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Hathor und Re I: Mythen und Magie im Alten Ägypten
Hathor und Re I: Mythen und Magie im Alten Ägypten
Hathor und Re I: Mythen und Magie im Alten Ägypten
eBook1.000 Seiten20 Stunden

Hathor und Re I: Mythen und Magie im Alten Ägypten

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Über dieses E-Book

Das alte Ägypten ist auch noch heute eine faszinierende Kultur – die Pyramiden, die Hieroglyphen, die Pharaonen, die blühende Niloase inmitten der Sahara ... Fast tausend Jahre lang war Ägypten das einzige Königreich auf der Erde, während es ringsum nur einige kleine Stadtstaaten gab.
Aber das Alte Ägypten ist nicht nur von historischem Interesse, die ägyptische Religion beschreibt Erlebnisse, die auch noch heute jeder Mensch haben kann wie z.B. die Astralreise, bei der man mit seiner Seele seinen materiellen Körper verläßt und ihn unter sich liegen sieht. Dieses Schweben wurde im Alten Ägypten durch viele Bilder dargestellt – z.B. durch den Horusfalken, der über der Mumie schwebt. Eine solche Astralreise durch den Priester ist auch das Kernstück des ägyptischen Bestattungsrituals, bei dem der Priester die Seele des Verstorbenen zurück in seine Mumie oder Statue holt, damit sie weiterhin ihren Nachkommen mit Rat und Hilfe beisteht.
Die ägyptische Religion zeigt auch, wie ein Volk kollektiv in der Geborgenheit der Muttergöttin Hathor ruhen bleibt und trotzdem die Eigenständigkeit erlangt, die der Sonnen- und Königsgott Re darstellt – sowohl ein Vorbild für die Loslösung jedes einzelnen Kindes von den Eltern ohne dabei den Halt in der Familie zu verlieren als auch eine Anregung dafür, wie wir unsere heutige Kultur heilen können, die an der Einsamkeit und dem Mangel an Geborgenheit der Menschen leidet ...
Osiris, die Gottheit, mit der sich jeder Ägypter und jede Ägypterin nach ihrem Tod identifizierte, ist das Ideal der Ägypter auch während ihres Leben: auf die Muttergöttin vertrauen, in der eigenen Mitte ruhen und die "Gottheit im eigenen Herzen" kennen, in Besonnenheit und Stärke und in Harmonie leben – und ohne Furcht vor dem Tod.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum8. Apr. 2015
ISBN9783738679236
Hathor und Re I: Mythen und Magie im Alten Ägypten
Autor

Harry Eilenstein

Ich bin 1956 geboren und befasse mich nun seit 45 Jahren intensiv mit Magie, Religion, Meditation, Astrologie, Psychologie und verwandten Themen. Im Laufe der Zeit habe ich ca. 230 Bücher und ca. 50 Artikel für verschiedene Zeitschriften verfasst. Seit 2023 schreibe ich an einem achtbändigen Fantasy-Roman "Maran", in den auch alle meine Erfahrungen mit Magie, Meditation, Astrologie, Religion, Psychologie und ähnlichem miteingeflossen sind. Die ersten vier Bände sind bereits erschienen. Seit 2007 habe ich meine jahrzehntelange Nebentätigkeit ausgeweitet und bin nun hauptberuflich Lebensberater. Dies umfasst die eigentlichen Beratungen, aber auch das Deuten von Horoskopen, Heilungen, Rituale, Schwitzhütten, Feuerläufe, Hilfe bei Spukhäusern u.ä. Problemen, Ausbildung in Meditation und Feng Shui und vieles mehr. Auf meiner Website www.HarryEilenstein.de finden sich ein Teil meiner Artikel und auch einen ausführlichen Lebenslauf.

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    Buchvorschau

    Hathor und Re I - Harry Eilenstein

    Bonn.

    I Die Schöpfung

    I A Der Ursprung

    I A 1. Nun

    Nach der Vorstellung der Ägypter gab es zu der Zeit, als diese Welt noch nicht entstanden war, nur ein unendliches, leeres, finsteres Wasser: das Urmeer Nun. Meist wird es einfach als das Urelement Wasser, manchmal aber auch personifiziert als der Gott Nun dargestellt. Er hat eine rein menschliche Gestalt und trägt manchmal zwei hohe Federn als Krone. Meistens trägt er jedoch gar kein Kennzeichen. Sein Name leitet sich von der Verdoppelung des Wortes nu, das Wasser bedeutet, ab; nunu wurde dann zu Nun verkürzt - die Verdoppelung ist in vielen alten Sprachen eine häufige Form der Betonung, der Substantivierung von Verben und Adjektiven und generell des Erhebens der Wortbedeutung auf eine höhere Ebene.

    Dieses Urwasser, das die Ägypter ursprünglich wohl weder als weiblich noch als männlich aufgefaßt haben, wurde von ihnen in vier Aspekte gegliedert und in der Gestalt von vier Götterpaaren dargestellt: die Achtheit des Anfangs. Im Laufe der Entwicklung sind zwei dieser Gottheiten, Nun und Amun, zu Stellvertretern der gesamten Achtheit geworden.

    Die vier Götter dieser Achtheit haben die Gestalt von Fröschen und die vier Göttinnen in der Regel die Gestalt von Schlangen, da man glaubte, daß diese Tierarten ohne Zeugung aus dem Schlamm geboren würden. Manchmal werden auch die vier Urgötter als ein Stier und die vier Urgöttinnen als eine Kuh aufgefaßt, wobei dann diese Urkuh mit den Göttinnen Hathor und Nut so gut wie identisch ist. Diese Darstellungsweise erklärt sich daraus, daß das Rind für die Ägypter das Sinnbild der Fruchtbarkeit und der Zeugungskraft war, durch die die Welt erschaffen wurde.

    In diesem Urwasser, das sowohl räumlich als auch zeitlich keinen Anfang und kein Ende hat, war die Welt vor ihrer Schöpfung als Möglichkeit verborgen. Nachdem sie Realität wurde, erhob sich die Erde aus dem Nun und wurde von ihm umgeben. Auch der Himmel war ein Teil des Urmeeres, aus dem auch der Nil, das Grundwasser, der Regen und der Nebel stammen.

    Der Ursprung dieser Vorstellung ist zumindest dreifach:

    1. Die älteste Wurzel ist die Erinnerung an die Zeit im Fruchtwasser im Bauch der eigenen Mutter, die man durch Meditationen und ähnliche Methoden wieder erlangen kann, sowie das Erlebnis, daß alle Wesen aus dem Wasser kommen: die Säugetiere aus dem Fruchtwasser, die Reptilien und die Vögel aus dem Ei, und die Amphibien und die Fische aus den Flüssen und dem Meer.

    2. Die zweitälteste Wurzel ist die weltweit verbreitete Vorstellung, daß die Unterwelt im „Tiefen Wasser" liegt, in der dann die Ahnen und die Götter leben. Diese Vorstellung ist dann später auf den Himmel übertragen worden, wodurch der Himmel zum Himmelsmeer wurde.

    3. Die drittälteste Wurzel dieses Bildes stammt aus dem Beginn des Ackerbaus und beruht auf dem jedes Jahr wiederkehrenden Erlebnis des Auftauchens des fruchtbaren Ackerlandes aus der Nilflut.

    Da die Muttergöttin, die alle Lebewesen gebiert, eben eine Göttin ist, die Wasser des Jenseits auch als Göttin aufgefaßt wurden und auch die Nilflut eher von Göttinnen als von Göttern verursacht wurde, kann man das Urmeer als ein Bild der Göttin auffassen, auch wenn der Gott Nun männlich ist. Die Göttin (Nut, Hathor) als das Große Wasser ist das deutlich ältere Bild.

    Die folgende Hymne an Nun ist kein ägyptisches Original, besteht aber ausschließlich aus ägyptischen Redewendungen und Vorstellungen. Der Stil ist allerdings nicht ganz so zeitlos und ruhig wie die meisten ägyptischen Texte.

    Es gibt zwar Namen, Umschreibungen und Bilder für Nun, aber da er wie die meisten kosmischen Götter keinen Kult besessen hat, sind auch keine Hymnen an ihn verfaßt worden. Auch bei den anderen ägyptischen Göttern gibt es mit Ausnahme der Sonnengottheiten nur selten Anrufungen oder beschreibende Texte in der Art wie z.B. die orphischen Hymnen an die griechischen Götter.

    Da aber bei einer Meditation über eine Gottheit oder ein Symbol eine kurze vorhergehende Anrufung nach meiner Erfahrung sehr hilfreich ist und auch die Konzentration während der Meditation erhöht, habe ich eigene Hymnen mit möglichst rein ägyptischem Inhalt und, soweit es mir möglich war, auch ägyptischem Stil beigefügt. Noch sinnvoller ist es natürlich, wenn der oder die Meditierende selbst eine kurze Anrufung schreibt oder improvisiert und sie im Laufe der Zeit durch eigene Erfahrungen mit der Gottheit oder dem Symbol ergänzt.

    Die folgende Hymne ist also weder als die einzig richtige Anrufung noch als ein Kunstwerk, sondern in erster Linie als Meditationshilfe gedacht. Sie ist gewissermaßen Gebrauchslyrik.

    Nun, Du bist der Älteste der Götter

    Du warst vor der Erschaffung der Welt

    Die Götter kennen Dich als das Urwasser in Deinem Namen Nun

    Die Götter preisen dich als die Unendlichkeit in Deinem Namen Hu

    Die Götter ehren Dich als die Finsternis in Deinem Namen Kuh

    Die Götter sehen Dich als Leere in Deinem Namen Gereh

    In Deiner Dunkelheit lag der Urhügel

    bevor der erste Tag anbrach

    In Deiner Stille war Nefertem verborgen

    bevor der Lotus erblühte

    In Deinen Wassern ruhen die Seelen

    bevor die Sonne sie von ihrem Schlaf erweckt

    Gib' uns Nahrung als Hapi, der Nil

    Gib' dem Korn Trank als Wasser in der Erde

    Gib' den Pflanzen Leben als Überschwemmung

    Erster des Anfangs

    Selbsterschaffener

    Endloses Wasser

    I A 2. Geb und Nut

    Die zweite Vorstellung, die den Gegenpol zu dem Schlaf des Nun bildet, ist die Auffassung des Zustandes vor der Schöpfung als die ekstatische geschlechtliche Vereinigung des Erdgottes Geb mit der Himmelsgöttin Nut, die zu dieser Zeit noch nicht durch den Luftgott Schu getrennt worden waren.

    Beide sind wie Nun kosmische Götter, aber sie haben viel weitgehender auf die religiösen Vorstellungen der Ägypter eingewirkt, da sie als Erde und Himmel wesentlich faßbarer als das Urwasser des Nun waren.

    I A 3. Geb

    Der Name dieses Gottes bedeutet Erde und er ist im Kern seines Wesens auch der Erdboden. Er ist allerdings kein Fruchtbarkeitsgott wie z.B. Osiris oder Min; ihm gehören die Erde, ihre Erze, ihre Edelsteine, der Ackerboden, das Korn, das Wasser, der Weihrauch, die Salben und anderes mehr, was auf die eine oder andere Weise mit der Erde zusammenhängt.

    Seine Stellung innerhalb der Kosmologie hat sich im Laufe der Zeit durch kultpolitische Einwirkungen gewandelt. Ursprünglich galten Geb und Nut als Eltern der Sonne, wurden aber später zu deren Enkeln. Trotzdem hat sich die Vorstellung der Geburt der Sonne durch Nut zu allen Zeiten erhalten können, was sicher in dem Erlebnis des Sonnenaufgangs und dessen Gleichsetzung mit der Wiedergeburt der Seelen im Jenseits begründet ist. In On, was Himmelspfeilerstadt (Kairo) bedeutet und das die Griechen Heliopolis (Sonnenstadt) nannten, einem der religiösen Zentren Ägyptens, gab es ab dem Mittleren Reich folgende Götterhierarchie, die sich auch auf die Kulte fast aller anderen Städte ausgewirkt hat:

    Aus dem Urmeer entstand Atum, der sich in die Achtheit differenzierte bzw. diese erschuf. Die Kinder Atums sind Schu und Tefnut, die miteinander Geb und Nut zeugten, die wiederum die Eltern zum einen der Sonne und zum andren von Isis, Osiris, Nephthys, Seth und Horus sind. Das Kind von Isis und Osiris ist Horus; das Kind von Nephthys und Osiris ist Anubis, während Thot dem Scheitel des Seth entsprang, nachdem dieser unwissentlich den Samen des Horus verschluckt hatte. Der Pharao ist der Nachkomme des Horus – seine Ahnenreihe ist also: Atum – Schu – Geb – Osiris – Horus – Pharao.

    Geb wurde als Vater des Totengottes Osiris und durch die Verbindung seines Elementes, der Erde, mit dem Grab auch zu einem Gott, der die Toten beschützt und sie im Jenseits richtet. Durch seinen Sohn Osiris hat der Göttervater Geb in der Spätzeit auch Züge eines Fruchtbarkeitsgottes erhalten. Er nahm zum Teil andere Erdgötter wie Aker, Tatenen und Pega, den man auch die ausgebreiteten Arme des Geb nannte, in sich auf.

    Als Krone trägt Geb entweder die ober- und unterägyptische Krone (Göttervater) oder die Hieroglyphe für die Silbe Geb, eine Gans (Personifizierung des Erdelementes).

    Geb besaß als Heiligtum in On eine offene Fläche, auf der ihm zu Ehren jedes Jahr wie auch auf den Feldern der Bauern die Zeremonie des Erdhackens stattfand, die auch bei jeder Tempelgründung, jedem Kanalbau und anderen Erdarbeiten durchgeführt wurde. Sie sollte dazu dienen, die durch den Hackstock oder die Schaufel verletzte Erde wieder zu versöhnen.

    Bei diesem Ritual zogen schwarze Rinder den Pflug, während der Vorleseprieseter (wörtlich: Halter der Festrolle) durch das Rezitieren von Sprüchen die Erde besänftigte und um Gedeihen und Fruchtbarkeit bat und ein Knabe Gerste, Flachs, Spelt und Emmer aussähte. Die Zeremonie wurde später durch Einbeziehen der Osirismythe erweitert: Die Aussaat des Korns entsprach dem Tod des Osiris, wobei die Ziegen, die die Saat in die Erde traten, Seth, den Mörder des Osiris, darstellten. Ihr Kot war das Blut des Seth, das dieser während seines Kampfes mit Horus, dem Sohn des Osiris, verlor und das nun die Erde düngte und sie zur Wiedergeburt des Totengottes bzw. dem Keimen der Saat beitrug. Die überlieferten Ritualtexte wenden sich aber alle an Osiris als den Fruchtbarkeitsgott und nicht an Geb.

    Der folgende Text ist wieder als Anregung für ein Erdritual oder als Konzentrationshilfe für die Meditation über Geb gedacht, und soll keine Rekonstruktion des Textes des Vorlesepriesters sein, obwohl sich sein Inhalt auf ägyptisches Gedankengut beschränkt.

    Als die Sonne noch nicht den Tag erhellte

    Als der Mond noch nicht das Nachtmeer durchfuhr

    Hattest du schon Deine Augen geöffnet, Geb!

    Als noch keine Berge das Land säumten

    Als noch kein Nil das Land durchfloß

    Warst Du schon erwacht, Nut!

    Es war noch kein Stein

    Es war noch keine Pflanze

    Es war noch kein Tier

    Da lagt ihr vereint beisammen!

    Göttervater! Erster der Könige!

    In Dir ist alles verborgen

    Du gibst alles Gute den Menschen

    aus Dir quillt das Wasser empor

    auf Dir sprießt das Korn

    Du gibst uns Kupfer und Lapislazuli

    Du gibst uns Weihrauch und Salbe

    König der Toten im Jenseitsgericht

    Öffne Deinen Leib

    damit der Tote aus seinem Grab hervortreten kann

    nähre die Saat

    damit das Korn aus der Tiefe emporsprießen kann

    Geb, Du bist der Vater der Götter und Göttinnen

    Geb, Du bist der Ernährer der Pflanzen und Tiere

    Geb, verleihe mir ein langes Leben

    dann will ich Dir Weihrauch verbrennen

    und Lotusblüten opfern

    Praktischer Zugang: Geb

    Die Möglichkeiten, mit der Erde in Kontakt zu treten, sind alle ebenso schlicht und einfach wie effektiv: sich des längeren in einer Höhle aufhalten, Bergwanderungen, Traumreisen ins Erdelement, sich mit dem Rücken auf die Erde legen und sich vorstellen, selber Erde zu werden und daß sich die Grenze zwischen Körper und Erde auflöst, und versuchen, die Erze, die Felsen, die Mineralien und die Kristalle in der Tiefe zu spüren ...

    I A 4. Nut

    Der Name dieser Göttin, die die Personifizierung des Himmels ist, stellt die Femininbildung (-t) zu Nu dar, das Urmeer, Wasser und Flut bedeutet und ist mit dem Namen der Göttin Neith und dem Namen der unterägyptischen Krone (Net) eng verwandt. Nut heißt demnach in etwa Göttin des himmlischen Urmeeres. Sie war aber auch mit den Wassern, die die Erde umgeben und in denen die Welt ruhte, identisch.

    In einem ägyptischen Text heißt es von ihr: Die ganze Erde liegt unter ihr und alle Dinge sind von ihren Armen umfangen. Sie ist die Mutter der Sonne, denn sie gebärt den Sonnengott Re am Morgen und verschlingt ihn abends wieder; also ist ihr Hinterteil im Osten, ihr Kopf im Westen. Umgekehrt ist es mit den Sternen, die für die Ägypter die Seelen der Toten waren: Sie gehen (morgens) ein in ihren Mund (Westen) und kommen (abends) wieder hervor aus ihrer Scheide (Osten).

    Nut, die Sonnenmutter, die die Griechen der Rhea gleichsetzten, wurde als nackte Frau dargestellt, die im Osten mit den Füßen und im Westen mit den Händen auf der Erde ruht. Seltener wird sie als Kuh (siehe Hathor) oder als Sau, die ihre Ferkel frißt dargestellt. Durch dieses Gebären und Verschlingen hat sie eine lichte und eine dunkle Seite.

    Sowohl ihr lichter als auch ihr dunkler Aspekt finden sich in Nut als Totengöttin wieder. Der Wunsch des Toten ist es, als Stern (=Seele) oder gar als Sonne wiedergeboren zu werden. So bittet er Re, Nut zu schwängern, um in dessen Samen, in dem er das vollständige Kind schon vorhanden glaubte, von der Himmelsgöttin wiedergeboren zu werden und ein ewiges Leben als Stern (oder als Sonne) zu erhalten. Dabei spielte auch der Gedanke mit, daß der Tote als Sohn der Nut zu Osiris wurde, der ebenfalls ein Kind der Himmelsgöttin war, und somit zu einem Gerechtfertigten wurde, dem das Tor zum paradiesischen Jenseits offen stand.

    Als Herrin des Westens (d.h. des Ortes des Sonnenuntergangs = Totenreich) gibt sie Speise, Trank und Hilfe im Jenseitsgericht. Die Haltung der Himmelsgöttin legte nahe, ihren Schutz durch ihre Darstellung an der Decke des Grabes oder der Innenseite des Sargdeckels magisch herbeizuziehen. Statt ihrer menschlichen Form konnten auch Bilder von Sternen an der Decke des Grabes diese Funktion erfüllen.

    Die geflügelte Nut, die ihre Schwingen durch die Verbindung zu der Geiergöttin Nechbet erhielt, wurde zu einem beliebten Schmuck und magischen Schutzsymbol des Sarges, wobei sie, die Stelle der Geiergöttin einnehmend, ihre Arme/Flügel behütend über der Brust des Toten kreuzte – der Tote ruhte dann symbolisch in ihr.

    Man faßte den Sarg selber als Nut auf, in dem der Tote wie in ihrer Gebärmutter lag und auf seine (Wieder-) Geburt wartete. In der Frühzeit der ägyptischen Kultur war es üblich, die Toten in ein Kuhfell zu hüllen, um sie symbolisch in den Bauch der Muttergöttin zu legen. Die Himmelsgöttin Nut und auch die Himmelsgöttin Hathor hatten oft die Gestalt einer Kuh. Der mit Nut identifizierte Sarg, auf dem diese Göttin auch fast immer abgebildet wurde, war also die „versteinerte" Variante des früheren Brauches des Einhüllens der Toten in ein Kuhfell.

    Als Totengottheit brachte man Nut mit der (Welten-) Baumgöttin zusammen, die dem Toten im Jenseits Trank und Schatten spendete und in dem Jenseits-Lebensbaum wohnte. Schon früh wurde sie der Hathor gleichgesetzt, die unter anderem ebenfalls eine Weltenbaum- und Himmelsgöttin war. Von ihr erhielt Nut auch den Titel Auge des Re (=Sonne), der aber wie auch ihre Gleichsetzung mit der Königin als Parallele zu Geb = König nie von großer Bedeutung war.

    Auf ihrem Leib, den man sich auch als ein großes Meer dachte, fuhren die Sonnenbarke und die Mondbarke. Der Ansatzpunkt zu der Verbindung von Nut, die die Götter gebar, mit Isis liegt in der Betonung der Mutterschaft.

    Wenn Nut nicht in ihrer typischen Himmels-Haltung, sondern aufrecht stehend dargestellt wird, trägt sie wie Geb ihr Schriftzeichen, den nu-Topf als Kopfschmuck.

    Die Bedeutung der Nut im Totenkult wird in den Pyramidentexten besonders deutlich, die ja die Ritualtexte für die Bestattung des Pharaos und die Zaubersprüche für ihn im Jenseits waren. Die folgenden Sätze sind verschiedenen Sprüchen entnommen:

    Sohn des Königs: O Nut, ergreife diese Hand! Schu, hebe ihn zum Himmel empor!

    König: Nut die Große hat ihre Arme für mich geöffnet.

    Spruch der Göttin Nut: Der König ist mein geliebter Sohn, mein Erstgeborener auf dem Thron des Geb, mit dem Geb sehr zufrieden ist und dem er sein Erbe im Beisein der Große Neunheit der Götter gegeben hat.

    Nut: Ich hülle all Deine Schönheit in diese meine Seele (=Sarg) ein.

    Nut: O König, ich habe Dir Deine Schwester Isis gegeben, damit sie Dich hält und Dir Dein Herz für Deinen Körper gibt. O König, ich habe Dir Deine Schwester Nephthys gegeben, damit sie Dich hält und Dir Dein Herz für deinen Körper gibt.

    Sohn des Königs: Nephthys hat Deine Glieder für dich geheilt, als du zu Deiner Mutter Nut in ihrem Namen Sarkophag gegeben wurdest, als sie Dich in ihrem Namen Sarg umarmt hat, und als Du zu ihr in ihrem Namen Grab gebracht wurdest.

    Außer dem folgenden Text, für den das gleiche wie für die vorigen Anrufungen gilt, kann auch der erste Teil der Geb-Hymne verwendet werden. Die Fünf Götter sind die Kinder der Nut: Osiris, Isis, Nephthys, Seth und Horus; Aton ist die Sonnenscheibe; und die Sykomore ist der heilige Maulbeerfeigenbaum, als den sich die Ägypter den Weltenbaum oft vorstellten.

    Himmelsgöttin, blaue Flut

    Du hast Re geboren und die Sterne in Dir verborgen

    Totengöttin, schwarze Nacht

    du hast den Seelen neues Leben geschenkt und den Aton verschlungen

    Du gibst das Licht dem Tag

    und Schatten den Toten

    Göttermutter

    Sonne und Mond sind Deine Söhne

    die Fünf Götter sind Deine Kinder

    und die Seelen der Toten lebten nicht ohne Dich

    Bereite mir einen Platz in der Sonnenbarke

    in Deinem Namen Hathor

    Rechtfertige mein Herz in der Halle des Osiris

    in Deinem Namen Nut

    Gib mir Schatten und Wasser an Deinem Baum im Jenseits

    in Deinem Namen Herrin der Sykomore

    Die folgenden Zeilen sind alles Zitate aus den Pyramidentexten, in denen der König zu Nut aufsteigt. Sie veranschaulichen gut die Göttin als die Mutter im Jenseits:

    546: „Ich bin Nut, die diesem Osiris dem König helfen wird, zu mir aufzusteigen; gebt ihn mir, damit ich ihn umarmen kann."

    427: „O Nut, bedecke mit dir selber Deinen Sohn Osiris, den König, damit du ihn vor Seth verbirgst; beschütze ihn, o Nut. Bist du gekommen, damit du deinen Sohn beschützen kannst? -Ich bin wirklich gekommen, damit ich diesen großen beschützen kann."

    Vergleich: Nun, Nut

    Wie in den meisten Mythologien (und auch in der astronomischen Urknalltheorie) wird die Existenz der Ursubstanz als schon ewig vorhanden vorausgesetzt, sei es als Urflut, die biblischen dunklen Wasser, über denen der Geist Gottes schwebte, oder der Gegensatz Feuer (Muspelheim) und Wasser bzw. Eis (Niflheim) bei den Germanen, das Chaos bei den Griechen oder die Energie bei den heutigen kosmologischen Theorien.

    Das häufige Bild des Urwassers weist sowohl auf das Meer hin, in dem das Leben auf der Erde entstanden ist, als auch auf die Wasser der Gebärmutter, in denen der Embryo heranwächst. Als nicht allzu präzises Gleichnis könnte man das Urwasser als den Leib der Mutter und evtl. auch als das kollektive Unterbewußtsein auffassen, und das Urmeer mit dem in ihm ruhenden Keim der Welt mit der schwangeren Frau und dem Es der Psyche in der Psychologie von Freud vergleichen.

    In der abstrakteren Darstellungsweise der Kabbala, der hebräischen Mystik, ist dieses Urmeer das Ain Soph Aur, die drei Schleier, die das Nichts, das aber positiv als die Möglichkeit zu allem aufgefaßt wird, verbergen: Ain - Nichts; Ain Soph - das Grenzenlose; Ain Soph Aur - das grenzenlose Licht. In Tibet wird dieses Licht durch den Vajra, den Donnerkeil symbolisiert, der in den tibetisch-buddhistischen Vorstellungen und Meditationen eine zentrale Rolle spielt. Dies uranfängliche Licht, das in dem Weltbild der Kabbala aus dem Nichts hervorgeht, ist in der ägyptischen Mythologie der Sonnengott, der aus dem Meer auftaucht und von der Göttin geboren wird.

    Einige Züge des Urmeers und Parallelen zu Nut lassen sich in Binah, der dritten Sephirah (Emanation) des kabbalistischen Lebensbaumes wiederfinden. Sie wird als Shekinah, die Göttin des Meeres, des Schweigens und der Dunkelheit personifiziert und hat zwei Aspekte: die lichte, fruchtbare Göttin Aima und die dunkle, unfruchtbare Göttin Ama. Ama bedeutet wörtlich Mutter und das i wird in der kabbalistischen Deutung als der Embryo in ihrem Leib aufgefaßt. Aima entspricht Nut, die die Sonne am Morgen gebiert, und auch der Eva der biblischen Genesis; Ama entspricht Nut, die die Sonne am Abend wieder verschlingt, und auch der Lilith in der jüdischen Fassung der biblischen Genesis.

    Es findet sich zwar auch bei den Ijo am Nigerdelta eine Himmelsgöttin mit dem Namen Tamuno, die zugleich Schöpferin und Mutter aller Dinge ist, aber ansonsten ist außer in der ägyptischen und zum größten Teil auch den mesopotamischen Religionen fast immer der Himmel ein Gott und die Erde eine Göttin. Dies liegt vor allem daran, daß der Regen als der die Erde befruchtende Same des Himmelsgottes aufgefaßt wird. In der ägyptischen und der mesopotamischen Kultur, von der noch sehr alte schriftliche Überlieferungen erhalten sind, zeigt sich in diesen Vorstellungen noch eine ältere Phase der religiösen Weltanschauung (siehe: „Die Himmelfahrt").

    Praktischer Zugang: Nun, Nut

    Abgesehen von Meditationen über die beiden Gottheiten bieten sich durch die Parallele Nun -Urmeer - Uterus hypnotische Rückführungen in den vorgeburtlichen Zustand an. Weiterhin kann man versuchen, seine Körperenergie, seine einzelnen Zellen, den ursprünglichen Lebenstrieb, das Es zu spüren, aus dem alle Handlungen und das ganze Streben genährt wird. Hierzu kann man evtl. über das Bild (man selber als) Kind im Ei (Aura, Gebärmutter) meditieren oder sich vorstellen, sich selbst in einem großen, dunklen, endlosen Meere aufzulösen und selber Wasser zu werden. Diese Meditationen helfen auch, körperliche und psychische Verkrampfungen zu lockern.

    Für Nut bietet sich folgende Meditation an, die in ihrer Wirkung denen über Nun weitgehend gleicht: in einer sternklaren Nacht, in der der Mond am Himmel steht, aber noch nicht so voll und hell ist, daß er die Sterne überstrahlt, und in der evtl. noch ein oder zwei der Planeten zu sehen sind, legt man sich an einem stillen Ort mit dem Rücken auf die Erde und entspannt sich. Dann fühlt man seinen Körper, die Wärme und den Atem und das Pochen des Blutes in ihm. Nun lenkt man die Aufmerksamkeit auf den Boden, auf dem man liegt, auf die Bäume in der Nähe und schrittweise immer weiter, wobei man sich auf die Größe des Betrachteten und die eigene Kleinheit und Kurzlebigkeit konzentriert: Körper, Boden unter sich, Bäume, Land, Erdkugel, Luft, Mond, Venus oder Jupiter (falls zu sehen), Leere bis zu den Sternen, Sterne, Andromedanebel (andere Galaxie - falls zu sehen), Leere zwischen den Galaxien, Dunkelheit, Schweigen, Leere ...

    Das Urwasser entspricht bei den indischen Elemente-Tattwas Akasha, dem schwarzen Ei, das den Ursprung und die Quintessenz darstellt. In dieses Symbol kann man in diesem Zusammenhang Traumreisen unternehmen.

    Das Erlebnis der Auflösung im Urmeer kann man durch verschiedene Methoden, von Entspannungsübungen wie Autogenem Training bis hin zum Verlieren des Körpergefühls im Samadhi-Tank (ein großes, mit warmem Salzwasser gefülltem Behälter, in dem man in völliger Dunkelheit und Stille reglos schwimmt), versuchen zu erreichen. Die Entspannung allein wird allerdings nicht zu diesem Erlebnis führen, wenn nicht die Hingabe an die Göttin, die Bereitschaft, sich loszulassen, hinzukommt. Eine sehr freundliche, traditionelle Methode, um zu diesem Erlebnis des Von der Muttergöttin getragen werdens zu gelangen, ist die Schwitzhütte, der spirituelle Vorläufer unserer heutigen Sauna, die von den Völkern des nördlichen Asiens, Europas und Amerikas zum Wiederfinden des Urvertrauens benutzt wurde und zum Teil noch wird. Das Erlebnis in einer solchen Schwitzhütte ist es, wieder im Bauch von Mutter zu sein und von ihr getragen zu werden und alle Anstrengung loslassen zu können.

    Dabei wird man erleben können, daß Nut nicht nur aus mythologischen und kultpolitischen Gründen zu einer Totengöttin geworden ist, denn die Auflösung der eigenen Starre ist fast immer mit einer Angst verbunden, die mit dem zu tun hat, vor dem diese Starre einen schützen soll, d.h. mit dem, was diese Starre einst verursacht hat. Diese Starre und diese Angst, deren Wurzel die Angst vor dem Tod ist, kann sich durch Weinen oder Hingabe auflösen, was in der Schwitzhütte, da sie einen sicheren Rahmen bietet und man dort bereits mitten in dem Gefühl der Geborgenheit ist, sehr freundlich und weich vonstatten geht.

    ... am Anfang war Stille und Geborgenheit.

    Vergleich: Geb und Nut

    Die Vereinigung von Nut (Himmel) und Geb (Erde) stellt in gewisser Weise auch eine Urflut dar, da die Himmelswasser und die Erde vereint zu einem Bild für den fruchtbaren Schlamm der alljährlichen Nilüberschwemmungen werden, aus denen die schlammgeborenen Urgötter in der Gestalt von Fröschen und Schlangen hervorkriechen.

    Anthropozentrisch kann man die Vereinigung von Nut und Geb als Zeugung des Embryos, der mythologisch der Welt entspricht, deuten.

    Auch in der Bibel findet sich das Bild von Wasser und Erde am Anfang der Zeit: Am Anfang trennte Gott, der Geist (auf hebräisch bedeutet Ruach sowohl Geist als auch Luft), der über den Wassern schwebte, Wasser und Erde und schuf so das Meer, die Flüsse und das feste Land. Dem Luftgeist entspricht bei den Ägyptern der Luftgott Schu, der Himmel und Erde trennte.

    Dies Motiv muß die Bibel aber nicht aus Ägypten übernommen haben, da man es in ähnlicher Form auch in Mesopotamien, Indien, Japan, Zentralamerika usw. findet. Es scheint also ein Ausdruck der allgemeinen menschlichen Erfahrung zu sein.

    Die Symbolik der Vereinigung der Gegensätze am Anfang der Zeit findet sich in vielen Kulturen. In Indien z.B. in der Vereinigung von Shiva und Shakti und in Tibet in der Vereinigung von Buddha Vajradhara und seiner Gefährtin Prajnaparamita oder von Milarepa mit Tashi-Tseringma. Bei den Sumerern gibt es neben der Vorstellung von der Urflut, die als die Göttin Tiamat dargestellt wird, auch das Bild der Vereinigung des Himmelgottes An mit der Erdgöttin Nammu bzw. der älteren Vorstellung der Vereinigung der Himmelsgöttin Inanna mit dem Erdgott Enki.

    Solche Ahnenreihen wie die, die mit Nun beginnt und dann über Atum, Schu, Osiris und Horus zu der langen Reihe der Pharaonen führt, sind bei frühen Kulturen sehr weit verbreitet und lassen sich z.B. auch in den langen Ahnenreihen in der Bibel wiederfinden, in der z.B. Marias Abstammung von Adam und Eva beschrieben wird.

    Praktischer Zugang: Geb und Nut

    Dieses Thema ist von der Rolle von Vater und Mutter für jedes Kind sowie durch die große Bedeutung der Sexualität geprägt. Der größte Teil der Psychologie beschäftigt sich mit diesen beiden Aspekten des menschlichen Lebens.

    In spiritueller Hinsicht kann man die verschiedensten Traumreisen zu diesem Thema unternehmen, über die dritte Tarotkarte Die Herrscherin meditieren, die die Fruchtbarkeit darstellt, den 14. Pfad des kabbalistischen Lebensbaumes betrachten und vieles anderes mehr, wobei das direkteste und intensivste Kennenlernen dieser Symbolik und dieser Kräfte und Gottheiten sicher das Tantra-Yoga ist.

    ... am Anfang war Ekstase!

    Das folgende ist ein Beispiel für eine einfache Zeremonie, die allerdings kein ägyptisches Original ist, da Rituale, die die Sexualität konkret miteinbeziehen, aus Ägypten nicht bekannt sind. Die Struktur der folgende Zeremonie stammt aus dem indischen Tantra und die Gottheiten aus Ägypten.

    Der Grundgedanke von Ritualen dieser Art ist die Wiederholung der Weltschöpfung. So sollte z.B. auch die Heilige Hochzeit zwischen dem sumerischen König und der Hohepriesterin der Göttin Inanna dieses Urzeitgeschehen wiederholen und dadurch den Menschen, den Tieren und den Äckern die Fruchtbarkeit sichern. Solche Rituale finden sich, meist allerdings nur in symbolisch-andeutender Form u.a. auch in den modernen Kulten der Neuheiden, Hexen und des Wicca.

    Ein solches Ritual hat offensichtlich nur dann einen Sinn, wenn einem die verwendeten Symbole und die angerufenen Gottheiten wirklich etwas sagen und bedeuten, wenn sie Teil der eigenen Weltanschauung und der eigenen Psyche geworden sind. Insofern ist es sehr zu empfehlen, den folgenden Ritualvorschlag den eigenen Anschauungen und dem eigenen Stil entsprechend umzugestalten und auszubauen. Daraus ergibt sich auch, daß man dieses Ritual erst dann zur Verbindung mit Nut und Geb benutzen sollte, wenn man über diese beiden Gottheiten schon eine Zeit lang meditiert hat und dadurch einen Kontakt zu ihnen erhalten hat.

    1. Einen Schutzkreis ziehen und durch Verspritzen von Wasser reinigen sowie mit Weihrauch weihen. (Vorher baden; evtl. mit Duftenden Ölen einreiben)

    2. Je ein Ankh, die Hieroglyphe für Leben in jede Himmelsrichtung imaginieren, also sich bildhaft vorstellen. Stattdessen können auch die vier Horussöhne (siehe Kapitel II A) oder die vier Schutzgöttinnen (Siehe Kapitel IV F 1. Selket) um Hilfe geben und in den vier Richtungen imaginiert werden.

    3. Auf zwei sich am Kreisrand gegenüberstehenden Altären vor einem Bild oder einer Statue der Nut auf dem einen Altar bzw. des Geb auf dem anderen Altar oder vor einer Schale mit Erde bzw. einer Schale mit Wasser je eine Kerze und Weihrauch entzünden.

    4. Die Frau liest vor dem Nut-Altar einen Text über Nut vor oder improvisiert eine Anrufung, betet schweigend zu der Göttin und identifiziert sich so weit wie möglich mit ihr. Dann führt der Mann dasselbe für Geb vor dessen Altar durch.

    5. Die Vereinigung von Nut/Frau und Geb/Mann. Dabei gibt es drei Möglichkeiten:

    a) Symbolische Vereinigung wie in den meisten Beltane-(Walpurgis)-Jahreszeitenfesten in dem heutigen Hexenkult: der Mann senkt seinen Stab in den Kelch der Frau.

    b) Geschlechtliche Vereinigung, wobei man versuchen sollte, die Verbindung zu Nut bzw. Geb zu wahren und den Orgasmus möglichst lange hinauszuzögern, damit man die Qualitäten von Nut und Geb und ihrer Vereinigung wahrnehmen kann. Dabei kann es helfen, wenn der Mann innerlich ständig den Namen Geb spricht und die Frau den Namen Nut. Ebenfalls hilfreich ist es, sich dabei in die Augen zu sehen und sich auch der Gottheit bewußt zu bleiben, mit der die/der andere verbunden ist. Um dies zu unterstützen, kann man auch in dem anderen die betreffende Gottheit ansprechen - entweder improvisiert oder mit Texten aus dem Alten Ägypten.

    Es ist offensichtlich, daß ein solches Ritual nur durchführbar ist, wenn man sich nicht nur körperlich vertraut ist, sondern auch noch möglichst ähnliche spirituelle Vorstellungen und Erfahrungen hat. Wie bei fast allem ist auch hier Übung förderlich.

    c) Der Mann sitzt im Lotussitz oder einfach mit gekreuzten Beinen, die Frau sitzt auf ihm und umschlingt ihn mit ihren Beinen und Armen, wobei sich beide vereinen, so wie es auf den indischen Darstellungen von Shiva und Shakti zu sehen ist. Beide konzentrieren sich wie unter b) beschrieben vor allem auf die Verbindung zu Nut und Geb und beobachten, was sie erleben.

    Beide lassen ihre Energie in den anderen strömen, wobei es möglichst nicht zum Orgasmus kommen sollte, da sonst die sexuelle Spannung beendet wird und diese Kraft im Körper, in der Psyche und in den Chakren (Organe des Astralkörpers) nicht wirken kann. Um diese Wirkung auch nach der Zeremonie noch zu erhalten und sich verfestigen zu lassen, sollte man auch nach dem Ritual einen Orgasmus noch so lange vermeiden, bis sich das Erlebnis gesetzt und die Energien verteilt und beruhigt haben, was mindestens eine Stunde dauern wird.

    Der Energieaustausch und Energiefluß kann dabei durch eine Atemübung verstärkt werden, bei der immer der eine ausatmet, während der andere einatmet und umgekehrt:

    6. Dank an Nut und an Geb.

    7. Dank an das Ankh bzw. die vier Horussöhne oder die vier Schutzgöttinnen.

    8. Das Ritual ausklingen lassen; Schweigen.

    9. Öffnen des Kreises.

    - - -

    Das Urmeer Nun ist die Versenkung, während die Vereinigung von Nut und Geb die Ekstase ist; diese beiden sind die Gegensätze, die beiden Extreme menschlicher Erfahrung, die beiden Sprünge ins Ungewisse, ins Jenseits, in den Ursprung - in die Quelle der Schöpfung.

    Heka: Kontemplation

    Die Kontemplation ist die einfachste Methode, um angelesenes Wissen zu vertiefen. Man könnte sie mit der schönen Redewendung über etwas brüten umschreiben, wobei es dabei aber wichtig ist, daß dies nicht verbissen, sondern in einer entspannten Grundhaltung geschehen sollte. Dies kann sowohl bei der Fahrt zur Arbeit in der Straßenbahn als auch etwas komfortabler im Urlaub abends auf der Terrasse mit Blick aufs Meer bei einem Glas kühlem Traubensaft geschehen.

    Der technische Vorgang besteht darin, daß man sich ein Thema wählt und dann schaut, was einem alles zu diesem Thema einfällt und alle Ideen und Erinnerungen zu diesem Thema miteinander verbindet. Im Gegensatz zu dem sonst üblichen Denken, daß entweder locker von einem Thema zum nächsten hüpft, oder das diszipliniert einen Faden verfolgt, um zu einem konkreten Ergebnis zu kommen, verläuft das Denken hier in vielen Schlaufen, die immer wieder zum Ursprungsthema zurückkehren. Dadurch werden wie von selber aus den Gedanken und abstrakten Konzepten zunehmend bildhafte, lebendigere Vorstellungen, die sich mit dem eigenen Leben verweben. Die Vorstellungen zu dem ausgewählten Thema erhalten dadurch eine zunehmende Tiefe.

    Man verfolgt bei einer Kontemplation alle Fäden, die von dem betreffenden Thema fortführen und kehrt immer wieder zu dem Ausgangspunkt zurück und verfolgt dann eine andere Assoziationskette. Dabei wird man auch viele Querverbindungen zwischen diesen einzelnen Fäden entdecken, sodaß schließlich ein Geflecht, ein Netz aus Bildern, Begriffen, Konzepten, Erinnerungen, Gedanken, Zusammenhängen und ähnlichem entsteht, die gewissermaßen die Aura oder den Körper des betrachteten Themas darstellen, das selber wiederum das „Herz" dieses Geflechts aus Bildern und Begriffen ist.

    Bevor man eine Kontemplation beendet, ist es sinnvoll, die gefundenen Themen, Qualitäten und Zusammenhänge zu ordnen, den zentralen Begriff oder das zentrale Bild zu suchen und dann alle übrigen Bilder und Begriffe wie in einem Mandala um den zentralen Begriff herum anzuordnen, sodaß das Ganze schließlich ein organisches Gebilde wird, in dem man von dem Zentrum aus quasi von selber zu allen seinen Aspekten gelangt. Dieses zentrale Bild bzw. diesen Begriff kann man dann später als Mantra, also als ständig wiederholtes Wort in der Meditation benutzen.

    Um sich die Konzentration auf das Thema zu erleichtern und nicht in ganz andere Bereiche abzuschweifen, ist es hilfreich, den Beginn und das Ende der Kontemplation durch eine passende symbolische Handlung zu kennzeichnen wie z.B. durch das Entzünden und Löschen einer Kerze. Um sich leichter auf das ausgewählte Thema ausrichten zu können, kann man vorher einen auf das ausgewählte Thema beziehenden Text zu Beginn der Kontemplation laut vorlesen - es hilft wirklich. Dazu eigenen sich u.a. auch die den einzelnen Abschnitten in diesem Buch beigefügten Anrufungen.

    Es kann auch eine gute Unterstützung sein, sich das Wort dessen, worüber man kontempliert, auf einen Zettel zu schreiben und vor sich hinzulegen oder ein Bild oder eine Statue dieses Themas vor sich hinzustellen. Manchmal kann es auch hilfreich sein, wenn man die einzelnen Bilder, Gedanken und Assoziationsketten, die man bei der Kontemplation entdeckt, kurz auf einem großen Zettel notiert, bevor man den nächsten Faden verfolgt, da man so leichter die Übersicht behalten kann – aber das ist eine Stilfrage.

    Die meisten therapeutischen Gespräche sind, technisch gesehen, Kontemplationen, wobei der Therapeut die Aufgabe hat, die Aufmerksamkeit des Patienten zu stützen und ab und zu Anregungen zu geben, in welche Richtung der Patient einmal blicken könnte. Solche Gespräche gibt es auch häufig zwischen guten Freunden.

    In dem Zusammenhang dieses Buches ist es naheliegend, die einzelnen Gottheiten und die mythologischen Bilder wie die Geburt Atums aus der Nilflut oder die Geburt des Re durch Nut als Thema für solche Kontemplationen zu wählen.

    I B Die Erschaffung der Welt

    Es gibt in der ägyptischen Mythologie wenigstens sieben verschiedene Grundtypen von Schöpfungsmythen, die sich auf verschiedene Art miteinander verwoben haben. Wenn man versucht, sie nach ihrer Urtümlichkeit bzw. vom Konkreten/Einfachen hin zum Abstrakten/ Entwickelten hin zu ordnen, ergibt sich nachstehende Reihenfolge:

    1. Der Urhügel: Am Anfang der Zeit tauchte die Erde als Hügel aus dem Nun empor. Er wurde in Heliopolis (On) als Atum, der Urgott der Götterneunheit dieses Ortes verehrt und hieß der hohe Sand in On. Atum galt somit als Schöpfer, Allvater und Erster der Götter.

    Es gab aber mehrere Orte, die für sich beanspruchten, daß der Urhügel in ihrem Tempelbezirk läge und die betreffende Stadt somit die älteste (und wichtigste) sei.

    a) On: der Urgott Atum als Schöpfer;

    b) Hermopolis: Flammeninsel, der Ibisgott Thot als Schöpfer;

    c) Hermonthis (Theben): der Falkengott Month, später der Luft- und Sonnengott Amun-Re als Schöpfer;

    d) Esne: der Widdergott Chnum als Schöpfer

    e) Memphis: der Erdgott Tatenen, der dem Handwerkergott Ptah gleichgesetzt wurde, als Schöpfergott; hier wurde der Grabhügel des Osiris als Urhügel angesehen;

    f) Karnak: der Luft- und Sonnengott Amun als Schöpfer;

    g) Abydos: Osiris als Schöpfergott; Grab des Osiris = Thron des Osiris = Urhügel;

    h) Philae (Inseltempel): wie Abydos.

    Da der Urhügel in der Mitte der Welt liegt und die Verbindung zwischen Himmel und Erde, Göttern und Menschen ist, steht zumindest symbolisch jeder Tempel auf diesem Urhügel - was entsprechend dem Wesen der ägyptischen Anschauungen, die in mythologischer Hinsicht auf dem sowohl als auch und nicht auf dem entweder - oder beruhen, kein Widerspruch ist. Wenn in jedem der Tempel die Götter anwesend sind, ist jeder Tempel auch eine Verbindung zu den Göttern und folglich steht er auf dem Urhügel ...

    2. Die Sonne: Hier war der Sonnenaufgang das Gleichnis für die Schöpfung: die Sonne steigt wie der Urhügel aus dem Urmeer Nun empor bzw. wird von Nut geboren. Der Sonnengott war ursprünglich Re, er wurde aber gerne von anderen Göttern wie z.B. Amun oder dem Falkengott Horus zu Verbindungen wie Amun-Re oder Re-Harachte (Re-Horus-em-Achet = die Sonne in ihrer Gestalt als Himmelsfalke am Horizont) herangezogen, damit diese dann selber die Bedeutung des Urgottes erhielten.

    Nach ägyptischer Auffassung sind die Beziehungen von Sonnenaufgang, Jahresanfang, Geburt und morgendlichem Erwachen nicht nur Analogien, sondern eine Wiederholung des ersten Sonnenaufganges, also gewissermaßen identisch mit ihm. In einer Art magischer Zeit erlebten die Ägypter bei jedem Sonnenaufgang, jedem Jahresanfang und jeder Geburt die Welterschaffung aufs Neue. Die Zeit läuft sozusagen nicht nur linear von einem Ereignis zum nächsten, sondern sie macht Kreise, in denen sie zyklisch zu vergangenen Ereignissen zurückkehrt und eins mit ihnen wird.

    Entsprechend gilt dies auch für den Ort, sodaß es für die Ägypter durchaus kein Widerspruch ist, daß es mehrere Urgötter und Urhügel gibt: die betreffenden Orte, Zeiten und Gottheiten sind ihrem Wesen nach miteinander identisch.

    In Hermopolis wurde die Vorstellung des Urhügels und des Sonnenaufganges zu der Flammeninsel verbunden, die sich aus dem Nun erhebt und von der aus die Sonne aufsteigt. Diese Insel des Aufflammens ist die Morgenröte. Auf ihr kämpft Re gegen die Unterweltsschlange Apophis. Durch die Gleichsetzung des Toten mit Re wird sie auch zum Ort der Auferstehung.

    3. Das Ei: Das Ei als Symbol der Schöpfung und des Ursprungs wurde mit dem Urhügel verbunden, auf dem dann Schilf wuchs und in dessen Mitte das Ur-Ei in einem Nest lag. Aus ihm stieg der Horus-Falke als Himmelsgott und Sonne (Re-Harachte) empor. Der Schöpfergott ist hier nicht mehr die Schöpfung und der Urhügel selber wie Atum, sondern als Herrscher und Himmelsgott und als erstgeborenes Wesen nur ein Teil von der Schöpfung: das Ei auf der Insel. An die Stelle des Falken tritt oft der Phönix, eine Reiherart, wobei dann allerdings das Bild des Eies in der Regel fehlt und die Insel oft die Flammeninsel ist: der Phönix steigt in den Flammen des Morgenrots wiedergeboren nach dem nächtlichen Tod in der Unterwelt in den Himmel empor.

    4. Der Lotus: Der Lotus, der aus der Tiefe des Nun emporsteigt und sich öffnet, entspricht dem Urhügel. Auf der geöffneten Blüte sitzt Nefertem, das Sonnenkind. Das Bild hat also die gleiche Struktur wie der Mythos von Heliopolis: der Sonnengott Re auf dem Urhügel.

    5. Die Hand: Der Gott der Handwerker, Ptah, schuf die Welt auf einer Töpferscheibe. Aus dieser Gegenüberstellung von Schöpfer und Schöpfung darf man allerdings nicht schließen, daß Ptah außerhalb der Schöpfung steht; er ist genauso ein Teil der Welt wie alle anderen Götter auch. Das Bild scheint jünger zu sein als das des Urhügels.

    So wie Ptah die Welt formte, so erschafft auch der Widdergott Chnum jedes Lebewesen auf seiner Töpferscheibe. Wie bei der täglichen Neuerschaffung der Welt zur Zeit des Sonnenaufganges spielt auch hier die magische Zeit eine Rolle: die Schöpfung geschieht hier und jetzt - jedes Kind und jedes Tier wird von ihm zusammen mit einer Göttin (die Geburtsgöttin Heket, die Löwengöttin Tefnut oder die Göttermutter Neith) vor seiner Geburt im Leib seiner Mutter geformt. Die Bedeutung des Widdergottes Chnum als Schöpfergott liegt in seiner Zeugungskraft begründet.

    6. Das Wort: Das abstrakteste Konzept läßt sich bei Thot, in der älteren Ptah-Mythe (die der Töpfersymbolik vorausging) und seltener auch bei Amun finden: die Erschaffung der Welt durch das Wort. Auch hier wird die Gottheit nicht als von ihr isoliert, sondern als Teil von ihr gedacht. Am schöpferischen Wort sind drei Dinge beteiligt: der Entschluß und der kreative Wille im Herzen (Sia), das Wort selber auf der Zunge bzw. in der Kehle (Hu) und schließlich die magische Kraft (Hike), die alle drei auch als Götter personifiziert worden sind.

    7. Der Luftgott Schu: Die Luft/Schu trennt Himmel/Nut und Erde/Geb. Diese Mythe wird in einem der folgenden Kapitel ausführlich dargestellt.

    I B 1. Atum, Skarabäus und Phönix

    Atum, der Allherr und Allerzeuger, der aus dem Urmeer Nun hervorging, erschuf als erstes den Luftgott Schu und die Luftgöttin Tefnut. Durch die Einbeziehung der Nut-Geb-Mythe wurden diese beiden zu Kindern der beiden Luftgottheiten und somit zu Enkeln von Atum. In diesem Zusammenhang stellte Schu auch die Sonne und Tefnut den Mond dar (siehe die Übersicht bei Geb). In der jüngeren Fassung dieser Mythe erschuf Atum seine beiden Kinder durch Hike (Magie) oder durch Sia (Wille/Herz) und Hu (Wort/Zunge). Ursprünglich stellte man sich aber vor, daß Atum mit seiner Hand onanierte, seinen Samen verschluckte, in dem nach ägyptischer Vorstellung das Kind (hier: Schu und Tefnut) enthalten war, dann das Götterpaar in seinem Leib heranreifen ließ und es schließlich ausspie (Speichel = Fruchtwasser der Gebärmutter) oder aushustete (Schu und Tefnut sind Luftgötter). Daher nennt man ihn auch Jusau, d.h. den Onanierenden. „Atum ist es, der einst entstand, der sich in On selbst befriedigte. Er nahm seinen Penis in seine Hand, damit er mit ihr Orgasmen erschuf, und so wurden die Zwillinge Schu und Tefnut geboren." (Pyramidenspruch 524) Es ist offensichtlich, das sich die Atum-Mythe hier auf die älteren Mythen bezieht, in denen z.B. Hathor oder Nut die Sonne gebiert, und sie nachahmt.

    Später trat an die Stelle des Onanierens die Vereinigung mit der Göttin Jusas, die als eine Form der Hathor galt und den Kultnamen Gotteshand (des onanierenden Atum) und Herrin der Vulven trug. Vermutlich kam hier die ursprüngliche Mythe wieder zum Durchbruch, in der eine Göttin, die das Urmeer bzw. den Himmelsozean darstellte, die Sonne und die Götter gebar (Nut oder Hathor) und in der Atum vielleicht nur der erste der von der Göttin geborenen Götter oder eine Personifizierung des fruchtbaren Landes oder des Urhügels war.

    Zusammen mit dem Skarabäus-Sonnen-Urgott Chepre (auch Kephera geschrieben) wurde er mit dem Urhügel identifiziert. Der Käfergott wurde aber schon früh nur noch als eine Erscheinungsform des Atum aufgefaßt. Größere Bedeutung erlangte er als das das Herz schützende Amulett, das bei keiner Bestattung fehlen durfte, da das Herz als der Sitz der Seele angesehen wurde.

    Als Sonnengott war Chepre ursprünglich die (sterbende) Abendsonne, später wurde er jedoch den letzten Stunden vor und den ersten Stunden nach Sonnenaufgang (Geburt der Sonne) zugeordnet. Als Nachtgott hatte er die Gestalt eines Widders und als Urgott im Nun ebenso wie auch Atum die Gestalt einer Schlange. Durch seine Gleichsetzung mit Re galt er auch als Sohn der Nut. Chepre, dessen Namen der von selbst Entstehende bedeutet, wurde als Urgott angesehen, da man glaubte, er würde ohne Zeugung aus dem Urmeer bzw. aus Dungkugeln hervorgehen, die er formte und die er (d.h. die weiblichen Käfer) seine Eier legte. Die Assoziation mit der Sonne wurde unter anderem durch sein Umherrollen der Dungkugeln hervorgerufen, das an den Weg der Sonne über den Himmel erinnerte.

    Die beiden Tiere, die als Form oder Gestalt des Atum verehrt wurden, die Schlange und der Ichneumon (eine Schleichkatzenart), bilden einen Widerspruch, da das Ichneumon (Atum-Re als Kater) sowohl in der Natur als auch in der Mythologie die Schlange (Apophis-Schlange in der Unterwelt) tötet und frißt. Beide stellen aber einen seiner Aspekte dar: die Schlange den Urgott und das Ichneumon den Sonnengott.

    In einem ägyptischen Text gibt es eine Schilderung, nach der Atum einst alles wieder zerstören und sich zusammen mit dem Skarabäus wieder in ein Schlangenpaar im Urmeer verwandeln wird. Diese Vorstellung ist sicher durch die Gleichsetzung Atums mit der sterbenden und auferstehenden Sonne und mit dem fruchtbaren Land, Ägyptens, das jedes Jahr einmal vom Nil überschwemmt wird, angeregt worden.

    Atum war noch mit drei weiteren Tieren verbunden: mit dem Apis-Stier und mit Mnevis, dem heiligen Stier von On, sowie mit dem Phönix, dessen Heimat ebenfalls On ist. Ursprünglich scheint der Phönix der Reiher gewesen zu sein, der sich auf den aus der Nilflut aufsteigenden Inseln (Urhügel) niederließ. Später sah man ihn auch in einer Art Bachstelze. Durch die Verwandtschaft seines Namens (ägyptisch Benu, koptisch Boine, griechisch Phönix) mit dem Namen des heiligen Benbensteins auf dem Urhügel von On assoziierte man ihn auch mit diesem hohen Stein. Benu bedeutet in etwa der Auffliegende und Benben in etwa der Aufragende - die Verdopplung der Silbe ben, die das Emporstreben bezeichnet, läßt aus dem Verb „weben, das u.a. auch das Aufsteigen der Sonne am Horizont bedeutet, ein Subjekt, etwas Wichtiges, Betontes werden. Hier findet sich wie bei „Nu und „Nun(-u)", also Wasser und Gott des Urwassers, wieder die archaische Silbenverdopplung, durch die unter anderem ein Verb zu einem Subjekt wird.

    Die Verbindung des Phönix mit der Heiligen Weide von On ist schon alt, wobei in historischer Zeit die Verbindung zum Benben-Stein deutlich ausgeprägter ist als seine Verbindung zu der heiligen Weide, die bei der Entstehung der Benben-Sonnensymbolik in den Hintergrund getreten war. Der Benben-Stein symbolisiert wie die heilige Weide die Verbindung von Himmel und Erde in der Mitte der Welt – an die Stelle des natürlichen Weltenbaumes trat die architektonische Form der Himmelssäule. Als Urgott ist der Phönix wie Atum aus sich selbst entstanden und wird manchmal auch als Ba (Seele) des Re aufgefaßt.

    Da der Phönix weiterhin auch als Totengott galt, wurde er mit Osiris identifiziert oder als aus seinem Herzen entsprungen gedacht. Dabei spielte sowohl sein Wesen als selbsterschaffener Urgott als auch seine Vogelgestalt eine Rolle, da die Seele nach der Vorstellung der Ägypter die Gestalt eines Vogels hatte, der im Herzen wohnt. Als Seele des Osiris entsprach er somit dem Falkengott Horus. So konnte der Phönix zum Symbol der vergöttlichten, gerechtfertigten, d.h. ins ägyptische Jenseits-Paradies eingegangenen Seele werden.

    Die Sage vom Feuertod des Phönix und seiner periodischen Wiederkehr gehen auf sein Erscheinen auf der Feuerinsel und seine Verbindung mit der allmorgendlich wiedergeborenen Sonne zurück. Er konnte sowohl als Reiher als auch als Mensch mit Reiherkopf dargestellt werden.

    Die Symbolik des Phönix hat sich in mehreren Stufen entwickelt: Zunächst gab es den Vogel als Symbol der Seele. Da die Unterwelt als innerhalb oder jenseits eines Wassers angesehen wurde, war das beste Seelensymbol ein Wasservogel. Bereits seit der Altsteinzeit ist die Farbe rot (Blut) die Farbe des Lebens – daher ist ein roter Vogel der lebendigste Vogel, weshalb schon auf den Grabgefäßen aus der Zeit vor der Reichsgründung lange Reihen von im Wasser stehenden Flamingos abgebildet sind. Später dann, als der Aufgang der Sonne zu einem Symbol für die Wiedergeburt im Jenseits wurde, setzte man den roten Wasservogel an den Ort des Sonnenaufgangs, wo er dann im Feuer wiedergeboren wurde. Der Phönix ist also die Seele, die abends am Ort des Sonnenuntergangs in der Glut des Abendrots verbrennt, d.h. in Jenseits eingeht und beim Sonnenaufgang in der Glut des Morgenrots neu geboren wird. Die Feuerinsel ist dabei einfach der Ort des Morgen- bzw. Abendrots am Horizont.

    Atum wurde Nefertem genannt, wenn man ihn als den wiedergeborenen Atum, der aus den Urwasser auftauchte, bezeichnen wollte, wobei er dann auf einer sich öffnenden Lotusblüte saß. Nefertem ist ein aus Nefer-Atum zuammengezogenes Wort, das „schöner Atum bedeutet. Das Wort „nefer ist einer der zentralen ägyptischen Begriffe und bedeutet die Schönheit, das Gutsein, das Richtig-sein und somit auch das Willkommen-sein, das entsteht, wenn etwas richtig und gut ist, d.h. im Einklang mit seinem eigenen inneren Wesen, also mit seiner eigenen Seele ist. Daher sind zunächst einmal alle Götter „nefer, was sich insbesondere bei Osiris zeigt, der oft „Netjer nefer, also der „gute Gott" genannt wird, da er das Ziel der Ägypter, die Übereinstimmung der eigenen Handlungen mit dem eigenen Herzen, also der inneren Wahrheit symbolisierte.

    Daher nannte man den Toten, bei dem man im Jenseitsgericht durch das Wägen seines Herzen gegen die Feder der Wahrheit (Ma'at) eben diese Übereinstimmung festgestellt hatte, „Osiris X, wobei „X der Name des Toten war. Diese Bezeichnung „guter Gott entspricht unserem Wort „Gott, das sich ja auch von dem Wort „gut ableitet. Nefertem ist also die Seele des Atum und daher sein innerstes Wesen und seine innere Wahrheit. Die Seelen als die innere Wahrheit und das innerste Wesen eines Menschen war ganz allgemein „nefer - sie war sozusagen das Urbild dessen, was diese „nefer"-Qualität hat.

    Der Gott Nefertem auf seiner Lotusblüte ist der wiedergeborene Atum, d.h. die Seele des Atum, die nach ägyptischer Vorstellung von der Muttergöttin bzw. hier vom Urmeer Nun wiedergeboren wurde. So kann der verstorbene Pharao im 224. Pyramidenspruch von sich sagen: „Ich bin eine Blume, die aus dem Nil aufgestiegen ist, eine goldene Blume, die aus dem Isis-Tempel hervorgetreten ist."

    Als Urgott von On war Atum der Götterkönig und der Königsgott. Daher identifizierte sich auch der verstorbene Pharao mit Atum, wie es der 213. Pyramidenspruch gut zeigt, in dem der Sohn des verstorbenen Pharaos folgende Worte zu seinem Vater spricht: „Deine Arme sind Atum, Deine Schultern sind Atum, Dein Bauch ist Atum, Dein Rücken ist Atum, Dein Hintern ist Atum, Deine Beine sind Atum, Dein Gesicht ist Anubis."

    Die Verbindung zu Re, der ebenfalls seinen Hauptkult in On besaß, war anfangs nur lose und festigte sich erst im Neuen Reich. Zwei andere Schöpfergötter versuchte man bisweilen über Atum zu setzen, indem man sie mit Nun, der gewissermaßen als Urmeer der Vater des Atum ist, zu identifizieren versuchte. Den Ptah-Priestern im Alten Reich gelang dies aber nur sehr ansatzweise, während sich im Neuen Reich zwischen Amun und Atum ein Kräftegleichgewicht einspielte: Atum-Re von On herrschte über Unterägypten, Amun-Re von Theben über Oberägypten.

    Der Name Atum ist mit dem semitischen Wort Adam und dem indogermanischen Wort deghom eng verwandt. Alle drei Worte gehen auf eine gemeinsame Wurzel zurück, die vermutlich „adam gelautet hat und die sowohl „Mensch (Atum – Adam – homo) als auch „Erde (Atum – adamah – humus) bedeutet hat, wodurch der erste Mensch sozusagen als „Erdling bezeichnet wird, also als der, der aus Erde erschaffen wurde, so wie dies unter anderem die ägyptische Mythe des Chnum und der biblische Schöpfungsbericht schildern.

    Der folgende Text ist wieder als Meditationshilfe gedacht; der Stil ist eher sumerisch als ägyptisch, da dem Ägyptischen weitgehend Rhythmus und Steigerung fehlen, die mir aber für das Thema angemessen erschienen:

    Als die Berge noch nicht standen

    Als der Nil noch nicht floß

    Als die Winde noch ruhten

    Als die Sterne noch schliefen

    Erhob sich ein Hügel

    Erhob sich eine flammende Insel

    Erhob sich Atum, der Erste Gott

    Er stieg empor als Schlange

    Er flog hinauf als Phönix

    Als Sonne erstrahlte er in der Mitte der Welt

    Du bist der Skarabäus in Deinem Namen Kephera

    Du bist der Kater in Deinem Namen Re

    Du steigst empor am Anfang der Welt

    Du erstrahlst am Beginn des Jahres

    Du erscheinst am Anbruch des Tages

    Durch das Ausspeien Deines Samens

    Durch Dein Herz und Deine Zunge

    erschuf Deine magische Kraft die Welt

    Deinen Sohn Schu, den Herrn der vier Winde

    Deine Tochter Tefnut, die Herrin des Atems

    Deiner Kinder Sohn: Geb, die Erde

    Deiner Kinder Tochter: Nut, den Himmel

    und die Sonne, den König der Götter

    Ich verbrenne Dir Weihrauch

    Ich spende Dir Bier

    Atum, erhebe Dich auch heute aus dem Nun

    Atum, laß auch heute auf die Nacht den Tag folgen

    und erschaffe die Welt

    Vergleich: Die Schöpfung

    Das Bild der Erde, die sich aus dem Chaos oder dem Urmeer erhebt, ist weit verbreitet. Die biblische Trennung von Wasser und Land ist mit dieser Vorstellung so gut wie identisch. Das Bild des Lotus, der aus der Tiefe aufsteigt, sowie die Vorstellung, daß aus der Meerestiefe der Schlamm geholt werden muß, aus dem dann die Erde geformt wird, ist sowohl in Indien als auch in Zentralamerika (Tolteken, Azteken, Mayas) und z.T. auch in Japan weit verbreitet. Neben der Insel und der Pflanze (Lotus) gibt es in den Vorstellungen über die Schöpfung auch das Bild vom Tier, das sich aus dem Urmeer erhebt - bei einigen indianischen Kulturen ist dies eine Schildkröte, deren Rückenpanzer die Erdoberfläche ist.

    Der Lotus als Schöpfungssymbol ist vor allem aus Indien gut bekannt, wo die Götter wie Nefertem auf Lotusblüten sitzen. In Indien ist der Lotus auch internalisiert worden und zu einem Bild der Chakren geworden, die die „Organe" des menschlichen Lebenskraftkörpers sind. Aber diese Schöpfungs- und Auferstehungs-Symbolik des Lotus ist auch in Mittelamerika gut bekannt.

    In dem abstrakten System der Kabbala findet sich wieder das Bild der aufsteigenden Sonne und der Geburt: Aus dem Nichts, dem Meer der Möglichkeiten entsteht (erhebt sich) Kether, die erste der zehn Sephiroth (Sphären, Existenzebenen), die Gott, Einheit, Licht sowie die anfängliche Identität von Bewußtsein und Materie darstellt.

    Die Umwandlung des Ur- und Schöpfergottes, der oft ein Himmelsgott ist, in einen Sonnengott ist ebenfalls in vielen Religionen zu finden. Selbst dem Christentum ist dieses Bild geläufig: so sah z.B. Franziskus die Sonne als das irdische Abbild Gottes an.

    Die Struktur dieser Schöpfungsmythen findet sich auch in der astronomischen Urknalltheorie wieder: aus der ursprünglichen, einheitlichen, auf kleinstem Raum komprimierten Energie/ Materie entsteht die Welt. Die Frage nach dem Ursprung der Substanz dieser Welt ist ein ungelöstes Paradoxon; die Frage, die hingegen von den Schöpfungsmythen und -theorien beantwortet wird, ist: Wie entstand aus dem anfänglichen Chaos die heutige Ordnung? Dieser Vorgang des Ordnens und somit Beherrschens der Welt durch die Götter findet eine Analogie in der Entwicklung des Menschen von der Altsteinzeit

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