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Mira - Wo bist Du
Mira - Wo bist Du
Mira - Wo bist Du
eBook439 Seiten6 Stunden

Mira - Wo bist Du

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Über dieses E-Book

Rücksichtlos drehten sich die Zeiger auf der großen Bahnhofsuhr weiter und ließen Colin wie einen Narren tanzen, ganz gleich was er auch tat, sie würden sich nicht aufhalten lassen.
Als Colin vor Mira stand, musste er mit ansehen, wie er sie einfach mit sich riss. Er konnte nichts tun, außer zuzuschauen. Juri hatte fünf Jahre auf diesen Tag gewartet. Seine Leiden, seine Schmerzen waren endlich gestillt. Er schloss Mira fest in seine Arme und war eher bereit zu sterben, als sie noch einmal aufzugeben. Egal wie weit Colin auch gehen würde, egal wer an seiner Seite kämpfte, Juri war ihm immer einen Schritt voraus und ließ ihn weiter tanzen, wie einen Narren.
Hagen war ein junger Ermittler, war brillant in dem was er tat, doch an dem Tag als Mira verschwand und er den Fall übertragen bekam, konnte er nicht ahnen, welche Lawine da auf ihn zurollte. Es gab keine Zeugen, keine Beweise, keinen Anhaltspunkt, nur einen verzweifelten Mann voller Geheimnisse. Hagen wollte die Wahrheit finden, das Mädchen, doch stattdessen verlor er den Glauben, an dem, was er tat.
Nach "Mira - Wer bist du?" und "Mira - Schatten" folgt nun "Mira - Wo bist du?". Ein spannender Krimi, der dich verzweifeln aber auch hoffen lässt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum29. Nov. 2017
ISBN9783746070971
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    Buchvorschau

    Mira - Wo bist Du - A.K. Schmidt

    Nachwort

    1

    Es war einmal…

    Juri war erst zwölf Jahre alt und ein ungeliebtes Kind. Seine Mutter war tot und sein Vater ein Schläger. Jeden Tag spürte Juri seine Wut, einen Grund gab es selten, nur blinder Hass, der über ihn einprasselte.

    Doch heute wird es hier enden! Juri ließ sich dieses Mal nicht in den Schuppen treiben, um sich misshandeln zu lassen, er war bereits freiwillig hier und wartete. Er blieb ganz ruhig und saß auf einem Baumstumpf, als sein Vater nach Hause kam. Es war schon spät, halb zehn. Wie jeden Tag konnte er vor Suff kaum reden und stolperte über die Holzscheite zur Tür hinein. Schäumend vor Rage fluchte er über Himmel und Hölle und sah Juri hasserfüllt an.

    „Du scheiß Kerl! Du hast gefälligst an der Tür zu stehen, wenn ich komme! Warum bist du nicht im Haus und hast mir Essen zubereitet, wie ich es dir aufgetragen habe? Du Taugenichts! Früher hätte man dich vergast! Warum bestraft mich Gott mit dir? Was glotzt du so blöd. Ich hau dir gleich eine in die Fresse. Vielleicht antwortest du mal! Was treibst du hier im Schuppen? ..."

    Es waren die letzten Worte seines Vaters. Juri stand auf, behielt zögerlich die Hände hinter dem Rücken, holte dann aus und traf ihn mit der Axt mitten ins Herz. Der erste Schlag sollte eigentlich sein Gesicht treffen, doch Juri wollte seine überraschten Augen sehen. Ungläubig ging der Alte zu Boden, Blut lief ihm aus Nase und Mund. Er röchelte und japste, griff noch nach ihm, da traf ihn der zweite Schlag am Hals und brachte ihn zu Boden. Der Abend endete im Blutrausch. All die Jahre der Demütigungen, des Hasses brachen über den alten Mann herein und zerlegten ihn in Einzelteile. Er sollte jeden Moment fühlen und Juri gab sich erst zufrieden, als er ihn komplett vernichtet hatte. An diesem Tag endete Juris Kindheit und übrig blieb ein verwaistes Kind, das keine Angst mehr hatte.

    Noch in jener Nacht floh er von diesem grausigen Ort und irrte wochenlang durch die Wälder nahe der Küste. Er lebte von Äpfeln und Resten aus der Mülltonne, gaunerte sich so durch, bis er durch Zufall ein neues zu Hause fand. Tief im Wald, fernab, gab ihm ein altes verlassenes Militärkrankenhaus aus Kriegstagen Unterschlupf. Hier war er der Hausherr und ein König. Niemand vermochte ihn zu maßregeln und so dienten ihm die verlassenen Gemäuer als treue Untertanen. Juri genoss die Einsamkeit. Tagsüber spielte er in alten OP-Sälen und Kellergewölben, des Nachts legte er sich auf die Lauer und verteidigte seine Burg vor unerwünschten Besuchern. Endlich war er frei und machte das, wonach ihm war. Nie wieder Tränen oder Angst, nie wieder Schläge oder Verletzungen, es war vorbei und keiner sollte ihn je wieder verletzen dürfen.

    Den ganzen Sommer über bekam ihn keine Menschenseele zu Gesicht, doch der eisige Winter vertrieb die gute Laune und lehrte schmerzhaft Hunger und Kälte. Schweren Herzens verstand Juri, dass er hier nicht bleiben konnte und so machte er sich auf den Weg in die Stadt.

    Danzig war keine riesige Metropole, doch groß genug, um in der Masse zu verschwinden. Es dauerte nicht lange und Juri fand Anschluss bei den Jugendlichen in seinem Alter. Schließlich war er groß geraten, wirkte älter als die meisten und machte durch waghalsige Aktionen von sich reden. Seine eisblauen Augen schüchterten viele ein. Juri war zwar zu der Zeit noch hager, dennoch wusste er schon damals, wie er sein Willen bekam. Er schlief mal hier, mal da, verdiente sein Geld durch krumme Geschäfte und gewann an Ansehen im Untergrund.

    Die Jahre zogen ins Land und aus dem blassen Jungen wurde ein stattlicher Mann. Er trainierte sich ein dickes Fell an. Sein zu Hause wurde der Trainingsraum, der Expander definierte seine Kapuzenmuskeln, der Sandsack schleifte die Fäuste und die Gewichte stemmten seine harte Brust. Schon bald lehrte er jedem Furcht, der ihn früher noch verhöhnte. Er gefiel sich in der Rolle des kalten Kriegers. Sein Spiegelbild ließ den traurigen Jungen verschwinden, nichts erinnerte mehr an das schwache Kind. Juri war der Hilflosigkeit entwachsen und bereit für mehr. Sein Traum war es irgendwann einen Mercedes zu fahren, er wollte unzählige Frauen um sich scharen und Geld, so viel man haben konnte. Doch für diese Träume war die Stadt zu klein. Schon bald erhörte jemand seinen Wunsch und verführte mit großen Versprechungen.

    Bohdan, ein Mann, der ihn in einem Nachtclub kennenlernte, spürte Juris Sehnsucht nach mehr. Er war Juri in Statur und Einfluss ähnlich, daher war es für ihn ein leichtes sein Vertrauen zu gewinnen. Bo wusste, dass er der Richtige für den Job war und legte die perfekte Spur nach Kiew. Wochenlang lag er ihm in den Ohren, dass er an einer großen Sache dran wäre, man nur dort Geld wie Heu verdienen könne und das, ohne auch nur einen Finger zu rühren! Wen hätte das nicht gelockt? Und so packte Juri seine Koffer und begleitete ihn, ohne eine Ahnung zu haben, um was es eigentlich ging.

    Fast 15 Stunden waren sie unterwegs. Die Autofahrt fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Bohdan redete ununterbrochen, fuhr wie ein Waschweib und ließ sich nicht hetzen. Es war schon spät abends, als sie die Millionenstadt erreicht hatten.

    Und da stand Juri nun verlassen auf dem Parkplatz, wartete vor einer alten Villa auf Bohdan und verfolgte unzählige Frauen, die aufreizend das Haus verließen. Die Müdigkeit hing ihm bereits wie Blei in den Knochen und sein sehnlichster Wunsch war es eigentlich nur noch sich aufs Ohr zu hauen, als sich plötzlich die schwere Tür wieder öffnete.

    „Komm rein!", winkte ihm Bo zu und führte ihn durch den riesigen Eingang direkt in ein Foyer. Mehrere Schlösser klackten hinter seinem Rücken und Juri sah sich irritiert um. Ein Dreikäsehoch, kaum größer als ein Sandsack, stand in seiner Bomberjacke aufgeplustert vor ihm, strich sich über die Glatze und schob die Sonnenbrille über den Nasenrücken.

    „Das ist Juri, Artem! Und was sagst du?"

    Arrogant inspizierte Artem den neuen Mann und grübelte.

    „Ja, der macht was her ... Aber ich bin mir nicht sicher!"

    Angenervt formten sich Juris Augen zu engen Schlitzen. Bedrohlich senkte er seinen Kopf und ließ die Kaumuskeln spielen.

    „Entweder du sprichst mit mir direkt oder ich gehe. Ich bin müde, du Penner und Bo ist nicht meine Mutter!"

    „Genau deshalb Bo! Der Typ ist fast zwei Köpfe größer, als ich. Warum soll ich mir jemanden ins Geschäft holen, der mir gefährlich werden kann?"

    Alles schien unter Kontrolle, Juri grinste noch, doch dann griff er blitzschnell zu und packte Artem mit einer Hand am Kragen.

    „Ich lass mich nicht verarschen und mir meine Zeit stehlen. Also, welchen Job hast du für mich?"

    Die Reaktion war die gefürchtete! Artem schluckte zähneknirschend und schob die Faust von sich weg. Er kaute auf der Zunge und lief dann zur Küche. Schweigend folgten Juri und Bo, setzten sich zu ihm an den Tisch und nahmen sich jeweils eine Zigarette aus dem Päckchen.

    „Es ist ganz einfach ... wir finden die Mädchen, geben ihnen ein zuhause, im Austausch dafür müssen sie für uns arbeiten. Sie bekommen für lau Drogen, Klamotten oder Suff, um ihre Fröhlichkeit zu behalten!, er lächelte verachtend, „... und wenn sie das Geld nicht erwirtschaften, sperren wir sie in den Keller. Wir brauchen Männer, die sie rund um die Uhr im Auge behalten.

    Artem holte aus der Tasche ein kleines Tütchen und schniefte das weiße Pulver.

    „Auch was davon?"

    „Ich nehme keine Drogen!", antwortete Juri knapp und blickte sich um. Einige der Mädchen kamen zur Tür hinein. Sie waren in einem erbärmlichen Zustand, verwahrlost, schienen wie weggetreten. Juri war öfter im Puff, doch von denen sah keine der Frauen so schlecht aus. Die Mädchen wirkten kaum älter als 14, doch hatten Augenringe, als wären sie Ende 50.

    „Vielleicht solltest du ihnen statt Drogen Essen geben!", kommentierte Juri ihre Anwesenheit und entzündete seine Zigarette.

    „Mit vollem Magen lässt es sich nur schwer arbeiten. Aber gut, lassen wir das. Du wirst schon noch verstehen, warum. … Also, besprechen wir den wichtigen Teil. Das zahle ich dir die Woche!"

    Artem riss ein Stück von der Zeitung ab und notierte eine Zahl, dabei verengten sich Juris Pupillen. Das, was da stand, verdiente er manchmal nicht im ganzen Monat. Ohne mit der Wimper zu zucken, nickte er gleichgültig und stand auf. Die beiden Mädchen kicherten noch verlegen und lächelten ihn an, als er an ihnen vorbei ging. Sie hatten nur noch verfaulte Stumpfe im Mund und Juri hätte kotzen können. ‚Wer will sowas ficken‘, dachte er noch bei sich und holte seine Tasche.

    In den darauf folgenden Wochen kapierte er langsam, was hier vor sich ging. Der Typ veranstaltete Menschenhandel abartigster Sorte. Sie verschleppten ahnungslose Straßenkinder, setzten sie unter Drogen, misshandelten sie und ließen sie für sich anschaffen. Das Geld behielten sie und lebten wie die Made im Speck. Juri war es egal. Ihm taten die Kinder leid, doch so war es eben, fressen oder gefressen werden! Gleichgültig machte er einfach nur seinen Job und fuhr die Mädchen zum Anschaffen auf die Straße, wachte über sie und setzte sie des Abends wieder ab. Wenn sich die anderen Männer an den Kindern vergingen, sah er weg und zog sich auf sein Zimmer zurück. Es war eben nur ein Job und mit allem Anderen wollte er nichts zu tun haben.

    Drei Monate in dieser Hölle hatten Juri abgestumpft. Er glich sich immer mehr an, sah die Mädchen nur noch als Ware, ihr Leiden berührte ihn nicht länger. Grimmig achtete er nur auf sein Geld und phantasierte über Goldketten und große Autos, als plötzlich, eines Nachts unerwartet, ein Kopf auf seinen Schoß sackte. Das Mädchen saß auf der Rücktour neben ihm und war vor Erschöpfung an seiner Seite eingeschlafen. Angewidert blickte Juri an sich hinunter, wollte schon nach ihrem Nacken greifen, da fühlte das Mädchen nach seinem weichen Pullover, lächelte im Schlaf und kuschelte sich auf seinen Schoß ein. Ihre blonden Haare purzelten in breiten Strähnen über ihren Kopf und ihr zarter Hals entblößte die nackte Haut. Wohlig klammerte sie sich an ihm fest, seufzte und schlief tief und fest. Juri spürte ihren Atem, wie dieser zufrieden ihren Brustkorb hob. Ihr lieblicher Geruch durchströmte seinen Körper. Es war, wie eine Droge, die blitzartig seine Venen infizierte. Noch nie hatte Juri so etwas gefühlt. Nur eine Berührung, dachte er, es ist doch nur ein Moment, wollte er glauben und doch veränderte es alles.

    Als der Wagen hielt, hätte er sein Geld dafür gegeben, um diesen Moment andauern zu lassen. Stattdessen rissen sie sie aus seinem Schoß und nahmen sie mit sich. Von diesem Tag an wusste er, sie ist es, obwohl er nicht mal ihren Namen kannte!

    Wie im Taumel erlebte Juri die folgende Nacht. Schlaftrunken wälzte er sich hin und her, fand kaum Ruhe bis zum Morgengrauen. Erschrocken über sich selbst und verzehrend nach diesem Gefühl, stand er mit der Zigarette am Fenster und war das erste Mal ratlos. Wenn man jemand verachtet, verletzt man ihn oder räumt ihn aus dem Weg, doch was macht man, wenn man sich verliebt? Juri kannte alle Formen von negativen Empfindungen, aber diese war neu. Kopfschüttelnd ging er unter die Dusche und sehnte schon jetzt die nächste Begegnung herbei.

    Als sich die Mädchen am Abend im Gang versammelten, stockte ihm der Atem. Wieso war sie ihm vorher noch nie aufgefallen? Lieblich schlenderte sie über den weiten Flur. Sie war bildschön: ihre kleine Nase, die hohen Wangenknochen, der süße Mund. Was hätte er für ein Wort gegeben, stattdessen fuhr er sich nur aufgeregt über den Kopf und folgte ihr im Vorbeigehen. Der Moment war fast magisch, wenn dieser Artem nicht gewesen wäre. Wie ein Sklavenhändler schrie er, trieb die Herde mit sich und lotste sie zum Wagen. Genervt lief Juri hinterher und ließ das Mädchen nicht aus den Augen. Sein Herz raste, sein Atem brannte. Immer in seinem Kopf die Frage, wann er ihr wieder nahe sein könnte.

    Und so rannte er der Gruppe voraus und öffnete die Wagentür, half den Mädchen den Kleinbus zu besteigen und griff erlösend auch nach ihrer Hand. Sie war so weich und zart. Wie gern hätte er sie festgehalten, also zögerte er nachdenklich und so schaute sie irritiert auf. Ihre Blicke trafen sich und Juri schluckte. Die grünen Augen bohrten sich tief in sein Herz und machten es noch schwerer, als es zuvor schon war. Erschrocken ließ er ihre Hand los und sah verlegen weg. Gleichgültig schritt sie an ihm vorbei und setzte sich zwei Plätze weiter. Die ganze Fahrt über ruhte sein Blick auf ihr, immer mit dem Gedanke daran, sie auf der Rückfahrt wieder an seiner Seite zu haben.

    Die nächsten Stunden waren eine Qual. Angespannt blickte Juri auf die verwaiste Straße und sein wartendes Mädchen. Tief im inneren hoffte er, niemand käme, um sie zu holen, doch da hielt schon der erste Wagen und seine Seele brannte. Am liebsten wäre er fluchend aus dem Wagen gesprungen, hätte dem Freier sonst was angetan, so verführerisch der Gedanke auch war, stattdessen blieb er ruhig auf dem Beifahrersitz sitzen und presste versteinernd seine Kaumuskeln aufeinander.

    Um fünf Uhr morgens war der Albtraum dann endlich vorbei. Als sie nach getaner Arbeit den Bus bestieg und neben ihm Platz nahm, machte Juris Herz einen Sprung. Es dauerte keine Minute. Er legte die Hand über ihre Schulter und ließ sie sanft auf seinen Schoß sinken. Ein warmes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus und war die Belohnung für sein Warten. In einem unbeobachteten Moment ließ er sich sogar dazu hinreißen über ihre Wange zu streicheln und hätte verzückter nicht sein können. Dieses kleine Mädchen war sein Frieden und schon jetzt wusste er, es müssten wieder 24 Stunden vergehen, um bei ihr zu sein.

    Als der Wagen hielt, sein Mädchen schlaftrunken mit den anderen auf ihr Zimmer verschwand, sah er, wie einer der Männer ihnen folgte. So langsam dämmerte ihm, das das kein Freundschaftsbesuch werden würde und hörte noch, wie er mit ihnen diskutierte.

    „... Eure Schicht ist noch nicht zu Ende. Jetzt bin ich dran!", die Tür knallte.

    Uneins mit sich selbst, lief Juri fluchend über die Gänge und hätte alles kurz und klein schlagen können. Was sollte er tun? Rein laufen und den Penner verprügeln? Nein, das war keine Option! Er zog an seiner Zigarette bis die Glut den Filter fraß und vergraulte jeden im Haus, der seinen Weg kreuzte. Letztlich stellte sich ihm Artem entgegen und rümpfte die Nase.

    „Was ist? Was hast du für ein Problem?"

    Furchteinflößend inhalierte Juri den Qualm und stieß ihn wie ein Teufel aus beiden Nasenlöchern hervor.

    „Wenn ich mir eine aussuche ..., dabei schlug er sich mit der Hand einschüchternd auf die Brust, „... dann kann nicht einer, deiner aufgeblasenen Idioten kommen und sich mein Mädchen nehmen, als wäre es ein Basar!

    „Es ist ein Basar!, lachte Artem auf und fiel ihm ins Wort, „Hast du es ihm vorher gesagt?

    Juris Augen glühten.

    „Sie hat im Wagen neben mir gesessen, ich hatte meinen Arm um sie gelegt, muss ich da noch etwas besprechen?"

    Angespannt winkte Artem ab und rieb sich gereizt die Glatze.

    „Ach, die kleine Polin meinst du?"

    Juris Herz fing sofort wieder Feuer. Sie kam auch aus Polen, wie er? Welch ein Zufall! Wieder begann das Flattern im Magen, obwohl er zugleich versuchte sich seine Freude nicht anmerken zu lassen.

    „... Ich glaube, sie heißt Mira, arbeitet noch nicht allzu lange bei uns. Wir haben sie von der Straße gelesen. Sie ist ein richtiges Zugpferd, die Kunden lieben sie.", provozierte Artem grinsend und Juri wünschte sich sein Beil herbei. Da spürte Artem, dass Witz hier heute keinen Platz hatte und während er noch grübelte, was zu tun ist, beschworen ihn Juris Augen eindringlich.

    „Schon gut, jetzt schau nicht so angepisst. Ich besorge sie dir. Wir wollen doch in unser Wohngemeinschaft nicht streiten, wegen so etwas!"

    Dabei lachte Artem lauthals und lief zu dem Zimmer. Ohne ein Wort betrat er den Raum, griff nach Mira, die gerade von seinem Kollegen begrabscht wurde und führte sie mit sich. Rücksichtslos schliff er sie halbnackt den Gang entlang und präsentierte sie Juri wie ein Stück Ware.

    „Hier! Ist sie das?"

    Juri nickte, versuchte seine Freude, so gut es ging zu verbergen, nahm hastig ihre Hand, warf die Zigarette achtlos zu Boden und schleppte sie auf seine Etage.

    Wenig später betraten sie Juris kleinen Raum, statt einem ‘Hallo‘ oder einem ‘Wer bist du? ‘, machte Mira teilnahmslos da weiter, wo sie bei dem anderen Mann aufgehört hatte. Die Drogen lenkten sie wie einen Roboter, der einfach nur stur seinem Algorithmus folgte. Doch so sollte das nicht sein, schüttelte Juri den Kopf, stieß sie bei Seite und nahm sein T-Shirt.

    „Hier, zieh das an!", befahl er auf Russisch und setzte sich von ihr weg auf einen Stuhl. Mira nahm das Shirt, zog es über und schaute ihn dabei nicht einmal an. Wieder spulte sie zu dem vorherigen Punkt zurück, setzte sich auf, folgte Juri zu seinem Stuhl und begann erneut. Ihre Hände zitterten während sie über sein Hosenbein glitt, ihre Augen waren so müde, dass sich der Kopf leicht hin und her wiegte. Sie war so erschöpft, so zerbrechlich, wen hätte das nicht berührt? Als sie sich bis zu seinem Hosenbund vorgearbeitet hatte, spürte Juri die Kälte ihrer Haut auf seinem Bauch. So gern er das auch genießen wollte, er konnte es einfach nicht.

    „Hör auf!", stieß er leise hervor. Nahm ihre Hände in seine und flüsterte auf Polnisch in ihr Ohr.

    „Du musst schlafen!", mit angestrengtem Blick sah sie ins Leere und hätte vereinnahmender nicht sein können. Selbst jetzt waren ihre grünen Augen mit den dunklen Schatten noch wunderschön. Als Juris Worte sie letztlich erreicht hatten, löste sich die Anspannung auf ihren Lippen und nur Sekunden später fiel sie wie ein Sack in sich zusammen, schloss ihre bezaubernden Augen und ließ sich mit einer Selbstverständlichkeit sachte auf seinen Schoß fallen. Es war scheinbar der einzige Ort, wo sie gedankenlos ruhen konnte. Überglücklich, fast ein wenig stolz, streichelte Juri ihren Kopf und zog sie an ihren Armen zu sich hinauf. Ihre Locken kitzelten auf seiner Brust. Sie war so dünn, dass er sie in seiner Umarmung fast verlor. Noch einmal sog er ihren Duft ein, dann hob er sie hoch und legte sie auf seine Matratze, ließ sie behutsam auf sein Kissen nieder und deckte sie liebevoll zu.

    „Du bist mein Mädchen!, lächelte er und ergänzte leise, „Mira, ich glaube, ich liebe dich!

    Das Auszusprechen fühlte sich so befreiend an. Grinsend nahm er sich eine Zigarette und genoss den Zug. Wie benebelt schmunzelte er vor sich her und beobachtete dieses wunderbare Wesen an seiner Seite.

    ‚Was hast du nur mit mir gemacht?‘, fragte er still in sich hinein. Zwei Tage, nur eine Berührung, kein Wort, kein Lächeln, einzig allein der Moment verwandelten diesen kalten Kerl in einen verliebten Jungen.

    Abermals vergingen Wochen, die Verhaltensweisen der Männer im Umgang mit den Mädels wurden immer rauer. Artem empfand großes Vergnügen, die Mädchen zu quälen. Er ergötze sich daran, sie zu bestrafen und mit aufgescheuchten Hunden zu hetzen. Er spritze den Kindern Drogen und machte aus ihnen gefügige Marionetten. Juri spürte, dass es an der Zeit war, dieses sinkende Schiff zu verlassen, doch die rechte Gelegenheit dafür, bot sich ihm einfach nicht. Und so sehr er sich auch mühte, seine Gefühle zu Mira zu verbergen, hatte Artem bereits vernommen, dass da mehr zwischen beiden lief, als Juri zugeben wollte: diese ständigen Übernachtungen in seinem Zimmer, die Autofahrten, Seite an Seite, das versteckte Essen. Juri war ein zuverlässiger Schläger, Schwerkrimineller, doch kein guter Lügner. Diese Entwicklung war Artem ein Dorn im Auge und duldete keine weitere Akzeptanz.

    Eines Abends, sie hatten die Mädchen gerade zurück ins Haus gebracht, ließ Artem Mira zu sich schicken. Als sie in die Küche trat, war er sehr charmant und lief lächelnd auf sie zu.

    „Wie hübsch du bist, wie süß du da stehst!"

    Man konnte fühlen, dass es nicht in seiner Natur lag, Frauen Komplimente zu machen und so wuchs in Mira das Unbehagen.

    „... Wie geht es dir so? Was hältst du von dem neuen Mädchen? Ich finde sie ziemlich lahm, was denkst du? Du bist sicher ziemlich durch! War echt schlechtes Wetter heute! Nicht wahr? Kaum was verdient! Keine von euch ... Tja, kein guter Tag für mein Geschäft! Aber naja ..."

    Die Müdigkeit wog schwer in Miras Gliedern und so ließ sie sich lediglich ein zögerliches Lächeln abringen, als plötzlich unerwartet und ohne Vorwarnung die Stimmung umschlug.

    „Ich weiß, dass ich dich langweile. Du wärst sicher gern viel lieber bei ihm, richtig?"

    „Was?"

    Alles geschah so schnell, dass Mira gar nicht folgen konnte.

    „Ich bin nicht so dumm, wie du denkst, ich habe Augen im Kopf!"

    Unangenehm nah kam er auf sie zu, Mira roch noch sein widerliches Aftershave, als im gleichen Moment ein leichter Schmerz ihren Innenarm durchzuckte.

    „Wirklich schade um dich!"

    Seinen Satz hörte sie nur noch dumpf in der Ferne, eine wohlige Wärme durchströmte ihren Körper und machte die Luft in ihren Lungen ganz leicht. Die Spannung in den Muskeln ließ nach und ihre Beine begannen zu schweben.

    Gehässig beobachte Artem wie Mira zu Boden ging. Die Spritze steckte immer noch in ihrer Vene und füllte sich langsam mit Blut.

    „... Niemand verarscht mich in meinem Haus, selbst wenn es mein bestes Mädchen ist. Sorry Kleine, aber du hast es nicht besser verdient. Und dein Juri wird mich auch noch kennenlernen!"

    Dann packte er Mira achtlos an ihren Beinen und schleifte sie hinüber in die Abstellkammer. Wie ein nutzloser Sack wurde sie in eine Ecke abgestellt, wohlwissend, dass sie keine Chance gegen die Überdosis Heroin haben würde. Die Tür schloss sich und Artem ging weiter seiner Arbeit nach, als wäre nie etwas gewesen.

    Es dauerte nicht lange und Juri hatte Miras Verschwinden bemerkt. Von Angst getrieben, suchte er alle Räume nach ihr ab, die Panik schnürte ihm die Kehle zu. Er ahnte schlimmes und sollte nicht enttäuscht werden.

    Regungslos lag sie in der Abstellkammer auf dem Boden und atmete kaum noch. Entsetzt fiel Juri vor ihr auf die Knie, versuchte noch durch Ohrfeigen sie wachzurütteln, schrie und verstand da erst schmerzlich, dass es nie den rechten Zeitpunkt gegeben hätte.

    Als die Ärzte im Krankenhaus über Miras zierlichen Körper hingen, sie beatmeten, aufgeregt alles für ihr Überleben taten, zerriss es Juri. Er kannte nur ihren Namen, ihren Duft, das Land woher sie kam, sonst nichts! Sie hatten sich nie unterhalten, nie zusammen gelacht. Da war so viel, was es noch zu erleben galt und er hatte die Chance darauf vertan. Der Gedanke machte sein Herz schwer! Ein Tag ohne sie, wäre nicht länger lebenswert. Sie war seine einzige Liebe! Und diese Arschlöcher hätten sie ihm fast genommen. Das alles war seine Schuld und die Gewissheit machte ihn krank. Doch er würde es wieder gut machen!

    Mira schlief tief und Juri wachte an ihrem Krankenbett. Erst als ihm die Ärzte nach drei Tagen überzeugend versicherten, dass sie wirklich außer Lebensgefahr sei, erlaubte er sich endlich etwas Ruhe. Es war die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm. Denn er brauchte Kraft - Kraft, um diesem Elend endlich ein Ende zu setzen.

    Um drei Uhr morgens hallte das Pendel der alten Kaminuhr durch den Flur. Artem saß nichts ahnend mit seinen Männern in der Küche. Gut gelaunt lachten sie über ein paar versaute Witze aus der Tageszeitung, als plötzlich Juri unerwartet in der Tür stand.

    „Juri? ... Du traust dich noch einmal hier her? Nicht nett, dass du einer meiner Mädchen entführt hast! Ich habe in der Stadt schon nach dir suchen lassen. Du hattest Glück, dass man dich nicht finden konnte!"

    Zwischen seinen starken Männern empfand sich Artem überlegen und wusste, dass ihm Juri nichts antun würde. Dennoch unbeeindruckt trat Juri ein und setzte sich zu ihnen an den Tisch.

    „Ich kann mich nicht daran erinnern, dich aufgefordert zu haben, einzutreten!", fauchte Artem empört und drückte seine Zigarette auf dem Holztisch aus. Einer seiner Männer zuckte schon, da wies ihn Artem mit einer Geste zurück, wartend auf das Anliegen, was Juri hervor bringen würde, obwohl er wusste, dass diese Begegnung nicht diplomatisch ausgehen würde. Doch statt unterwürfiger Haltung, legte Juri nur kindlich seinen Kopf zur Seite und blitzte fröhlich mit seinen kühlen Augen.

    „Das war nicht schlau, Artem! Mira ist mein Mädchen, was hattest du daran nicht verstanden?"

    Angespannt lehnte sich Artem zurück und antwortete genervt: „Das Problem ist, es gibt hier nichts, was dein ist. Du kannst hier nicht reinkommen und dir nehmen, was du willst! Es sei denn, du zahlst dafür!"

    „Wieso? Wir sind doch auf dem Basar! Deine Worte!"

    „Du hast den Kodex verletzt ..., schnaufte Artem hämisch, „... und bist raus. Das Mädchen hole ich mir wieder. Sie wird jeden verdammten Tag abarbeiten, den sie versäumt hat. Ich habe genug Geld durch euer Affentheater verloren!

    Juri lächelte nur zynisch, dabei formte sich sein Gesicht zu einer bedrohlichen Fratze. Nachdenklich hob er das Kinn und rieb sich das Grübchen.

    „Gut, du hast Recht. Ich will bezahlen. Was bekommst du?"

    Erhaben beugte sich Artem über mehrere Bündel Geld und schob diese bei Seite.

    „Alles! Alles, was du hier je verdient hast!"

    Zu aller Überraschung nickte Juri nur und senkte den Blick.

    „Das ist viel!"

    „Nicht genug, aber ein Freundschaftspreis für dieses Flittchen!"

    Stille! Juri verharrte einen Moment, die Luft war zum Schneiden. Als er sich zurück setzte, richteten sich die Männer reflexartig auf. Sie waren auf alles gefasst und warteten nur auf seinen Zorn. Beschwichtigend streckte Juri die leeren Hände nach oben, grinste und drückte sich dann aus dem Stuhl. Unverkrampft lief er zur Tür.

    „Beruhigt euch Jungs. Ihr seid zu sechs und ich bin allein. Rechnen kann ich auch! Also entspannt euch. ... Ich werde jetzt das Geld holen und dann verschwinde ich. Die Möglichkeit werde ich ja wohl noch haben?" Artem nickte zustimmend und griff nach seiner Packung Zigaretten.

    „Gut, dann gehe ich jetzt, aber schön hier warten, ok!"

    „Folge ihm!, befahl Artem einem der Männer und war verblüfft, dass Juri schon wieder in der Tür stand. „Da bin ich wieder!, verkündete Juri mit hoher Stimme und einem Sack in der Hand.

    „So viele Geldscheine sind schwer, wisst ihr!"

    Dann ging alles ganz schnell. Er ließ den Sack fallen und eine glänzend polierte Axt kam zum Vorschein. Juri verzichtete auf weitere Worte und machte es kurz. Er ließ das Beil fliegen und enthauptete Artem vor den Augen seiner Männer. Sein Kopf rollte über den Tisch zu den Geldscheinen, das Blut lief an der Kante über und tropfte in dicken Klecksen auf den Boden. Schockiert sprangen die Männer auf.

    „Jeder bleibt da, wo er jetzt sitzt! Ihr alle wisst, dass der Typ hier ein Schwein war! Nehmt euch euer Geld und verpisst euch. Lasst die Kinder frei und vielleicht wird sich Gott eurer erbarmen. Falls einer von euch nur daran denkt, mir aufzulauern oder mich zu bedrohen, dem Gnade der Teufel. Ich reiße euch in Stücke, zerlege euch in Einzelteile. Lasst euch eines gesagt sein: einem Killer nimmt man nicht das Mädchen!"

    Dann drückte Juri Artems Leichnam gleichgültig vom Stuhl. Der Knall ließ die Männer zurückweichen und schaudern. Als er dann in der Tür verschwand, sah ihm keiner nach, sie ließen ihn einfach ohne ein Wort gehen. Niemand wollte mehr folgen. Es war vorbei und Juri hatte den rechten Preis dafür bezahlt.

    „Doktor! Das Mädchen ist weg! Sie hat einen Zettel hinterlassen, darauf stand, dass sie weiter muss und bedankt sich für die Hilfe! Was sollen wir tun?"

    Der Arzt zuckte mit den Achseln.

    „Was wohl? Wir werden dem Jugendamt wieder absagen müssen. Die Straßenkinder sind eben schwer festzuhalten."

    „Aber sie ist doch auf Entzug!", erwiderte die Schwester besorgt.

    „Naja, dann haben sie ja jetzt die Antwort, warum sie wieder weiter musste!"

    Der Mediziner setzte seine Arbeit fort und dachte nicht weiter über das Mädchen nach.

    Der Winter war kalt, es herrschten Minusgrade und dennoch hatte Mira einen feuchten Schweißfilm auf der Stirn. Ihr Gang war wacklig, Juri stützte sie zwar so gut er konnte und legte seinen Mantel um ihre Schultern, doch das Klappern der Zähne wollte einfach nicht verstummen.

    „Bitte bring mich nicht zurück!", flehte sie mit größter Anstrengung und Juri drückte sie ganz fest an sich.

    Nach wenigen Metern hatten sie ihr Ziel erreicht. Eine Tür öffnete sich und zwei Treppen weiter schloss Juri eine Wohnung auf. Fast schüchtern sprach er leise auf Polnisch: „Hier würden wir erst einmal wohnen. Es ist einfach, nur für den Anfang, bis ich was Neues gefunden habe!"

    Überrascht sah Mira zu ihm auf: „Du sprichst Polnisch?"

    Mit einem kindlichen Lächeln sperrte Juri die Tür hinter sich zu.

    „Ja, ist meine Muttersprache." Mira hätte gern noch mehr gefragt, doch diese Bauchkrämpfe ließen sie nicht länger ruhen.

    Der Entzug dauerte fast 10 Tage. Das Gift folterte ihre matten Glieder und quälte sie pausenlos. Juri wich nicht von ihrer Seite. Er hielt ihr den Kopf, wenn sie sich übergab, versuchte mit Wadenwickel ihr Fieber zu senken, päppelte sie mit Dosensuppen wieder auf und wenn sie fror, kuschelte er sich an sie und genoss ihre sanften Berührungen. Juri ließ keinen Moment verstreichen um bei ihr zu sein. Sie war sein Ein und Alles und es gab nichts, was wichtiger war. So langsam erweckte er Mira wieder zum Leben und hoffte an jedem Tag, dass sie irgendwann genauso fühlen würde, wie er.

    Viel Zeit verging und dennoch tat sich Mira schwer, diesen großen starken Mann, mit seinen eisblauen Augen zu lieben.

    Ihre Kälte quälte ihn und lehrte, dass man Zuneigung nicht kaufen konnte, man muss nun mal hart dafür arbeiten und das tat er! Pausenlos!

    Der Februar war hart und ließ die Scheiben sogar von innen gefrieren. Miras Husten war kaum zu kurieren und zu allem Übel wurde auch noch der Strom abgestellt. Verzweifelt raufte sich Juri den Kopf und versuchte seine Mutlosigkeit vor Mira zu verbergen.

    „Sag mir doch, was los ist?", fragte sie schüchtern und kletterte dabei übers Bett zu ihm heran.

    „Es ist nichts.", antwortete er beschämt und stellte sich an das Fenster. Es hatte etwas Kindliches, wie er mit den vergilbten Vorhängen spielte und sich nicht traute, zu Mira zurück zu sehen. Man konnte fühlen, dass Juri haderte und Angst hatte, das auszusprechen, was eh schon offensichtlich war. Und gerade in diesem Moment, als er am verletzlichsten schien, begann in Mira etwas zu keimen, was sie nicht mehr gehofft hatte zu fühlen: tiefe Zuneigung. Es passierte einfach so und ließ Mira nicht länger zögern. Sie stellte sich zu Juri ans Fenster und suchte mit ihren Händen nach seinem Körper. Fast ungläubig verfolgte Juri ihre Arme, wie sie liebevoll von hinten seinen Bauch umschlossen und hätte glücklicher nicht sein können.

    „Sag mir doch einfach was du hast?"

    Vertraut stützte sie ihren Kopf an seinen Rücken und kuschelte sich an seine weiche Haut. Wärme durchströmte Juris Körper, er hielt Miras Hände ganz fest, schloss die Augen und genoss den Moment. Selbst jetzt, ohne Strom, schien die Welt nicht mehr ganz so hoffnungslos.

    „Ich will nicht, dass du dir Sorgen machst!", flüsterte er fast ängstlich und blickte sehnsüchtig zu ihr zurück. Ein Moment der Stille verging und plötzlich fühlte sich alles so einfach an. Liebevoll nahm er ihren Kopf in seine Hände. Miras Herz pochte, sie wusste nicht was sie fühlen oder denken sollte. Seine Hände ließen ihre Kälte endlich schmelzen und zogen sie enger an sich. Erst wich sie schüchtern zurück, doch dann wollte sie es auch. Seine Lippen auf ihren. Ganz vorsichtig ertaste er ihren Mund, ihr Gesicht, immer in Angst, sie würde ihn abweisen, doch umso mehr er sich an sie schmiegte, so intensiver erwiderte sie dieses Verlangen. So viele Stunden, in denen er davon geträumt hatte und endlich wurde es wahr: sein Mädchen ganz fest in seinen Armen. In jener Nacht ließ er ungehemmt seinen Emotionen freien Lauf, hob sie nach oben und drehte sich mit ihr langsam durch das Zimmer. Ungehalten küsste sie ihn weiter und machte Juri zum glücklichsten Menschen. So viele Probleme, die sie umgaben, doch im Jetzt und Hier schien alles perfekt. An diesem Abend schliefen sie das erste Mal miteinander. Es war der entscheidende Abend, der alles veränderte.

    Eingekuschelt lagen sie noch lange wach. Alles fühlte sich an wie ein Traum, bis die Gegenwart sie wieder ein hatte.

    „Sagst du mir jetzt, was du vorhin hattest?"

    Da war es wieder, dieses Stechen in der Brust. Juri atmete schwer und spielte dabei mit ihren Fingern.

    „Ich bin kein guter Lügner, also gut. Die haben mir den Strom abgestellt und die Miete bin ich seit zwei Wochen schuldig. Wenn

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