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Der Glaube an Übersinnliches: Anthologie
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eBook399 Seiten5 Stunden

Der Glaube an Übersinnliches: Anthologie

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Über dieses E-Book

Wir können sie nicht sehen, wir können sie nicht erklären, und meist glauben wir nicht einmal daran.
Aber es gibt diese Dinge, die geschehen, die viel mehr sind, als wir je begreifen werden.
Es sind Erscheinungen, die uns so irreal vorkommen, von denen wir aber plötzlich spüren, dass sie wahr sein müssen.
Manchmal sind diese Ereignisse gut, manchmal sind sie böse. Und manchmal sind sie nichts von all dem.
Sie sind geheimnisvoll und unergründlich. Sie sind nicht von dieser Welt.
SpracheDeutsch
Herausgebernet-Verlag
Erscheinungsdatum25. Jan. 2015
ISBN9783957200990
Der Glaube an Übersinnliches: Anthologie

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    Buchvorschau

    Der Glaube an Übersinnliches - Brit Gögel

    Der Glaube an

    Übersinnliches

    Anthologie

    Alle Rechte, insbesondere auf

    digitale Vervielfältigung, vorbehalten.

    Keine Übernahme des Buchblocks in digitale

    Verzeichnisse, keine analoge Kopie

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    Die Illustrationen sind urheberrechtlich

    geschützt und dürfen nur mit Zustimmung

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    Die Namen sind frei erfunden.

    Evtl. Namensgleichheiten sind zufällig.

    www.net-verlag.de

    Erste Auflage 2015

    © Coverbild: Sandra Braun

    Covergestaltung, Korrektorat

    und Layout: net-Verlag

    Auswahl der Geschichten:

    Lysann Rößler & Leserteam

    Klappentext: Michaela Weiß

    © Illustrationen:

    Iris Wassill (S. 162; 336)

    Julia Jensen (S. 303)

    Christa Reusch (S. 340)

    © net-Verlag, Tangerhütte

    1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

    ISBN 978-3-95720-069-3

    Der Glaube an Übersinnliches

    Wir können sie nicht sehen,

    wir können sie nicht erklären,

    und meist glauben wir nicht einmal daran.

    Aber es gibt diese Dinge, die geschehen,

    die viel mehr sind, als wir je begreifen werden.

    Es sind Erscheinungen, die uns so irreal vorkommen,

    von denen wir aber plötzlich spüren,

    dass sie wahr sein müssen.

    Manchmal sind diese Ereignisse gut, manchmal sind

    sie böse. Und manchmal sind sie nichts von all dem.

    Sie sind geheimnisvoll und unergründlich.

    Sie sind nicht von dieser Welt.

    Wir wünschen allen Lesern

    einige unterhaltsame Stunden!

    Ihr net-Verlag-Team

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titel

    Impressum

    Der Glaube an Übersinnliches

    Marcus Watolla - Klara

    Gabriel Maier - Der alte Freund

    Brit Gögel - Der unsichtbare William

    Martina Lukits-Wally - Das Wunschglöcklein

    Carola Kickers - Das Spiegelhaus

    Ursula Kollasch - Nachts, wenn sie kommen

    Volker Liebelt - Der namenlose Berg

    Claudia Christ - Friedrichs letzte Pilgerfahrt

    Lucius Allan - Das Gericht

    Andy Klemm - Die Vogelscheuche

    Sabine Kohlert - Die Haarspange

    Diana Busch - Kessie

    Gudrun Hittinger & Karsten Beuchert - Der Brunnen

    Christian Wolfgang Büge - Der Hexenkessel

    Pia Euteneuer - Geistergeschichten

    Michaela Weiß - Das Licht, das niemals bricht

    Dominic Mertins - Traumdeutungen

    Kuro - Der merkwürdige Oktober des letzten Jahres

    Alexandra Innocenti - Slenderman

    Claudia Lambert - Die vergessene Jacke

    Angelika Schütgens - Ein letzter Besuch

    Lily Beier - Nachtjagd

    Barbara Hagen - Das Amulett

    Gitte Hedderich - Geister, die ich rief

    Matthias Holz - Himmelfahrt eines Depressiven

    Sylvia Lietsch - Meine Geister

    Elisa Bergmann - (Un)tote Liebe

    Kerstin Paul - Das alte Herrenhaus

    Britta Ahrens - Einsame Gefährten

    Karsten Beuchert - Darius

    Christa Reusch - Die Melodie

    Andreas Thaller - Neujahrsspaziergang

    Ezo Hein - Kartenlegen im Milieu

    Autorenbiografien

    Illustratorenbiografien

    Buchempfehlungen

    Marcus Watolla

    Klara

    Klara war für mich alles. Geliebte. Vertraute. Freund.

    Vertraut wie Geschwister war unser Bund, der sich seit den ersten Tagen unserer Begegnung in erstaunlicher Eile geschaffen hatte. Es war Fügung des Schicksals, dass wir uns begegneten, und umso mehr Fügung höherer Geschicke, wie sich unsere Liebe entwickelte. Gab es da doch keine Geheimnisse zwischen uns, welche unausgesprochen blieben. Und auch wenn wir unseren Geheimnissen manches Mal keine Worte gaben, so offenbarten sie sich doch auf andere Art und Weise. Es war, als kenne der eine die Gedanken des anderen, als lese er in ihnen wie in einem offenen Buch.

    Wir lustwandelten in unserer frühen Jugend, genossen uns mit einer Intensität, die seinesgleichen suchte. Leidenschaft und Zärtlichkeit gingen Hand in Hand, schickten uns auf Reisen in traumhafte Zeiten, in die wir eintauchten, um jede Sekunde davon zu kosten wie einen Tropfen süßen Weines.

    Ein Glied hatte in das andere gegriffen. Nahtlos und in absoluter Harmonie, als seien sie füreinander geschmiedet worden. Ein Band festen Vertrauens und tiefster Zuneigung war gewoben worden, und wir gingen ineinander auf wie reife Blumen in gesunder, schwarzer Erde.

    Ich liebte alles an ihr: ihren Geruch nach Jasmin, ihr ebenholzschwarzes Haar, wallend und lockig, in das ich mein Gesicht legte, wenn wir eins wurden. Ich liebte ihre Stimme, hell und klar, manches Mal flüsternd, wenn sie mir Dinge zuwisperte, die nur für meine Ohren bestimmt waren. Ihre ebenmäßige Haut, weich wie Samt und Seide.

    Wir lebten wie in einem Traum. Alles andere um uns herum war nur Schemen und Schatten, von Unwichtigkeit und nebensächlicher Natur geprägt. Wir hatten uns, und uns war uns heilig. Wir waren der jeweilige Mittelpunkt des anderen, verstießen die Welt und lebten in unserer eigenen, in der wir uns sicher und geborgen fühlten.

    Doch unsere Zeit war uns nicht wohlgesonnen.

    Klara, von schwelender Krankheit befallen, die ihre Gesundheit unterwandelte und malträtierte, nahm immer mehr die Zeichen ihrer Beschwerden an. Ihre Kraft versiegte langsam wie ein von großer Dürre befallener Brunnen, von Tag zu Tag immer mehr. Ich musste hilflos mit zusehen, wie ihr feiner Körper immer mehr verfiel, auch wenn der Geist, noch voll zugegen, von der Krankheit aufgezehrt wurde. In ihren sonst so glanzvollen Augen spiegelte sich immer mehr der matte Glanz einer untergehenden Sonne. Ihre Berührungen wurden schwächer, ihre Stimme kraftlos und dünn, verriet mir im zunehmenden Maße die bittere Tatsache, dass sich ihr junges Leben vorzeitig dem Ende zuneigte.

    Jede ärztliche Kunst versagte. Alle Maßnahmen, die zu ihrer Genesung eingeleitet wurden, verliefen kläglich im Sande. Gevatter Hein streckte langsam seine Hand nach meiner jungen Geliebten aus und machte auch keine Anstalten, uns mehr Zeit zu schenken.

    Doch ich sah in ihren traurigen Augen nicht die Furcht vor dem Kommenden, sondern einen anderen Schatten, der ihre Seele umfangen hielt und aus ihrem Blick schüchtern hervorlugte.

    »Was hast du?«, fragte ich, knieend vor ihrem Bett, ihre Hand haltend.

    »Ich werde dich verlieren«, sprach sie mit schwacher Stimme. »Ich habe Angst, dich nicht nur körperlich zu verlieren. Ich fürchte mich davor, dass du mich eines Tages vergessen wirst. Ich habe Furcht, du wirst meine Liebe durch eine andere zu ersetzen suchen.«

    »Niemals«, antwortete ich. »Ich schwöre dir, auf ewig nur dich zu lieben. Auf immer sollst du in meinen Gedanken sein.«

    »Aber was wird sein, wenn du eine neue Liebe findest? Wirst du mich nicht zwangsläufig vergessen?«

    »Ich werde dich immer lieben. Niemals wirst du aus meinen Gedanken verschwinden. Keine andere Frau soll jemals deinen Platz einnehmen.« So schwor ich.

    »Ich werde aus dem Jenseits immer bei dir bleiben«, versprach sie mir, »und wenn ich dieses nicht darf, so werde ich dir zumindest ein Zeichen geben, dass auch ich dich niemals vergessen werde.«

    Zwei Tage später verblich sie des Nachts.

    Ich trauerte in meinem Verlust, der für mich die Welt bedeutete. Mir war, als sei ein Teil aus mir herausgerissen worden, als bestände ich nur noch zur Hälfte. Mir fehlte ihre Nähe, ihr Geruch nach Jasmin, ich vermisste ihre Nähe und die tiefsinnigen Gespräche, die sie so sehr ausgemacht hatten. Mein Verlust wog eine ganze Welt.

    Der Tag wurde für mich zur unerträglichen Qual, erfüllt mit der Sehnsucht nach ihr. Leere umfing mich mit trostloser Trauer, der ich nicht zu entfliehen vermochte. Nichts und niemand konnte den Verlust aufwiegen, den ich erlitten hatte.

    Verschlossen vor der Welt brütete ich über meinen Erinnerungen, die ich festhielt wie ein Ertrinkender den sprichwörtlichen Strohhalm. Ich malte in meinen Gedanken Bilder, konstruiert aus dem Erlebten vergangener Tage, süßte sie mit meinen eigenen Vorstellungen und schuf mir so eine Oase inmitten der Wüste meiner Traurigkeit.

    Nachts erfuhr ich von Zeit zu Zeit so etwas wie Erlösung von meiner Pein, wenn ich sie wiedersah, wenn sie meine Hand hielt und mit mir sprach. In meinen Träumen lebte sie wieder, spendete mir Trost und sprach mir liebevoll zu. Ich fühlte dann ihre Nähe, spürte ihren Atem auf meiner Haut, roch den Duft des Jasmins, der sie umgab, und vernahm ihre Worte.

    »Ich werde immer bei dir sein. Ich werde dich niemals vergessen.«

    Diese Träume waren gesalbt mit Trost, gaben mir Kraft, den Tag zu überstehen, und ich betete, dass sie mich jede Nacht besuchen würde, auf dass ich nach der Entbehrung des Tages wieder ihre Nähe fühlen durfte.

    So gingen die Jahre ins Land.

    Ich verließ meine Heimat, studierte weit entfernt in der großen Stadt. Mit den vielen neuen Eindrücken, die mich umfingen, verblich auch ein Teil meiner schmerzvollen Erinnerungen an Klara. Obschon ich sie nachts immer wieder in meinen Träumen sah, wir sprachen oder uns nur festhielten, vermochte ich mich irgendwann nicht mehr an ihr Gesicht zu erinnern. Ihre Züge verschwommen in meiner Erinnerung zu einem schemenhaften, nebulösen Schatten.

    Die vielen neuen Gesichter, mit denen ich es nun zu tun hatte, die vielen neuen Charaktere, die mich umgaben, nahmen mich vollends ein. Es kamen neue Freunde und damit einher auch neue Frauenbekanntschaften. Obwohl ich nie wieder diese intensive Nähe wie zu Klara spürte, verlangte meine Jugend doch ihren Preis, wollte mich die Einsamkeit um jeden Preis vergessen machen.

    Ich lernte Irene, die Tochter eines Arztes, in meiner Verbindung kennen. Irene war ein reizvolles Geschöpf, etwas verträumt, doch mit wachem Verstand. Sie verstand es, durch die Mauer meiner selbstauferlegten Isolation zu stoßen, sanft und mit viel Geduld. Sie hatte wohl eine Schwäche für mich, den Düsteren, den Gedankenschweifenden, denn sie suchte meine Nähe immer öfter auf. Sie ließ auch nicht locker, als ich anfänglich nur kurz angebunden und fast sogar abweisend war. Mit sanfter Gewalt errang sie meine Aufmerksamkeit.

    Als es mir bewusst wurde, empfand ich es als angenehm und schön, ließ es auch zu.

    Sie hatte eine angenehme Weise, in der ich in stundenlangen Gesprächen aus dem Kerker meiner Einsamkeit entfloh, ohne dass es mir anfänglich bewusst wurde. Ihr Humor baute mich auf in den tristen Stunden meines Daseins, die mich so oft gefangenhielten. Ich erlernte wieder das Lachen, kostete vom Leben wie aus einem Becher mit süßem Wein. Meine Kleidung war bald nicht mehr schwarz, sondern ging auf in bunten Farben und Tönen. Ich begann wieder zu leben, und als es mir bewusst wurde, wie warm sich Irenes Hand in die meine legte, erkannte ich erst meine Wandlung.

    Immer seltener träumte ich von meiner verflossenen Liebe, sah Klara in meinen Träumen bald nicht mehr jede Nacht. Wenn es denn geschah, so erinnere ich mich an ihre Traurigkeit. Ihre Worte waren bewegt und schienen aus unendlicher Weite an mein Ohr zu dringen.

    Es geschah in einer Nacht, in der Irene das erste Mal bei mir geblieben war. Wir hatten uns, nachdem wir uns reif zugefallen waren, glücklich und erlöst in die Kissen gelegt und schliefen. Da war es mir, als ginge jemand im Zimmer auf und ab, weiche Schritte eines leichten Ganges waren im Zimmer zu hören.

    Ich schreckte auf.

    Doch niemand war da.

    Da vernahm ich diesen Geruch, der mich wieder erinnern ließ an eine Zeit, die durch den Schleier der Zeit wieder in meine Gedanken fuhr. Ich roch dieses Aroma, welches ich einst so sehr geliebt hatte und mich sehnlicher erfüllt hatte, als das es je etwas anderes tun könnte. Ich roch Jasmin. Klaras Jasmin.

    Und plötzlich war da eine Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien. Traurig. Ruhig. Flüsternd: »Gehe hin, mein Geliebter, und werde glücklich. Ich werde dir die Bürde deines Schwurs nehmen, denn es darf keine Seele geben, die einsam auf Erden weilt. Ich erwarte dich in einer Zeit, die zwischen allem liegt, und sehne mich des Tages hin, an dem wir uns wiedersehen werden.«

    »Klara ...«, stammelte ich. Es war ihre Stimme gewesen. Ohne Zweifel. Nach all den Jahren hatte sie nichts von ihrer reinen Klarheit verloren. Doch niemand war im Raum außer diesem süßlichen Geruch des Jasmins, der langsam vom Nachtwind davongetragen wurde.

    Gabriel Maier

    Der alte Freund

    Kurz vor meinem vierzigsten Geburtstag bezogen wir ein älteres Siedlerhäuschen in der Vorstadt. Nach langer und zum Ende schon fast quälender Immobiliensuche gingen meine Frau und ich davon aus, dass mit dem Auszug aus der viel zu kleinen Stadtwohnung für unsere Familie nun ein neuer Lebensabschnitt beginnen würde. Wir hatten keine Ahnung, wie recht wir damit haben sollten – und welche schwere Zeit damit auf uns zukommen würde.

    Die ersten Tage im neuen Heim liefen wunderbar! Die neuen Nachbarn erwiesen sich als freundliche und interessante Leute in unserem Alter und boten für den Umzug und die Eingewöhnung in der neuen Gegend gleich ihre Hilfe an. Auch mit dem Haus waren wir sehr zufrieden. Die Befürchtungen, dass das ältere Häuschen zu klein oder zu dunkel sein könnte, verflogen nach kurzer Zeit, und wir waren uns sicher, den richtigen Schritt getan zu haben.

    Wir unternahmen gerade einen Spaziergang durch die Nachbarschaft, als Elfi uns das erste Mal von Herrn Kohlmann erzählte. Sie beschrieb ihn als kleinen, alten Kerl, der in ihrem Zimmer wohnte und sie nachts immer wieder aufweckte, um mit ihr zu sprechen.

    Elfie war damals fünf Jahre alt. Sie hatte ohnehin eine lebhafte Fantasie und schon öfter von imaginären Freunden erzählt. Darum dachten wir uns erstmal nichts weiter dabei, als sie bald jeden Tag erwähnte, dass Herr Kohlmann wieder bei ihr gewesen war. Sie sprach davon, dass er seiner eigenen Aussage nach dieses Haus schon seit Jahrzehnten bewohnte und sich jetzt, wo wir lauter neue Möbel aufgestellt hatten, einen neuen Platz zum Wohnen unter Elfies Kinderschreibtisch gesucht hatte. Auch als unsere Tochter von nun an manchmal plötzlich nachts in unser Schlafzimmer kam und zu uns ins Bett wollte, weil sie behauptete, Herr Kohlmann würde sie nicht mehr schlafen lassen, ignorierten wir die Angelegenheit, so gut es ging. Wir schoben es einfach darauf, dass das kleine Mädchen die Umstellung noch nicht so gut verkraftete – vor allem, weil sie mit dem Umzug auch den Kindergarten gewechselt hatte. Daher gingen wir davon aus, dass Elfie einfach Zuflucht in ihrer Fantasie suchte.

    Als sich Elfie allerdings nachts nur noch schwer trösten ließ und längere Zeit weinte, weil Herr Kohlmann schlimme Sachen zu ihr sagte, fing die Sache an zu nerven. Und als das Mädchen sich irgendwann auch tagsüber weigerte, ihr Zimmer zu betreten, weil Herr Kohlmann dort wartete, wurde es zu einem richtigen Problem.

    Meine Frau Rosa stand zu dieser Zeit beruflich stark unter Druck, und als ich merkte, dass die Situation zu Hause immer angespannter wurde, setzte ich meinen Plan in die Tat um und verlegte mein Büro in Elfies Kinderzimmer und umgekehrt. Das Zimmer unserer Tochter verkleinerte sich dadurch zwar deutlich, aber dem Mädchen war dies egal – für sie zählte nur, dass sie nicht länger mit ihrem Herrn Kohlmann zusammen wohnen musste.

    Ihr Zimmer lag nun direkt neben unserem Schlafzimmer, und wir versprachen, die Türen der beiden Räume nachts immer weit offen zu lassen, sodass Elfie beruhigt alleine bleiben konnte.

    Es vergingen ein paar Tage, ohne dass Elfie nachts wieder zu uns ins Schlafzimmer kam. Unwillkürlich warf ich während der Arbeit in meinem neuen Büro immer wieder einen Blick zu der Stelle, wo Elfies Kinderschreibtisch gestanden hatte. Ich hatte dort meinen Plasmafernseher hingestellt. Sofern Herr Kohlmann also imstande war, das Gerät zu bedienen, konnte er sich nachts an zahlreichen Kanälen in

    HD-Qualität

    erfreuen, witzelte ich.

    Eines Nachts aber wurde ich tatsächlich wach, weil ich etwas hörte. Nebenan flüsterte Elfie. Sie schien relativ aufgeregt zu sein, fast so, als würde sie streiten. Ich schüttelte mir den Schlaf ab, stieg aus dem Bett und schlich hinüber, blieb aber neben der offenen Türe stehen, um zu hören, was vor sich ging.

    Elfie stritt tatsächlich mit jemandem, der allerdings auf keinen ihrer Vorwürfe antwortete. Das Mädchen beschuldigte sein Gegenüber, nur Unruhe zu stiften, und wies ihn an, gefälligst nicht so laut zu sprechen, da sonst die Eltern aufwachen würden.

    Etwas verärgert betrat ich ihr Zimmer. Elfie saß auf ihrer Bettkante und flüsterte in Richtung ihres Kleiderschranks. Ich unterbrach sie einfach und schob sie wieder ins Bett zurück.

    »Elfie, nachts wird geschlafen!« Ohne auf ihre Diskussion einzugehen, zog ich ihr die Decke bis unters Kinn.

    Meine Tochter deutete in Richtung ihres Kleiderschranks und wollte mir klarmachen, dass Herr Kohlmann dort drüben solchen Krach gemacht hatte. Nur deshalb sei ich aufgewacht. Sie hätte bereits versucht, ihn zum Aufhören zu bewegen, aber auf ein kleines Mädchen würde er nicht hören. Überhaupt wäre es seine Absicht, hier so viel Unruhe zu stiften, bis die ganze Familie wieder ausziehen würde.

    Ich atmete tief durch und setzte mich auf die Bettkante. »Elfie, mir ist klar, dass der Umzug und der neue Kindergarten für dich eine große Umstellung sind, aber der Quatsch mit deinem Herrn Kohlmann muss jetzt langsam aufhören. Mami und ich brauchen unseren Schlaf – und kleine Mädchen wie du ebenfalls! Außerdem habe ich eine Menge Geld für dieses Haus bezahlt, ganz zu schweigen davon, wie lange ich danach gesucht habe – hier bringt mich garantiert so schnell nichts und niemand mehr raus!« Ich sah Elfie mit gespielt ernster Miene in die Augen, aber das Mädchen ging nicht darauf ein.

    »Ehrlich, Papi, Herr Kohlmann will, dass wir alle wieder ausziehen. Und wenn er hört, dass du dich weigerst, dann ...«

    Eine leere Spielzeugschachtel fiel von Elfies Schrank auf den Parkettboden und ließ das Mädchen zusammenzucken.

    »Schlaf jetzt!«, wiederholte ich und zog ihr demonstrativ die Decke noch mal bis zum Kinn.

    »Bleibst du, bis ich eingeschlafen bin?« Elfie sah mich mit ihren großen Augen an, sodass ich nicht Nein sagen konnte.

    Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis ich mir sicher war, dass sie fest schlief und wieder ins Bett zurückging.

    Die folgenden Tage und Nächte passierte nichts mehr. Ich hielt die Sache damit schon fast für gegessen, als das Wochenende kam und wir versuchten, einen ruhigen Samstag zu verbringen, um uns seit langem endlich vom beruflichen Stress zu erholen.

    Ich hatte die Gartenmöbel sauber gemacht und wollte gerade mit einem Nickerchen beginnen, als meiner Frau die Kaffeekanne auf den Terrassenboden fiel und in tausend Teile zersprang.

    Erschrocken fuhr ich zu ihr herum und sah, dass sie entsetzt nach oben schaute, wo Elfie ihr Zimmerfenster hatte. Ich sprang aus meinem Stuhl und folgte ihrem Blick, um einen Moment später ihr Entsetzen zu teilen. Elfie hatte ihr Fenster geöffnet und war auf den Sims geklettert. Sie hatte uns den Rücken zugewandt, als würde sie sich jeden Augenblick rückwärts hinunterfallen lassen.

    Rosa schrie!

    Ich verlor keine Sekunde und rannte ins Haus, die Treppe hinauf und zu Elfies Zimmer. Erst als ich schon ein paar Schritte hineingemacht hatte, richtete das Mädchen seinen Blick auf mich.

    »Papi!«

    »Ganz ruhig, meine Kleine ...« Vorsichtig ging ich weiter auf sie zu, um sie nicht zusätzlich zu erschrecken.

    »Da!« Elfie zeigte auf eine leere Stelle vor ihrem Bett. »Er will, dass ich aus dem Fenster springe, sonst tut er dir und Mami weh!«

    »Ganz ruhig, Elfie«, sagte ich beschwichtigend. »Mir tut keiner so schnell weh – und Mami und dir auch nicht! Jetzt bleib ganz ruhig dort stehen.«

    Langsam war ich weitergegangen, bis ich sie erreicht hatte und zuerst am Handgelenk festhielt, dann sanft zu mir zog und sie in die Arme schloss.

    Sie heulte los.

    Rosa heulte unten auf der Terrasse ebenfalls.

    Es folgte die schlimmste Zeit überhaupt. Elfie erzählte noch mehr von Herrn Kohlmann als je zuvor. Da diese imaginäre Person nun anfing, massiven Einfluss auf unsere Tochter auszuüben, stürzte Rosa in ein tiefes Loch und wurde depressiv. Sie meldete sich in der Arbeit immer öfter krank und wusste weder mit sich noch mit unserer Familie etwas anzufangen. Schließlich legte ich meine Matratze in Elfies Zimmer und verbrachte die Nächte dort, damit das Mädchen nachts nicht auf dumme Gedanken kam. Dafür wurden die Tage umso schlimmer.

    Elfie sprang in unser Schwimmbecken, nachdem der imaginäre Mann ihr gesagt hatte, er würde sonst alle im Schlaf erwürgen. Es war reiner Zufall gewesen, dass ich vom Wohnzimmer aus die Wellen über den Beckenrand hatte schwappen sehen und hinausgegangen war, um nachzuschauen.

    Als Elfie dann auch noch mit dem eingesteckten Fön in die Badewanne klettern wollte, rastete Rosa vor Beklemmung aus, zerschlug unsere Vitrine und warf einen Blumenstock durchs Wohnzimmerfenster, bevor ich sie zu fassen bekam und sie auf mich einprügelte, bis sie vor Entkräftigung zusammenbrach.

    Ich legte sie auf unser Bett im Schlafzimmer, von wo sie nie wieder aufstehen wollte.

    An dem Punkt beschloss ich, mir Hilfe zu suchen.

    Ich schwankte noch dazwischen, bei Freunden oder Verwandten um Rat zu fragen oder mich im Internet über einen guten Therapeuten in unserer Gegend zu erkundigen. Bei einer Sache war ich mir jedoch einig: Elfie musste raus aus diesem Haus, zumindest eine Zeit lang. Sie musste wieder irgendwo hin, wo die Leute um sie herum gut zu ihr waren und wo sie eine vertraute Atmosphäre vorfinden konnte.

    Also beschloss ich, sie zu meinen Eltern aufs Land hinaus zu fahren.

    Ich packte Kleidung für sie und ihre liebsten Spielsachen zusammen und fuhr mit ihr los. Es war mir unwohl, Rosa einfach alleine zu lassen, aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.

    Elfie rannte stürmisch auf meine Eltern zu, während mir ein Hauch meiner Kindheit entgegenwehte, als wir das alte Haus betraten. Ich bat meinen Vater, sich ein wenig mit Elfie zurückzuziehen, um meiner Mutter genauer zu schildern, was mein Anliegen war.

    Ich erwähnte nichts davon, dass Elfie sich mehrmals in Todesgefahr begeben hatte, um sie nicht unnötig zu beunruhigen. Auch dass Rosa seit Tagen depressiv war, erläuterte ich nicht in aller Deutlichkeit. Nur dass zwischen mir und ihr momentan Spannungen wären, gesteigert durch den beruflichen Druck und den Stress des Umzuges, sodass wir gern ein paar Tage für uns allein hätten, um uns wieder zu finden.

    Da Elfie jedoch sicherlich nicht die Klappe halten würde, fand ich es allerdings noch wichtig, meiner Mutter auch von Herrn Kohlmann zu erzählen. Ich stellte ihn aber als ihren imaginären Freund dar, der sie zu Schelmereien anstiftete, was die Situation zwischen Rosa und mir noch ein wenig zuspitzen würde. Elfie sei kurz gesagt aktuell etwas schwierig, da sie den Umzug schließlich auch erst verkraften müsse.

    Die besorgte Miene von meiner Mutter wandelte sich um in ein Lächeln. »Da mach dir mal keine Sorgen deswegen«, beschwichtigte sie. »Das mit den eingebildeten Freunden gibt sich von selber wieder. Wenn ich daran denke, was du und dein imaginärer Freund uns damals für Sorgen gemacht haben ... Meine Güte! Aber auch das ist völlig von allein wieder vergangen!«

    Ich runzelte die Stirn. »Mein imaginärer Freund?«, fragte ich ungläubig.

    »Ja, natürlich!«, bestätigte Mutter. »Wie hieß er noch? Joey? Ja richtig! Joey, dein Clown! Weißt du das nicht mehr? Du hast damals dein ganzes Kinderzimmer demoliert und es einfach auf deinen eingebildeten Freund, den Clown, geschoben!«

    Der Name klatschte in mein Gedächtnis wie ein fallendes Steinchen, das auf einem ruhigen Tümpel große Kreise zog. Der Name klang vertraut. Er stand auch in Verbindung mit einem Clownsgesicht. Es fühlte sich an, als würde ich einen kleinen Lichtstrahl sehen, der hindurchdrang zwischen vielen Felsbrocken, die meine Erinnerung blockierten.

    Während Vater draußen mit Elfie spielte, besuchte ich mein altes Zimmer und versuchte, mich an Joey zu erinnern. Er war ein Clown gewesen, allerdings ein sehr, sehr kleiner. Winzig eher. Nur so groß wie eine Spielfigur. Joey hatte nie etwas gesprochen, nur immer auf seine stumme Art Clownereien getrieben. War über seine eigenen Füße gestolpert und hingefallen. Hatte versucht, bei der alten Barbie meiner großen Schwester zu landen und war trotz seiner zahlreichen Rückschläge immer gut drauf gewesen. Nur einmal war etwas Merkwürdiges passiert. Ich erinnerte mich an irgendeine Bedrohung, die ich nicht mehr benennen konnte. Irgendetwas, das mir wahnsinnige Angst gemacht hatte und das nicht mehr aus meinem Zimmer verschwinden wollte. Und dann war Joey den Gang entlang gekommen und hatte sich bücken müssen, um einen Blick durch meine Tür werfen zu können, so groß war er plötzlich gewesen. Mit grimmigem Gesicht hatte er seinen rundlichen Körper durch die Türöffnung gepresst und es mit dem namenlosen Grauen aufgenommen. Schränke und Regale waren dabei angeknackst worden, und der Stuhl meines Schreibtisches war zerbrochen. Joey hatte nie zuvor irgendwelche Gegenstände aus der realen Welt bewegt oder beeinflusst – es war, als wäre er vor lauter Wut plötzlich stark genug gewesen, um meine Sachen zu demolieren.

    Meine Eltern hatten mir die Sache damals nicht geglaubt. Stattdessen waren sie davon ausgegangen, ich hätte in einem Tobsuchtsanfall meine eigenen Möbel kaputt gemacht.

    Wohin war Joey dann verschwunden? Hatte ich ihn einfach mit all den anderen Kindheitserinnerungen beerdigt, als ich den Glauben an seine Existenz verloren hatte?

    Ich hatte das Haus mit Anfang zwanzig verlassen, dementsprechend fand ich in meinem alten Zimmer nicht mehr viel von meiner Kindheit vor. Um Erinnerungsstücke an damals zu finden, musste ich also auf den Dachboden. Dort, zwischen angestaubten Kisten und Bücherstapeln, warteten die längst vergangenen Jahre.

    Ich blätterte durch meine alten Schulhefte und kramte in Spielzeugschachteln. Immer mehr meiner frühen Erinnerungen kamen mir wieder in den Sinn. Welches Bilderbuch ich am öftesten angeschaut und welches Stofftier ich am liebsten gehabt hatte. Mein schönstes Spielzeugauto, mein Zauberkasten, mein erster Modellflieger. Dann konzentrierte ich mich auf die Zeit, die ich mit all dem Zeug verbracht hatte. Das Spielen, die Sommer und Winter im Garten hinter dem Haus, die vielen Stunden im Kinderzimmer, die dunklen Nächte allein im Bettchen.

    Und plötzlich war Joey wieder bei mir.

    Er marschierte hinter einem abgedeckten Bücherstapel hervor, als wäre er nie weg gewesen, zog seine Hosenträger stramm und ließ sie so zurückschnalzen, dass er mit gespielten Schmerzen das Gesicht verzog.

    Er war wieder hier. Wie konnte ich den Glauben an ihn verloren haben?

    Als ich ohne Elfie wieder zurückkam, war es bereits Nacht. Ich schaute zuerst nach, ob bei Rosa alles in Ordnung war. Sie hatte offenbar wieder Schlaftabletten genommen und lag auf dem Bett. Ihr Atem ging allerdings ruhig, und als ich sie anfasste, drehte sie sich zur Seite, schlief jedoch weiter.

    Dann ging ich in Elfies Zimmer. Ich sah in ihrem Kleiderschrank nach und unter ihrem Bett, schaute in jede Ecke, aber konnte nirgendwo etwas Verdächtiges entdecken. Dann erinnerte ich mich daran, dass Elfie erzählt hatte, Herr Kohlmann würde noch immer dort wohnen, wo ihr Schreibtisch zuerst gestanden hatte. Also ging ich hinüber in mein Büro.

    Dort, wo ich meinen Fernseher aufgestellt hatte, bewegte sich etwas.

    Eine mittelgroße Gestalt huschte vorbei, sprang von einem Schatten in den anderen und zischte dabei, als würde sie etwas oder jemanden verfluchen oder beschimpfen.

    Er schien meine Anwesenheit zu bemerken, denn als ich näher trat, blieb er im Mondschein stehen und sah mich eindringlich an, reagierte allerdings nicht weiter auf mich, sondern sah sich um, als würde er in der Dunkelheit etwas suchen.

    »Mein Gott, bist du hässlich!«, fuhr es mir heraus.

    Herr Kohlmann erstarrte. Dann drehte er sich langsam zu mir und warf mir einen giftigen Blick zu. »Du siehst mich?!«, zischte er ungläubig. »Das ändert gar nichts!« Er kam trotzig ein paar Schritte auf mich zu. »Ich werde nicht aufhören, deine Tochter zu terrorisieren, bis ihr endlich wieder aus dem Haus auszieht! Du hast keine Wahl! Nur weil du mich sehen kannst, kannst du mir noch lange nichts anhaben. Versuch mal, mich zu fangen – es wird dir nicht gelingen, weil ich aus einer ganz anderen Welt komme!« Er fing an zu grinsen. »Aber da du jetzt auch an den Buhmann glaubst, kann ich dich jetzt auch in den Wahnsinn treiben, wenn ihr nicht alle verschwindet!«

    Ich war immer noch angewidert von seiner Gestalt und der Visage, aus welcher purer Hass herausstach. »Du bist der, der meine kleine Tochter erschreckt!«, stellte ich kaltblütig fest. »Ja, wahrscheinlich hast du recht. Ich kann dir nichts anhaben. Aber ich habe jemanden dabei, der es kann! Jemanden aus deiner Welt!«

    Herr Kohlmann sah sich etwas irritiert um, bis sein Blick in einer Ecke am Boden bei meinem Bücherschrank hängen blieb. Sein Gesicht verzog sich zu einem noch grässlicheren Grinsen. »Ein Clown!«, brach es aus ihm heraus.« Du denkst, ich fürchte mich vor einem winzigen Clown?!«

    Joey kam ein Stück hervor. Trotz seiner winzigen Gestalt streckte er mir zwei erhobene Daumen entgegen und bedeutete mir, dass ich ruhig das Zimmer verlassen konnte.

    Ich drehte mich um und ging zur Tür. Der Mondschein, der vom Fenster

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