Paul Natorp: Johann Heinrich Pestalozzi, Sein Leben und seine Ideen: Band 159 in der gelben Buchreihe
Von Paul Natorp
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Über dieses E-Book
Der Stil Pestalozzis mag manchem Leser am Beginne seltsam erscheinen, man muss sich in ihn hineinlesen wie etwa in den Kant'schen; aber nach kurzer, wenn auch eindringlicher Übung erstehen einem seine Schönheiten. Scheinbar wiederholt sich Pestalozzi sowohl in seinen Analysen wie auch in der Synthese seiner Geschichtstheorie. Dem tiefer eindringenden Leser wird nicht entgehen, dass es sich stets um Erweiterungen handelt, die aber dem flüchtigen Leser als eitle Wiederholungen erscheinen mögen. Das Buch muss bis zur letzten Zeile gelesen werden, wenn man den Sinn der ersten verstehen will. -
Rezession: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeit-Epochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!
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Buchvorschau
Paul Natorp - Paul Natorp
Vorwort des jetzigen Herausgebers
Vorwort des jetzigen Herausgebers
Grafik 105Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.
Grafik 3Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.
Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktionen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale" weitere.
Der in diesem Band enthaltene Text von Amalie Sieveking zeugt von der tiefen Frömmigkeit einer vom Pietismus geprägten Dame aus der gutbürgerlichen Gesellschaft Anfang des 19. Jahrhunderts und spiegelt die Denkmuster und Lebensart eines Teils der damaligen Zeit. Für uns sind diese Ansichten heute kaum nachzuvollziehen, doch sind sie ein Zeugnis damaliger diakonischer Aktivität. Hamburg, 2021 Jürgen Ruszkowski
Grafik 2Ruhestands-Arbeitsplatz
Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers
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Der Autor Paul Natorp
Der Autor Paul Natorp
Grafik 37https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/pestaloz.html
Paul Gerhard Natorp wurde am 24. Januar 1854 in Düsseldorf geboren und starb am 17. August 1924 in Marburg. Er studierte ab 1871 Musik, Geschichte, klassische Philologie und Philosophie in Berlin, Bonn und Straßburg. Nach vier Jahren Tätigkeit als Hauslehrer wurde er Hilfsbibliothekar in Marburg, wo er sich 1881 bei Hermann Cohen habilitierte. Er war ein deutscher Philosoph und Pädagoge, der als Mitbegründer der Marburger Schule des Neukantianismus bekannt ist. Neben philosophischen Arbeiten trat er mit einer auf Kants Ethik gegründeten Sozialpädagogik hervor.
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Johann Heinrich Pestalozzi
Johann Heinrich Pestalozzi
Grafik 44https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/pestaloz.html
Geboren am 12. Januar 1746 in Zürich; gestorben am 17. Februar 1827 in Brugg / Kanton Aargau. Pestalozzi entstammte einer italienischen Kaufmannsfamilie, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts in Zürich lebte. Er besuchte die Lateinschule am Fraumünster und am Großmünster in Zürich sowie das Collegium Carolinum, die philosophisch-theologische Hochschule.
Unter Rousseauschem Einfluss verließ er das Carolinum vorzeitig und bereitete sich auf politisch-administrative Aufgaben vor; als diese Pläne scheiterten, entschloss er sich nach einjähriger Lehrzeit Bauer zu werden und auf das Birrfeld bei Brugg zu ziehen. Wegen einiger Fehlernten musste er den Betrieb durch die Weiterverarbeitung von Baumwolle stützen; dazu zog er auch verarmte Kinder aus der Umgebung heran. 1774 wandelte er den Hof in eine Armenanstalt um, die er wegen finanzieller Probleme 1780 wieder aufgeben musste.
Als 1798 die Französische Revolution auch auf die Schweiz übergriff, wurde er durch die neue Zentralregierung beauftragt, in Stans zur Betreuung der Waisenkinder eine Armenanstalt einzurichten, die allerdings unter dem Druck des französisch-österreichischen Krieges nach sieben Monaten wieder geschlossen wurde. 1799 ermöglichte es ein Auftrag der Zentralregierung, in Burgdorf / Emme die in Stans entwickelten Unterrichtsmethoden weiter zu erproben. 1804/05 wurde das Institut nach Iferten verlegt und entwickelte sich dort für etwa zwei Jahrzehnte zu einem pädagogischen Zentrum Europas. 1825 löste er die Anstalt auf und zog sich auf seinen Hof im Birrfeld zurück.
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Vorwort zur ersten Auflage
Vorwort zur ersten Auflage
https://www.projekt-gutenberg.org/natorp/pestaloz/pestaloz.html
Über Absicht und Anlage der Schrift, besonders darüber, was sie Neues geleistet haben möchte, gibt die Einleitung Rechenschaft. Neu ist, auch meinen eigenen früheren Darstellungen gegenüber, der systematische Aufbau der Ideen Pestalozzis. Doch wäre es künstlich gewesen, hätte ich im Einzelnen neue Formulierungen auch da suchen wollen, wo ich glaubte das Beste mir zurzeit Mögliche früher gegeben zu haben. Daher finden sich besonders im dritten Kapitel manche auch wörtliche Übereinstimmungen namentlich mit dem Artikel „Pestalozzis Pädagogik" in Reins Enzyklopädischem Handbuch. Aber schon die abweichende Gruppierung bedingte vielfach starke Änderung.
Angeführt sind Pestalozzis Schriften (mit S.) nach Seyffarths Liegnitzer Ausgabe (1899 ff.); doch ist die Sprache Pestalozzis nach Möglichkeit auf Grund der Originaldrucke wiederhergestellt. Wo es nützlich schien sind auch die Paragraphen der viel verbreiteten Mannschen Ausgabe (Langensalza, Beyer u. Söhne) beigesetzt.
Marburg, im November 1908
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Vorwort zur zweiten Auflage
Vorwort zur zweiten Auflage
Für diese so bald schon nötig gewordene Neuauflage brauchte der Text fast nirgends geändert, bloß im Hinblick auf die inzwischen erschienene neue Literatur über Pestalozzi hin und wieder ergänzt zu werden (s. bes. S. 2 u. f.).
Marburg, im November 1911
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Einleitung
Einleitung
Grafik 31Photographie nach einem im Pestalozzianum in Zürich befindlichen Original
Dass die Wirkung Pestalozzis auf unser Zeitalter nicht etwa erschöpft, sondern erst im Aufsteigen begriffen ist, wird gegenwärtig von vielen empfunden. In der pädagogischen Welt konnte er überhaupt nie in Vergessenheit geraten; und wohl jedem tiefer gebildeten Deutschen ist seine rührende Gestalt irgendeinmal entgegengetreten; besonders hat die Geschichte der Erhebung Preußens und Deutschlands vor hundert Jahren nie umhin gekonnt, sich dessen zu erinnern, was sein Name damals unseren Altvordern bedeutet hat. Aber für die weiteren Kreise der Gebildeten blieb er bis vor kurzem fast eine mythische Figur; man nannte ihn stets mit Ehrfurcht, man gedachte seiner mit dem Gefühl, mit dem man jedes echten Menschen gedenkt; aber man las ihn kaum noch. Den Glauben an seine geniale Größe durch eindringendes Studium in sicheres Wissen zu wandeln, scheinen nur wenige den Trieb verspürt zu haben; sonst wäre es nicht zu verstehen, dass seiner bis heute weder in der Literaturgeschichte noch in der Geschichte der Philosophie, weder in der politischen Geschichte noch in der historischen Soziologie so gedacht wird, wie es seiner Bedeutung entspräche.
Jetzt aber scheint sich hierin allmählich eine Wandlung anzubahnen. Es ist zu seiner Erforschung in den letzten Dezennien so viel geschehen, dass es nachgerade nicht mehr angeht, darüber gänzlich hinwegzusehen. Die Schriften Pestalozzis sind dank dem unermüdlichen Eifer des trefflichen Seyffarth in nahezu erschöpfender Vollständigkeit (wenn auch nicht philologisch musterhaft) herausgegeben; die Bibliographie, besonders die Nachweisung der bis dahin bekannten Briefe, ist durch den nicht minder rühmlichen Sammelfleiß Israels sehr gefördert. Und eine kaum zu bewältigende Fülle auf Pestalozzi bezüglichen zeitgeschichtlichen Materials ist in Hunzikers (Rudolf Hunziker – 1870 – 1946 Von 1897 bis 1935 unterrichtete er als Professor für Latein, Deutsch und Geschichte am Städtischen Gymnasium Winterthur (ab 1919 Kantonsschule Winterthur). Er war 1917 Mitbegründer und dann Direktor und Herausgeber der Jahrbücher der Literarischen Vereinigung Winterthur.) Pestalozziblättern und Seyffarths Pestalozzistudien zusammengetragen. Dadurch ist zur Ergänzung und vielfach auch Berichtigung der vierbändigen „Pestalozzischen Biographie (die selbst fast nur Materialsammlung war) außerordentlich viel beigetragen worden. Durch so vielfältige Vorarbeit war es dem Verfasser dieses Büchleins erleichtert, nun auch zum allgemeineren Verständnis und zur tieferen Würdigung des Mannes, seiner Persönlichkeit, seiner Leistungen und seiner Ideen das seinige beizusteuern. [Man findet die Ausbeute meiner mannigfachen Entdeckungsfahrten in diese Terra incognita jetzt bequem zusammen in der Biographie Pestalozzis und Auswahl aus dessen Schriften (in Greßlers Klassikern der Pädagogik), und in den „Gesammelten Abhandlungen zur Sozialpädagogik; in knappster Zusammenfassung in einem größeren Artikel von Reins Enzyklopädischem Handbuch der Pädagogik („Pestalozzis Pädagogik
)]. Von wertvollen Einzelarbeiten seien ferner genannt: Wigets ausgezeichnete Studie im Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik (Band 23 und 24); Walsemanns Buch über Pestalozzis Rechenmethode (1901); Israels Arbeit über Pestalozzis Institut in Iferten nach Papieren Blochmanns (1900); Seyffarths neu bearbeitete Pestalozzidarstellung von 1904; K. Muthesius' feine Studie über Goethe und Pestalozzi (1908); Lesers Schrift: J. H. Pestalozzi, seine Ideen in systematischer Würdigung (1908), eine Arbeit, die mir besonders willkommen sein musste als unabhängige Bestätigung meiner Grundauffassung des Mannes und seiner Ideen; besonders aber Heubaums Biographie (in der Sammlung „Die großen Erzieher, 1910), welche nicht ganz mit innerem Grunde eine ablehnende Haltung gegen meine Pestalozzidarstellung einzunehmen scheint; wenigstens urteilt Rudolf Lehmann (in den Jahresberichten für neuere deutsche Literaturgeschichte, XIX/XX, Seite 608 f.), dass Heubaum trotzdem mit seiner allgemeinen Würdigung des Pestalozzischen Denkens an meine (und Lesers) Auffassung „ganz nahe herankomme
; dass somit „die wissenschaftliche Erforschung des Gedankenkreises Pestalozzis in den letzten Jahren zu einem einheitlichen und für die Erziehungsgeschichte höchst wichtigen Ergebnis geführt und eine weit tiefere und zugleich geschichtlichere Auffassung dieses Gedankenkreises begründet hat, als noch bis vor kurzem herrschte –, was nur die nicht zugeben, welche von dieser „bis vor kurzem herrschenden
Auffassung eben von ihrer pädagogischen Vorbildung her beherrscht geblieben sind. Diese Bemerkung scheint, manchen Beurteilungen der 1. Auflage dieses Büchleins gegenüber, nicht überflüssig zu sein. Es darf gesagt werden, dass alle, die im letzten Jahrzehnt über Pestalozzi selbständig geforscht und dem mühsamen und umfänglichen Studium der Quellen sich ernstlich unterzogen haben, bei manchen Abweichungen in untergeordneten Fragen doch in den Hauptpunkten zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangt sind. – Neben diesen gründlichen Untersuchungen ist eine Auswahl aus Pestalozzis Schriften für weitere Leserkreise in Diederichs Verlag, eine andere bei Teubner erschienen. Auch die ergreifenden Liebesbriefe, gewechselt zwischen Pestalozzi und seiner Braut, haben endlich die ihnen gebührende Beachtung gefunden (P.s Liebesfrühling, v. K. Engelhard, 1911). Dagegen vermisste man lange eine zugleich kurz orientierende, von gelehrtem Ballast nach Möglichkeit befreite, und doch tief genug in den Kern der Sache dringende Darstellung der Ideen Pestalozzis. Eine solche wird hier gegeben. Wenn dabei nach der Natur der Sache manches früher Gesagte zu wiederholen war, so tritt doch in dem neuen Zusammenhang vieles unter neue Beleuchtung, und war im Einzelnen manches früher Übergangene hinzuzunehmen.
Freilich muss der ganze Versuch einer Systematisierung der Pestalozzischen Gedankenwelt auf harten Widerstand noch immer gefasst sein. Ich selbst hatte im Eingang der Darstellung in Reins Handbuch des näheren begründet, weshalb Pestalozzis Gedankenwelt eigentlich keine systematische, sondern nur eine historische, am biographischen Faden fortgehende Darstellung zu vertragen scheint. Der Reichtum und die Lebensfülle seiner stets unmittelbar aus den Erfahrungen seines Wirkens und Schaffens erwachsenen Ideen will sich den Fesseln eines Systems nicht gutwillig fügen; und sie mit Gewalt in diese Fesseln schlagen, heißt vielleicht sie ihres besten Vorzugs – eben der Freiheit, in der sie aus dem Leben quellen – berauben. Indessen hat Pestalozzi nach zusammenhängender Theorie doch ernstlich gestrebt und sie als unabweisbare Aufgabe anerkannt, ihren Mangel eben doch als Mangel empfunden. Und, was wichtiger, sein Denken war innerlich derart zentral geeint, dass, wer ihn wirklich aus dem Grunde verstehen will, dem Unternehmen einer Rekonstruktion seiner Ideen aus ihrem wahren Zentrum sich nicht wird entziehen dürfen. Aus dieser Erwägung hatte ich bereits in der genannten Darstellung der eingehenden „entwicklungsgeschichtlichen Vorführung der Pestalozzischen Ideen wenigstens den knappen „Entwurf eines Systems
derselben folgen lassen. Und ich habe mich seitdem in wiederholter Erwägung der Frage in der Überzeugung nur befestigt, dass neben und nach der historischen eine systematische Darstellung, wie sie dort nur in den allgemeinsten Umrissen versucht war, nicht bloß möglich, sondern unerlässlich gefordert blieb, wenn man einmal sich in den vollen Besitz dieser reichen Schatzkammer fruchtbarer Gedanken sollte setzen können. Es bildet daher die Systematik der Pestalozzischen Ideen, so wie ich sie als Ertrag meiner ganzen bisherigen Forschung zu geben mir getraue, in gegenwärtiger Darstellung die Hauptsache, während die Entwicklungsgeschichte nur im Umriss als erstes Kapitel vorangeschickt wird. Es dürfte damit besonders dem Bedürfnis pädagogisch interessierter Leser entsprochen sein, überhaupt aber aller, die Pestalozzi nicht bloß als ein merkwürdiges Phänomen der Ideengeschichte der Menschheit kennen lernen, sondern so viel als möglich zum eignen Gebrauch aus ihm entnehmen möchten. Denn dazu bedarf es einer Rechenschaft, die nach dem logischen Zusammenhang zu fragen nicht unterlassen kann. Auch dem Soziologen und Historiker, überhaupt jedem, dem es weniger um die Form als um den Gehalt der Pestalozzischen Ideen zu tun ist, schließlich selbst dem, der die schriftstellerische Form des Studiums wert erachtet (die doch nur Form ihres Inhalts sein will und anders gar nicht zu verstehen ist), wird eine solche Vorführung, mag sie immerhin dem Verdacht einer „Konstruktion" unterliegen, zum wenigsten im Sinne der leichteren Übersicht willkommen sein. Wie ganz aber diese Systematik aus der historischen und biographischen Forschung mir erwachsen ist, davon wird, wer es der Mühe wert hält, durch Vergleichung mit der entwicklungsgeschichtlichen Darstellung in Reins Handbuch, wie ich hoffe, überzeugt werden.
* * *
Erstes Kapitel – Pestalozzis Lebensgang und Entwicklungsgeschichte – Jugendgeschichte
Erstes Kapitel – Pestalozzis Lebensgang und Entwicklungsgeschichte –
Jugendgeschichte
Johann Heinrich Pestalozzi, aus ursprünglich italienischem, aber schon seit der Reformationszeit in Zürich ansässigem und eingebürgertem Geschlecht, war daselbst am 12. Januar 1746 geboren. Sein Vater, Johann Baptist, ein Wund- und Augenarzt, starb im Alter von nur 33 Jahren 1751; so wurde der Knabe mit zwei Geschwistern in bescheidenen, fast dürftigen Verhältnissen hauptsächlich von der Mutter (Susanna, geb. Hotz) und einer treuen Dienstmagd (Barbara Schmid, „das Babeli) erzogen. Seine große, von Gewandteren leicht auszubeutende Treuherzigkeit und sein scheinbarer Leichtsinn – in Wahrheit vielmehr eine große Unbekümmertheit um äußere und kleine Dinge, die aus früher intensiver innerer Beschäftigung sich erklärt – trug schon dem Schuljungen den Spottnamen „Heiri Wunderli von Thorliken
ein. Obgleich keineswegs ein Musterschüler, pflegte er die Hauptsachen im Unterricht schnell und warm zu erfassen und zählte daher im Ganzen wenigstens zu den besseren Schülern.
Collegium Carolinum in Zürich
Er machte, wohl nach mehrjährigem Besuch einer deutschen Elementarschule, 1754-1761 die Lateinschule, 1761-1763 das Collegium humanitatis durch und besuchte darauf das hauptsächlich der Ausbildung von Theologen gewidmete, mehr dem Charakter einer Akademie sich nähernde Collegium Carolinum, in welchem er bis Herbst 1765 die beiden unteren Kurse, den philologischen und philosophischen, nicht aber den dritten, theologischen durchlief. Von seinen Lehrern gewann auf ihn den stärksten Einfluss Bodmer, ein Mann, der sich nicht auf Mitteilung des vorgeschriebenen Lehrstoffes beschränkte, sondern persönlich auf die einzelnen Schüler einzuwirken und namentlich sie zu tüchtigen Bürgern ihres Vaterlandes in antik freiheitlichem Geiste zu erziehen strebte. In gleicher Absicht taten viele ernstgesinnte, aus Bodmers Schule hervorgegangene junge Züricher sich zusammen zu einem Verein, der „Helvetischen Gesellschaft zur Gerwe, so benannt nach dem Zunfthaus der Gerber, wo die Zusammenkünfte stattfanden. Diesem Verein trat, gleich seinen Freunden Lavater, Füßli, Bluntschli u. a. auch Pestalozzi bei. Man kam allwöchentlich zusammen, um Aufsätze der Mitglieder über Gegenstände aus der Geschichte, Politik, Moral und Pädagogik gemeinsam zu lesen und zu besprechen. Als dieser Verein, der wegen seiner entschieden demokratischen Richtung bei den Regierenden der Stadt von Anfang an nicht wohl gelitten war, im Jahre 1767 im Zusammenhang mit politischen Unruhen aufgelöst wurde, kam auch der junge Pestalozzi in ernsten Verdacht gefährlicher Umtriebe; er wurde in Arrest genommen, aber als unschuldig erkannt und mit scharfer Verwarnung entlassen. Eine von den Vereinsgenossen herausgegebene periodische Schrift „Der Erinnerer
brachte auch einige Aphorismen, „Wünsche betitelt, aus Pestalozzis Feder, worin er unter anderen gemeinnützigen Dingen eine schlichte Erziehungslehre für den einfachen Bürger und Bauern fordert. Bedeutender und sehr bezeichnend für seine damalige politische Richtung ist ein Aufsatz „Agis
, der nebst dem Bruchstück einer Übersetzung der dritten Olynthischen Rede des Demosthenes im „Lindauer Journal" 1766 ohne Nennung des Verfassers erschien. Dieser Aufsatz legt nicht nur Zeugnis ab von Pestalozzis ernster Beschäftigung mit Geschichte und Politik der Alten (Demosthenes, Plutarch), sondern verrät eine geradezu revolutionäre Stimmung.
Jean-Jacques Rousseau – 1712 – 1778
Diese erklärt sich aus dem starken Eindruck der Schriften Rousseaus, die damals erst kürzlich erschienen waren und, wie