wieder. Inzwischen hatte ich ein komplettes Drehbuch aus der Story gemacht. Aber immer noch wusste die Welt nichts davon. Warum nicht?

    Weil es höllisch schmerzt, die Vergangenheit wiederzuerleben. Und besonders: darüber zu spre¬chen. Wenn ein Buch oder ein Film einfach für sich stehen könnten, wunderbar. Aber jedes Produkt will auch besprochen werden. Das nennt sich Marketing. Und das ist ein Problem, das sorgsam gelöst werden muss.

    Will ich Rache? Ja. Rache an der Vergangenheit, die mich nicht loslässt. Aber ich verlange auch nach der Befriedigung durch das Wissen, dass junge Leute meine Geschichte lesen und Entscheidungen treffen werden, die gut für ihre Seele sind. Und ich meine nicht unbedingt die Suchtkranken. Ich meine die Angehörigen und Freunde von Suchtkranken. In meiner Zeit mit einem Süchtigen glaubten die meisten Leute, der Süchtige wäre zu bemitleiden. Nein. Das ist zu einfach. Der Süchtige hat seine Ziele und seine Prioritäten. Meist kriegt er die Realität gar nicht mit. Sein Verhalten ist ein egozentrisches Spiel, das andere komplett ausschließt - außer, um sie zu benutzen. Nicht, dass das nicht bedauernswert wäre. Aber im Umgang mit einem Süchtigen sind die Angehörigen diejenigen, die leiden. Rauschgiftsüchtige sind nicht unbedingt abgewrackte Junkies mit schlechten Zähnen und schäbigen Kleidern. Rauschgift- oder Tablettensüchtige sehen oft nicht aus wie solche. Mein Junkie ging nur aus, wenn er drauf war. Das bedeutet, die Leute sahen ihn immer in bester Laune. Jahrelang. Und ich war diejenige, die verhärmt wirkte. Wenn ich von seinen Schandtaten erzählte, hilfesuchend, glaubte man mir nicht. Erst als er es zu weit trieb und die lieben Freunde im Entzugsstadium aufsuchte, voll daneben und im Dunst, begriffen die Leute, die ihn immer vergöttert hatten, dass sie mir jahrelang Unrecht getan hatten. Und sie wandten sich von uns beiden ab.

    Nun, ich bin ein sehr einsichtsvoller und spiritueller Mensch. Aber die Erlebnisse, die begannen, als ich mich mit einem Drogensüchtigen einließ, wiederholen sich in meinem Leben bis heute. Bis heute bin ich nicht frei vom Schmerz und der Enttäuschung. Hatte ich denn keine Therapie? Hier geht es um so grundsätzliche Menschlichkeiten, sodass kein Therapieansatz das persönliche Drama wirklich erreichen kann. Ich habe Sehnsucht nach – mir. Nach dem Ich, das ich war, ehe alles anfing. Es ist in eine Sehnsucht nach Echtheit eingebunden, an der die gesamte Menschheit leidet. Nur der eigene Wille, der eigene Fokus auf etwas Beruhigendes, Starkes, Stolzes kann Heilung bringen. Ich kenne viele Leute, ehemalige Angehörige von Süchtigen, die selbst süchtig wurden. Wer nicht von Natur aus spirituell reif ist, kann an der Sucht anderer zugrunde gehen. Das Heilen braucht seine Zeit - oft länger als eine Lebenszeit dauern kann. In dieser Zeit ist man behindert: Man kann nicht so froh und entspannt und effektiv sein wie man wäre, hatte man nicht diese schrecklichen Erinnerungen, emotionale Erinnerungen, die einen überfallen, und die man niemandem klarmachen kann. Emotionen sind Gefühle, und die kommen mit Gedanken, und Gedanken kommen mit Erinnerungen. Gefühle kommen mit Schmerzen, und Schmerzen bestimmen die Art, wie man im Heute durchs Leben geht. Drogensüchtige vergewaltigen ihre Angehörigen emotional. Immer wieder. Mit jeder Lüge, mit jedem betrügerischen Blick, mit jedem Gedanken der von Falschheit und kranker Selbstsucht getragen ist. Und wenn sie dann die Schultern zucken, sich abwenden und sagen man muss sich um mich kümmern, tun sie es wieder. Der Kampf gegen Drogensucht ist auch ein Kampf um die seelische Gesundheit von Menschen im Umfeld von Drogensüchtigen.

    Das wahre Drama meines Lebens begann schon lange vor meiner Zeit, als das Menschsein anfing die Menschen zu überfordern. Schuld dran waren wieder andere Menschen, die behaupteten, zu wissen, wie das Leben richtig zu leben, wie richtig zu denken sei. Aber: Sie wussten gar nichts! Und heute hängen wir in den Schlingen alter Denkmuster, die nie funktioniert haben, aber die bis heute das wahre, gute Menschsein behindern. Wie jede Geschichte ist meine Geschichte ein Zipfel der Menschheits¬geschichte.

    Die Sprache dieses Buches ist eine direkte Sprache. Ich schrieb das Buch um mich an etwas festzuhalten, als ich keinen Halt mehr hatte. Mein eigene Person war es, woran ich festhalten musste. Die Arbeit an diesem Buch erinnerte mich, dass es mich auch noch gab in diesem Leben, mich, mich, und dass ich nun endlich wieder mein Ich sein würde. Es war eine Hoffnung. Es ist immer noch eine.

    Ich selber habe in meinem ganzen Leben niemals Drogen genommen. Ich bin nicht der Typ. Ich bin der Typ, der durch seine Familiengeschichte und vielleicht Genetik und anderes Erbe dazu gezwungen wird, ein Helfer zu werden, und das schon im Kindesalter. In einer gesunden Welt, wären die Erwachsenen die Helfer, und die Kinder die Lerner. Ich hoffe, dieses Buch trägt zum Lernen bei und macht die Jungen dieser Welt weiser.

    Jo Danieli, Juli 2012

    Prolog Anhang:

    Ich habe inzwischen ein Drehbuch über die Geschichte geschrieben, und ich denke daran, dieses Buch zu überarbeiten. Aber dazu müsste ich ja alles wieder durchleben. Und da kann ich noch nicht.

    Jo Danieli, Jänner 2014

    Prolog Update:

    Vor einigen Monaten ist Willie, um den es in diesem Buch geht, verstorben. Ich hatte mich erst kurz zuvor wieder um Kontakt mit ihm bemüht und hatte entdeckt, dass er sich ein sehr gutes Leben aufgebaut hatte, samt eigener Firma und palastartigem Haus mit Swimming-Pool. (Ich lebe derzeit von der Sozialhilfe.) Zu erfahren, dass er es zu etwas gebracht hatte, freute mich, weil dadurch klar wurde, dass meine Mühen nicht umsonst gewesen sind. Getrübt wurde dies durch die Tatsache, dass Willie es trotz allen Wohlstandes nie für wichtig oder richtig befunden hatte, mir den einzigen Gefallen zu tun, den ich von ihm nach all den Jahren je erbeten hatte, nämlich mir etwas zurück zu erstatten, was er mir in unserer gemeinsamen Zeit gestohlen hatte und das für mich von besonderem, persönlichen Wert gewesen war: eine Dukatensammlung, die einzige Zuwendung, die ich je von meinem Vater erhalten hatte. Willie hatte sie zu Drogen gemacht. Ich habe ihn über die Jahre immer wieder ersucht, sie mir zu ersetzen. Keine Antwort.

    Nun ist er tot, und ich habe den Verdacht, dass seine neue Familie nichts von seiner Vergangenheit weiß. Ich existiere also nicht. Vor etwa zehn Jahren hatten wir kurz Email-Kontakt, und er teilte mir mit, dass er viel an mich denke und dass er das Gefühl habe, sein Leben sein völlig umgekrempelt worden (impliziert: nicht von ihm). Ich weiß, dass er viel Alkohol getrunken hat, in der Zeit. Im heurigen Sommer stand ich bei einer Wanderung mit meinem Hund plötzlich vor einer Burg-Ruine, die das Ziel des ersten Spazierganges gewesen war, den Willie und ich je gemacht hatten. Mir wurde mulmig, und ich dachte intensiv an ihn und überlegte, was das wohl zu bedeutet habe. Ich sagte zu mir Der Kreis schließt sich, und ich muss jetzt auch endlich abschließen. Wieder zu Hause, emailte ich Willie über seine Geschäfts-Website, auch, um ihn an meine Dukaten zu erinnern. Er antwortete nie. Nun weiß ich, dass er da schon krank gewesen sein muss. Es gibt ein Video von ihm, aus dieser Zeit, worin er sein Geschäft promotet. Von seinem Tod habe ich durch eine Internet-Anzeige erfahren. Krebs. Er wurde 55 Jahre alt.

    Jo Danieli, Dezember 2016

    1

    Es ist Jahre her.

    Kein junges Mädchen kann es sich vorstellen, dass es eines Tages selbst »... damals ...« sagen wird, über fünf, sieben, zehn, fünfzehn Jahre zurückblickend erkennen wird, dass es ebenso alt geworden ist wie seine Nachbarin damals gewesen ist. Damals hat die Nachbarin die Blicke der Schulkollegen auf sich gezogen beim Ausschütteln der Bettwäsche gegen Mittag, und man hat gemunkelt, die Frau hätte wohl einiges hinter sich. Sie kicherte zu schrill, sprach man sie an, trug ein wenig zu grelle Farben und viel zu dick schwarze Farbe um die Augen, stand rauchend am Gartentor und zuckte nicht mit der Wimper, wenn ihre Kinder zum Spielen auf die Straße zwischen vorüber rauschende Autos liefen. Entgegen allen Spekulationen liebte sie aber ihren Mann, behauptete sie jedenfalls. Wahrscheinlich nahm sie es für ihn in kauf, die wirklich böse, fette, herzkranke Schwiegermutter zu pflegen. Man hörte die junge Frau in ihrer Wohnung unter dem Dach mit den Kindern schreien, und das dauerte meist lange. Dann stand sie wieder rauchend am Gartentor und erzählte allen Vorüberkommenden von ihrem Besuch beim Frauenarzt und dass sie das Wetter traurig fände. Die Leute und auch ich waren fasziniert von ihren großen, graugrünen Augen mit so langen Wimpern, dass die Lider durch sie schwer schienen. dass sie nur noch wenige Zähne besaß, übersah man. Später, als die Schwiegermutter gestorben und der kleine Ehemann arbeitslos geworden, verschwand unsere Nachbarin samt den drei Kindern, angeblich schwanger mit einem vierten.

    Meine Vermieter munkeln nun vielleicht über mich, mit mir stimme etwas nicht. Ich arbeite nämlich derzeit nicht. Nein, nein, ich bin nicht arbeitslos. Dieses beleidigende Wort haben Beamte erfunden, neidisch auf Nichtbeamte, die zugeben dürfen, sie hätten nichts zu tun. Mein Alltag ist voll und wird immer noch voller ... es ist mein Schicksal, nie zu wissen, was ich denn zuerst anfangen soll. Nichts zu tun würde mich binnen kurzem umbringen. Also male, schreibe, bastele, zeichne, tanze, stricke, schnitze, nähe und häkle, turne und wandere ich. Zudem habe ich viel Nachholbedarf. Und ich bin leider außerordentlich begabt. Für fast alles. Welche Tests auch immer ich beruflich oder im schulischen Sinn gemacht habe, immer war ich unter den Besten. Das habe ich nie angestrebt, es war einfach so. Ich kann singen, dichten, Englisch, Französisch, Italienisch, etwas Suaheli, Noten lesen, fotografieren, malen, schnitzen, schauspielern, kochen, tanzen, reden, zuhören, Akkordeon spielen, Keyboard und ein bisschen Gitarre, klettern, mit Kindern umgehen, handwerken, ich kenne mich in den Grundlagen der Genetik und in der Biologie aus, einigermaßen in der Politik, bin intelligent und umsichtig und vergesse selten etwas. Ich habe nur vor vier Monaten meinen Job als Graphikerin ersatzlos gestrichen, weil ich den geringsten Konflikt nicht mehr locker nehmen konnte.

    Ein missgelaunter Arbeitskollege hat mich angeschrien, die Firma mir eine Taxirechnung über läppische neunzig Schilling zurückgeschmissen weil sie eine halbe Stunde früher als erlaubt - nach 22 Uhr, vorher ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren - ausgestellt worden war, und ich bin nie wiedergekommen. Paradox ist, dass in der Zeit, als gefühlsmäßig alles am schlimmsten gewesen ist, mein Alltag in der Öffentlichkeit ganz ordentlich funktioniert hat. Ich hatte zwei Jahre lang durchgehend einen Job, ging regelmäßig einkaufen - mit Hund ist das schon allein seinetwegen Pflicht, habe mich gepflegt, ein Auto gekauft und feste Schuhe. Mein hartnäckiger Widerstand gegen den Zug von hinten hat mich ohne zu stolpern geradeaus gehen lassen. Das habe ich schön gesagt, finde ich. Ja, dieser Satz ist mir gelungen, wie mir meistens gelingt, fröhlich zu wirken, wenn ich es nur will und gewaltsam empfinden möchte. Denn ich weiß, dass andere Menschen abstößt, wer verhärmt wirkt, weil sie insgeheim fürchten, sie würden zu Trostdiensten herangezogen werden. Und wer weiß heute schon noch, wie man tröstet? Wer sieht einen Sinn darin? Wer würde sich die Zeit dazu nehmen? Manchmal möchte ich gefallen, wie früher, als die Leute sich nach mir umgedreht haben. Frisch war ich und ernst und hübsch und still, pikant ... Heute werde ich immer noch beachtet, wohin immer ich auch komme, aber ich weiß Grund dafür nicht mehr. Die Vergangenheit zerrt manchmal mutwillig allzu stark an mir, und das Kunstwerk meines Alltags bröckelt. Jeder rotznasige Knirps kann mich durch einen Blick zum Weinen oder vor Hass Explodieren bringen. Nur wenn ich im Hallenbad herumschwimme oder und mich sehr anstrenge und beim Tanzen, erwische ich mich zuweilen beim Lächeln, wenn ich nicht gerade über die bockigen Pruster fluche, die mich immerzu aus meiner Bahn drängen wollen oder Leute die so wilde, rücksichtslose Wendungen machen, dass sie mich anrempeln. Das schlimmste: Sie merken es nicht einmal. Oft versuche ich, sie im Vorbeischwimmen oder Danebenherhampeln zu treten. Gelingt es mir, entschuldige ich mich nicht. Ähnlich hasse ich es, wenn Leute auf engen Gehsteigen von mir erwarten, dass ich ihnen Platz machte, ohne das sie selbst ihren Kurs auch nur um Zentimeter zu meinen Gunsten abändern.

    Neulich hat eine fette Frau an einem Bäckereistand am Ring, hier, in Wien, sich in der Warteschlange zu mir umgedreht und gesagt, ich solle verschwinden. Es ist offensichtlich gewesen, dass sie einen Dachschaden hatte. Früher einmal hätte ich beschämt und mit Herzklopfen weggeschaut. Das Herzklopfen vor Schreck über dieses gehässige, unfaire Anpöbeln ist sofort eingetreten, aber diesmal bin ich von hinten nahe an sie herangetreten und habe ihr etwas sehr Drohendes ins Ohr gesagt, sodass sie sich gehütet hat, mich auch nur noch einmal anzuhusten.

    Wie komme ich dazu, stets den Weg freizumachen? Sollen doch auch die anderen ausweichen! Mich anzustrengen, wie beispielsweise beim Schwimmen, hat mir mein Hausarzt empfohlen. Er sagt, der Geist kann nur am verderblichen Grübeln gehindert werden, wenn der Körper erschöpft ist und alle Aufmerksamkeit und Energie beansprucht. Der Mann hat recht. Sommers überfällt mich regelrecht der Schwimm-Wahn, ich laufe auch viel, und ich tue es nicht allein wegen der Figur, obwohl ich sie durchaus besorgt überwache.

    ... es beruhe wohl alles auf einer gewissen Freiwilligkeit, worin der Mensch sich in seinem Leben verstricke, hat mich neulich ein alter Bekannter telefonisch belehrt, und ich dürfe mich nicht beklagen über mein Schicksal. Es sei wohl anzunehmen, ich hätte angestrebt, was ich erlebt habe, da ich zu nichts gezwungen worden bin.

    Nicht gezwungen?

    Ich habe einen Mann geliebt, der den Drogen verfallen ist. Bin ich also nicht gezwungen, mich mit Drogen zu beschäftigen?

    Es hat mir die Sprache verschlagen vor Hilflosigkeit gegenüber diesem gnadenlosen Abschmettern meines Wunsches nach Verstehen. Ich weiß schon, wenn die Leute einen fragen »Wie geht es dir?« hoffen sie, man möge »Gut« sagen und sofort das Thema wechseln. Steuert man auf die Wahrheit los, haben sie es plötzlich eilig, aufzulegen, zu gehen, oder sie überschwemmen einen mit gedankenlosen »Ja«s und »Ach so«s und »Wird schon«s und fangen an über sich zu reden, sobald man Luft holt. Es beleidigt schmerzhaft, die eigene Chancenlosigkeit unter die Nase gerieben zu bekommen.

    Mag sein, ich bin nicht mehr die alte. Aber ich habe dennoch Pläne. Wenn ich beim Tanzen nicht mehr hoffen werde, grell zuckendes Licht möge mein Gesicht nicht völlig enthüllen und wenn nicht mehr versuchen werden, stets in den Schatten auszuweichen, werde ich mich auch wieder mit Leuten verabreden und einer geregelten Arbeit nachgehen. Ja, irgendwann werde ich mein Gesicht wieder in das Licht halten. Wenn jemand mit mir zu flirten versucht, egal, ob Mann oder Frau, erschrecke ich, denn ich argwöhne, er oder sie tue es nur, weil er oder sie glaubt, jemand wie ich müsse ein leichter Fall sein. Oder ich argwöhne, man findet mich hart und hässlich.

    Du spinnst ja, pflegt ein »Freund« dazu zu sagen. Warum sagt er mir nicht, wie man es macht, dass man nicht mehr spinnt?

    »He,« sage ich mir manchmal selber, »... du bist ganz schön kaputt, Mädchen.« Dann lege ich vielleicht die Red Hot Chili Peppers in den Kassettenrecorder, suche mir »Give it away« heraus und tobe. Oder ich mache so etwas wie Aerobic zu »Primal Chaos« aus einer Technosammlung. Mein Hund hüpft aufgeregt um mich herum, weil ich so wild die Fäuste und meinen Kopf schwinge und mich drehe wie verrückt, und außerdem lache ich dabei. Wenn ich konsequent genug bin, neben dem Toben auch ein bisschen daran zu denken, meine Muskeln zu spannen und sinnvoll in die Knie zu gehen und es auch tue, fühle ich mich nachher ganz gut.

    Niemand sonst, außer mir selber, wagt mir zu sagen, ich sei weich in der Birne, weil er sonst mit mir darüber reden müsste. Es ist bequemer zu sagen »Wird schon wieder« als »Erzähl' mir.« Nur meine Hund sieht mich ganz seltsam an, wenn ich schlecht drauf bin und diese Stimmung an ihm auslasse. Hunde können sich nicht verstellen.

    Ich bin zur exzessiven Tänzerin in Untergrundschuppen geworden, wo Techno gespielt wird und Jungle und House und Psychedelic Trance. Diese Musik und das Insiehineinfallenlassen sind nun überlebenswichtig für mich. Und in einschlägigen Clubs und auf Raves treffe ich immer wieder dieselben Leute, die mir anscheinend ähneln: Sie tanzen - und wie sie tanzen! Stundenlang. Nächtelang. Zusammen und doch einsam. Neulich habe ich nach einer derartigen erschöpfenden Nacht kichernd vor Überschwang ein Gedicht geschrieben. Es ist einem jungen Mann gewidmet, den ich oft beim Tanzen treffe und den ich weiter nicht kenne. Es heißt »Teufelchen«, hier ein Auszug:

    Was muss ich grinsen, schon zu Beginn,

    da ich noch gar nicht beim Dichten bin.

    »Teufelchen« zu dir zu sagen

    ist, als würd' ich frechlings wagen

    dich an eine Wand zu malen

    um still beglückt dich anzustrahlen.

    (...)

    Streif' ich durch die Stadt und suche Vergessen,

    ist simples Vergnügen mir spärlich bemessen.

    Darum bin ich froh über all jene Stunden

    die mir einen Tag gar erlebenswert runden.

    Nach vielzuviel Mühe vergangener Zeit

    bin ich doch gar nicht zum Feiern bereit.

    Doch wenn es geschieht, dass Nettes mich streift,

    dass fremdes Bestehen mein Sinnen ergreift

    statt altes Erinnern, dann fühl' ich verwirrt,

    dass neben Vergang'nem noch viel existiert

    das schön ist und wichtig und liebenswert gut.

    Ich lerne: auch stilles Betrachten macht Mut. (Und so weiter.)

    Es ist furchtbar kitschig geraten. Aber es ist auch köstlich ehrlich und vollgestopft mit Laune und Ehrlichkeit. Teufelchen wird es eines Tages von mir zum Lesen bekommen. Warum auch nicht? In einer Welt der Kriege muss es ein leichtes sein, Wildfremden Gedichte zu schenken.

    *

    Eigentlich ist an mir nichts, was es nicht auch im Lebenslauf anderer Zweiunddreißigjähriger geben könnte oder was eben auch darin fehlt. Ich nehme keine Drogen, obwohl ich ein geradezu erotisches Verhältnis zu ihnen habe. Die Tatsache, dass ich nur zugreifen müsste, um mich ihnen hinzugeben, reizt mich auf. Weder bin ich magersüchtig, noch saufe ich. Ich hasse es, wenn Leute Kühlschränke und Möbelgarnituren einfach in den Wald »entsorgen«, wobei das Zeug natürlich Jahrhunderte lang nicht verrottet. Die Augen tun mir weh von den aufgedonnerten Peinlichkeiten auf Plakatwänden, denen man nicht mehr entrinnen kann. Politiker respektiere ich nicht und winde mich hilflos unter den unsinnigen Regeln, die sie, weltfremd und präpotenzgeschwellt, aufstellen. Die Schlagzeilen in den populären Schmiermedien bringen mich fast zum Kotzen, und ich mag nicht mehr zuhören, was die Leute in den Straßenbahnen reden. Weder bin ich fernsehsüchtig, obwohl ich manchmal unterhalten werden will, noch teile ich blindlings professionelle Meinungen über angeblich großartig Zeitgenössisches oder Vergangenes ...

    Man sieht - alles ist irgendwie in Ordnung mit mir. Nur etwas unterscheidet mich eindeutig von meinen Bekannten: Sobald es um Drogen geht, muss ich mich ausklinken, ganz abgesehen davon, dass ich die klischeehaften Ansichten darüber satt habe. Gerade ich könnte doch aufheulen »Um Gottes Willen! «. Statt dessen sage ich »Jeder wie er will ...« Meine Erfahrungen heraufbeschwören, nur weil gewisse Leute reichlich spät und weil es ihnen gerade ins Plauderkonzept passt, daraufkommen, dass ich welche habe, mag ich nicht mehr. Keine Ratschläge sind von mir zu bekommen, nichts Hilfreiches. Bekannte konsumieren Antidrogenfilme, jammern »... ah, wie furchtbar« und schmausen Popcorn, oder sie schütteln den Kopf über die Zustände in der »Szene«, weil - laut gieriger Berichterstattung - wieder ein strafunmündiger türkischer Dealer selber drauf war und in einem U-Bahn-Klo abgekratzt ist.

    Auf keinen Fall will ich noch wissen, welche superschlauen Theorien zu Sucht und Entzug sich selbsternannte Fachleute aus den Fingern gesogen haben, Leute, die noch keinen Tag in ihrem Leben entweder süchtig oder einem Süchtigen angehörig gewesen sind. Ich will keine suppendünnen Stories von inkompetenten Zeitgeistjournalisten über Teilzeitjunkies lesen. Es ist nicht toll, wie die Prominenz auf Koks herumzurennen, auch für die Prominenz nicht immer, aber das kommt aus den Geschichten nicht heraus. Und wenn »begnadete« junge Autoren Drogenromane »knallhart« aus der »Szene« schreiben, mit potentiellen, aber feigen Giftlern unter uns Kohle und Berühmtheit gegen seismischen Kitzel im Organ Gefangene Verderbte Lust tauschen, möchte ich zuschlagen. Egal, was ich treffe. Schon gar nicht möchte ich erleben, wie kommerzsüchtige Regisseure das Thema mit viel Musik, tollen Beleuchtungseffekten und superattraktiven Darstellern vor dem ahnungslos lechzenden Publikum breittreten. In Wirklichkeit kotzt der Fixer auf Entzug nicht unter geilen Rhythmen, schaut er nicht zum Anbeißen an, auch wenn er im Arsch ist, sind verluderte Dealerbuden nicht hübsch belebt von Licht-Schatten-Effekten und reiht kein Techniker die Szenen aus dem Leben eines Süchtigen leicht verdaulich aneinander. Die wahre Drogenszene besteht aus Kälte, schleppender Sprache, Angst, verfallenden Körpern, Eile, Missachtung, dem Gestank von Erbrochenem, schlechtem Gewissen, Schmerz, Dämmerung, Hunger, Alleinsein, Schläfrigkeit und dem Gefühl, auf abschüssigem Glatteis ins Schlittern zu kommen oder bis zum Hals in zäher Marshmallow-Paste zu waten.

    Tja, wie heißt es in irgendeinem Gedicht? Der Mond ist auch oft nur halb zu sehen und ist doch rund und scheußlich kahl ... oder so ähnlich.

    Einen Hund habe ich adoptiert. Er ist nun eineinhalb Jahre alt und greift manchmal große, fremde Rüden an, wenn sie sich uns harmlos nähern. Manche Leute sagen »... süß, wie er das Fraudi verteidigt!« ich weiß aber, an schlechtem Gewissen kauend, dass er oft aggressiv ist, weil ich es auch bin und er das als mein Partner ausbaden muss. Bin ich gut drauf, wedelt er auch andere Rüden an. Geht es mir übel, knurrt er sogar vor jungen Weibchen, die er ansonsten vergöttert. Weil er blindlings an das Gute in Mensch und Tier glaubt, hat er schon ordentlich draufgezahlt in seinem jungen Leben. Überfahren. Gebissen. Getreten. Heißt es nicht in einem Sprichwort »... gleich und gleich gesellt sich gern«? Dennoch ... aus der Haut fahren könnte ich, wenn er leise jammernd fiept, weil er mit dabei sein möchte, wenn ich ausgehe. Auf ihn zu stürze ich dann und schreie ihn an, auch, wenn er um Anteil an Joghurt, Schokolade, Käse oder Mandarinen betteln kommt, dass er ein Scheißvieh sei und mir nur noch auf die Nerven gehe. Verpissen solle er sich! Und er trollt sich demütig. Wenn er aus meinem Wagen mitten auf die Straße springt, ohne dass ich es ihm erlaubt habe, brülle ich, dass ich ihn eines Tages erschlagen würde. Er legt die Ohren an und macht sich klein. An meinen guten Tagen passieren ihm solche Ausrutscher aus der guten Erziehung nicht. Aber meist freue ich mich wie blöd über seine Anwesenheit in meinem Leben. Allerdings glaubt er immer, es wird ganz sicher aufs Herumtollen auf einer Wiese hinauslaufen, wann immer wir ins Auto steigen oder zu Fuß ins Stadtgewühl wandern. Ich sehe ihm an, dass er an nichts anderes denkt, als an sein Vergnügen. Insofern bringt er mich wieder in Rage, denn ich habe es schließlich auch nicht immer, wie ich es mir wünsche. Und seinen vorwurfsvollen Blick hasse ich. Doch es ringt mir Respekt für seinen Spürsinn ab, dass er genau erkennt, wann ich gut drauf bin und sich trotz allem nur vor mir fürchtet, wenn er eine echte Sünde begangen hat. An der Leine zu ziehen erlaube ich zum Beispiel nicht. Er hat soviel Auslauf, dass er die wenigen Male an der Leine ordentlich gehen kann. Von mir verlangt er auch, dass ich pünktlich das Fressen liefere. Zieht er dennoch, reiße ich ihn zurück, dass er sich fast überschlägt. Das funktioniert, denn er wiegt kaum neunzehn Kilo.

    Eigentlich ist es seltsam, dass ich niemals erfahren werde, ob der Hund nun wirklich mein Freund oder mir nur untertan und wegen seiner Abhängigkeit von mir nett zu mir ist. Wäre es so, hätte ich mich schon wieder getäuscht in meinem Partner ... Wer immer Freud gelesen hat, wird nun, vermeintlich wissend, nicken. Ich aber glaube Freud nicht viel.

    Einen Autounfall hat der Hund ohne Überbleibsel überlebt, aber in meinem Hirn gräbt der Schrecken hartnäckig genüsslich. Er hat am Straßenrand im Gras herumgeschnüffelt, und ich, auf der anderen Straßenseite, habe ein blaues Auto um die Kurve kommen sehen und »Hier!« statt »Steh!« gerufen ...

    Willie hat nie nachgefragt, wie es dem Hund oder mir geht. Nur knapp nach dem Unfall hat er gemeint »... er ist doch auch ein bisschen mein Hund.«

    Wenn Willie etwas sagt, glaubt man es ihm, egal, wie er es meint. Willie ist ein Blender, ein Mann, der so verschlossen ist, dass man es nicht einmal merkt, weil er im Grunde nie aus sich herausgeht. Das weiß ich heute, mehr als zehn Jahre, nachdem ich ihn kennengelernt habe.

    *

    Neulich ist er wieder einmal bei mir eingezogen. Nach Monaten einer halbfreundschaftlichen Vakuumphase habe ich ihn bei seiner Mutter - ich hab' ja gewusst, dass er dort ist! - angerufen und gefragt, ob er wieder nach Wien ziehen und die Miete mit mir teilen würde. Mir gehe es derzeit finanziell nicht so gut, und ich wüsste ja, dass er Wohnung und Job suchte ...

    Wochenlang haben wir es nett miteinander gehabt. Ich habe oft daran denken müssen, wie es gewesen ist, als wir vor mehr als zehn Jahren zusammen unsere erste Wohnung in Wien bezogen haben - optimistisch und ahnungslos, beide. Er ist ziemlich freundlich, gewesen, nun, bei unserem letzten Beisammensein, zärtlich sogar. Natürlich sind wir wieder miteinander ins Bett gegangen, und es hat sich abgespielt wie immer im letzten Jahr: Als wären wir schwer verliebt ineinander, sind wir übereinander hergefallen, richtig mit Schmusen und so, haben es ein paarmal knapp hintereinander wild getrieben. Und dann war Schluss für Wochen. Nichts mehr. Kein Zeichen körperlichen Begehrens mehr, Nebeneinanderliegen beim Fernsehen, aber niemals wieder ein Griff nach dem Körper nebenan. Es war, als wären wir schlagartig verlegen und uns fremd geworden, als sei alle geballte Erotik zu Staub zerfallen und verweht ...

    Wieder mit ihm zu schlafen hat vielleicht eher etwas mit meinen Hormonen zu tun gehabt, als mit ihm ... nein, das stimmt nicht. Er war es, mit dem ich geschlafen habe, nicht sein Schwanz. Ihm wird das egal sein. Beim Fernsehen hat er meine Wange gestreichelt, wir haben schöne Spaziergänge unternommen und Gutes gekocht. Im Kino waren wir auch. dass er mich nie eingeladen hat, habe ich geschluckt, schließlich ist mir klar gewesen, dass er noch weniger Geld als ich haben muss.

    Aber wir haben für ein Monat tatsächlich je die Hälfte von Miete, Strom und Einkaufskosten gezahlt. Er

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