Das Buch
Von Jörg Röske
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Buchvorschau
Das Buch - Jörg Röske
1
Es war so, dass alle hinter einem Buch her waren. Aber das Buch gab es nicht, trotzdem waren alle, oder sagen wir fast alle, hinter diesem Buch her.
Ich bin auch hinter diesem Buch her, deswegen schreibe ich es jetzt. Aber ich weiß niemals, ob es genau dieses Buch sein wird, wenn ich es fertig habe. Zumindest wird mein geschriebenes Buch, dessen erste Zeilen ich im Moment schreibe, ein Buch sein, und ich denke, es wird möglicherweise eines sein, dass dem Buch, hinter dem alle her sind, ein wenig ähnelt. Weil ich mich bemühe.
Aber nichtsdestotrotz ging ich in einen Buchladen, möglicherweise stand dort, das Buch, hinter dem alle her waren. Ich passierte die Eingangstür des großen Buchladens und blickt erst mal umher. Ich erblickte, das war typisch für einen Buchladen, ziemlich viele Bücher. Eine nette Stimme erreichte meinen Gehörgang bei meinem Rundblick.
„Kann ich Ihnen helfen?", sagte die sehr hübsche und junge Verkäuferin. Ich musterte sie von Kopf bis Fuß. Diese Aktion nahm sie mit einem Lächeln dankbar auf. Frauen mögen es, wenn Männer sie attraktiv finden.
„Ich suche das Buch, hinter dem alle her sind."
„Oh, da habe ich etwas für Sie!"
Sie führte mich zu dem Regal, das Bestseller anbot. Sie hatte mich nicht verstanden. Deswegen wollte ich mich an ihr rächen. Ich lud sie zum Essen in ein Steakhaus ein. Sie nahm an. Um sie nicht zu verwirren, kaufte ich einen der Bestseller. Als wir uns später in meinem Bett befanden und nach wohl geglücktem Sex Zigaretten rauchten, hakte sie nach.
„Was meinst du mit dem Buch, hinter dem alle her sind?"
„Damit meinte ich genau das Buch, das ich gekauft hatte!"
Dann rauchte sie ihre Zigarette fertig und ging. Ich wusste genau, dass diese Antwort ihr nicht genügte. Deswegen rächte sie sich und verließ mich. So waren wir quitt.
Ich benutzte immer Frauen, das war so bei mir. Ich war kein netter Mensch, das war mir klar. Ich schrieb, trank Bier und rauchte. Meine Bücher hatten stolze Umsätze, deswegen konnte ich mir ein Haus leisten, das ich alleine bewohnte. Einsam fühlte ich mich nicht, das war auch klar. Ich ging immer in teuren Restaurants essen, und ich trug immer teure Anzüge. Ich bildete mir etwas auf mich ein, und mein Erfolg gab mir recht.
Ich kannte sogar Leute aus der Politik. Da war einer, der hatte mit Soldaten zu tun. In der Öffentlichkeit galt er als starker Mann, aber um Rat fragte er immer mich. Wir trafen uns nachts. Dann tranken wir irischen Whiskey und redeten. Er handelte mit Waffen, wovon keiner wusste. Er fragte mich, an wen er welche verkaufen sollte. Da machte ich mir einen Spaß und empfahl ihm Kunden. Er hörte auf mich. So schob ich Schachfiguren auf dem Weltschachbrett hin und her und hatte meine Freude dran. In den Nachrichten verfolgte ich die Ergebnisse. Rebellen siegten mit den von mir verschobenen Waffen, das gefiel mir. Das war eben so, ich war kein netter Mensch. Aber ich suchte das Buch, hinter dem alle her waren. Und das es anscheinend nicht gab. Ich will nicht sagen, dass dieses Unterfangen, ein Buch zu suchen, das es nicht gab, eine heilige Suche war, die mich läutern könnte. Aber es war etwas, das meine Neugier wie ein Magnet anzog.
Da hatte ich eine Idee. Ich rief am Tag nach dem Sexabenteuer meinen Verleger an und schlug ihm vor, ein Buch von mir zu veröffentlichen, das nur leere Seiten hat. So wirklich begeistert war mein Verleger nicht, als Gag schien ihm diese Idee zu gefallen. Aber er bemerkte, dass es mir ernst mit dieser Idee war. Also tat er es. Drei Monate später hatte dieses Buch mit 298 leeren Seiten mein bisher erfolgreichstes Buch überrundet. Mein Verleger war zufrieden, ich war nun wirklich in aller Munde. Aber zufrieden war ich wirklich nicht.
Dann hatte ich die Idee, dass mein Verlag ein Buch drucken sollte, in dem immer nur ein und derselbe Buchstabe vorkam, alle Seiten voll nur mit diesem einen Buchstaben, jede Zeile, durchgängig. Aber dann ließ ich es, ich rief meinen Verleger nicht an. Möglicherweise wäre dieses Buch auch ein Erfolg gewesen, aber ich wollte die Welt und mich nicht noch weiter zum Narren halten. Da rief mich Robert an, das war der Politiker, der mit Soldaten zu tun hatte und heimlich Waffen verschob.
„Hallo Robert!"
„Hallo Hans!"
Ja, so hieß ich, Hans. Dafür könnte ich heute noch meine Eltern ermorden. Wie konnte man so einen Namen nur einem Kind antun? Aber meinen Eltern würde ich nie etwas antun, denn sie waren immer gut zu mir gewesen. Nur die Sache mit dem Namen, das war hinderlich für mich, wenn nicht sogar peinlich. Niemand hieß Hans in meiner Klasse in der Grundschule. Wirklich niemand. Alle hänselten mich. Aber ein Mädchen tat das nicht, sie hielt zu mir. Sie war die einzige, die zu mir hielt. Und ich dankte es ihr, indem ich ihr Bilder zeichnete. Später heirateten wir, und dann starb sie. Möglicherweise war ich deswegen so ein unnetter Mensch geworden. Ich schrieb nur noch, und meine Bücher wurden Bestseller. Und ich gebrauchte junge Frauen.
„Ich brauche deinen Rat, Hans!"
„Okay!"
Ich setzte mich in meinen Porsche und fuhr zu Robert.
„Ich brauche deinen Rat, Hans!", begrüßte mich der Politiker an der Tür.
„Sagtest du schon am Telefon, Robert!"
„Ich habe 200 Leos!"
Leos waren Leoparden, das waren Panzer. Es gab den Leopard 1 und den Leopard 2.
„Schick' sie nach Afghanistan!"
„Was?"
„Dann schicke sie nach Libyen!"
„Du bist bescheuert, Hans!"
„Ich muss bescheuert sein, das erwartet man von einem Autor!"
„Aber es gibt doch auch ordentliche Autoren!"
„Ich bin nicht ordentlich, Robert, das weißt du!"
Robert goss sich einen Tullamore Due ein und trank ihn in einem Zug aus. Er bot mir auch einen an, und ich trank ihn in selbigem Duktus. Mit Alkohol konnte ich am besten nachdenken.
„Wieso trinkst du nicht Whiskey statt diesem Bier, Hans? Davon bekommst du nur einen Bauch, wie man unschwer erkennen kann!"
„Ne, lass mal, die harten Sachen hebe ich mir für unsere Treffen auf!"
Robert lachte. Wir waren gute Kumpels, daran gab es keinen Zweifel. Aber in der Öffentlichkeit ließen wir uns niemals zusammen sehen.
„Welche Leos hast du denn?"
„Natürlich den zweier!"
„Hm, keine Ahnung. Mir geht allmählich das Kriegsspielen auf den Wecker."
„Du wirst doch nicht jetzt auf deine alten Tage Pazifist?"
„Hast du noch einen Schluck?"
„Klar!"
Robert goss mir nach. Er merkte, dass ich zögerte. Das war er nicht von mir gewohnt.
„Dein letztes Buch war ein Knüller! Hätte niemals gedacht, dass das so einen Erfolg werden würde. Nur leere Seiten! Einfach klasse!"
„Hast du es auch?"
„Klar, so was lass' ich mir doch nicht entgehen!"
Mir kam eine Idee.
„Was sagst du dazu, wenn du die leeren Seiten beschreibst?"
„Was?"
„Schreib' was rein!"
„Und was?"
„Keine Ahnung!"
„Heute Nacht hast du viel keine Ahnung, Hans!"
Ich saß da, hatte den Satz von Robert vernommen und rauchte nur.
„Ich habe die Vision von einem Buch, hinter dem alle her sind, das es aber nicht gibt!"
„Was soll das sein? Die Suche nach dem heiligen Gral?"
Ich merkte auf.
„Das hört sich gut an!"
„Du spinnst, Hans!"
Ich nahm einen neuerlichen Zug von meiner Zigarette.
„Sag' mir lieber, was ich mit den 200 Leos machen soll?"
„Schick' 100 nach Libyen und 100 nach Afghanistan."
„Das wollte ich nur hören!"
Robert verstand mich nicht. Das war schade. Aber das war eben so. Das hatte ich nach dem Tod meiner geliebten Frau gelernt. Manche Dinge waren einfach so, wie sie waren.
Die Suche nach dem heiligen Gral, das war etwas. Das hatte Esprit. Ein Gefäß, mit dem Jesu Blut aufgefangen worden sein soll. Zumindest war der Gral ein Gefäß, das ewige Lebenskraft spendet. So die Legende. Ich erinnerte mich und überlegte, ob es das war, was ich wollte, was ich suchte. Ich kam zu dem Entschluss, dass es das nicht war. Es war etwas anderes. Das, was ich suchte, war weitaus geheimnisvoller. Ein Buch, das es nicht gab. Und damit meine ich nicht die Bibel, die, laut der Christen, Antwort auf alle Fragen habe. Ich suchte etwas, das über alles hinausging, und das war nicht respektlos oder blasphemisch gemeint. Deswegen schreibe ich dieses vorliegende Buch, dass Sie, werter Leser, gerade lesen. Möglicherweise haben Sie ebenso das Bedürfnis, so ein Buch zu schreiben. Und ich mag noch nicht einmal definieren, was dieses Buch Buch alles ausmachen soll. Weder spirituell möchte ich als Kategorie anführen, noch die des Thrillers, des Fantasyromans, des Liebesromans, noch des Science-Fiction-Werkes. Keine Kategorie, kein Genre. Lediglich: alle sind hinter diesem Buch her. Und: es gibt es nicht.
Angetrunken fuhr ich meinem Porsche 911 nach Hause. Da war unglücklicherweise eine Polizeikontrolle.
„Haben