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Untergangsprophet und Lebenskünstlerin: Über die Ökologisierung der Welt
Untergangsprophet und Lebenskünstlerin: Über die Ökologisierung der Welt
Untergangsprophet und Lebenskünstlerin: Über die Ökologisierung der Welt
eBook149 Seiten1 Stunde

Untergangsprophet und Lebenskünstlerin: Über die Ökologisierung der Welt

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Über dieses E-Book

Entgegen allen Untergangsszenarien lässt sich feststellen: Die Welt wird immer ökologischer. Jedoch nicht durch Rückkehr zur unberührten Natur, sondern in der Bejahung von umweltfreundlicher Technik und Konsum. Vielen, die seit Jahren für die Ökologie kämpfen, geht dieser pragmatische Weg längst nicht weit genug. Und doch ist ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Natur entstanden, und es wird deutlich, dass es die ursprüngliche Natur wohl niemals gab.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum17. Jan. 2015
ISBN9783957571168
Untergangsprophet und Lebenskünstlerin: Über die Ökologisierung der Welt

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    Buchvorschau

    Untergangsprophet und Lebenskünstlerin - Hans-Martin Schönherr-Mann

    Ökologisierung?

    1. Von der Utopie zur Dystopie

    Zwar greift einerseits die technische Welt immer weiter aus, differenziert sich zunehmend, bildet anscheinend naturferne Welten. Andererseits verschwinden vom Markt der Visionen aber richtige technische Utopien, die eine glückliche Welt in künstlichen Hemisphären prophezeien. Selbst das Versprechen der Lebensverlängerung, mit dem Medizin und Biotechnologien fleißig hausieren gehen, erkennt die Bürgerin nicht mehr selbstredend als Utopie oder Wunschtraum an. Zu unwägbar drohen die Gefahren.

    Und kaum eine Zeitgenossin erwartet noch die Heraufkunft des Kommunismus, also die Verwirklichung einer gesellschaftlichen Utopie, die seit Anfang des 19. Jahrhunderts soziale Hoffnungen zumeist auf den technischen Fortschritt stützte. Auch Marx wollte ja keine Utopie schreiben, so eifern ihm seither viele fleißig nach und niemand will mehr Utopist sein. Fast niemand.

    Als dagegen das Industriezeitalter in Kinderschuhen steckte und seine hässliche Fratze höchstens ansatzweise aufblitzte, also im frühen 19. Jahrhundert, entwirft der Sozialist Charles Fourier seine Utopie, die sich auf erotische Lust stützt, interessanterweise damit aber nicht zeugen will. Nein, die Menschen vermehren sich unter utopischen Lebensbedingungen nicht, sie vermindern sich. Das dadurch eintretende Glück strahlt in die Natur ab: Raubtiere sterben aus. Welche Freude: Die Polkappen schmelzen – so Fourier – und strahlen stattdessen Wärme und Licht aus, sodass ein ewiger Frühling herrscht. Das Meer nimmt einen limonadenartigen Geschmack an.

    Prediger werden das Abschmelzen der Polkappen und der Bevölkerung für die Strafe Gottes halten, als Quittung für den Gebrauch der Lüste ohne Reue. Zugegeben, etwas merkwürdig erscheint die Zusammenstellung schon. Doch wenn es den Menschen materiell gut geht, vermehren sie sich nicht so sehr wie unter schlechten Lebensumständen. Sie sind gebildeter und benutzen Verhütungsmittel. Sie haben genug Geld, um sich auch eine verbotene Abtreibung zu leisten. Wie der Hochadel, der seine Kinder natürlich nicht selbst erzieht, sind sie ebenfalls vernünftig genug, sich nicht von einer ausufernden Kinderschar aufreiben zu lassen.

    Nationalisten, die Krieg führen, oder Gläubige, die durch Vermehrung Mission betreiben wollen, legen daher großen Wert darauf, dass es der Bevölkerung nicht zu gut geht und dass das Leben möglichst freudlos bleibt. Zwar bieten religiöse Utopien, wie jene vom Paradies und vom ewigen Leben, gelegentlich einen Trupp Jungfrauen zum Vergnügen an, verlegen aber jede Verwirklichung des guten Lebens aus dieser in jene andere Welt. Dort wird seltsamerweise über Vermehrung wiederum kein Wort verloren: Im Himmel wird nicht geboren – ein Rentnerparadies.

    Unter prekären Lebensbedingungen muss die Reproduktionsrate höher sein: Wenn viele, aus welchen Gründen auch immer, umkommen, müssten umso mehr geboren werden – unter der wenn auch unsinnigen Bedingung, dass es einen biologischen, also natürlichen Sinn der Gattung gäbe. Diese Logik gefährlicher Lebensbedingungen wirkt bei Tieren auch noch weiter, wenn sich ihre Lage verbessert. Das lässt dann regelmäßig eine Population anwachsen, bis sie ihre Lebensgrundlagen aufbraucht, um dann wieder abzunehmen.

    Den Menschen könnte Ähnliches blühen, weil sie, einmal der Kriegslogik unterworfen, wie sie der Nazi-Vordenker Carl Schmitt definiert, zu einem vergleichbaren natürlichen, allerdings wenig vernünftigen Verhalten neigen. Nach Schmitt aber, für den der Souverän nicht nur über den Ausnahmezustand befindet, sondern der Bevölkerung auch vorschreiben darf, wer öffentlicher Freund und Feind sei, handeln die Zeitgenossen nun mal nicht sehr klug. Wenn sie unter modernen Bedingungen immer mehr natürliche, allemal endliche Ressourcen mobilisieren und sich die Menschheit weiter vermehrt, werden sich die Überlebensbedingungen massiv verschlechtern. Die Logik der Vermehrung führt beinahe zwangsläufig zu der Freund-Feind-Unterscheidung Carl Schmitts: Fundamentalistische jüdische Siedler in den von Israel besetzten Gebieten und die Palästinenser schenken sich dabei gegenseitig wenig. Oder die Verdammten dieser Erde wehren sich durch Vermehrung, die den Wohlstand in den reichen Ländern direkt und indirekt bedroht.

    Um solche gewaltsamen Zuspitzungen zu vermeiden, ist die Bürgerin darauf verwiesen, die Zahl der Geburten unter Kontrolle zu halten und die Bevölkerung massiv zu verringern. Dies ist nur dann nicht grausam, wenn es durch Verhütung und nicht durch Vernichtung geschieht, wie es Nazis betrieben und Rechtsradikale propagieren. Die Logik, dass man menschliches Leben vermehren solle, um möglichst vielen Menschen ein Leben zu bieten, erweist sich als eine Logik der Brutalität, weil sie erstens sehr vielen Menschen ein nur katastrophales Leben schafft und zweitens einen Vernichtungskampf um bessere Lebensbedingungen befeuert: Wer gegen Verhütung und Abtreibung eintritt, befördert damit Tendenzen zum Elend und zur Grausamkeit. Carl Schmitt hatte sicher insoweit recht, dass dieser Überbevölkerungskrieg nicht durch Moralpredigten eingedämmt werden kann.

    Eine reflexive Ökologie zweifelt an einem Begriff von Natur, der Krieg, Tapferkeit und Opferbereitschaft beinhaltet, und bevorzugt eine Kultur der Lust ohne Reue, die sich ohne Abtreibung und Verhütung allerdings nicht ökologisch realisieren lässt. In der Lust kehrt die Natur wieder, nicht in der Enthaltsamkeit. An Rändern der von Menschen bewohnten Welt – nämlich in den intensiver technisierten Ländern – beginnt sich eine solche, von Fourier erahnte Logik zu entfalten. Kehrt in dieser Lustorientierung die Natur wieder?

    Nur wenn die Bürgerin Leben schenken kann, ohne Leiden – beispielsweise ohne Entsagung auf Lust – auf sich nehmen zu müssen, nur dann ist Fortpflanzung gerechtfertigt. Wenn umgekehrt jemand Kinder in die Welt setzt, um sich selbst einen Lebenssinn, eine Altersversorgung, Gesellschaft oder das göttliche Wohlwollen zu verschaffen, dann macht sie damit ihren Sprössling, einen anderen, ihr fremden Menschen zu ihrem Mittel. Dergleichen bleibt ein Missbrauch, eine Diskriminierung, auch wenn die Einzelne bewusst und entschlossen die Menschheit, die Klasse, das Volk, die Sippe fortpflanzen will. Weit davon entfernt, Zweck für sich zu sein, wird dem Kind die Achtung entzogen und keine eigene Würde zugestanden. Wenn man dem Nachkommen alternativ im christlichen Sinn eine unsterbliche Seele als Ersatz zuschreibt, dann unterwirft man das raum-zeitliche, also das körperliche wie das gedankliche Leben ebenfalls einem fremden, nämlich jenseitigen, Zweck.

    Dabei scheiterten Religionen immer schon an der Verwirklichung gerechter und nicht diskriminierender Verhältnisse. Offenbar lässt sich Gerechtigkeit religiös nicht hinlänglich bestimmen, da es bei Fragen der Gerechtigkeit zumeist um Angelegenheiten geht, die in einer religiösen Sprache nicht allgemein verständlich formuliert werden können.

    Während man hinsichtlich der zahlenmäßigen Verkleinerung der Menschheit also durchaus hoffen darf, dass sich wenigstens an ihren Rändern etwas von der Utopie Fouriers verwirklicht, so betrifft dies leider auch seine reichlich absurd erscheinenden Thesen. Denn offenbar werden die Raubtiere wirklich weniger, sind Tiger und bestimmte Hai-Arten vom Aussterben

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