Der Sommergott: Baldur, Phol und Meili
Von Harry Eilenstein
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Über dieses E-Book
Die achtzigbändige Reihe „Die Götter der Germanen“ stellt die Gottheiten und jeden Aspekt der Religion der Germanen anhand der schriftlichen Überlieferung und der archäologischen Funde detailliert dar.
Dabei werden zu jeder Gottheit und zu jedem Thema außer den germanischen Quellen auch die Zusammenhänge zu den anderen indogermanischen Religionen dargestellt und, wenn möglich, deren Wurzeln in der Jungsteinzeit und Altsteinzeit.
Daneben werden auch jeweils Möglichkeiten gezeigt, was eine solche alte Religion für die heutige Zeit bedeuten kann – schließlich ist eine Religion zu einem großen Teil stets der Versuch, die Welt und die Möglichkeit der Menschen in ihr zu beschreiben,
Das Buch
Baldur ist der „lichte Ase“. Er steht für Schönheit, Ehrlichkeit und Frieden – also für Eigenschaften, die ansonsten in der germanischen Überlieferung nicht besonders betont werden.
Er ist der Gott des Sommers, der sterbende und wiedergeborene Gott, der Mistelgott und der Träger des Ringes Draupnir.
Die Geschichte des Baldur lässt sich weit zurück bis in die Jungsteinzeit nach Mesopotamien zurückverfolgen.
Harry Eilenstein
Ich bin 1956 geboren und befasse mich nun seit 45 Jahren intensiv mit Magie, Religion, Meditation, Astrologie, Psychologie und verwandten Themen. Im Laufe der Zeit habe ich ca. 230 Bücher und ca. 50 Artikel für verschiedene Zeitschriften verfasst. Seit 2023 schreibe ich an einem achtbändigen Fantasy-Roman "Maran", in den auch alle meine Erfahrungen mit Magie, Meditation, Astrologie, Religion, Psychologie und ähnlichem miteingeflossen sind. Die ersten vier Bände sind bereits erschienen. Seit 2007 habe ich meine jahrzehntelange Nebentätigkeit ausgeweitet und bin nun hauptberuflich Lebensberater. Dies umfasst die eigentlichen Beratungen, aber auch das Deuten von Horoskopen, Heilungen, Rituale, Schwitzhütten, Feuerläufe, Hilfe bei Spukhäusern u.ä. Problemen, Ausbildung in Meditation und Feng Shui und vieles mehr. Auf meiner Website www.HarryEilenstein.de finden sich ein Teil meiner Artikel und auch einen ausführlichen Lebenslauf.
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Der Sommergott - Harry Eilenstein
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Priester – Seher – Zauberer
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Kriegerinnen und Ekstase-Krieger
Die Symbolik der Körperteile
Magie und Ritual
Gestaltwandlungen
Magische Waffen
Magische Werkzeuge und Gegenstände
Zaubersprüche
Göttermet
Zaubertränke
Träume, Omen und Orakel
Runen
Sozial-religiöse Rituale
Weisheiten und Sprichworte
Kenningar
Rätsel
Die vollständige Edda des Snorri Sturluson
Frühe Skaldenlieder
Mythologische Sagas
Hymnen an die germanischen Götter
Inhaltsverzeichnis
Baldur
Baldur in der mythologischen Überlieferung der Germanen
Gylfis Vision (1)
Die Saga über Hervor und König Heidrek den Weisen
Gylfis Vision (2)
Hyndla-Lied
Fiölswin-Lied
Heimskringla (1)
Wegtamlied
Odins Rabenzauber
Die Vision der Seherin
Lokasenna
Husdrapa
Grimnir-Lied
Heimskringla (2)
Hymir-Lied
Haustlöng
Skaldskarparmal (1)
Eiriksmal
Heimskringla (3)
Skaldskarpamal (2)
Merseburger Zaubersprüche
Edda-Zitat
Gylfis Vision (3)
Gylfis Vision (4)
Skirnir-Lied
Skaldskaparmal (3)
Gedicht über Gizurr Goldbrauen-Skalde
Asen-Thulur
Kenningar
Personennamen
Zusammenfassung
Baldur in den Sagas der Germanen
Baldur
Fridthjofssaga
Saga über König Olaf den Ruhmreichen Tryggvason
Styrbjörn-Saga
Sögubrot af nokkrum fornkonungum
Der Ring
Huldar-Saga
Die Saga von Thorstein Haus-Macht
Halsringe auf den Goldbrakteaten
Der Ring Draupnir auf den Runensteinen
Ringe auf dem Goldhorn von Gallehus
Archäologische Ring-Funde
Die Schiffsbestattungen der Germanen
Gisli-Saga
Beowulf-Epos
Steinsetzungen in Schiffsform
Das Feuer-Jenseitstor
Tacitus
Sigurd-Lied
Gudruns Streit-Lied
Das Beowulf-Epos
Hervor-Saga
Ibn Fadlans Reisebericht
Die Saga von Thrond von Gate
Brakteaten
Zusammenfassung
Baldur in den Chroniken
Baldur in der „Gesta danorum" des Saxo grammaticus
Gesta danorum (1)
Gesta danorum (2)
Gesta danorum (3)
Baldur in der Chronicon lethrense
Baldur in Jakob Grimms „Deutscher Mythologie"
Baldur
Angelsächsiche Stammtafeln
Baldur, Forseti und Hofund
Der Name „Baldur"
Frühes Nordeuropa
Frühgermanisches England
Angelsachsen
Frühes deutsches Mittelalter
Goten
Deutschland
Urgermanen
Kelten
Litauen und Lettland
Slawen
Griechen
Indogermanen
Jungsteinzeit
Altsteinzeit
Baldur in Ortsnamen
Baldur in Pflanzennamen
Baldur bei den Indogermanen
Schönheit-Richtigkeit
Der sterbende Gott
Der Ring
Der Mistelpfeil
Das Totenschiff
Die Feuerbestattung
Das Opfer der Ehefrau
Die Jenseitsgöttin
Horn und Rinderfell
Der Lachs
Der Göttermet
Die Unverwundbarkeit
Zusammenfassung
Die Wurzeln des Baldur in der Jungsteinzeit
Die Wurzeln des Baldur in der Altsteinzeit
Die Biographie des Gottes Baldur
Das Aussehen des Gottes Baldur
Der Weg zu Baldur
Hymnen an Baldur
An Baldur
Baldurs Schicksal
Hermodr und Thökk
Baldurs Reise
Baldur und Ullr
XIV Traumreisen zu Baldur
Traumreise zu Baldur
Traumreise nach Breidablick
Baldur heute
Phol
I Phol in der germanischen Überlieferung
Merseburger Zaubersprüche
Jakob Grimm: Deutsche Mythologie
Zusammenfassung
Meili
I Meili in der germanischen Überlieferung
Der Name „Meili"
Nafna-Thulur
Harbard-Lied
Haustlöng
Zusammenfassung
Themen-Verzeichnis
I Baldur in der mythologischen Überlieferung der Germanen
Die Hauptquelle für die Mythen der Germanen ist die Edda. Sie ist eine Sammlung von Geschichten und Liedern über die germanischen Götter sowie eine ausführliche Beschreibung der germanischen Dichtkunst. Der Name „Edda leitet sich von dem lateinischen „editio
ab und bedeutet hier in etwa „Sammlung, Zusammenstellung. Sie besteht aus zwei Teilen: aus einer Sammlung von alten Liedern und einem Prosateil mit einzelnen Strophen, der um 1220 n.Chr. von Snorri Sturluson (1179-1241 n.Chr.) für den norwegischen König Hákon Hákonarson und für seinen Freund, den norwegischen Jarl („Earl
= Fürst) Skule Bårdson verfaßt wurde.
Diese Texte werden schon recht alt sein, da sich einige Motive aus diesen Liedern bereits auf den Runensteinen finden und viele Motive auch aus den Mythen anderer indogermanischer Völker bekannt sind.
Der Gott Baldur ist vor allem in den Prosatexten der Edda beschrieben worden.
I 1. Gylfis Vision (1)
In dieser langen Vision wird zunächst allgemein Baldurs Herkunft und sein Charakter dargestellt:
Da sprach Gangleri: „Ich möchte auch von den anderen Asen Kunde hören."
Har sprach: „Odins anderer Sohn ist Baldur. Von ihm ist nur Gutes zu sagen: Er ist der beste und wird von allen gelobt. Er ist so schön von Antlitz und so glänzend, daß ein Schein von ihm ausgeht. Ein Kraut ist so licht, daß es mit Baldurs Augenbrauen verglichen wird, es ist das lichteste aller Kräuter: Davon magst Du auf die Schönheit seines Haars sowohl als seines Leibes schließen. Er ist der weiseste, beredteste und mildeste von allen Asen. Er hat die Eigenschaft, daß niemand seine Urteile schelten kann. Er bewohnt im Himmel die Stätte, welche Breidablick heißt. Da wird nichts Unreines geduldet, wie hier gesagt wird:
'Die siebente ist Breidablick, da hat Baldur sich
Die Halle erhöht
In jener Gegend, wo ich der Greuel
Die wenigsten lauschen weiß.' "
Später wird in dem Text ausführlich dargestellt, wie es zu Baldurs Tod kam und was sich danach ereignete:
Da frug Gangleri: „Haben sich noch andere Abenteuer mit den Asen ereignet? Eine gewaltige Heldentat hat Thor auf dieser Fahrt verrichtet."
Har antwortete: „Es mag noch von Abenteuern berichtet werden, die den Asen bedeutender scheinen.
Und das ist der Anfang dieser Sage, daß Baldur der Gute schwere Träume träumte, die seinem Leben Gefahr deuteten. Und als er den Asen seine Träume sagte, hielten sie zusammen Rat und beschlossen, dem Baldur Sicherheit vor allen Gefahren auszuwirken.
Da nahm Frigg Eide von Feuer und Wasser, Eisen und allen Erzen, Steinen und Erden, von Bäumen, Krankheiten und Giften, dazu von allen vierfüßigen Tieren, Vögeln und Würmern, daß sie Baldurs schonen wollten. Als das geschehen und allen bekannt war, da kurzweilten die Asen mit Baldur, daß er sich mitten in den Kreis stellte und einige nach ihm schossen, andere nach ihm hieben und noch andere mit Steinen warfen. Und was sie auch taten, es schadete ihm nicht; das dünkte sie alle ein großer Vorteil.
Aber als Loki, Laufeyjas Sohn, das sah, da gefiel es ihm übel, daß den Baldur nichts verletzen sollte. Da ging er zu Frigg nach Fensal in Gestalt eines alten Weibes. Da frug Frigg die Frau, ob sie wüßte, was die Asen in ihrer Versammlung vornähmen.
Die Frau antwortete, daß sie alle nach Baldur schossen; ihm aber nichts schade.
Da sprach Frigg: 'Weder Waffen noch Bäume mögen Baldur schaden: ich habe von allen Eide genommen.'
Da frug das Weib: 'Haben alle Dinge Eide geschworen, Baldurs zu schonen?'
Frigg antwortete: 'Östlich von Walhall wächst eine Staude, Mistel genannt, die schien mir zu jung, sie in Eid zu nehmen.'
Darauf ging die Frau fort; Loki nahm den Mistelzweig, riß ihn aus und ging zur Versammlung. Hödur stand zuäußerst im Kreise der Männer, denn er war blind. Da sprach Loki zu ihm: 'Warum schießt Du nicht nach Baldur?'
Er antwortete: 'Weil ich nicht sehe, wo Baldur steht; zum anderen hab ich auch keine Waffe.'
Da sprach Loki: 'Tu doch wie andere Männer und biete Baldur Ehre wie alle tun. Ich will Dich dahin weisen wo er steht: So schieße nach ihm mit diesem Reis.'
Hödur nahm den Mistelzweig und schoß nach Baldur nach Lokis Anweisung. Der Schuß flog und durchbohrte ihn, daß er tot zur Erde fiel, und das war das größte Unglück, das Menschen und Götter je traf.
Als Baldur gefallen war, standen die Asen alle wie sprachlos und gedachten nicht einmal, ihn aufzuheben. Einer sah den anderen an; ihr aller Gedanke war wider den gerichtet, der diese Tat vollbracht hatte; aber sie durften es nicht rächen: es war an einer heiligen Freistätte. Als aber die Asen die Sprache wieder erlangten, da war das erste, daß sie so heftig zu weinen anfingen, daß keiner mit Worten dem anderen seinen Gram zu sagen vermochte.
Und Odin nahm sich den Schaden um so mehr zu Herzen als niemand so gut wußte als er, zu wie großem Verlust und Verfall den Asen Baldurs Ende gereichte. Als nun die Asen sich erholt hatten, da sprach Frigg und frug, wer unter den Asen ihre Gunst und Huld gewinnen und den Helweg reiten wolle, um zu versuchen ob er da Baldur fände, und der Hel Lösegeld zu bieten, daß sie Baldur heimfahren ließe gen Asgard.
Der diese Fahrt übernahm, hieß Hermod der Schnelle, Odins Sohn. Da ward Sleipnir, Odins Hengst, genommen und vorgeführt, Hermod bestieg ihn und stob davon.
Da nahmen die Asen Baldurs Leiche und brachten sie zur See. Hringhorni hieß Baldurs Schiff, es war aller Schiffe größtes. Das wollten die Götter vom Strande stoßen und Baldurs Leiche darauf verbrennen; aber das Schiff ging nicht von der Stelle. Da wurde gen Jötunheim nach dem Riesenweib gesendet, die Hyrrockin hieß, und als sie kam, ritt sie einen Wolf, der mit einer Schlange gezäumt war. Als sie vom Rosse gesprungen war, rief Odin vier Berserker herbei, es zu halten; aber sie vermochten es nicht anders als indem sie es niederwarfen.
Da trat Hyrrockin an das Vorderteil des Schiffes und stieß es im ersten Anfassen vor, daß Feuer aus den Walzen fuhr und alle Lande zitterten. Da ward Thor zornig und griff nach dem Hammer und würde ihr das Haupt zerschmettert haben, wenn ihr nicht alle Götter Frieden erbeten hätten.
Da wurde Baldurs Leiche hinaus auf das Schiff getragen und als sein Weib Nanna, Neps Tochter, das sah, da zersprang sie vor Jammer und starb. Da wurde sie auf den Scheiterhaufen gebracht und Feuer darunter gezündet, und Thor trat hinzu und weihte den Scheiterhaufen mit Miölnir, und vor seinen Füßen lief der Zwerg, der Lit hieß, und Thor stieß mit dem Fuß nach ihm und warf ihn ins Feuer, daß er verbrannte.
Und diesem Leichenbrand wohnten vielerlei Gäste bei: Zuerst ist Odin zu nennen, und mit ihm fuhr Frigg und die Walküren und Odins Raben, und Freyr fuhr im Wagen und hatte den Eber vorgespannt, der Gullinborsti hieß oder Slidrugtanni. Heimdall ritt den Hengst Gulltopp und Freyja fuhr mit ihren Katzen. Auch kam eine große Menge Hrimthursen und Bergriesen.
Odin legte auf den Scheiterhaufen den Ring, der Draupnir hieß, der seitdem die Eigenschaft gewann, daß jede neunte Nacht acht gleich schöne Goldringe von ihm tropften. Baldurs Hengst wurde mit allem Geschirr zum Scheiterhaufen geführt.
Von Hermod aber ist zu sagen, daß er neun Nächte durch tiefe dunkle Täler ritt, so daß er nichts sah, bis er zum Giöllflusse kam und über die Giöllbrücke ritt, die mit glänzendem Gold belegt ist.
Modgud heißt die Jungfrau, welche die Brücke bewacht: Die frug ihn nach Namen und Geschlecht und sagte, gestern seien fünf Haufen toter Männer über die Brücke geritten, 'und nicht donnert sie jetzt minder unter Dir allein, und nicht hast Du die Farbe toter Männer: warum reitest Du den Helweg?'
Er antwortete: 'Ich soll zu Hel reiten, Baldur zu suchen. Hast Du vielleicht Baldur auf dem Helweg gesehen?'
Da sagte sie: Baldur sei über die Giöllbrücke geritten; 'aber nördlich geht der Weg hinab zu Hel.'
Da ritt Hermod dahin, bis er an das Helgitter kam: Da sprang er vom Pferd und gürtete es fester, stieg wieder auf und gab ihm die Sporen: Da setzte der Hengst so mächtig über das Gitter, daß er es nirgends berührte. Da ritt Hermod auf die Halle zu, stieg vom Pferd und trat in die Halle. Da sah er seinen Bruder Baldur auf dem Ehrenplatze sitzen.
Hermod blieb dort die Nacht über. Aber am Morgen verlangte Hermod von Hel, daß Baldur mit ihm heim reiten solle, und sagte, welche Trauer um ihn bei den Asen sei. Aber Hel sagte, das solle sich nun erproben, ob Baldur so allgemein geliebt werde als man sage. 'Und wenn alle Dinge in der Welt, lebendige sowohl als tote, ihn beweinen, so soll er zurück zu den Asen fahren; aber bei Hel bleiben, wenn eins widerspricht und nicht weinen will.'
Da stand Hermod auf und Baldur geleitete ihn aus der Halle und nahm den Ring Draupnir und sandte ihn Odin zum Andenken, und Nanna sandte der Frigg einen Überwurf und noch andere Gaben, und der Fulla einen Goldring.
Da ritt Hermod seines Weges zurück und kam nach Asgard und sagte alle Dinge, die er da gehört und gesehen hatte. Danach sandten die Asen Boten in alle Welt und geboten, Baldur aus Hels Gewalt zu weinen. Alle taten das, Menschen und Tiere, Erde, Steine, Bäume und alle Erze; wie Du schon gesehen haben wirst, daß diese Dinge weinen, wenn sie aus dem Frost in die Wärme kommen. Als die Gesandten heimfuhren und ihr Gewerbe wohl vollbracht hatten, fanden sie in einer Höhle ein Riesenweib sitzen, das Thökk genannt wurde. Die baten sie auch, den Baldur aus Hels Gewalt zu weinen. Sie antwortete:
'Thöck muß weinen mit trocknen Augen
Über Baldurs Ende.
Nicht im Leben noch im Tod hatt ich Nutzen von ihm:
Behalte Hel was sie hat.'
Man sagt, daß dies Loki, Laufeyjas Sohn, gewesen sei, der den Asen so viel Leid zugefügt hatte."
Da sprach Gangleri: „Viel Arges wahrlich hat Loki zu Wege gebracht, da er erst verursachte, daß Baldur erschlagen wurde, und dann schuld war, daß er nicht erlöst ward aus Hels Gewalt. Aber wurde das nicht irgendwie an ihm geahndet?"
Har antwortete: „Es ward ihm so vergolten, daß er lange daran denken wird. Als die Götter so wider ihn aufgebracht waren, wie man erwarten mag, lief er fort und barg sich in einem Berge. Da machte er sich ein Haus mit vier Türen, daß er aus dem Hause nach allen Seiten sehen konnte.
Oft am Tag verwandelte er sich in Lachsgestalt und barg sich in dem Wasserfall, der Franang hieß, und bedachte bei sich, welches Kunststück die Asen wohl erfinden könnten, ihn in dem Wasserfall zu fangen. Und einst, als er daheim saß, nahm er Flachsgarn und verflocht es zu Maschen, wie man seitdem Netze macht. Dabei brannte Feuer vor ihm. Da sah er, daß die Asen nicht weit von ihm waren, denn Odin hatte von Hlidskialfs Höhe seinen Aufenthalt erspäht.
Da sprang er schnell auf und hinaus ins Wasser, nachdem er das Netz ins Feuer geworfen hatte. Und als die Asen zu dem Haus kamen, da ging er zuerst hinein, der von allen der Weiseste war und Kwasir hieß, und als er im Feuer die Asche sah, wo das Netz gebrannt hatte, da merkte er, daß dies ein Mittel sein sollte, Fische zu fangen, und sagte das den Asen.
Da fingen sie an und machten ein Netz jenem nach, das Loki gemacht hatte, wie sie in der Asche sahen. Und als das Netz fertig war, gingen sie zu dem Fluß und warfen das Netz in den Wasserfall. Thor hielt das eine Ende, das andere die übrigen Asen, und nun zogen sie das Netz. Aber Loki schwamm voran und legte sich am Boden zwischen zwei Steine, so daß das Netz über ihn hinweggezogen wurde, doch merkten sie wohl, daß etwas Lebendiges vorhanden sei.
Da gingen sie abermals an den Wasserfall und warfen das Netz aus, nachdem sie etwas so Schweres daran gebunden hatten, daß nichts unten durchschlüpfen mochte. Loki fuhr vor dem Netze her und als er sah, daß es nicht weit von der See sei, da sprang er über das ausgespannte Netz und lief zurück in den Fall.
Nun sahen die Asen, wo er geblieben war: da gingen sie wieder an den Wasserfall und teilten sich in zwei Haufen nach den beiden Ufern des Flusses. Thor aber mitten im Fluß watend folgte ihnen bis an die See. Loki hatte nun die Wahl, entweder mit Lebensgefahr nach der See zu ziehen oder abermals über das Netz zu springen. Er tat das letzte und sprang schnell über das ausgespannte Netz. Thor griff nach ihm und kriegte ihn in der Mitte zu fassen; aber er glitt ihm in der Hand, so daß er ihn erst am Schwanz wieder festhalten konnte. Darum ist der Lachs hinten spitz.
Nun war Loki friedlos gefangen. Sie brachten ihn in eine Höhle und nahmen drei lange Felsenstücke, stellten sie auf die schmale Kante und schlugen ein Loch in jedes. Dann wurden Lokis Söhne, Wali und Nari oder Narwi, gefangen. Den Wali verwandelten die Asen in Wolfsgestalt: da zerriß er seinen Bruder Narwi.
Da nahmen die Asen seine Därme und banden den Loki damit über die drei Felsen: der eine stand ihm unter den Schultern, der andere unter den Lenden, der dritte unter den Kniegelenken; die Bänder aber wurden zu Eisen. Da nahm Skadi einen Giftwurm und befestigte ihn über ihm, damit das Gift aus dem Wurm ihm ins Antlitz träufelte.
Und Sigyn, sein Weib, steht neben ihm und hält ein Becken unter die Gifttropfen. Und wenn die Schale voll ist, da geht sie und gießt das Gift aus; derweil aber tropft ihm das Gift ins Angesicht, wogegen er sich so heftig sträubt, daß die ganze Erde schüttelt, und das ist es, was man Erdbeben nennt. Dort liegt er in Banden bis zur Götterdämmerung. "
Schließlich sprechen Gangleri und Har noch über die Zeit nach Baldurs Tod und nach dem Ragnarök, der durch Baldurs Tod ausgelöst worden war.
Da sprach Gangleri: „Leben denn dann heute noch Götter und gibt es noch eine Erde oder einen Himmel?"
Har antwortete: „Die Erde tauchte wieder aus der See auf, grün und schön, und Korn wächst darauf ungesäht. Widar und Wali leben noch, weder die See noch Surturs Lohe haben ihnen geschadet. Sie wohnen auf dem Idafeld, wo zuvor Asgard war. Auch Thors Söhne, Modi und Magni, stellen sich ein und bringen den Miölnir mit.
Danach kommen Baldur und Hödur aus dem Reiche Hels: Da sitzen sie alle beisammen und besprechen sich und gedenken ihrer Heimlichkeiten, und sprechen von Dingen, die vordem sich ereignet, von der Midgardschlange und dem Fenriswolf. Da finden sie im Grase die Goldtafeln, welche die Asen besessen haben. Wie es heißt:
'Widar und Wali walten des Heiligtums,
Wenn Surturs Lohe losch.
Modi und Magni sollen Miölnir schwingen
Und zu Ende kämpfen den Krieg.'
An einem Ort, Hoddmimirs Holz genannt, verbargen sich während Surturs Lohe zwei Menschen, Lif und Lifthrasir genannt, und nährten sich vom Morgentau. Von diesen beiden stammt ein so großes Geschlecht, daß es die ganze Welt bewohnen wird. So heißt es hier:
'Lif und Lifthrasir leben verborgen
In Hoddmimirs Holz;
Morgentau ist all ihr Mahl.
Von ihnen stammt ein neues Geschlecht.'
Und das wird Dich wunderbar dünken, daß die Sonne eine Tochter geboren hat, nicht minder schön als sie selber: die wird nun die Bahn der Mutter wandeln. So heißt es hier:
'Eine Tochter entstammt der strahlenden Göttin
Eh' der Wolf sie würgt.
Glänzend fährt nach der Götter Fall
Die Maid auf den Wegen der Mutter.' "
Der rote Faden in diesem langen Bericht über Baldur ist sein Tod und seine Wiederkehr in das Land der Lebenden.
In diesem Text kommen viele Details vor, aus denen sich rekonstruieren läßt, worum es in dieser Mythe eigentlich geht.
Zunächst einmal wird Baldur als der beste, weiseste, mildeste, reinste und beredteste Gott von allen beschrieben, der deshalb von allen gelobt wird. Sowohl sein Charakter als auch sein Aussehen sind ganz von Schönheit erfüllt. Er scheint auch eine Art Richter zu sein, da niemand seine Urteile