Seewölfe - Piraten der Weltmeere 527: Schergen des Kaisers
Von Roy Palmer
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 527 - Roy Palmer
7
1.
Stürme hatten das Ostchinesische und das Gelbe Meer in den vergangenen Tagen zum Kochen gebracht. Kim nahm an, daß es auch weiter südlich nicht anders gewesen war. Die Fischer waren zum Nichtstun verurteilt gewesen. Anschließend hatte es einige Tage Flaute gegeben. Kim Il Loo und seine Mannen waren wie die anderen Fischer zwar mit Sampans hinausgewriggt, doch so dicht unter Land war der Fang höchst erbärmlich ausgefallen.
Jetzt war die Welt wieder in Ordnung. Kim holte zur Feier des Tages einen Krug Reisschnaps und prostete seinen Männern zu. Er nahm den ersten Schluck, dann ließ er die anderen trinken. Die kleine Mannschaft war ausgelassen wie selten. Besser hätte die Laune an Bord der Dschunke nicht sein können.
Kim und seine Kameraden begannen, die Fischbeute zu verstauen. Die Luke wurde aufgerissen. Mit hölzernen Rechen schoben die Männer das zappelnde Gut in den Laderaum. An Land würden die Fische von den Frauen und Kindern ausgenommen werden. Die Garnelen, Tintenfische und Langusten würden zum Teil sogleich in kochendes Wasser geworfen werden.
Die Chinesen waren derart beschäftigt, daß sie kaum noch auf das achteten, was um sie herum vorging. Der Mann, der eigentlich als Ausguck eingesetzt war, packte mit bloßen Händen zu und beförderte ein paar große Barsche und Oraden in die offene Luke. Es waren Fische, die sich verzweifelt aufbäumten und versuchten, durch die Speigatten ins Wasser zurückzugelangen.
Schließlich war es Kim selbst, der sich aufrichtete. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann warf er einen prüfenden Blick zur Kimm. Und plötzlich sichtete er das große Schiff, das sich ihnen näherte.
„Achtung, sagte Kim Il Loo. „Dschunke von Backbord!
Sofort waren die Männer alarmiert. Sie wischten noch die letzten Fische in den Laderaum unter dem Hauptdeck, dann rammten sie die Luke wieder zu und hasteten ans Schanzkleid. Aus schmalen Augen spähten sie zu der fremden Dschunke.
„Piraten", sagte Pan Pai, Kims bester Freund.
„Warte ab, erwiderte Kim. „Da bin ich noch nicht sicher.
„Sie werden schon sehen, daß es bei uns nichts zu holen gibt!" rief ein anderer Fischer.
Kim ließ vorsichtshalber die armbrustähnlichen Waffen holen, mit denen man sich hin und wieder gegen Küstengesindel zur Wehr setzte. Wenn sich die Kerle an Bord der großen Dschunke einbildeten, Kims Schiff überfallen zu können, würden sie eine herbe Überraschung erleben. Allzu leicht ließen sich die Fischer nicht überrumpeln. Sie waren zähe Kerle und mutige Kämpfer.
Und Brandsätze hatten sie auch. Es waren nicht viele, aber Kim Il Loo war sehr stolz darauf, diese Feuerbäume, Flammenblumen und Pfirsichblüten zu besitzen, wie sie im Reich der Mitte genannt wurden.
Es handelte sich um Raketen, die von einem Spezialisten, einem Meister seines Faches, angefertigt worden waren. Zündete man sie, und sie flogen dem Gegner heulend und jaulend um die Ohren, dann verging diesem im wahrsten Sinne des Wortes das Hören und Sehen.
Pan Pai holte fünf von den Brandsätzen an Deck, und Kim legte sie mit aller Sorgfalt am Schanzkleid bereit. Auch ließ er dafür sorgen, daß genug Holzkohlenglut für das Entfachen der Lunten vorhanden war.
Mit gemischten Gefühlen warteten die Fischer das Heransegeln der großen Dschunke ab. Kim nahm ein Spektiv zu Hilfe, um Genaueres erkennen zu können. Bald ließ er das Rohr sinken und schaute seine Kameraden betroffen an.
„Schlimmer als Piraten, sagte er. „Das sind Soldaten des Großen Chan. Ich kann ihre Helme und Panzer sehen.
„Zur Hölle mit ihnen, sagte Pan. „Zerspringen sollen sie. Der Schwarze Tod soll sie zerfressen und hinwegraffen wie die Ratten.
„Deine Wünsche werden nicht in Erfüllung gehen", entgegnete sein Kapitän.
„Was wollen die hier?" fragte einer der Fischer.
„Das weiß nur der Himmel, antwortete Kim. „Wir müssen uns überraschen lassen.
„Warum hauen wir nicht einfach ab?" fragte Pan.
„Das weißt du so gut wie ich, erwiderte sein Freund. „Erstens haben wir nichts zu verbergen. Wenn wir Reißaus vor dem Schiff des Kaisers nehmen, belasten wir uns mit einer Schuld, die es nicht gibt. Zweitens ist die Dschunke schneller als wir. Der segeln wir nicht davon. Und sie ist bestimmt auch gut armiert.
„Mit anderen Worten, wir sitzen in der Falle", erklärte Pan mit verkniffener Miene.
„Was können die uns schon anhaben? fragte der Ausguck. „Wir haben ihnen nichts getan, wir sind anständige Menschen. Wir gehen unserer Arbeit nach, sonst nichts weiter.
Kim Il Loo preßte die Lippen zusammen. Er äußerte sich nicht weiter zu dieser Bemerkung. Er wollte seine Leute nicht kopfscheu machen. Doch er selbst hatte mit den Soldaten des Großen Chan unangenehme Erfahrungen gesammelt. Einmal hatte er in Shanghai in einem Lokal gegessen und getrunken, in dem Soldaten eine „Säuberungsaktion" vorgenommen hatten.
Sie hatten ihn brutal niedergeknüppelt. Im Kerker war er wieder aufgewacht. Drei Tage hatte er hinter Gittern hocken müssen, obwohl er nichts verbrochen hatte. Erst dann hatte man ihn wieder freigelassen. Kim hatte nicht vergessen, wie es war, mit Räubern, Dieben, Opiumschmugglern und Frauenhändlern in einem Raum zu sitzen.
Ein anderes Mal war Kim über Land zu seinem Bruder gewandert, der in einem Ort westlich von Zhelin – etwa dreißig Li entfernt – eine Schmiede besaß. Unterwegs war Kim von einer Truppe berittener Soldaten niedergepeitscht worden.
Sie hatten ihn als Herumtreiber bezeichnet und beschimpft. Seine Beteuerungen, er sei ein redlicher Mann, hatten ihm nichts genutzt. Sie hatten sogar ein Porträt von ihm gezeichnet. Dann hatten sie ihn doch wieder laufen lassen. Aber sie hatten ihm noch wüste Drohungen nachgeschrien.
Seitdem traute sich Kim nur noch selten von Zhelin fort. China war kein gutes Land mehr, seit Kaiser Wanli regierte. Wanli war ein verschwenderischer und mißtrauischer Mann. Er liebte das Volk nicht, er haßte es. Er sah in jedem Untertanen einen Dieb oder Mörder. Seine Truppen mißhandelten die Menschen, wo sie nur konnten. Natürlich nutzten sie die Handlungsfreiheit und die Vollmachten, über die sie verfügten, zu ihren Gunsten aus.
Die große Dschunke schob sich an den Fischerkahn heran, die Distanz schrumpfte immer mehr zusammen. Bald konnte man sich gegenseitig durch Rufe verständigen. Kim Il Loo, Pan Pai und die anderen Fischer tauschten lange Blicke, als die Stimme des Dschunkenkapitäns zu ihnen herüberschallte.
„Achtung! Keiner rührt sich von der Stelle! Wir setzen zu euch über!"
Jeglicher Widerstand war sinnlos. Auf der Kriegsdschunke, so war nunmehr mit bloßem Auge zu erkennen, hatten die Soldaten Brandsätze auf Gestellen plaziert und zielten damit auf den Fischerkahn. Außerdem standen Armbrustschützen am Schanzkleid.
Kim schätzte die Zahl der Soldaten auf etwa hundert. Gegen eine so große Übermacht hatten er und seine Männer nicht die geringste Chance. Sie waren nur zu neunt.
Die Kriegsdschunke glitt noch näher auf den Fischerkahn zu. Als nur noch die Distanz von etwa einem Steinwurf zwischen beiden Schiffen lag, drehte die Dschunke bei. Ein Sampan wurde abgefiert. Zehn Soldaten enterten ab. Der Kapitän folgte ihnen und ließ sich zu dem Segler der Fischer hinüberpullen.
Kim und seine Begleiter waren machtlos gegen das, was sich nun abspielte. Das Sampan schob sich längsseits, der Kapitän und seine Soldaten enterten auf. Nur ein Mann blieb im Boot zurück. Die Soldaten zückten ihre Schwerter und bauten sich drohend vor den Fischern auf.
„Raus mit der Sprache! fuhr der Kapitän Kim Il Loo an. „Was seid ihr? Schmuggler oder Piraten?
„Keines