Maritime Erzählungen - Wahrheit und Dichtung (Band 4)
Von Detlev Sakautzky
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Buchvorschau
Maritime Erzählungen - Wahrheit und Dichtung (Band 4) - Detlev Sakautzky
Detlev Sakautzky
Maritime
Erzählungen
Wahrheit und Dichtung
Band 4
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2019
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2019) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
ISBN 9783961458080
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
E-Book-Herstellung Zeilenwert Gmbh, Rudolstadt
www.engelsdorfer-verlag.de
INHALT
Cover
Titel
Impressum
Roswitha bleibt an Land
Notbehandlung an Bord
Sturz aus den Wanten
Der Kapitän hat sich geirrt
Die Finger gebrochen
Untreue
‚Strolch‘ wird Seemann
Vom Landgang nicht zurück
Die ‚Helena‘ hat Halbmast geflaggt
Die Monsterwelle
Wasser im Rettungsboot
Eine traurige Nachricht
Gekentert
Frischegradbestimmung des Schwarzen Heilbutts
Beim Segelmanöver verletzt
ROSWITHA BLEIBT AN LAND
Jahrzehntelang wurde mit Seitentrawlern, Loggern und Kuttern der Fischfang in der Großen Hochseefischerei mit Grund- und Pelagischen Schleppnetzen, Treibnetzen und Ringwaden betrieben. Der Fang und die Bearbeitung der Fische bei Sturm, Kälte und hohem Seegang war für die Decksleute immer eine schwere gefährliche Arbeit und Herausforderung gewesen. Geschlachtet, gekühlt oder gesalzen wurde der Fang angelandet und vermarktet. Durch den Einsatz von Fang- und Verarbeitungsschiffen veränderten sich die Fangmethode und die Bearbeitung des Fanges an Bord. Das Fanggeschirr wurde über die Heckaufschleppe mit Winden an Deck gezogen.
Der volle Steert wird über die Heckaufschleppe an Deck gezogen
Der Fisch wurde direkt aus dem Steert in den Auffangbunker geschüttet und unter Deck von Fischwerkern zu Frostfisch und Fischmehl verarbeitet. Die Decksleute waren in der Regel nur mit der Handhabung des Fanggeschirrs, der Überwachung des Aussetzens und Einholens des Netzes, dem Öffnen des Steertknotens und der Reparatur des Netzes beschäftigt. Die Fischwerker bearbeiteten unter Deck, im Bearbeitungsraum, den gefangenen Fisch. Der im ‚Bunker‘ vorgelagerte Fisch wurde sortiert, gewaschen, geköpft, geschlachtet, filetiert, enthäutet, in Schalen gepackt, gefrostet, glasiert und in Kartons verpackt. Diese wurden verschnürt und in den Stauraum befördert. Nicht alle Fische ließen sich maschinell bearbeiten, einige Fischarten wurden mit der Hand filetiert. Für die manuelle Bearbeitung waren Handfiletiertische eingerichtet worden. Es waren Steharbeitsplätze, an denen mit scharfen Filetiermessern das Filet aus dem Fisch durch die Fischwerker geschnitten wurde. Der Maschinenlärm war hoch und lag im Grenzbereich, sodass Gehörschutzwatte oder Stöpsel getragen werden mussten. Das Krängen, Stampfen und Schlingern des Schiffes, die Feuchtigkeit und Nässe im gesamten Bearbeitungsraum erschwerten die Arbeit und verursachten den Eintritt von Arbeitsunfällen. Die Fischwerker rutschten häufig bei großen Schiffsbewegungen auf den Lichtgitterrosten der Verkehrswege aus und erlitten dabei Verstauchungen, Fußbrüche und Prellungen. Die lange Arbeitszeit und die sich wiederholenden Tätigkeiten minderten die Konzentrationsfähigkeit der Fischwerker bei der Bearbeitung der Fische. Nicht selten erlitten sie Schnittverletzungen an den Fingern und in den Handflächen.
Mit der Indienststellung von Fang- und Verarbeitungsschiffen bewarben sich zunehmend Frauen, einige davon waren gelernte Fischwerkerinnen, für die Bearbeitung der Fische an Bord.
Zu Beginn hatten die Männer Vorurteile gegenüber die fleißig arbeitenden Frauen. Sie zweifelten an ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten. Nach geraumer Zeit mussten auch sie sich eingestehen, dass die Tätigkeit der Frauen in der Fischbearbeitung an Bord möglich war und sie eine gleich gute Arbeit wie die männlichen Kollegen leisteten.
Das Vorhandensein von Weiblichkeit hatte Einfluss auf den traditionellen Männerberuf. Es gab Annäherungsversuche mit mehr oder weniger Erfolg. Einige verliebten sich und gründeten den Bund fürs Leben. Durch die Anwesenheit von Frauen änderte sich der soziale und kulturelle Umgang in der sonst ruppigen Männerwelt an Bord eines Fabrikschiffes. Es wurde in zwei Schichten gearbeitet. Nach einer zwölfstündigen Arbeitszeit wurde gewechselt. Den Bearbeitungsprozess und die Qualität des bearbeiteten Fisches überwachten und organisierten hierfür qualifizierte und berufserfahrene Meister. Die Reparatur der Maschinen erfolgte durch befähigte für diese Tätigkeit spezialisierte Schlosser.
*
Peter Apel hatte den Beruf eines Fischwerkers gelernt. Seit der Indienststellung der ‚Marie Luise‘ fuhr er auf diesem Schiff. Apel hatte schon an allen wichtigen Arbeitsplätzen Fische bearbeitet und war in der Lage, alle Maschinen zu bedienen und zu warten. Gegenwärtig fing das Schiff auf den Fangplätzen vor Westgrönland große Mengen Kabeljau. Es wurde überwiegend Filet produziert. Vor dem Einlegen des Kabeljaus in die Filetiermaschine wurde dieser maschinell geköpft.
Die Filetiermaschinen trennten durch eine spezielle Schnittführung das Fleisch der Fische von den Rücken- und Bauchgräten.
Der Schnittverlauf und die Schnitttiefe wurden beim Durchlauf der Fische in den Filettiermaschinen selbsttätig gesteuert. Große Fische wurden mit der Hand filetiert. Die Filets wurden den Enthäutungsmaschinen zugeführt. Die enthäuteten Filets wurden durch die Fischwerker oder Fischwerkerinnen mit der Hand in Gefrierschalen gepackt.
Filets werden in die Gefrierschalen gepackt.
Manuela war eine von den vier Frauen auf diesem Schiff, die in der Fischbearbeitung tätig waren. Sie war mit dem Schiffselektriker, Lothar Martens, verheiratet. Beide bewohnten eine ‚Zwei-Mann-Kammer‘. Gemeinsam mit Roswitha Lange packte sie die enthäuteten Fischfilets in Gefrierschalen. Peter Apel beschickte diese in den Gefriertunnel zum frosten.
Dieser bestand aus Gefrierstraßen mit übereinander liegenden Gleitbahnen. In den Gefrierstraßen befanden sich Rohrsysteme, in denen Ammoniak verdampfte und die Luft abkühlte. Die Beschickungs- und Entnahmeseiten waren während des Frostprozesses mit isolierten Türen verschlossen.
Ein Durchlauf dauerte drei Stunden bei minus zwanzig Grad Celsius. Peter Apel zog nach der technologisch festgelegten Zeit die gefrosteten Schalen aus dem Gefriertunnel und legte sie auf ein Förderband.
Der Gefriertunnel wird beschickt
Dieses transportierte die Gefrierschale zu einem mit Wasser gefüllten Glasierbecken. Dort wurden sie durch Fred Sober, einen großen kräftigen Fischwerker, ins Wasser getaucht. Der gefrostete Fisch löste sich aus den Schalen und glasierte. Er wurde danach durch Sober auf eine Rutsche gelegt und über eine Rollbahn zum Packtisch befördert. Hier verpackte und wog Klaus Mach, auch ein gelernter Fischwerker, das glasierte Kabeljaufilet.
Glasiertes Kabeljaufilet wird verpackt
Über ein System von Rutschen gelangten die Frostpakete in den Tiefkühlladeraum. Dort wurden diese durch Hans Sommer in Schichten gestaut.
Gefrostete Pakete werden gestaut
*
Nach der Indienststellung der ‚Marie Luise‘ wurde die Frostkapazität weiter erhöht und ein Horizontal-Plattenfroster im Bearbeitungsraum zusätzlich installiert. Bei diesem Gefriergerät wurden Metallplatten durch Ammoniakverdampfung gekühlt. Die gefüllten Gefrierschalen schob der Beschicker zwischen die Metallplatten. Diese wurden danach hydraulisch zusammengefahren, die Türen verschlossen und der Gefriergang eingeleitet. Nach der vorgesehenen Gefrierzeit wurden die Türen auf der Entnahmeseite geöffnet und die Metallplatten hydraulisch auseinandergefahren. Das Gefriergut wurde entnommen, glasiert, verpackt und im Frostraum gestaut.
*
Der Laderaum der ‚Marie Luise‘ füllte sich täglich mit verpacktem Kabeljaufilet von hoher Qualität. Das Ende der Reise war abzusehen. Eine Übergabe der Frostware an ein Kühlschiff war nicht vorgesehen. Der verantwortliche Meister, Rudi Weste, hatte heute nach Schichtende die gesetzlich monatlich vorgeschriebene Arbeits- und Brandschutzbelehrung geplant. Die Fischwerker und Fischwerkerinnen hatten sich alle in der Mannschaftsmesse versammelt.
„Thema der heutigen Belehrung ist das richtige Verhalten bei einem Ammoniakausbruch. Ihr alle wisst, Ammoniak wird bei unseren Gefriergeräten als Kältemittel verwendet", so begann der Meister seine Belehrung und schaute konzentriert auf sein vorbereitetes Konzept.
„Manuela, im Bereich der Bearbeitung sprachen sich alle mit dem Vornamen an, „welche Gefahr geht im Havariefall vom Ammoniak aus?
, fragte der Meister im kollegialen Ton die Fischwerkerin.
„Ammoniak ist giftig und hat einen stechenden, zu Tränen reizenden Geruch", war ihre Antwort.
„Wer kann die Aussage von Manuela noch ergänzen und bestätigen?", fragte der Meister.
Die Frage war an alle gerichtet. Peter Apel kannte das Kältemittel am besten. Er beschickte während jeder Fangreise den Frosttunnel und den Plattenfroster mit gepackten Gefrierschalen. Es muffelte immer etwas nach Ammoniak.
„Der Geruch ist schon beim Austritt kleinerer Mengen wahrnehmbar. In flüssiger, in konzentrierter wässriger Lösung und gasförmiger Form wirkt es in höherer Konzentration auf der Haut, den Schleimhäuten und Augen stark ätzend. In flüssiger Form kann Ammoniak bei Hautkontakt zu Erfrierungen führen. Das austretende Ammoniak wird wie ‚Nebel‘ beim Kontakt mit der Luftfeuchtigkeit sichtbar. Dieser sammelt sich in Bodennähe", sagte Peter Apel, der praktische Erfahrungen beim Austritt von Ammoniak gemacht hatte.
Rudi Weste berichtete über eine Havarie auf einem Fabrikschiff, wo der Ammoniakausbruch zu tödlichen Unfällen