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Wer zuletzt stirbt, lebt am längsten: Kriminalroman
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Wer zuletzt stirbt, lebt am längsten: Kriminalroman
eBook272 Seiten3 Stunden

Wer zuletzt stirbt, lebt am längsten: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Achterbahnfahrt mit Leichenwagen

Eigentlich sollen Borg und Romanov von der "Detektei Mystica" nur eine Zigeunerin finden, die ein Klient für den angeblich auf ihm lastenden Fluch verantwortlich macht. Als Romanov spurlos verschwindet, dafür aber unverhofft die Leiche der Zigeunerin in der Detektei liegt, gerät Borg in Erklärungsnot.

Die Suche nach dem Mörder führt ihn ins Dortmunder Nordstadtghetto, eine Brutstätte absonderlichster Lebensentwürfe und Magnetfeld für Scherereien. Dass sich sein Intimfeind Talbot in die Ermittlungen einschaltet, und er endlich auf eine Spur des Mannes stößt, der ihn während seiner Schulzeit entführt hat, vereinfacht den Fall nicht gerade.

Als Borg mit dem König der Nordstadt aneinander gerät und auf die Leiche eines Jesuitenpaters stößt, verdichtet sich die Gewissheit, dass er einem Geheimnis auf der Spur ist, dessen Bewahrer auch ihn aus dem Weg räumen würden, um ihre Machenschaften zu vertuschen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. März 2017
ISBN9783954413744
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    Buchvorschau

    Wer zuletzt stirbt, lebt am längsten - Markus Niebios

    EPILOG

    1. KAPITEL

    BUBI

    Es sagt eine Menge über dein Leben aus, wer dich vom Flughafen abholt. Familie. Kollegen. Die Polizei.

    Beim Anblick unseres Chauffeurs kam ich jedenfalls ins Grübeln. Nichts gegen Schamanen, sie wollen auch nur Geld verdienen, aber wir hätten ein Taxi rufen sollen. Die Mitleidsmienen der aus dem Ankunftsterminal strömenden Reisenden sprachen Bände. Selbst das Großmütterchen, dessen Koffer ich aus Behilflichkeit über die Bordsteinkante wuchten wollte, sah mich an wie einen Gepäckdieb.

    Hinsichtlich des Geldverdienens schien Nana Mobango nicht weit gekommen zu sein. Der Zustand seines VW-Bullis warf die Frage auf, ob wir es ohne den ADAC rechtzeitig zum Termin in die Detektei schaffen würden. Die Schiebetür klemmte, und durch die Bodenkarosserie fraßen sich Roststellen. Außerdem mussten Romanov und ich auf der Rückbank Platz nehmen, weil ein Monstrum von Wasserpfeife den Gurt des Beifahrersitzes in Anspruch nahm.

    Auch an die Zeremonienkluft unseres Fahrers musste ich mich erst gewöhnen. Nana Mobango trug einen Umhang aus Maulwurfsfell, und auf der Lederkappe thronte ein ausgestopftes Exemplar des Gärtnerschrecks. Noch eindrucksvoller präsentierte sich seine Gesichtsbemalung. Die Kalkbalken prangten wie Signalstreifen von Verkehrswesten auf dem endgültigen Samtschwarz der Wangen.

    Den Weg vom Flughafen zur Detektei legten wir in Schleichfahrt zurück, da der Ritus dem Schamanen vorschrieb, sich rechtzeitig auf die Trance einzustimmen. Romanov musste Nana mehrfach antippen, damit er überhaupt weiterfuhr. Als der Bulli endlich in die Parklücke vor der Detektei kroch, erblickte ich das nächste Hindernis.

    Im Vorgarten unseres Acht-Parteien-Hauses ächzte ein Campingstuhl unter Frau Zenker. Das Gewicht ihres Körpers drückte seine Stahlbeine zentimetertief in den Rasen. Sie zupfte sich den Blümchenkittel mit einer Genugtuung zurecht, die Ärger versprach. Nachdem auch der Dutt zu ihrer Zufriedenheit saß, fächerte sie sich mit einem Brief Luft zu.

    Romanov band sich die Silbermähne mit einem Haargummi zum Zopf, während er die Bedrohung im Vorgarten durch die Häkelgardinen des Bullis taxierte. »Es muss ja nichts mit dir zu tun haben«, sagte er.

    Über den Dachschindeln der Häuserzeile prahlte ein stahlblauer Himmel mit Schäfchenwolken. Ab und zu schwebten Altweiberfäden vorbei. Kein Schauer in Sicht, der die Zenker zurück ins Haus hätte treiben können.

    »Wir bekommen Nana nie im Leben an ihr vorbei«, sagte ich. »Schon gar nicht in dieser Aufmachung.«

    »Wie viel Zeit bleibt uns, bis der Klient in der Detektei auftaucht?«, fragte Romanov.

    »Keine halbe Stunde«, sagte ich.

    Doktor Limpers Anruf hatte mich in Rom erreicht, als wir gerade für den Rückflug nach Dortmund eincheckten. Er wollte unsere Detektei engagieren, weil angeblich ein Fluch auf ihm lastete. Bei Aberglauben half nur ein Gegenzauber, da bot es sich an, Nana Mobango zu engagieren. Seine Performance galt in Fachkreisen als legendär, außerdem war er Romanovs Nachbar und machte uns einen Spezialpreis.

    Die Haustür entließ Herrn Zenker in den Vorgarten. Während unser Nachbar auf seine Frau zuschlurfte, stopfte er einen Hemdzipfel zurück in die braune Bundfaltenhose, den sein Bauch durch das Schaukeln beim Gehen alle paar Minuten wieder herauszog. Man sah Herrn Zenker an, dass er sich damit abgefunden hatte, als einzige Auszeichnung im Leben eine Sterbeurkunde zu erhalten. Passend zur Lebenseinstellung trug er Sandalen, eine Buchhalterbrille und das Resthaar so über den Scheitel gelegt, dass es im Schwimmbad einen halben Meter neben ihm trieb.

    In seinem Schlepptau trippelte Bubi, der Schoßpudel der Zenkers. Als der Hund sein Frauchen entdeckte, stürmte er an Herrn Zenker vorbei und raste winselnd vor Glück um den Campingstuhl herum.

    »Könntest du das Fenster runterkurbeln?«, bat ich Nana.

    Die Zenker kramte ein Leckerli aus ihrer Kitteltasche. Neben einem unerschöpflichen Vorrat an Hundenaschwerk hielt sie dort ein Notizbüchlein bereit, um die Verfehlungen der Nachbarn zeitnah dokumentieren zu können. Der Legende nach ruhte in den Tiefen der Tasche auch ein uraltes Amulett, mit dem Frau Zenker das Tor zur Hölle öffnete, wenn es Zeit zum Schlafen war.

    Bubi machte Männchen, erhielt seine Belohnung und schlang sie hinunter.

    »Wann willst du denn mal wieder rein?«, fragte Herr Zenker seine Gebieterin.

    Sie schlug den Brief auf ihre Handfläche. »Heute kommt Borg zurück! Ich weiß es von der Schmittke. Die hat’s von Hetti Kapischke, weil ihre Tante die Mutter vom Nachbarsjungen kennt, der so lange die Blumen macht.«

    Romanov seufzte. »Kannst du den Klienten zu einem anderen Treffpunkt bestellen?«, fragte er mich.

    »Drachen besänftigt man nicht durch Rückzug oder Kapitulation«, sagte ich. »Man muss gegen sie kämpfen.

    »Welche Blumen jetzt?«, fragte Herr Zenker.

    »Wie viel Bier hast du dir wieder in den Kopf geschüttet?«, fuhr seine Frau ihn an.

    Der Pudel nahm Abführhaltung ein.

    »Gib ’ne Tüte!«, forderte die Zenker ihren Mann auf. »Der Hund muss mal!«

    Bubi stierte angestrengt in die Ligusterhecke, dann jaulte er auf und begann sich im Kreis zu drehen, als wollte er sein Stummelschwänzchen fangen.

    Herr Zenker durchwühlte beide Hosentaschen, fand aber nichts.

    »Hol eine von oben!«, schrie ihn seine Herrin an. Sie stand auf, um das Problem des Pudels in Augenschein zu nehmen. Der Campingstuhl blieb dabei an ihrem Hinterteil klemmen. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du die Leberwurst nach dem Abendbrot in den Kühlschrank räumen sollst!«, brüllte sie Richtung Tür, aber das Ziel ihrer Wut eilte bereits das Treppenhaus hinauf.

    Frau Zenker steckte den Brief in ihre Kitteltasche, packte Bubi im Genick und drückte sein Gesicht in den Rasen. Dann zog sie eine Plastikpelle aus dem Rektum des Hundes, die das Verrichten des Geschäfts verhinderte.

    »Sollst du Leberwurst mit Verpackung fressen?«, belehrte die Zenker ihr Haustier. Sie schwenkte die Kunststoffhaut mit spitzen Fingern vor seiner Schnauze. »Das ist pfui!«

    Bubi winselte in ihrem Würgegriff.

    Fräulein Rabenhorst hatte sich einen ungünstigen Zeitpunkt für ihre Heimkehr ausgesucht. Als sie die Zenker mit der Wurstpelle in der Hand über dem Pudel stehen sah, erstarrte sie auf den Gehwegplatten zur Skulptur einer Ertappten. Der abrupte Halt ließ die Gläser in ihren Einkaufstaschen gegeneinanderschlagen. Es klirrte.

    Frau Zenker drehte sich um wie die Bösewichte im Western, wenn der Sheriff mit klingelnden Sporen in den Staub der menschenleeren Straße tritt, um die Angelegenheit auszuschießen. Sie zog den Stuhl von ihrem Hintern und stellte ihn auf den Rasen. »Beim Türken eingekauft?« Ihr Zeigefinger deutete auf die Plastiktüten in Fräulein Rabenhorsts Händen. »Das Zeug stinkt jedes Mal das Treppenhaus voll!«

    »Sie haben mir gar nichts zu sagen«, sagte Fräulein Rabenhorst. Es klang, als könnte sie es selbst nicht glauben.

    »Frauen von Ihrem Schlag kochen nur, wenn Männerbesuch ins Haus steht«, giftete die Zenker. »Die Nachbarn tuscheln schon. Warum stellen Sie sich nicht gleich ’ne Laterne ins Fenster? Oder kommt das Rotlicht nicht durch die Dreckschicht auf Ihren Scheiben?«

    Statt der Laterne glühte Fräulein Rabenhorsts Gesicht auf.

    »Ihre Schrottkarre sieht auch aus wie Sau«, setzte die Zenker nach. »Schon mal was von Waschen gehört? Sie bringen das ganze Haus in Verruf!« Das Organ der Zenker dröhnte in einer Lautstärke durch den Vorgarten, dass die Schmittke aus dem zweiten Stock das Fenster öffnete, um nach unten zu spähen. »Warum rennen Sie eigentlich immer mit Stöckelschuhen in der Wohnung rum?«, wollte die Zenker wissen. »Das hört man bis unters Dach. Steckt bestimmt so ein Sexkram dahinter!«

    Fräulein Rabenhorsts Stimmchen zitterte vor Empörung. »Wenigstens durchwühle ich nicht den Müll von anderen Leuten!«

    Die Meuterei brachte das Drachenblut der Zenker in Wallung. »Bei meinen Kontrollen musste ich feststellen, dass Sie ihn nicht vorschriftsgemäß trennen«, schnaubte sie. »Die Vermieterin schickt Ihnen deswegen noch einen Brief. In diesem Haus duldet man nämlich keine Schlampen!«

    Fräulein Rabenhorts Schultern sackten nach unten, als hätte die Zenker den letzten Rest ihrer Widerstandskraft zermalmt und die Lebensmittel in den Tüten zu Blei verwandelt. Sie flüchtete mit gesenktem Kopf zur Eingangstür.

    »Niemand latscht hier mit Schmutzschuhen ins Haus«, schrie Frau Zenker ihr hinterher. »Und unterstehen Sie sich, die Galoschen an der Fußmatte abzutreten. Den Dreck müssen hinterher wieder andere für Sie wegmachen.«

    Fräulein Rabenhorst schlüpfte auf Ringelsocken durch die Eingangstür. Der Hausdrachen walzte hinterher, um ihr im Treppenhaus den Rest zu geben, während die Schmittke zur Wohnungstür eilte, weil sie nichts verpassen wollte.

    »Böser Dämon reiten Weib«, sagte Nana Mobango. Er befummelte das um seinen Hals hängende Knochenamulett.

    »Kannst du die Stimme der Zenker imitieren?«, fragte ich Romanov.

    Mein Partner begutachtete den Krümel auf dem Ärmel seines Gehrocks, bevor er das Andenken ans Flugzeugsandwich verköstigte. »Soll ich dich erschrecken, weil du an Schluckauf leidest?«, fragte er.

    Ich musste Gewalt anwenden, um die Schiebetür des Bullis zu öffnen. »Ruf das Hundchen. Aber so, dass man es im Haus nicht hört.«

    Romanov verneigte sich in meine Richtung. »Bubi!«, lockte er den Pudel. »Männlein, komm fein bei Mutti. Die Mama hat Leckerchen!« Romanovs Glanzzeit als Stimmenimitator, Showhypnotiseur und Illusionist lag eine Weile zurück, aber er könnte aus dem Stand wieder ins Showgeschäft einsteigen.

    Der Hund unterbrach das Herumschnüffeln am Campingstuhl, stellte sich auf die Hinterpfoten und klappte ein Ohr nach oben. Er sah erst zur Tür, dann Richtung Bulli.

    »Bubi, komm wacka«, rief Romanov.

    Der Pudel kläffte vor Entzücken, während er Richtung Heckendurchgang raste. Auf dem Bürgersteig sah er sich suchend um.

    »Wacka Leckerchen«, tönte die Zenkerstimme aus Nana Mobangos Schamanengefährt.

    Bubi trippelte näher, zögerte einen Augenblick, sprang dann aber in den Bulli. Als der Pudel Romanov entdeckte, begann er zu knurren. Der Hund schien nicht vergessen zu haben, dass ihr letztes Aufeinandertreffen mit Sambal Oelek in seiner Nase geendet hatte.

    Romanov drohte ihm mit dem Gehstock. »Was jetzt?«, fragte er mich.

    Bubi nutzte die kurze Unaufmerksamkeit meines Partners, um ihm in die Wade zu beißen.

    Romanov schrie vor Schmerz, dann hämmerte er den Gehstockknauf auf den Kopf des Pudels. Der Hundekörper erschlaffte, blieb aber an Romanovs Bein hängen, weil er sich verbissen hatte. Romanov zog Bubis Kiefer auseinander und betrachtete die rot verfärbten Spitzen der Fangzähne. Dann legte er das Tier auf den Fahrzeugboden. »Er wirkt erschöpft«, sagte mein Partner, während er nach dem Puls des Hundes tastete. Obwohl er sich Mühe gab, die Contenance zu wahren, merkte man ihm die Bestürzung über den Ausgang ihrer Auseinandersetzung an.

    Ein Wischer meines Zeigefingers ließ die Kontakte im Telefonbuch des iPhones rotieren.

    »Suchst du in den Weiten des Internets nach einem Pudelnotdienst«, fragte Romanov, »oder willst du eine Defibrillator-App herunterladen?«

    Ich legte den Zeigefinger an die Lippen.

    Herr Zenker nahm ab.

    »Ihr Hund befindet sich in unserer Gewalt«, sagte ich mit verstellter Stimme. »Wir verlangen fünfhundert Euro. Fahren Sie zum Nordmarkt. Warten Sie auf einer der Spielplatzbänke, bis wir Ihnen weitere Anweisungen geben. Bleiben Sie unter allen Umständen dort sitzen, egal wie lange es dauert. Keine Polizei, sonst stirbt er!« Ich beendete den Anruf, ohne eine Antwort abzuwarten.

    Romanov drehte Bubi auf den Rücken. Er bewegte die Vorderbeine des Hundes auf und ab wie Pumpenschwengel. »Kannst du in deinem Telefon sehen, ob sie im Tierheim einen schwarzen Pudel vermitteln?«, fragte er mich.

    Keine drei Minuten später stürzten die Zenkers in den Vorgarten. Als sie Bubi nicht fanden, trieb Frau Zenker den Gatten Richtung Garagen. Zum ersten Mal entdeckte ich so etwas wie Besorgnis in der Miene des Hausdrachens. Die beiden entwickelten trotz ihrer Abneigung gegen Sport und gesundes Essen eine erstaunliche Geschwindigkeit.

    »Wir können dann rein«, sagte ich.

    »Meine Anerkennung«, sagte Romanov, »aber was machen wir mit dem Hund?«

    Nichts gegen Schamanen, sie wollen auch nur Geld verdienen, aber vielleicht hätten wir einen Tierarzt rufen sollen. Am meisten störte mich, dass ich nichts sehen konnte. Brokatvorhänge verdunkelten die Detektei, sodass man die Vitrinen mit den Voodoopüppchen neben unserer Bibliothek der Absonderlichkeiten bloß noch erahnen konnte. Als letzte Erinnerung an das Kronleuchterlicht glimmte ein Phosphorschimmer in den Augen der unter der Decke hängenden Krähen. Ich behielt die Fernbedienung für den Lichtschalter in der Hand, weil der Klient jeden Moment auftauchen musste.

    Nana Mobangos Fußsohlen patschten über das Parkett, während er der Schamanentrommel einen Trance-Rhythmus entlockte. Monotoner Sprechgesang unterlegte den Tanz. Alle paar Minuten hielt er ein brennendes Streichholz an einen der Kegel, die im Kreis um Bubi standen. Als ihre Spitzen Feuer fingen, zog Weihrauchgeruch durch den Raum. Das Glühen der Kegel schälte die Silhouette des Hundes aus der Dunkelheit.

    Neben mir knurrte Romanovs Magen.

    »Was tut Nana da?«, fragte ich ihn.

    »Er versucht, Bubis Seele zurückzuholen«, flüsterte mein Partner zurück.

    »Muss dabei zwingend Finsternis herrschen?«

    »Alle Schamanen arbeiten mit einem Krafttier, das ihnen hilft, Kontakt zur Geisterwelt aufzunehmen. Meist Adler, Bären oder Wölfe, je nachdem, welches Tier ihnen bei der ersten Schamanenreise begegnet. Bei Nana war es eben ein Maulwurf.«

    Jemand klopfte an die Tür der Detektei. Obwohl ich auf den Knopf der Fernbedienung drückte, wollte die Dunkelheit nicht weichen.

    Als der Klient eintrat, schossen Stichflammen aus den Kegeln. Beim Anblick des im Dämmerlicht tanzenden Schamanen stieß er einen Schreckensschrei aus, dann polterte seine Krücke auf das Parkett. Bevor der Mann umkippte, fasste er sich ans Herz.

    Ich hielt das andere Ende der Fernbedienung Richtung Funkschalter. Diesmal flammte der Kronleuchter auf. Nana Mobango schlug die Hände vors Gesicht, als würde ihm die Helligkeit Schmerzen zufügen.

    Romanov und ich eilten zu dem am Boden liegenden Klienten. Sein rechtes Bein steckte in einem Gips und der linke Arm in einer Fixierschlaufe. Alle nicht von seinem Trainingsanzug bedeckten Körperteile waren bandagiert oder verpflastert, selbst der Kopf.

    »Eine Mumie«, raunte Romanov mir zu. »Wir hätten einen Schamanen aus Ägypten engagieren sollen.«

    Der Mann kam erst wieder zu Bewusstsein, als wir ihn auf den Holzthron verfrachtet hatten, der unseren Kunden als Sitzplatz diente. Er brauchte eine Weile, um sich zu orientieren.

    »Herzlich willkommen in der Detektei Mystica!«, begrüßte ich ihn, während Romanov ihm eine Plastiktüte mit Eiswürfeln auf den Kopfverband legte.

    »Ich dachte, jetzt holt mich der Leibhaftige«, sagte der Klient. »Solche Geschichten macht mein Herz nicht mehr mit!«

    Romanov öffnete die Fenster, um Frischluft hereinzulassen.

    »Wir bitten, die Umstände zu entschuldigen«, sagte ich.

    Der Mann schnupperte dem abziehenden Weihrauchgeruch hinterher. »Ich habe mich für diese Detektei entschieden, weil Ihr Ermittlungsansatz zu meinem Problem passt. Wer ahnt denn, dass Sie mit schwarzer Magie arbeiten?« Ein Hauch von Lispeln umwehte seine S-Laute.

    »Spielen Sie auf die Hautfarbe unseres Mitarbeiters an?«, bemerkte Romanov, ohne dem Mann ein Lächeln zu entlocken.

    »Was kann die Detektei Mystica für Sie tun, Doktor Limper?«, fragte ich ihn.

    Der Arzt versuchte, sich unter dem Gips zu kratzen. Kein einfaches Unterfangen für eine Mumie. »Ich praktiziere in der Nordstadt«, erzählte er. »Meine Mitarbeiter sind Kummer gewohnt und wissen mit Patienten aus fremden Kulturen umzugehen, aber seitdem so viele Roma ins Viertel kommen, stoßen wir an unsere Grenzen.« Er schob sich den Eisbeutel an die richtige Stelle. »Die Zustände in ihren Häusern sind katastrophal. Um das Schlimmste zu verhindern, schicke ich Impfteams da rein, obwohl man die Einsätze nicht mit der Krankenkasse abrechnen kann. Diese Leute zahlen nämlich keine Versicherungsbeiträge.«

    Es bereitete mir Mühe, den Arzt zu lesen, weil sein Gesichtsverband nur die Augen und den Mund freiließ. Die vor Schlafmangel geschwollenen Lider erschwerten das Unterfangen zusätzlich.

    »Vor zwei Wochen kam dann diese schwarzgelockte Furie in meine Praxis. So ein Vollblutweib mit Glut in den Augen. Sie platzte ins Behandlungszimmer und drohte mich zu verfluchen, wenn ich nicht aufhöre, ihre Leute krankzumachen.«

    »Verständlich«, sagte Romanov. »Die Heiler der Roma arbeiten ausschließlich mit Naturheilmethoden. Blut abzunehmen oder Injektionen zu verabreichen, gilt bei ihnen als baledschido, als unrein. Bei diesem Volk herrschen noch die Sitten der Altvorderen. Wer sich nicht an die Tradition hält, wird ausgestoßen.«

    »Ich habe mich von dem Gerede jedenfalls nicht einschüchtern lassen«, fuhr Doktor Limper fort. »Die Woche drauf kam die Frau wieder, murmelte Zaubersprüche und spuckte auf meinen Schuh. Damit bei jedem Schritt das Pech an meinen Füßen klebt, sagte sie. Zum Abschied drohte sie mir damit, dass mich der Teufel holt, wenn ich nicht aufhöre, ihre Leute zu behandeln. Sie können sich nicht vorstellen, was mir seitdem alles an Missgeschicken widerfahren ist.« Er deutete auf seine Verbände. »Alles Brüche oder Verletzungen durch Unfälle. Zu allem Überfluss gibt in der Praxis ein Apparat nach dem anderen den Geist auf. Zwei meiner Mitarbeiterinnen wollen schon kündigen.« Die Verzweiflung raubte ihm für einen Moment die Stimme. »Sie müssen mir helfen, diesen Fluch zu brechen!«, flehte er.

    »Unser Mitarbeiter aus Ghana gilt als Koryphäe auf diesem Gebiet«, tastete ich mich vor. »Sollen wir ihn zurückrufen?«

    Doktor Limper winkte ab. »Den Schamanen können Sie nach Hause schicken. Ich weiß, welches Ritual man durchführen muss, um den Fluch zu beenden. Wenn Sie mir ein paar Zutaten besorgen, erledige ich den Rest selber.«

    Mein Nicken gab ihm zu verstehen, dass wir dafür Verständnis aufbrachten. Die Detektei Mystica holte jeden Klienten dort ab, wo er stand, schließlich bezahlten sie uns, damit wir ihre Sorgen ernst nahmen.

    »Für den Gegenzauber benötigt man die Feder eines Uhus, den Namen der Hexe und eines ihrer Haare«, zählte Doktor Limper auf. »Freiwillig wird sie keins hergeben, so viel verrate ich Ihnen schon mal. Eine Ampulle mit dem Blut einer Jungfrau lagert bereits im Kühlschrank meiner Praxis. In der Beziehung sitze ich an der Quelle.« Unter der Oberfläche seines Kicherns brodelte Hysterie.

    »Der Uhu gilt als Hexenvogel«, sagte Romanov, »das erklärt sich von selbst, aber wozu brauchen Sie das Haar und den Namen?« Als Ex-Illusionist stand mein Partner dem Phänomen Magie aufgeschlossener gegenüber als ich.

    Immerhin entspannte sich der Doktor, weil er merkte, dass Romanov ihm glaubte. »Um die Verwünschung aufzuheben, muss man den Federkiel in das Blut tauchen, den Namen der Verursacherin auf ein Pergament schreiben, das Schriftstück zusammenrollen und mit dem Haar zuknoten. Dann kommt es in eine Tiefkühltruhe, damit der Fluch einfriert.«

    »Vielleicht gibt es eine zweite Erklärung für Ihre Pechsträhne«, sagte ich. »Als Arzt kennen Sie sicherlich den Nocebo-Effekt. Bei diesem Phänomen stellen sich beim Patienten die auf dem Beipackzettel gelesenen Nebenwirkungen ein, obwohl er ein wirkstoffloses Medikament einnimmt.«

    Romanov versuchte den Klienten auf seine Weise an das Thema heranzuführen. »Mein Partner meint, dass Sie durch die Erwartungshaltung, jeden Moment zu verunglücken, das Pech anziehen. Sie beeinflussen mit Ihren Gedanken die Kraft des Universums

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