Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Wir denken an...: Literarische Essays
Wir denken an...: Literarische Essays
Wir denken an...: Literarische Essays
eBook415 Seiten5 Stunden

Wir denken an...: Literarische Essays

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Diese literarischen Essays sind zwischen 1948 und 1955 als Rundfunk-Vorträge entstanden.
In diesen kurzen, aber aufschlussreichen biographischen Skizzen versucht der Verfasser, das jeweilige Wesen von Malern, Dichtern und Denkern, Komponisten, Staatsmännern und anderen Grossen der Weltgeschichte zu erfassen. Wie er selbst darüber schreibt: "Anderes wollen diese Aufsätze auch nicht sein als Strahlen, "Pfeile nach innen" – jeweils einer von
den abertausend möglichen, die von der Peripherie unseres lebendigen Seins seiner Mitte
zustreben. In dieser Mitte, unendlich fern in dieser Mitte steht der Mensch."
"Seit 1948 ist Heinrich Jordis-Lohausen ständiger Mitarbeiter des Grazer Rundfunks. Die
von ihm verfassten Vorträge der Sendereihe "Wir denken an ..." gehören zu den wertvollsten und beliebtesten Programmbeiträgen." schreibt im Juni 1951 Otto Hoffmann-Wellenhof, der damalige Leiter der Literaturabteilung des Senders Alpenland Graz.
In diesen kurzen, aber aufschlussreichen biographischen Skizzen versucht der Autor das jeweilige Wesen von Dichtern, Philosophen, Komponisten, Malern, Bildhauern, von Staatsmännern und anderer Grossen der Weltgeschichte zu erfassen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum7. Sept. 2020
ISBN9783752915174
Wir denken an...: Literarische Essays

Ähnlich wie Wir denken an...

Titel in dieser Serie (3)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Wir denken an...

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Wir denken an... - Heinrich Jordis-Lohausen

    Vorwort

    Heinrich Jordis-Lohausen gehört in jenen weiten Kreis österreichischer Schriftsteller, die auf dem Umweg über das Militär den Weg zur Literatur gefunden haben.

    Er ist im Jahre 1907 als Sohn eines k.u.k. Rittmeisters in Seebach bei Villach geboren, wuchs dann in Graz auf und legte auch hier und zwar in der seinerzeitigen Landesoberrealschule in der Hamerlinggasse die Reifeprüfung ab.

    Seine lang vorbereitete Absicht, die diplomatische Laufbahn zu ergreifen, musste er bald aufgeben. Die Notwendigkeit sich das Leben selbst zu verdienen, zwang ihn bereits im Jahre 1926 das begonnene Hochschulstudium sein zu lassen und das Dasein eines Studenten an der Karl-Franzens-Universität in Graz mit dem eines Rekruten in der Lazarettfeldkaserne zu vertauschen.

    Wir finden Jordis-Lohausen später als Leutnant der Artillerie in Stockerau, dann wieder in seiner Heimatstadt Graz, später, nach in Italien, Frankreich und England betriebenen Sprachstudien, auf der Generalstabsschule in Wien.

    Die dort erworbenen Fertigkeiten und die mitgebrachten Sprachkenntnisse führten ihn während des zweiten Weltkriegs in verschiedenartige Verwendungen, von denen eine vorübergehende Tätigkeit an der Deutschen Botschaft in Rom und die eines Verbindungsoffiziers Rommels bei italienischen Einheiten des Afrika-Korps, die hervorstechendsten waren.

    Das Kriegsende traf ihn als Führer eines niedersächsischen Artillerieregiments. Die anschließenden Jahre nach kurzer Gefangenschaft als Dolmetscher in Salzburg, später als Hilfsarbeiter, Bürosekretär und Handelsvertreter wieder in Graz.

    Bereits in seiner Jugend ein Liebhaber schöner Literatur, hatte Jordis-Lohausen schon früh damit begonnen, schöngeistige Essays, Gedichte in Prosa, aber auch belletristische Skizzen zu schreiben. Die abwechslungsreichen Eindrücke des vergangenen Krieges bestärkten diese Neigungen und ließen den Wunsch aufkommen, sich ihnen nach seiner Beendigung vorbehaltlos zu widmen. Seit 1948 ist Heinrich Jordis-Lohausen ständiger Mitarbeiter des Grazer Rundfunks. Die von ihm verfassten Vorträge der Sendereihe « Wir denken an.... » gehören zu den wertvollsten und beliebtesten Programmbeiträgen.

    Otto Hofmann-Wellenhof,

    Leiter der Literaturabteilung des Senders Alpenland Graz, im Juni 1951.

    **********

    Einleitung

    Diese Aufsätze sind für den Rundfunk geschrieben, also bestimmt gehört zu werden, nahe gebracht von einer Stimme, die sie Wort für Wort zu wägen versteht. Nicht waren sie ursprünglich bestimmt, von stummen, das bloße Schriftbild festhaltenden Augen aufgenommen, nicht also gelesen zu werden. Auch sind sie geschrieben im Hinblick auf eine knappe und unumstößlich bemessene Sprechzeit – meist nur 13, allenfalls 14 Minuten. Und das zwang wiederum, der Stimme zur Andeutung zu überlassen, wofür ein eigenes Wort oder gar ein eigener Satz aus Zeitmangel nicht mehr bereitstand.

    Dass dies so sein musste – nie ist im Rundfunk unbeschränkt Zeit – bewirkt ihren

    Stil, auch den Zwang, von jedweder Wiederholung abzusehen. Gedacht waren sie mithin als einmalige, flüchtige Visionen, ihr Erscheinen im Druck zwingt sie mit einem Male zur Dauer. Das widerspricht ihrem Wesen. Widerspricht im Grunde dem Wesen jeden Essays. Essay heißt Versuch und Versuche sind nie etwas Fertiges, sind bestenfalls Übergang und Vergänglichkeit.

    Unwiederholbarkeit ist ihr wesentliches Kennzeichen. Vielleicht ist alle Kunst so. Und vielleicht trennt gerade das sie von jeglicher Wissenschaft (besonders von ihrer eigenen – der Kunst- und Literaturgeschichte).

    Wissenschaft ist immer fertig. Ist immer das, was gilt und einwandfrei bewiesen werden kann.

    Nichts von alle dem, was in diesen Aufsätzen steht, kann bewiesen werden (außer allenfalls einige Quellenangaben und Daten), also ist nichts Wissenschaftliches an ihnen und kann es nicht sein: Vor allem nichts

    Fachwissenschaftliches. Alles Menschliche widerstrebt dem Versuch, Teil eines Fachwissens zu werden.

    Um ein Leben wiederzuerzählen, bedürfte es wiederum eines Lebens. Auch ein zehnbändiges Werk wäre dazu nicht im Stande, und auch ein hundertbändiges nicht. Und doch gelingt zuweilen, einem Augenblick, was ein derartiges Werk nicht vermag, das Wesen einer Gestalt bis auf den Grund zu erhellen. Wer dann sieht, ist begnadet und zugleich verurteilt zu schweigen. Das Tiefste in uns ist wortlos und spottet jeder Beschreibung.

    Man kann einen Strom nicht in Eimer fassen – doch gesetzt den Fall, man könnte es, man würde selbst den letzten Wassertropfen jenes Eimers nie auszuloten vermögen. Und man kann eine Kugel nie dadurch beschreiben, dass man die Punkte ihrer Oberfläche abzählt. Man kann sie auch durch den einen einzigen Punkt in ihrer Mitte nicht beschreiben. Man kann – und das ist der einzige Weg – das Wesen einer Kugel nur aus einem jener unzähligen Strahlen erfassen, die pfeilähnlich ihre Oberfläche mit dem Inneren verbinden. Anderes wollen auch diese Aufsätze nicht sein als solche Strahlen, « Pfeile nach innen » – jeweils einer von den abertausend möglichen, die von der Peripherie unseres lebendigen Seins seiner Mitte zustreben. In dieser Mitte, unendlich fern in dieser Mitte steht der Mensch.

    Heinrich Jordis-Lohausen.

    Musik

    Joseph Haydn

    „Mein Leben war ein harmonischer Gesang". Wenig Große konnten das von sich sagen – der unglücklich-glückliche Mozart nicht, nicht der einsame Beethoven und nicht der wehmütig verklärte Schubert –, nur er konnte es, der erste in der Geschichte der großen österreichischen Musik, der ihnen allen den Weg erst frei gemacht hat: Joseph Haydn.

    1732, noch zu Lebzeiten des großen Bach, wurde er geboren, noch bald nach den Tagen des XIV. Ludwig, der Allongeperücken und der mit Lineal und Zirkel entworfenen Gärten Le Nôtres; er wuchs heran, als noch die Etiquette von Versailles den Stil des Lebens bestimmte, und die Kunst der Fuge den Stil der Musik. Vielleicht war es sein Glück, niemals eingehend in dieser Kunst unterwiesen worden zu sein und das Komponieren von niemand anderem gelernt zu haben als von sich selbst. Er begriff mit dem Gehör ohne Papier, und lernte Musik zu schreiben erst dann, als ihm die feinere Kunst, sie richtig zu hören, längst selbstverständlich geworden war.

    Das war schon zu Hause so in dem kleinen niederösterreichischen Dorf, wo sein Vater eine Wagnerei hatte und abends die Harfe spielte. Von insgesamt zwölf Kindern war er das Zweite. Fünfjährig steckte man ihn als Chorsänger nach Hainburg und mit acht Jahren nach Wien. Dort sang er in der Kantorei zu St. Stephan und lernte noch etwas Geigen- und Klavierspiel dazu. Als der helle und nüchterne Kopf, der er war, bekam er bald mit, was rundum in der Welt in der Luft lag:

    Manches wollte sich lockern, manches sich weiten nach der steifen Feierlichkeit des vergangenen Jahrhunderts und suchte nach leichteren, beschwingteren Formen. Schon erklang da und dort der Ruf: „Zurück zur Natur!" Die englischen Parks wurden Mode, die leichten Schäferspiele; die Allongeperücke verschwand, das schwere Barock wandelte sich in ein zierliches Rokoko, und es schien Zeit, solchem Wandel auch in der Tonkunst Ausdruck zu geben und den streng gefügten Stil der deutschen Musik in Licht und Heiterkeit aufzulösen. Der es tat, war Haydn. Ohne zu zerstören, löste und lockerte er, was er fand und fügte daraus seine neue Musik.

    Nur einen gab es, der ihm wegweisend war: Philipp Emanuel Bach. Zumal in dessen Klavierstücken hatte Haydn kleine zarte Meisterwerke entdeckt, die oft mehr empfunden als nur verstanden sein wollten. „Ich spielte sie mir, so schreibt er, „zu meinem Vergnügen unzählige Male vor, besonders wenn ich mich von Sorgen gedrückt oder mutlos fühlte, und immer bin ich dann erheitert und in guter Stimmung vom Instrument weggegangen. Kann Musik jemals mehr tun?

    Sie ist nicht Selbstzweck, (nicht „l´art pour l´art") und niemals allein dazu da, Vollenderin erklügelter Regeln zu sein. Sie sei Dienerin der menschlichen Empfindungen, so fasste das ausgehende 18. Jahrhundert, so fasste Haydn selber sie auf. Immer schrieb er irgend jemandem zuliebe. Immer dachte er an die, die ihm zuhören sollten. Gleich, ob es die Herren und Damen auf den Schlössern waren oder ein Freund oder eine Geliebte oder das

    Volk in der Kirche oder gar – wie der fromme Haydn meinte – der liebe Gott selber. Für ihn schrieb er am liebsten und oft in so froher Laune, dass seine Freunde ihm die Heiterkeit seiner Messen als unziemlich vorhielten. Seine Antwort: „Ich bin halt so vergnügt, wenn ich an den Herrgott denk!".

    War Christentum frohe Botschaft, warum sollte deren Musik es dann nicht sein? War doch allein Gottes Geschöpf zu sein, bereits Abglanz dieser Botschaft!

    Klang später durch Mozarts Musik die Süße todesverfallener Jugend, so durch die Haydns die Fröhlichkeit langsam reifenden

    Lebens. Schwebte jener zwischen Traum und Seligkeit hoch über der Enge seiner städtischen Behausungen, so ging Haydn still und beglückt über die nahe ländliche Erde. Hier wusste er sich Glied einer Kette; sie fortzusetzen in aller Freiheit, fühlte er sich geboren. Er wusste, woran sich anknüpfen ließ, und änderte, was ihm gefiel. Zuerst den Sonatensatz. Dann übertrug er das auf dem Klavier Entwickelte auf das Orchester, und eigentlich müsste man „Orchestersonaten" nennen, was wir heute als klassische Quartette und als klassische Symphonien bezeichnen. Erst er erweckte sie zu dem, was sie sind. Die ganze große Musik der vielen Instrumente war, so schien es ihm, längst da. Es musste nur einer kommen und sie aus der überlieferten Vormundschaft der menschlichen Stimme erlösen und er war Schöpfer der Symphonie.

    Und noch ein Schritt war zu tun. Noch lag in Johann Sebastian Bachs sich gewaltig emporwölbenden Kompositionen ein letzter Zug von Härte und Stein wie von sich hoch türmenden Quadern gotischer Kathedralen. Noch mussten durch alle Aufschwünge dieser

    Musik hindurch jene Engeln gleich stets ihr Antlitz wahrenden Tonfolgen – Themen genannt – selbst fließend werden, selber sich wandeln wie Menschengesichter, sodass auch sie Teil würden jener Vergänglichkeit, welche die Tonkunst- weit vor allen anderen Künsten – zu einem Spiegel irdischen Erlebens macht.

    Andererseits. Wurde sie deshalb – wiederum vor aller anderen Kunst – weithin zum Gleichnis dessen, was Worte nicht einzufangen vermögen, so büßte sie doch wiederum viel von dieser Eigenschaft ein, wenn wie in der Oper Sprache und Gebärde ihren Ausdruck beengten. Zwar hat auch Haydn Opern geschrieben. Er tat es, um seinen Zeitgenossen gefällig zu sein, aber sie lagen ihm nicht. Ihr Geist war ihm fremd. Die Verquickung von Bühnenhandlung und Musik konnte der freien Entwicklung beider nur hinderlich sein. Haydn hat der Geschichte der Oper wenig Wesentliches hinzugefügt. Er war der Befreier der instrumentalen Musik und das war mehr. Und wir nennen ihn „Vater Haydn" nicht nur, um ihn uns als alten Herren im kaffeebraunen Rock vorzustellen, sondern weil er der Schöpfer von alldem war, was wir heute als eigentlich klassische deutsche Musik bezeichnen; und der Schöpfer des österreichischen Stils in dieser Musik.

    Seinen Aufstieg – mitbegründet durch Fleiß und eine glückliche Hand im Umgang mit Menschen – bezeichnet zunächst eine Reihe glückhafter Bekanntschaften. Sie beginnen damit, dass Metastasio und er das gleiche Haus bewohnen, er Metastasio später bei der Geliebten des venezianischen Gesandten persönlich kennenlernt und Metastasio ihn dem Gesandten vorstellt. Der wiederum nimmt ihn mit sich nach Bad Mannersdorf, um ihn bald darauf einer Gräfin Thun als Musiklehrer zu überlassen, die ihn ihrerseits wieder einem Grafen Morzin als zweiten Dirigenten seiner Hauskapelle nach Schloß Lukovec in Mähren abgibt. Dort bleibt er drei Jahre, schreibt seine ersten Quartette und seine erste Symphonie und diese entscheidet seine Zukunft. Anlässlich ihrer Uraufführung begeistert sie den anwesenden Fürsten Eszterhazy so sehr, dass Graf Morzin seinem Gast nicht verwehren kann, den erfolgreichen Komponisten zu sich zu nehmen – auf dreißig Jahre. Damit beginnt die zweite und längste Periode seines Schaffens. Auch die fruchtbarste. Nicht nur die Mehrzahl seiner fast einhalbtausend Quartette, auch die Masse seiner über hundert Symphonien entstehen auf den fürstlichen Schlössern von Eisenstadt und Süttör.

    Haydn war 29, als er nach Eisenstadt kam und dort alles fand, was ein musikalisches Herz nur wünschen konnte: Muße, Sorglosigkeit und ein Orchester, das jeden seiner Gedanken sofort Klang und Wirklichkeit werden ließ. Meist waren es bloß Einfälle des Augenblickes, wie Gelegenheitsgedichte nur dazu bestimmt, ihre Zuhörer für eine kurze Weile zu fesseln; keine Musik, die ewig sein wollte, aber oft eine, die es war, ohne es zu wissen, keine die sich irdischem Ehrgeiz verband, dafür umso mehr immer etwas himmlischer Heiterkeit.

    Mit solch innerer Heiterkeit verträgt sich kein nachtragendes Gemüt. Als man Haydn hinterbrachte, Beethoven hätte ihn „eine alte Perücke genannt, geriet er nur für kurze Augenblicke in Zorn: „Was?! Das wagt er von mir zu sagen, von mir, seinem Lehrer? Und wer ist er denn, dass er sich unterstehen kann, ein Urteil über mich abzugeben? Was hat er denn schon fertiggebracht? Pah! Eine oder die andere Sonate, aber nichts Außergewöhnliches. Leidliche Quartette; ja, das muss man ihm lassen, seine Quartette sind wirklich gut. Und dann die Symphonien, die sind was anderes. Die bringt überhaupt kein anderer fertig. Die Symphonien sind göttlich, einfach göttlich!

    Haydn war bereits 59, als der Tod des Fürsten Eszterhazy im Jahre 1790 seinem Leben die letzte entscheidende Wendung verlieh. Bisher hatten ihn Andere zu dem werden lassen, was er war, in der Weise ihres Jahrhunderts, in welchem Musikanten eine Art bevorzugten Gesindes darstellten, über das man – ob ihrer Kunst – mit besonderer Behutsamkeit verfügte wie über eine erlesene Kostbarkeit. Eine solche war er für den Fürsten gewesen. Der hatte für ihn gesorgt und ihn gewähren lassen. Nun war er frei, war berühmt und gewillt, seiner burgenländischen Abgeschiedenheit zu entsagen. Er übersiedelte nach Wien und reiste trotz aller Unannehmlichkeiten von Postkutsche und Segelschiff im Lauf der nächsten vier Jahre zweimal nach London (einmal im Winter 1790 und einmal im Jahre 1794).

    Und in England – so wenig es Musikland war wie Österreich und gerade, weil es das nicht war – wurde für ihn zur Probe vor der Welt. Sie ergab, dass seine Musik auch in der Fremde ankam, auch da, wo Volk und Adel nicht annähernd so für und mit der Musik lebten, wie damals in Deutschland. Nicht Wien, sondern Oxford machte ihn zum Doktor, nicht der Kaiser, sondern Englands König wollte ihn für immer behalten.

    Als er – im Jahre 1795 – dennoch zurückkehrte, war Krieg, und Deutschland bereits überschattet von der düsteren Gestalt Bonapartes. In jener Zeit der Unruhe und der Angst vor der Zukunft schrieb Haydn – vielleicht in Erinnerung an das strahlende „God save the King – ein Lied, das in Stunden der Bedrängnis wie der Feier die Unerschütterlichkeit der Österreicher im Glauben an ihr Land versinnbildlichen wollte. Schon gab es die Marseillaise, in der sich der gottfeindliche Schwung der Jakobiner entlud, und diese Marseillaise begleitete die Kolonnen Napoleons auf ihrem Marsch gegen Österreich. Sollte die vertrauensvolle Gelassenheit der Österreicher und ihr Glaube an etwas, das über ihnen stand nicht stärker sein, als die Anmaßung der Fremden, die nur an sich selbst glaubten? In der Marseillaise fehlt das Wort „Gott. Haydn setzte es an den Anfang und schrieb, was als österreichische Volkshymne in die Geschichte einging: „Gott erhalte Franz den Kaiser…" Sofort ergingen Abschriften an alle deutschen Länder und dort erklang sie zum ersten Mal und gleichzeitig im gesamten Donaustaat am 28. Februar 1797. Und sie versagte nicht ihre Wirkung – nicht auf das Volk und nicht auf die, die von Berufswegen etwas davon verstanden- auf die Musiker selbst. Salieri war so hingerissen, dass er die Haydnschen 16 Takte in einer seiner Ouvertüren verwendete – und kein Geringerer, als der Revolutionär und Republikaner Beethoven machte sie in einem eigenen Konzert zum Gegenstand einer freien Improvisation. Später erhob sie der großdeutsch – also betont habsburgisch gesinnte Dichter Hofmann von Fallersleben zum unsterblichen Lied aller, auch der nicht österreichischen Deutschen. Kein Land der Welt konnte sich fortan einer vergleichbaren Hymne rühmen. Keinem sonst war die Seine von einem der größten Tondichter seiner Zeit auf dessen eigenen Antrieb auf den Leib geschrieben worden und kein anderes hätte sie mit so viel unbeabsichtigtem Takt in die Hände der Geschichte zurückgelegt, als 1918 die Zeiten eines solchen Liedes nicht mehr würdig erschienen.

    Haydn war 65, als er die Volkshymne schrieb. Er liebte die einfache Weise wie kaum eine seiner anderen Schöpfungen. Noch im Frühsommer 1797 schritt er an ihre Verarbeitung zu einem seiner schönsten Quartette. Er spielte sie täglich als Morgengebet und fand darin, wie er selbst sagte, Trost und Erholung. Noch wenige Tage vor seinem Tod ließ er sich ein letztes Mal ans Klavier tragen und wiederholte sie mit leiser Stimme begleitend, seine geliebte Melodie als letzten Gruß an die Welt.

    ============

    Wolfgang Amadeus Mozart

    Der Eindruck des einmalig Begnadeten knüpft sich an seine Gestalt wie an keine zuvor. Wenn irgendwo die gewohnten Versuche versagen, geistiges Schöpfertum allein aus Erbe und Umwelt zu deuten, so versagen sie hier. Und nichts kann als hinreichender Grund seiner Einzigkeit herangezogen werden; nicht ein Vermächtnis des Bluts, nicht Erziehung, nicht der Geist einer noch so kunstbeflissenen Stadt, einer noch so beschwingten, zu beglückenden Rhythmen gefügten Landschaft. Nichts von all dem würde genügen, einen

    Mozart zu erklären – weder Ahnen, noch Überlieferung, noch Natur – nicht einmal jener Schönheit-verwöhnte Zeitgeist des 18. Jahrhunderts, dessen verspielte Heiterkeit einen Mozart zwar wohl erst ermöglicht, aber doch nicht erzeugt hat.

    Wie ein Meteor aus grenzenlosen Himmeln, so stürzte sein Genius in die irdische Atmosphäre, um ein nur knapp bemessenes Menschendasein zu durcheilen.

    Fast die Hälfte seines Lebens hat Mozart im schaukelnden Reisewagen verbracht und seine Jugend erscheint uns heute wie eine bunte Folge unausgesetzt wechselnder Bilder:

    Er zählt kaum 6 Jahre, als sein frühreifes Spiel den Wiener Hof in Staunen und Bewunderung versetzt. Aber es ist nicht nur sein Spiel, was die Herzen bezaubert:

    „Wenn ich erst einmal groß bin, werde ich dich bestimmt heiraten!" Erklärt er der gleichaltrigen Erzherzogin Marie Antoinette, während sie ihm lächelnd behilflich ist, von dem glatten Schönbrunner Parkett auf die eigenen (ausgeglittenen) Beine zurückzufinden und er sagt es mit so viel natürlicher Anmut, als seien sie beide ganz ihresgleichen – und nicht sie die Tochter der Kaiserin und er bloß das kleine, musikalische Weltwunder.

    Schon im nächsten Jahr entzückt er in Frankfurt den 14-jährigen Goethe und wenige Wochen später ist der 7-jährige Mozart die Sensation und der Abgott der Pariser.

    Mit der ungezwungenen Freude des Kindes, dem das Schöne von Geburt an verwandt und das Strahlende das eigentlich selbstverständlich ist, quittiert der kleine Pianist Glanz und

    Applaus seiner Gastgeber. Und doch entgeht ihm nicht der fühlbare Unterschied zwischen warmherziger Heiterkeit des Schönbrunner Hofes und der so wesentlich künstlicheren Atmosphäre von Versailles.

    Und mit kindlicher Verwunderung kommentiert er die geschminkte Unnahbarkeit der gefeierten Madame de Pompadour: „Wer ist sie denn, dass sie mich nicht küssen will – hat mich doch sogar die Kaiserin geküsst!" Mozart hat diesen Ausruf glücklicherweise in deutscher Sprache getan, denn damals schon waren die ungekrönten Fürsten und Fürstinnen der Erde eitler und nachtragender als die Gekrönten und die Ungnade der königlichen Favoritin hätte das sichere Ende seiner Pariser Aufenthaltes bedeutet.

    Mozart hat damals einer französischen Prinzessin seine ersten Sonaten für Klavier und Violine gewidmet – gleich vier auf einmal! Ein Jahr später schreibt er in London in einem Zug nacheinander drei Symphonien und nur zwei Jahre später folgen in Wien die ersten Opern („La finta semplice) und das Singspiel „Bastien und Bastienne.

    Mit 14 Jahren erhält er vom Erzbischof von

    Salzburg den Titel des Konzertmeisters und bald darauf erhebt ihn Papst Clemens der XV. in den Rang eines römischen Cavaliers. Und während sich bekannte Künstler wie der Neapolitaner Jomelli öffentlich verwundern, dass ein Kind deutscher Herkunft so viel Geist und so viel musikalisches Genie haben könne – verfolgt ihn das Klatschen des italienischen Konzertpublikums durch die ganze Länge der Halbinsel von Neapel und Rom bis Mailand und Venedig.

    Allein dieser Beifall, den die Welt so freigebig zu spenden bereit ist, gilt mehr der virtuosen Fertigkeit des graziösen Wunderkindes als dem aufstrebenden Genius eines wahrhaft großen Komponisten, und ihre Begeisterung schweigt, kaum dass derselbe Mozart die ge-

    wohnten Formen zeitgenössischer

    Kunstübung verlässt und, aus der Tiefe seines Innern schöpfend, zu schreiben beginnt, was kein anderer vor und nach ihm hätte schreiben können.

    „Den undankbaren Schüler Italiens" haben die Italiener ihn genannt, weil er den klassischen Gedanken der italienischen Oper in seinen deutschen zu Ende gedacht und übertroffen hat.

    Kein Wunder, dass dem heranwachsenden Künstler die kleinstädtische Enge Salzburgs nach so bunter, abwechslungsreicher Kindheit bald lästig geworden ist und dass er den immer unvermeidlicher werdenden Bruch mit seinem unduldsamen, herrischen Brotherrn, dem neuen Erzbischof, Graf Colloredo, mehr als Befreiung empfunden hat, denn als Verlust.

    Die nun folgende Wiederholung seiner einstigen ersten Reise nach Paris allerdings hat Mozart kein Glück gebracht:

    Schon die junge, kaum sechzehn Jahre alte, angehende Sängerin, die in Mannheim sein Herz gewann, war in allem das Gegenteil seines eigenen, sich jeden Tag seines Lebens selbstlos verschenkenden Wesens – und sie war zu hübsch, um ihren Partner nicht vom ersten Augenblick an gefangen zu nehmen; zu berechnend, um ihn nicht so lange festzuhalten, als sie seines Namens, seiner Kenntnisse und seiner Beziehungen bedurfte – und zu kaltherzig, um ihn nicht fallen zu lassen, als ihr seine Hilfe und die Vorteile seiner Freundschaft nichts mehr zu bieten hatten.

    Umsonst war Mozart im traurigen Herbst

    1777 von Paris nach München geeilt, um den Schmerz über den plötzlichen Tod seiner Mutter in ihrer Nähe zu vergessen. Die mittlerweile arrivierte Künstlerin benötigte ihn nicht mehr und wies ihm die kalte Schulter. Aber nicht nur Mannheim und München brachten Enttäuschungen – auch Paris. Die Sensationslust der großen Salons, die ihn als Kind von Erfolg zu Erfolg getragen hatte, fand an der eigenwillig gewordenen Kunst des Erwachsenen keinerlei Interesse mehr.

    In welcher, sich schließlich gegen Frankreich selbst kehrende Stimmung ihn die Überheblichkeit eines verständnislosen Publikums zurückließ, beleuchten Briefe an seinen Vater, in welchen er schreibt, dass er Gott um seiner eigenen Ehre und um der Ehre der ganzen deutschen Nation willen um Kraft bitten müsse, um in Paris auszuhalten, und dass er Gott danken werde, wenn er dereinst noch mit unverdorbenem Geschmack aus dieser Stadt herausfände. Unterdessen „zittere er vor Begierde, die Franzosen die Deutschen kennen, schätzen (aber auch) fürchten zu lehren

    …"

    Doch waren es nicht bloß private Er-

    fahrungen, die zufällig unglücklich waren und ebenso gut hätten glücklich sein können und nicht nur sein lebhaftes Vaterlandsgefühl, das ihn von der großen Stadt an der Seine abstieß, es war auch ihr besonderer, viel mehr dem Malerischen und Literarischen verhafteter Geist, welcher der Kunst, die er vertrat, die tiefere Resonanz verwehrte, und der sich entgegen seiner eigenen Wesensart lieber an die Lust der Augen und ein äußerst verfeinertes Spiel mit Worten verlor, als an eine zu schweigender Hingabe verpflichtende Musik. Gereifter an Erfahrung der Welt und seiner Selbst kehrt Mozart in seine Heimat zurück. Aber auch diesmal hält es ihn nicht. Und nach einem abermaligen ziemlich bewegten Abgang aus den Diensten seines erzbischöflichen Landesherrn, fährt er von Salzburg nach Wien – und für immer. Wien stand damals als einzige Stadt Europas dem allzu selbstgefälligen, in Vernunft und Esprit verliebten Paris als gleichgeordneter Mittelpunkt einer anders gearteten – gemüthafteren und musikalischeren – Geistigkeit gegenüber.

    Und mit Wien verbinden sich – trotz mancher, bis Dresden und Berlin ausgedehnter Reisen – die letzten 11, von vielen Verzichten gezeichneten Jahre seines Lebens.

    Dass sie nicht glücklich waren, war die Folge so mannigfacher Ursachen, dass es genügt, die wichtigsten zu nennen. Erst in Wien spielten gegen ihn persönlich gerichtete Intrigen eine maßgebliche Rolle und zogen Mozarts weitgespannte Hoffnungen immer wieder zur Erde herab – und erst in Wien berührte sich der bisher wie durch ein buntes Märchenspiel durchs Leben gewanderte Mozart´sche Genius mit den harten Widrigkeiten des Alltags.

    Denn nicht die Körbe der schönen, kaltherzigen Luise waren Mozarts Verhängnis, sondern das Jawort der zwar gutmütigeren, aber leichtsinnigen und faulen Konstanze. Als wollte er der seltsamen Beharrlichkeit seines Schicksals nachgeben, das ihm hintereinander in zwei verschieden gearteten Schwestern zwei wohl unterschiedene Versuchungen in den Weg warf, hatte er sie eines Tages – mehr aus eigener Einsamkeit und aus Mitleid denn aus tieferer Neigung – geheiratet.

    Ohne ihn durch Geist und Gemüt für die Schwächen ihres Charakters zu entschädigen, brachte sie ihn durch Nachlässigkeit und Verschwendungssucht in nie endende Schwierigkeiten, ein Geschick, das er hinnahm, ohne es je als Unglück erkennen zu wollen. Was waren auch Glück oder Unglück für einen, dessen Eingebungen von jenseits dieser beiden kamen, für einen der in seiner ungekünstelten Art von sich sagen konnte:

    „Wenn ich ganz mir selbst gehöre, ganz allein für mich in guter Stimmung bin, dann kommen mir die besten und schönsten Gedanken, woher und wie, das weiß ich nicht. Ich kann auch nichts dazu tun……"

    Dann „vorausgesetzt, dass ich nicht gestört werde, erweitert sich mein Gegenstand, nimmt klare Formen an und das Ganze steht beinahe vollständig und vollendet vor meinem Geiste, sodass ich es wie eine schöne Statue mit einem Blick übersehen kann. Aus diesem Grunde geschieht die Übertragung auf das Papier dann leicht, denn alles ist ja, wie gesagt, schon vollendet."

    Die Wirklichkeit, in der er lebte, lag jenseits irdischer Heiterkeit und irdischer Trauer – wie die Musik, die er schrieb, und die Erinnerung an jene himmlische Welt, in die zurückzukehren zu müssen, ihm längst keinen Schmerz mehr bereitete.

    Und noch lange vor seinem Tod schrieb er an seinen Vater:

    „Da der Tod der wahre Endzweck un-

    seres Lebens ist, so habe ich mich mit diesem besten Freund der Menschen so vertraut gemacht, dass sein Bild nichts Erschreckendes mehr für mich hat… und ich danke meinem Gott, dass er mir das Glück gegönnt hat, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit zu erkennen.

    Ich lege mich nie zu Bett, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht am nächsten Tag nicht mehr sein werde – und es wird doch kein Mensch unter Allen, die mich kennen, sagen können, dass ich im Umgang mürrisch oder traurig wäre – und für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer und wünsche sie von Herzen jedem meiner Mitmenschen".

    ================

    Ludwig von Beethoven

    Das Leben Beethovens ist die Tragödie der Einsamkeit. Und der Kampf dieses Titanen gegen die Einsamkeit. Tagebuch dieses Kampfes ist seine Musik.

    Er war einer der größten Liebenden, den die Erde getragen. Aber niemand war da, seine Liebe aufzufangen.

    Er war voll unbändiger Kraft und Lebenslust, aber sein Wunsch diese Kraft überströmen zu lassen in Hände, die nach ihr riefen wie nach einer Erfüllung, blieb ohne Widerhall. Niemand rief nach Beethoven. Niemand, der berufen war, seine Kraft zu erlösen, blieb beim ihm, sie ihm abzunehmen.

    So goss sich alles in Noten. Und in einer ungewöhnlichen Anstrengung des Herzens schuf er sich jene Heiterkeit, die ihm das Leben versagte, in sich selbst: „Freude, schöner Götterfunken…."

    Seine Kindheit war armselig und doch voll Glanz, solange seine Mutter noch lebte. Sie starb, noch ehe er heranwuchs. Und mit ihr der einzige Mensch, der ganz für ihn dagewesen war.

    „Wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte und er wurde gehört." Sie war eine einfache Frau. Wir haben kein Bild von ihr – vielleicht ihren zärtlichen Abglanz da und dort in einem Adagio oder Largo einer Sonate oder Symphonie. –

    Welche Fürstin der Welt rühmt sich solcher Porträts; und sie war doch nur die Tochter eines Kochs und in erster Ehe die Frau eines Kammerdieners.

    Ihr zweiter Mann, Beethovens Vater, war Säufer und Tenor; und als er die ungewöhnliche Begabung des Kindes erkannte, allein darauf aus, sie auszunutzen. Schon den Vierjährigen dressierte er mitleidslos zum Wunderkind. Mit 11 war Beethoven Mitglied eines Theaterorchesters, mit 13

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1