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Bonjour, Frankreich!: Drei Reiseerzählungen
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eBook366 Seiten4 Stunden

Bonjour, Frankreich!: Drei Reiseerzählungen

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Über dieses E-Book

Gefällt es Ihnen, abseits von "all-inclusive" ein fremdes Land zu erkunden? Dann macht es Ihnen vielleicht Freude, einem unternehmungslustigen Ehepaar in die Karten zu schauen. Franka und Rolle erfüllten sich nach dem Berufsleben eine oft geträumte Sehnsucht. Dreimal sind sie mit dem Pkw losgezogen - zuerst die französische Südküste entlang, später durch die Bretagne und Normandie und zuletzt an die Atlantikküste. Auf drei Reisen haben sie Abenteuerliches, Unterhaltsames und Überraschendes erlebt und sich als Paar immer wieder neu entdeckt. Interessantes gegen das Vergessen und gegen die Monotonie des Alltags. Almut Fehrmann gehört zum Jahrgang 1945, ist in Tetschen-Bodenbach geboren, wohnt in Chemnitz, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie ist Mitglied im Freien Deutschen Autorenverband.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum29. Feb. 2016
ISBN9783960083405
Bonjour, Frankreich!: Drei Reiseerzählungen

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    Buchvorschau

    Bonjour, Frankreich! - Almut Fehrmann

    Dank

    Vorwort

    »Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen« ist der Anfang eines Gedichtes von Matthias Claudius. Also gab es auch schon vor über zweihundert Jahren diese Erkenntnis und bis heute hat sich an der Beliebtheit, auf Reisen zu gehen, nichts geändert.

    Und jeder, der seine Erfahrungen beim Reisen macht und darüber schreibt, entdeckt das jeweilige Reiseziel stets neu, obwohl schon unzählige Menschen die gleiche Reise angetreten sind. Deshalb erfreuen sich Reisebeschreibungen so großer Beliebtheit beim Leser.

    Franka und Rolle treten nun endlich nach über dreißig Jahren Wartezeit, im Mai 2007, ihre geplante Reise an. Zunächst an die französische Südküste von der spanischen Grenze bis hin zur italienischen. 2010 geht es nach Paris, in die Bretagne und die Normandie. An Frankreichs Atlantikküste und Loire geht es im Jahre 2013.

    Was diese Reisebeschreibungen ausmacht und so anziehend auf den Leser wirkt, ist die Kombination von akkurater Wissensvermittlung, persönlicher Eindrücke und Beschreibung der Menschen, die ihnen begegnen. Missgeschicke und schöne Emotionen wechseln sich ab und werden humorvoll geschildert. Schon allein die mehr oder weniger Auseinandersetzungen des Ehepaares, mal freundlich, mal missmutig, mal fröhlich lässt einen an eigene Erfahrungen erinnern. Nicht nur deshalb macht es Freude, dieses Buch zu lesen. Es macht auch Lust, selbst zu verreisen und zu sagen: »Bonjour, Frankreich!«

    Luise Wilsdorf, 2016

    TEIL 1 – 2007

    FRANZÖSISCHE SÜDKÜSTE VON DER SPANISCHEN BIS ZUR ITALIENISCHEN GRENZE

    Walter Benjamin

    Immerwiederkehrender Alltag mit Aufstehen, Frühstücken, Einkaufen, Mittagessen kochen, mit dem Ehemann die Mahlzeit einnehmen, Mittagsruhe halten, spazieren gehen. Einzige Sondermerkmale der Wochentage sind Arztbesuch, Klöppelnachmittag, ein Telefonat mit Tochter oder Sohn.

    Nein, auf keinen Fall wollte Franka, dass ihr Leben nach der Berufstätigkeit so einförmig verläuft. Mehr Zeit und Gelassenheit wünschte sie sich wohl, allerdings war sie auch neugierig und traf deshalb täglich auf Spannendes und Wissenswertes. Ihre Interessen und Neigungen, die sie bisher notgedrungen vernachlässigt hatte, wollte sie vertiefen und im vorgerückten Alter noch ein paar Leerstellen füllen. Ein frommer Wunsch. Bald stellte Franka, inzwischen Rentnerin geworden, fest, dass sie mit ihrer Umtriebigkeit schon wieder in Pflicht und Verantwortung geraten war. Das hatte auch sein Gutes. Von einem Schriftsteller, der Gründer und Vorsitzender des Freien Deutschen Autorenverbandes Sachsen war, wurde ihr Engagement gebraucht. Als aus der Zusammenarbeit Freundschaft geworden war, erhielt sie von ihm einen fesselnden Bildband.

    Der jüdische Philosoph Walter Benjamin war auf dem Weg aus Nazideutschland ins amerikanische Exil an der französisch-spanischen Grenze ums Leben gekommen. Dani Karavan, israelischer Bildhauer, schuf in Portbou einen eindrucksvollen Erinnerungsort mit Symbolcharakter für Flucht und Angst und Ausweglosigkeit.

    Kein Denkmal im herkömmlichen Sinne.

    »In kongenialer Übereinstimmung mit Benjamins Philosophie hat Karavan vielmehr eine künstlerische Form gefunden, die dessen Biographie gleichsam verhüllt, sein Schicksal vor der allzu großen neugierigen Nähe der Nachfahren schützt und sich gleichzeitig öffnet für ein Memento Mori im Benjaminschen Sinne.« (Schutzumschlag des Bandes »Dani Karavan, Hommage an Walter Benjamin« von Ingrid und Konrad Scheurmann)

    Dieses Buch hatte Franka fasziniert. Zudem war sie auf eine ihrer Wissenslücken gestoßen.

    In der »Erweiterten Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule«, wie ihre Bildungseinrichtung damals hieß, hatte sie von dem Philosophen Walter Benjamin nichts erfahren, auch später während der Studienzeit nicht. Sensibilisiert für das Thema Emigration, entdeckte sie in den Tageszeitungen ab und zu einen Artikel, ließ sich immer mehr hineinziehen in die Wirkung, die Fotos über Karavans »Passagen« in Portbou auf sie ausübten. Schließlich plante sie, endlich selbst an diesen besonderen Ort zu reisen und die Atmosphäre selbst zu erfahren.

    »Walter Benjamin, Philosoph, Literatur- und Kulturkritiker, Übersetzer, geboren 15.07.1892 in Berlin, gestorben 27.09.1940 durch Selbstmord, als seine Flucht vor den hitlerfaschistischen Truppen an der französischspanischen Grenze behindert wurde.«

    Diese sachliche Erklärung las sie in »Meyers Neues Lexikon«.

    Sie fand weitere Informationen: Der Jude Walter Benjamin war einer der vielen Verantwortungsbewussten, die bereits zu Beginn der Diktatur des Hitlerfaschismus öffentlich gegen das Regime ihre Stimme erhoben und die Menschen vor den Gefahren warnten. In dem Werk »Theorien des deutschen Faschismus« erkannte er bereits 1930 als demokratisch gesinnter Gelehrter das heraufziehende Unheil und sprach seine Gedanken offen aus. Sein Leben in Deutschland war deshalb bedroht. Das zwang ihn ins Exil nach Frankreich, wo er bald wieder in Lebensgefahr war.

    Nach tagelanger kräftezehrender Flucht hätte er nur noch eine bange Nacht überstehen müssen, dann wäre er mit dem Überschreiten der Grenze nach Spanien gerettet. So hatte er vermutlich gehofft. Nichts als sein nacktes Leben wollte er retten, zu Fuß mit einem Köfferchen, dort wo die Pyrenäen im Osten aus dem Mittelmeer aufsteigen.

    Benjamin heißt auf Hebräisch »Glückskind«. In der letzten Nacht vor dem erhofften Aufatmen muss ihn das Glück verlassen haben. Einen einzigen Tag hielt er sich angeblich in der kleinen Küstenstadt Portbou auf. Sein Ziel in der Freiheit konnte er schon sehen, wenn er den Kopf hob während der Quälerei über die unwegsamen Bergpfade hinter dem französischen Ort Banyuls-sur-Mer. Er hatte nur noch den Übergang ins Nachbarland zu bewältigen, den einzigen, der zu dieser Zeit nicht bewacht gewesen sein soll.

    Warum ist der Plan nicht gelungen? Warum gibt es heute einen Grabstein auf dem Friedhof des Städtchens Portbou mit der Aufschrift »Walter Benjamin«, fernab seiner Heimat auf der Ruhestätte eines kleinen Grenzortes, der übrigens im spanischen Bürgerkrieg hart mitgenommen worden ist. Die Gräber scheinen an dem Fels zu hängen; drüben über einem schmalen Meeresstreifen steigen massig die Pyrenäen auf. Im Bildband hatte Franka gelesen, dass die Dorfbewohner den Toten zunächst für den Katholiken Dr. Benjamin Walter hielten und ihm ein christliches Begräbnis spendeten. Fünf Jahre lang war er als Jude Walter Benjamin in die Mauernische Nr. 563 umgebettet worden. Heute liegt er angeblich auf dem kleineren Teil des Kirchhofes in einem Sammelgrab, das man über eine Steintreppe erreicht.

    Was war passiert? War es Mord, war es Herzversagen oder gar Selbstmord?

    Zweimal wurde die Totenruhe gestört, dachte Franka beim Lesen, was geschieht dabei mit der Seele?

    All diese Fragen können bis heute nicht eindeutig beantwortet werden.

    Benjamin-Forscher, die sich mit der Aufklärung der Ereignisse in der Nacht zum 26. September 1940 befassten, wurden von Einwohnern und ehemaligen Fluchthelfern an die geschichtsträchtigen Plätze geführt. Eindeutige Erkenntnisse haben sie nicht abgeleitet.

    Den israelischen Künstler Dani Karavan zog es offensichtlich auch dorthin. Wo es keine klaren Antworten gibt, haben Phantasien Platz. Karavan ließ sich von seinen Visionen an diesem Ort leiten und gestaltete das Gelände um den Friedhof zu einem Gesamtkunstwerk, das nach jahrelanger praktischer Arbeit im Jahr 1994 für jeden Interessenten erlebbar gemacht und würdevoll eingeweiht wurde.

    Die Liste der Ehrenden ist lang. Prinzessin Helga zu Löwenstein und Dr. Volkmar Zühlsdorff, verdienstvolle Persönlichkeiten des Freien Deutschen Autorenverbands, sind auch darin zu finden. Auf Anregung des damaligen Bundespräsidenten Dr. Richard von Weizsäcker entstand ein von den Ländern Deutschland und Katalonien sowie von privaten Spendern finanziertes Territorium, dessen Eindringlichkeit bei künstlerischer Ausdeutung von dem Gelände selbst ausgeht. Ohne Pathos, ohne Zeigefinger, aber auch ohne Trost.

    Das alles entnahm Franka aus den Begleittexten im Buch.

    Du musst hinfahren; der Gedanke ging ihr nicht aus dem Sinn und entwickelte sich allmählich zum Urlaubsplan.

    Ihren Mann hat sie relativ schnell mit ihrer Neugier angesteckt. Er hat sich sofort als Chauffeur empfohlen. Die Vorbereitungen zur Reise wurden immer konkreter. Schließlich kaufte Franka ein knallrotes blütengeschmücktes DIN-A-5-Buch, in das sie alle Erlebnisse eintragen wollte.

    Nur ein einziges Problem tat sich noch auf: Der Vorname ihres Mannes war fürs Tagebuch zu lang: Rolle-Bolle-Schlummerrolle-Zuckerstolle-Schmusewolle. Das musste er doch einsehen.

    »Darf ich abkürzen und dich Rolle nennen?«, fragte Franka ihren Gatten.

    Er war sofort einverstanden.

    Und nun die Aufzeichnungen der folgenden drei Wochen:

    Bamberger Zwiebel

    Am 20. Mai spät nachmittags stand das Auto voll beladen vor dem Haus, bereit für den Start am nächsten Morgen.

    Zwei Sommerbettdecken mit Kopfkissen, Wolldecken, ein Campingtisch und zwei Stühle, ein Weidenkorb voller Küchenutensilien, ein Korb mit Verpflegung, das Verderbliche in der Kühlbox, für Jeden eine Reisetasche mit Kleidung, ein Schuhbeutel, Kosmetikbox und Tablettentäschchen, eine Aktenmappe mit Reiseunterlagen und Kartenmaterial, französisch-deutsche Wörterbücher, Insidertipps des Autoklubs, zwei weiß-rote Toyota-Regenschirme und alle möglichen anderen Dinge, die man brauchte oder auch nicht. Wenn das keine Vorsorge für eine Fahrt aufs Geratewohl war. Ein konkretes Ziel hatten sie ja, Portbou. Alles Weitere wollten sie unterwegs entscheiden. Man weiß nie, was bei Unwägbarkeiten von Nutzen sein kann.

    Rolle hatte berechtigte Sorgen, ob der Kofferraum des Toyota Avensis Kombi groß genug war für den sorgfältig zusammengestellten Hausstand der nächsten drei Wochen. Sie mussten wahrhaftig die Zunge gerade in den Mund nehmen beim Einbasteln.

    »Von mir aus kann’s losgehen! Ich bin startklar.« Bei Rolle schwang wohl Vorfreude mit. Ja, warum eigentlich nicht?

    Tatsächlich verabschiedete sich das Ehepaar einen Tag früher als geplant von der Mutter, die oben im Haus wohnte. Franka und Rolle hatten trotz Protestes zu ihrer eigenen Beruhigung alle Nachbarn gebeten, die Haushüterin bei der notwendigen Gießarbeit zu unterstützen.

    Insgeheim freute die Mutter sich, dass sie eine Zeit lang selbstständig schalten und walten konnte, so wie früher in ihrem eigenen Berliner Anwesen.

    Aber drei ganze Wochen allein, mit 85 Jahren – da tat es schon gut, fürsorgliche Menschen um sich zu wissen. Sogar ein Arzt im Ruhestand war erfreulicherweise dabei.

    Franka und Rolle stiegen ein. Der Innenraum des Autos sollte für diese Zeit ihr wichtigster Lebensbereich werden. Das rote Buch und ein Kugelschreiber lagen griffbereit im Handschuhfach.

    Aufgeregt düsten die zwei Reiselustigen auf der Autobahn in Richtung Süden und wussten noch nicht, wo sie die erste Nacht verbringen würden. Hauptsache Kilometer gewinnen.

    Es reizte die Stadt Würzburg. Dort wohnten Thekla und Jo.

    Rolle hielt nichts davon, unangemeldet aufzukreuzen. Franka war ein wenig enttäuscht.

    Wie von Geisterhand geführt, rollte der beladene Toyota weiter nach Bamberg.

    Die einzigartige Altstadt hatte sie schon auf der Rückreise von Reni und Conny aus dem Westerwald fasziniert. Jetzt bot sich Gelegenheit, noch einmal an einem schönen warmen Sommerabend im Garten- Restaurant zu sitzen und Schlenkerla-Bier zu genießen. Der dunkle Gerstensaft mit Duft und Geschmack von geräuchertem Schinken mundet vor Ort, direkt in der Brauerei, bekanntlich am besten. Bier braucht Heimat, heißt es. Das hatte Rolle nach der Wende als Verkaufsleiter der Hofer Scherdelbräu gelernt.

    Kurz nach dem Ortseingangsschild sahen die Beiden ein Hotel, das warb mit dem Preis von 29 € für ein Doppelzimmer. An der Rezeption sollte es 79 € kosten.

    »Für den Preis können wir auch im Zentrum übernachten«, behauptete Franka. Die vollschlanke Hotelfrau half sogar bei der Auswahl. Anhand einer Liste fiel den Sachsen der Name des Hotels wieder ein, das sie bereits kannten. »Alt Ringlein« hieß es, mit furchteinflößendem Auto-Fahrstuhl zur Tiefgarage und einer körpergewaltigen Besitzerfamilie. Während sie sich für die Nacht einrichteten, lasen sie durch das geöffnete Zimmerfenster auf einer schwarzen Schiefertafel: »Bamberger Zwiebel«. Franka erinnerte sich, dass sie bei ihrem letzten Aufenthalt eine Stunde lang vergeblich auf dieses Gericht gewartet hatte. Kellner hatten im Eiltempo duftende runde Leckerbissen an ihr vorbeigetragen, aber keine der mit Hackfleisch gefüllten und im Ofen gebackenen Zwiebeln war für sie. Als Rolle endlich nachfragte – er hatte sein Schäuferla schon lange vertilgt – sagte die Kellnerin lakonisch: »Die Zwiebeln sind aus.«

    Das sollte Franka heute nicht passieren. Voller Vorfreude gingen die Beiden in die Gaststätte »Zum Glasbläser«, wo die schwarze Tafel einlud.

    Aber: keine Gäste und kein Zwiebelaroma.

    Nebenan »Am Kachelofen« gab es Schäuferla und knusprige Haxen, leider auch keine Bamberger Zwiebel. Gingen sie eben zum ›Schlenkerla‹, dort hatten sie das Gericht schließlich zum ersten Mal entdeckt. »Bamberger Zwiebel? Sonntags nie.«

    Ach so …, das musste man wissen!

    Franka tröstete sich: »Vielleicht schmeckt sie gar nicht so gut wie sie aussieht und ist schwer verdaulich.«

    Rolle ließ sich nicht abhalten und erkundigte sich bei der Wirtin nach einer anderen Möglichkeit.

    Die empfahl den »Domwirt«. Hier war es wie beim »Glasbläser«: keine Gäste, keine Zwiebel.

    Der Ober schickte die Frager über eine Brücke zum »Domreiter«.

    Hoffnung stieg erneut auf. An einer großen Tafel stand: Fränkische Spezialitäten.

    Doch es herrschte Verwunderung: »Bamberger Zwiebel, was ist das?«

    Schon kurz vor dem Verzweifeln beschrieben die Sachsen das Gericht und unterstrichen die Schilderung mit dem Zusatz: »Eine fränkische Spezialität«.

    Das kannten die Wirtsleute jenseits des Flusses nicht. Waren sie im falschen Film?

    Aber sie waren doch in Deutschland und beherrschten die Sprache.

    Augenblicklich hatten Rolle und Franka mit leerem Magen die Nase voll.

    Sie setzten sich in das Gartenrestaurant ihres Hotels, bestellten zwei Haxen, zwei Schlenkerla-Rauch-Bier und halfen mit Kräuterschnaps namens »Bamberger Sieben Hügel« der Verdauung von Ersatz-Essen und Enttäuschung nach. Nahmen sie halt die fränkische Spezialität in flüssiger Form.

    Camping in Freiburg

    21. Mai, 10:00 Uhr, Abfahrt vom Hotel.

    Die Ausfahrt aus der Garage war nicht so schwierig wie das Einparken am Tag zuvor und gelang ohne professionelle Anweisung der stimm- und körpergewaltigen Chefin.

    Autobahn über Schweinfurt, Würzburg, Karlsruhe.

    Rast bei Eppingen mit Käse und Brot, weiter nach Heilbronn.

    »Wir kommen nach Karlsruhe, wollen wir Elfi und Herbert überraschen?«, versuchte es Franka noch einmal. Elfi war eine Schulkameradin von Frankas Eltern in Bodenbach und schon als junges Mädchen verliebt in den Klassenbesten Rudi. Da der »Rudsch«, wie er liebevoll genannt wurde, den zähen Überlebenskampf gegen Krankheiten verloren hatte, übertrug Elfi einen Teil ihrer Verliebtheit auf dessen Tochter Franka. Sie hatten sich kennengelernt während eines Urlaubs im Schwarzwald kurz nach der Wende und trafen sich wieder bei einem Klassentreffen am Achensee in Südtirol. Neuerdings übertrug Elfi ihre Verehrung auch auf Rolle, mit dem sie nach eigener Aussage »bis ans Ende der Welt« fahren würde. Es bedurfte diesmal keiner Überredungskünste bei Rolle, einen Besuch zu wagen. Guter Dinge fuhren die Abenteurer in Richtung Karlsruhe.

    Vor ihnen bummelte ein Auto mit dem Kennzeichen PF.

    Das Ehepaar machte sich gern während der Fahrt den Spaß, die Autokennzeichen individuell zu deuten. Rolle schlug vor: »Pfeife«. Auf der Liste, die immer in der Beifahrertür bereitlag, las Franka vor: Pforzheim.

    »Mutti-Stadt«, hörte Rolle vom Beifahrersitz her. Was gab es da zu lachen? Nur sie beide wussten das.

    In Karlsruhe folgten sie einem Auto, auf dem die Heckscheibe beschriftet war: »Jesus – der Weg, die Wahrheit und das Leben«. Zu Jesus wollten sie gerade nicht, sondern zu Walter Benjamin.

    Im Schaufenster einer Bäckerei entzifferten sie: »heute frischer Kuchen«.

    »Was meinst du, ob morgen dran steht: ›Kuchen von gestern‹?«

    »Ach Frauchen, was hast du immer zu lästern?«

    So gut gelaunt konnte es weitergehen.

    Elfi war wirklich überrascht. Sie wollte die Beiden vor der Wohnungstür erst gar nicht erkennen, geschweige denn einlassen. Herbert, ihr Mann, war nicht zu Hause, er machte Krankenbesuch.

    Kaffee bei 32 Grad lehnten sie dankend ab. Elfi servierte Wasser in geschliffenen Weingläsern und bedauerte immerfort, dass Herbert nicht da war. Das war auch schon alles. Ein Gespräch kam leider nicht zustande. Sollte man doch lieber unangemeldetes Aufkreuzen unterlassen?

    Wieder im Auto, lenkte Rolle in Richtung Campingplatz Hirzberg – zur einzigen Übernachtungsstätte, die sie für die Reise vorher gebucht hatten. Trotz Navigation fanden sie den Platz nicht. Sie gelangten immer höher hinauf und hatten vor einem feinen Hotel einen traumhaften Blick auf die Stadt Freiburg. Dafür hatte sich die Irrfahrt dreimal gelohnt.

    Auf dem Parkplatz unterhalb des Hotels übte ein junges Paar mit einem Mädchen das Fahrradfahren. Die Mutter kannte das Zwischenziel der Fragenden und wies ihnen den richtigen Weg dorthin.

    Ein sehr schöner Flecken war das, mit Bäumen und Wiesen. In Privatbesitz, gepflegt und unterhalten von einem Ehepaar. Eigentum spornt an, gesellschaftliches Eigentum macht desinteressiert, das waren die Erfahrungen der Zwei aus der DDR, die sie hier bestätigt fühlten.

    Nebenan im Wohnwagen freuten sich zwei junge Radler über die hinzugekommene Nachbarschaft und hofften, mit den Neuen am Abend ein Bierchen zu trinken. Doch die wollten sich lieber umsehen. Es brauchte nur 20 Minuten zu Fuß in die Altstadt, die schon von oben am Berg in der herrlichen Abendsonne eine starke Anziehungskraft auf die Beiden ausgeübt hatte.

    Mit gebackenem Ziegen-Käse, Puten-Streifen im Salat und badischem Wein vor dem Münster am Rathausplatz wurde es auch sehr lukullisch und romantisch. Friedliche Atmosphäre an einem warmen Sommerabend, was waren sie doch für Glückspilze.

    Über den Rhein

    Am 22. Mai um 10:30 Uhr rollten Franka und Rolle weiter nach einem wunderbaren Camping-Frühstück in der Morgensonne.

    Letzter deutscher Einkauf beim Aldi Süd in Bad Krozingen: Butter, Margarine, Marmelade, Pulvercafé. Rechts und links von der Straße wurde geerntet auf riesigen Spargelfeldern.

    Sie erwarben ein Kilo der weißen Stangen, holländische Soße und Kartoffeln am provisorischen Stand. Dann führte die Straße zweimal übers Wasser.

    Beim ersten Mal sagte Rolle: »Hier ist der Rhein ganz klein?«

    Franka schmunzelte, sie konnte auf der Karte erkennen, dass sie noch nicht den großen Strom, Vater Rhein genannt, überquerten. Das bemerkte auch Rolle, als sie wieder Wasser rechts und links und unterhalb sahen: »Ach so, jetzt erst.« Es klang fast feierlich.

    Genau 11:50 Uhr passierten die Sachsen die deutsch-französische Grenze und konnten sich nicht genug wundern.

    »Vive la France! Ganz ohne Grenzposten«, jubelte Franka.

    »Ich habe so einen schönen Reisepass; niemand will ihn sehen.« Der Jubel erstickte in doppeldeutigem Schmollen.

    Gegen 17:00 Uhr erreichten sie Dijon, unternahmen einen Bummel zwischen hohen Mauern der wuchtigen Altstadt, gönnten sich Café und Eis, kauften mehrere Senfsorten im Glas.

    Weiter ging es Kilometer für Kilometer entlang an ausgedehnten Feldern im Wein-Anbau-Gebiet Bourgogne. Am Straßenrand informierten große Schilder über die Namen der Rebsorten und Eigentümer. Außerdem lasen sie: »Route des Grands Crus« (Straße der edlen Gewächse) und »Dégustation« (Verkostung). Original beim Winzer probieren, das wollten sie unbedingt. Jetzt konnte die Ehefrau zum ersten Mal testen, wie weit sie kam mit dem ausgekramten Schulfranzösisch. Zwei Rotweine ließen sie sich einschenken; sie probierten – und nahmen nach einem Seitenblick auf die Preisliste ganz schnell Reißaus.

    »9,80 € bis 33 € für eine Flasche, die müssen doch verrückt sein!«, empörte sich Rolle hinterm Lenkrad. Gerade glaubten sie noch, sie könnten das Nationalgetränk der Franzosen hier besonders preiswert erwerben. Ganz schön naiv, mussten sie feststellen. Von dem Wein, den sie gekostet hatten, sollte eine Flasche beim Erzeuger 18,60 € kosten. Sooo gut hat er ihnen auch wieder nicht geschmeckt.

    Die erste Übernachtungsmöglichkeit im fremden Land wollten sie auf dem Campingplatz in Meursault finden. Dort war laut Campingführer ein schön gelegener Platz mit Wiese und Parzellen zwischen Bäumen. Von erhöhter Lage konnte man weit auf den Ort und die Weinfelder schauen.

    Leider waren sie erst 20:00 Uhr auf dem Campingplatz angekommen – trop tard – (zu spät).

    Bis 19:00 Uhr hatte die Rezeption geöffnet. Danach war niemand mehr zu Diensten.

    Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als mit langen Gesichtern in den Ort zurückzufahren. An einem Grundstückszaun entdeckte Franka ein Holzbrettchen mit einem aufgemalten Bett und den Worten: Chambres d’hôtes (Privatzimmer). Das einzige Quartier war zwar schon besetzt, aber sie gelangten durch telefonische Vermittlung der Eigentümerin Madame Bernadette Ecobichon zu Madame Pinquier.

    Patricia Pinquier, 5, Rue Pierre Mouchoux, 21190 Meursault.

    Die freundliche Dame im Navi wusste den Weg. Das Quartier erwies sich als Volltreffer.

    Familie Pinquier hatte nicht nur eine steile Holztreppe zum heimeligen Gäste-Appartement ganz in Rot, sondern auch einen Weinkeller, zwei süße kleine Kinder, zwei edle Windhunde und eine Katze.

    In den Boden der Dusche eingefasste runde Natursteine massierten den Urlaubern die müden Füße. Auf der Bad-Kommode die Wattebällchen, Kosmetiktücher und Hautcreme deuteten familiäre Atmosphäre und Gastfreundschaft an. Die Reisenden fühlten sich willkommen und plünderten als Erstes ihre Kühltasche. Es war genug darin für ein Abendmahl, das sie hinterm Haus zwischen hohen grünen Hecken genossen. Sie fühlten sich wie im Traum – die Luft war noch mild und warm. Lediglich Rotwein fehlt noch, dachten sie gleichzeitig.

    Ob sie um 22:00 Uhr noch klingeln dürfen? Sie trauten sich.

    Der Hausherr, offensichtlich nicht überrascht, führte sie voller Stolz in seinen Weinkeller. Jede Menge neue Holzfässer in Reih und Glied, Franka und Rolle staunten nicht schlecht.

    Es war kalt in der Probier-Ecke, viel kälter als draußen. Darum entschieden sie sich schnell; hier konnten sie nicht viel falsch machen. Eine Flasche wanderte für läppische zehn Euro in ihren Besitz. Damit setzten sie sich freudestrahlend auf die Hollywood-Schaukel.

    Wer das kennt: himmlische Ruhe, eine laue Nacht, ein guter Rotwein, dem muss man nichts weiter erzählen.

    Oben ohne

    23. Mai, 8:30 Uhr, Madame Pinquier hatte bereits in ihrer rustikalen Wohnküche das Frühstück zubereitet und gerade eine Waffel gebacken. Auf einem langen Holztisch waren Käse, Wurst, Joghurt appetitlich angerichtet. Café gab es in Müslischalen, und besonders reizvoll präsentierte sich ein knuspriges Baguette im Weidenkorb. Der Backduft hatte die Hausbewohner herbeigezogen, auch die Kinder. Die liefen um die Tafel herum und hatten Spaß daran, die Fremden zu beobachten. Franka und Rolle wollten ihre Befangenheit überspielen mit einem Gesprächsversuch. Dabei erfuhren sie, dass die Familie über sechs Hektar Weinanbaufläche verfügt.

    »Die Arbeit wird ausnahmslos in Handarbeit bewältigt; in den Hauptzeiten beschäftigen sie zwanzig Helfer«, erläuterte Monsieur Pinquier, der Winzer.

    Hätten die Urlauber nicht so neugierige Fragen gestellt, wären sie auch ohne den Besuch im Verkaufsladen und die Mitnahme von vollmundigem »Beaune les Chaumes Gauffriots« davongekommen. Das Ehepaar hielt sich an den Rat: Hat man in Frankreich eine Flasche Rotwein, ein Baguette und Käse im Auto, kann einem nichts passieren. Dass das nicht billig zu haben war, hatten Rolle und Franka wohl oder übel verstanden.

    Die Lufttemperatur hatte inzwischen 24 Grad Celsius erreicht. Auf dem Marktplatz von Meursault erwarben sie bei einem deutschsprechenden Händler eine Autokarte ihres Reiselandes. Selbstbewusst erklärte der Verkäufer seine guten Deutschkenntnisse: er hatte fünf Jahre in München gearbeitet.

    Das Tachometer stand auf 984 Kilometer. Aus dem rollenden Toyota sahen die Insassen weiße Kühe auf grüner Wiese grasen und in der Ferne machte eine Basilika aus dem 11. /12. Jahrhundert in der Stadt Paray le Monial auf sich aufmerksam.

    Kaffeetrinken in Vichy. Spaziergang im Kurpark mit prächtigen alten Bäumen. Zurück zum Auto. Hurra, es war noch da! War die Sorge wirklich begründet?

    Das Tagesziel hieß Clermont-Ferrand. Auf dem Campingplatz hätten sie mindestens zwei Nächte bleiben müssen und auf einem anderen sogar eine ganze Woche.

    Also fuhren die Sachsen weiter auf der mautfreien A 75 gen Süden bis Issoire.

    Wieder das Gleiche: Campingplatz mindestens zwei Nächte. Sie mussten auf Hotels zurückgreifen. Das ACE-Hotel hatte ein Zimmer für zwei Personen frei, 40 € plus 5,80 € Frühstück. Franka kam mit der freudigen Nachricht zum Auto, aber Rolle wollte vorankommen.

    Fahren Sie auf dieser Straße weiter … sang die Dame im Navi.

    Das taten sie, noch 60 Kilometer auf der Autobahn bis St. Flour.

    Ein Bett für die Nacht fanden sie endlich im Hotel Deltour.

    Franka hatte schon seit zwei Tagen die Hoffnung, ein Studio zu finden, in dem sie den Spargel zubereiten konnte. Das wurde hier wieder nichts.

    Aber es war schon spät und sie entschlossen sich, zu bleiben.

    Vom Hotel, das am Ortseingang lag, schauten sie auf die Ville Basse (Unterstadt) und auf die herrlich am Berg gelegene Ville Haute (Oberstadt).

    Es sah nicht weit aus, aber laut Auskunft an der Rezeption war es eine Stunde

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