Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Inkonsistenzen
Inkonsistenzen
Inkonsistenzen
eBook211 Seiten1 Stunde

Inkonsistenzen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Philosophie ist Inkonsistenzerfahrung. Marcus Steinweg unternimmt den waghalsigen Versuch, diese These nachdenkbar in Form zu bringen. In über 130 aphoristischen Notizen zu "Kunst", "Finanzromantik", "Selbstmord", "Sex mit Hegel", "Kontingenz", "Akrobatik", "Debord mit Derrida", "Kraft", "Tatsachenesoterik", "Immanenzidioten", "Nihilismus", "Emotion", "Wüste", etc. Erst die Öffnung auf den Inkonsistenzwert unserer Gewissheiten und Evidenzen entreißt das Denken der Illusion ihrer Stabilität und Notwendigkeit.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Jan. 2018
ISBN9783957576019
Inkonsistenzen

Mehr von Marcus Steinweg lesen

Ähnlich wie Inkonsistenzen

Titel in dieser Serie (57)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Philosophie für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Inkonsistenzen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Inkonsistenzen - Marcus Steinweg

    Anmerkungen

    AKROBATIK

    Es gibt eine Akrobatik des Denkens, die Sprünge und Salti einschließt. Man könnte meinen, mit ihr verlasse das Subjekt den Boden der Reflexion. Doch impliziert nicht gerade dieser Begriff eine Biegung, die die Vernunft hinter sich zurückreißt, sodass sie zu zerreißen droht? Reflexion hat nichts mit sicherer Schrittfolge auf stabilem Grund zu tun. Reflexion heißt, auf Bedingungen rekurrieren, die die Garantielosigkeit des Denkens garantieren. Das ist die einzige Garantie, die dem Subjekt bleibt: Dass es an einen Abgrund grenzt, den es nicht überbrücken kann. Und dennoch ist es eine Art von Brücke. Aber eine Brücke, die ins Unbestimmte reicht.

    SPIEL

    Wenn zutrifft, was Georges Bataille behauptet, dass für Nietzsche »das Leben im Wesentlichen ein Spiel« ist, um welche Art von Spiel handelt es sich dann? Bataille hat Recht, es mit dem Krieg zu konnotieren, solange der Krieg selbst ein Spiel ist oder eine »Übung«, bevor er »brutale, gewalttätige Politik« wird.¹ Deleuze würde sagen, dass Nietzsche eine Kriegsmaschine besteigt, deren Aktivität die etablierten Werte und Gewissheiten kollabieren lässt, um das Subjekt in einen Konflikt mit seiner Zeit treten zu lassen. Kriegerisch ist das Subjekt qua Subjekt, da es einen Widerstand gegen die Appelle und Diktate des Zeitgeists aufbaut, um sich einer kontingenten Zukunft anzuvertrauen. Öffnung auf Kontingenz kann nur spielerisch geschehen, denn sie ist Öffnung auf ein Weltspiel, das letzter Determination entbehrt. Über Heraklit, Nietzsche, Heidegger, Eugen Fink, Kostas Axelos bis hin zu Deleuze hat sich die Kategorie des Weltspiels zu einem Modell entwickelt, das den Kosmos als ein Spiel begreift, dessen Regeln inkonsistent sind. Denken heißt spielen, weil es kein Denken gibt, das auf seinen Grund denken kann.² Die Abgründigkeit des Denkens perforiert das Subjekt, indem es ihm irreduzible Kontingenz einträgt. Es setzt es auf die Spur eines Zufalls, dem es mit provisorischen Konsistenzen zu antworten versucht. Jede dieser Konsistenzen verdankt sich der Auseinandersetzung mit ontologisch-mathematischen Inkonsistenzen, die, wie Heller-Roazen schreibt, die Pythagoreer als Unentscheidbarkeiten (arrhetoi), Irrationalitäten (alogoi) oder Inkommensurabilitäten (asummetroi) definieren.³ Angesichts seiner Abgründigkeit wird der Logos spielerisch. Man könnte sagen, dass er sich vom Mythos emanzipiert, indem er dessen luditive Anteile in sich integriert. Die Logifizierung des Mythos kann nicht logifiziert werden. Sie verdankt sich einem Spiel, gegen das es sich zugleich stellt. Nietzsche ist nur ein Beispiel dieses Konflikts. Er steht am Anfang des unmöglichen Endes der Logos-Metaphysik. Sein Unternehmen besteht darin, der Metaphysik ihre Inkonsistenz vorzuführen, indem er mit ihr zu spielen beginnt. Er hat, sagt Bataille, »vielleicht nicht vollständig auf die Philosophie verzichtet, aber er hat mit Sicherheit der Möglichkeit, ein Philosoph zu werden, die Hingabe an eine Schreibweise vorgezogen, die ihm ständig erlaubte, mit dem, was er schrieb, zu spielen.«⁴ Doch handelt es sich um ein Spiel, das vom Spieler äußerste Konzentration verlangt: »Das Spiel des Denkens verlangt eine solche Kraft, eine solche Strenge, dass neben dieser die Kraft und die Strenge, die die Konstruktion verlangt, den Eindruck einer Erschlaffung vermitteln. Der freischwebende Akrobat ist strengeren Regeln unterworfen als der fest auf dem Boden stehende Maurer. Der Maurer produziert, aber nur bis zum Grenzwert des Unmöglichen: der Akrobat lässt sofort los, was er ergriffen hat.«⁵ Nietzsches Spiel mit dem Logos, der Metaphysik und ihrer Begriffskultur reflektiert das Spiel einer Welt ohne finale Bedeutung: »Er protestiert dagegen, dass man den Dingen und der Welt einen Zweck zuweist. Für ihn hat die Welt keinen Zweck, und was bleibt uns da anderes übrig als über das, was ist, zu lachen.«⁶ Angesichts eines Weltspiels zu lachen, das dem Subjekt den Boden entzieht, um es über dem Abgrund ontologischer Inkonsistenz schweben zu lassen, bedeutet ein Spiel zu spielen, dessen Sinn suspendiert bleibt: »Ein Mensch, der spielt, findet im Spiel immer auch die Kraft, das zu überwinden, was das Spiel an Schrecken mit sich bringt.«⁷ Das also ist es, was Nietzsche Leben nennt: Das aktive Mitspielen an einem Spiel, dessen Sinn sich als Unmöglichkeit von Sinn erweist.

    ARCHÉ

    Indem er das altgriechische Wort αρχή mit den Wörtern Ursprung und Befehl übersetzt, behauptet Giorgio Agamben, dass es »für den Befehl – d. h. den logos ex nihilo – keine αρχή gibt, weil der Befehl selbst αρχή ist – oder weil er zumindest an der Stelle des Ursprungs ist.«⁸ Agamben nähert sich hier der ontologischen Axiomatik zweier Philosophen, deren Denken in der Zurückweisung eines positiv gegebenen Ursprungs (αρχή) kulminiert: Wittgenstein und Derrida. In seinen Aufzeichnungen Über Gewissheit konstatiert Wittgenstein: »Es ist so schwer, den Anfang zu finden. Oder besser: Es ist schwer, am Anfang anzufangen. Und nicht zu versuchen, weiter zurückzugehen.«⁹ Was Wittgenstein Anfang nennt, ist der Logos (die Rede oder der Sinn), der an die Stelle des Ursprungs rückt. Mit dem Anfang anzufangen, heißt nicht, auf einen absoluten Ursprung zurückzugehen. Das Spätdenken Wittgensteins kreist um den absenten Ursprung – die abwesende αρχή –, an dessen Stelle eine Art Behauptung tritt, die die Logosarchitektur ist, das also, was Wittgenstein ein Sprachspiel oder eine Lebensform nennt.¹⁰ Es handelt sich auch hier um eine über den Ungrund ontologischer Inkonsistenz gespannte Konstruktion. Sie generiert das Konsistenzmilieu, das wir Wirklichkeit nennen. Das aber heißt: Wirklichkeit ist ein abgründiger Grund, eine selbst nicht gegründete Entität. Der Grund selbst – die Logosebene, das Ordnungs- und Bezugssystem, das wir Realität nennen – bleibt unbegründet. Der »Ursprung« ist ohne Ursprung. Deshalb hat Derrida von einer »Ursprungsprothese« (prothèse d’origine) gesprochen und von dem, »was man auf jeden Fall glauben muss, ob es nun glaubhaft ist oder nicht.«¹¹ Er nähert sich hier dem Motto des späten Wittgenstein: »Was ich weiß, das glaube ich.«¹² Ein weiterer Satz Wittgensteins lautet: »Die Schwierigkeit ist, die Grundlosigkeit unseres Glaubens einzusehen.«¹³ Lässt sich sagen, dass Wittgensteins, Derridas und Agambens Denken durch eine Strukturhomologie verbunden sind, in der der Ursprung, die αρχή, als nicht logifizierbares Element des Denkens erscheint?

    Das aber hieße, dass zum Denken eine gewisse Schwebe und Leichtigkeit gehören. Sie indizierten einen präzise taumelnden Logos. Wäre das der Logos der Kunst wie der Philosophie?

    SELBSTÜBERSCHREITUNG

    Zur Philosophie gehört die Öffnung auf die Dimension des Außen, die Lacan als das Reale bezeichnet. Man kann auch – mit Nietzsche und Deleuze & Guattari – vom Chaos sprechen. Jedenfalls handelt es sich um die Erfahrung eines nicht zu verinnerlichenden Widerstands, der das Denken an seine Grenzen führt.¹⁴ Die Erfahrung der Grenze impliziert das Wagnis der Selbstüberschreitung des denkenden Subjekts. Wenn es ein Subjekt gibt, dann handelt es sich um ein Subjekt originärer Selbsttranszendenz, das sich von Kräften affiziert weiß, die seine Wissensbestände durchqueren und kodifizieren. Das Subjekt identifiziert sich im Akt des Denkens als Subjekt des Außen im Sinne des doppelten Genitivs, der es sich souverän dem Außen zukehren lässt, indem er es als vom Außen kontaminiert markiert. Das Außen kann der Name des Inkommensurablen sein, der ontologischen Inkonsistenz seiner Welt, der Kontingenz und Indifferenz des Realen, das jede Sinnbehauptung unterminiert. Vielleicht ließe sich von einer Philosophie der Blindheit sprechen. Blindheit und Einsicht (Blindness and Insight) – um einen Buchtitel von Paul de Man zu zitieren – kooperieren in der Dynamik jedes Denkens, das sich weigert, sich den etablierten Dispositiven zu beugen, indem es über das Bekannte und Anerkannte hinausgeht, um die Erfahrung der Brüchigkeit seiner Realitäten zu dokumentieren.

    SEXUALITÄT

    Eine lange Geschichte – man kann sie die des Essentialismus nennen – will, dass das Mensch genannte Subjekt sich seiner Natur entsprechend verhalte. Werde, der du bist, sagt Nietzsche, bevor Foucault vom Anderswerden oder ein Anderer werden spricht! Das ist die Forderung des Humanismus: Der Mensch soll menschlich sein. Ist er es nicht, fällt er aus seinem Begriff. Doch weiß jedes Kind, dass Unmenschlichkeit zu menschlichem Verhalten und damit zu seiner (faktisch inexistenten) »Natur« (natura = essentia) gehört.¹⁵ Die Berufung auf die Natur ist das ideologische Stereotyp par excellence. Es gibt keinen Faschismus, der kein Naturalismus wäre (so wie es keinen Rassismus gibt, der nicht sexistisch ist!). Vielleicht ist die menschliche Sexualität von der animalischen durch ihren Anti-Essentialismus unterschieden. Bestimmte Weisen, »sich in den sexuellen Beziehungen außerhalb der Natur zu bewegen«¹⁶, könnten Indizien eines nicht-humanistischen Humanismus sein. Im Sex überschreitet das Subjekt seine natürliche Disposition. Es erfindet Varianten der Nutzlosigkeit. Zweifellos sind sie es, die seine faszinierende Widernatürlichkeit konstituieren: Der Gebrauch des Körpers gegen sich selbst, die Erfindung erotischer Praktiken jenseits der Mechanik von Zeugung und Fortpflanzung, die Konstruktion einer metaphysischen Körperlichkeit, die die Fantasie, den Geist und sämtliche Sinne an der Grenze des Sinns (oder des Kantischen Reichs der Zwecke) und sogar der Lust kooperieren lässt. Die Kreativität menschlicher Sexualität überschreitet mühelos die Grenzen ihrer eigenen Ökonomie.¹⁷ Sie ist verschwenderisch, kontradiktorisch und kontingent. So bezeugt sie ihren Austritt aus der Logik des Sinns und der Zwecke. Man kann sie

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1